Proportionalitätsprinzip in der europäischen Kreditwirtschaft - verdienen kleine Banken eine Sonderbehandlung?

Markus Ferber, Mitglied des Europäischen Parlaments, Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand (PKM Europe) und erster stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, Brüssel - Kleine Privatbanken, Sparkassen und Volksbanken sieht der Autor durch die aktuellen Regulierungsmaßnahmen über Gebühr belastet. In vielen aktuellen Fragen hält er eine Sonderbehandlung für angebracht. Das gilt etwa für das vieldiskutierte europäische Melderegister Ana-Credit, dessen Umsetzung er durch lange Übergangsfristen flankiert wissen will. Bei der anstehenden Überprüfung des Korrekturfaktors bei der Unterlegung von Mittelstandskrediten warnt er ebenso vor einer vorschnellen Abschaffung der Begünstigung für kleine und mittlere Häuser wie beim Kreditrisiko-Standardansatz. Besorgt zeigt er sich nicht zuletzt über den Diskussionsstand zur Kapitalmarktunion. Diese sollte aus seiner Sicht keinesfalls die für den Mittelstand so wichtige Kreditfinanzierung erschweren. (Red.)

Die Pleite der internationalen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 mit verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft war die Initialzündung zur Schaffung neuer Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Es war allen klar: So darf es nicht weitergehen. Kreditinstitute, die man im Krisenfall nicht fallen lassen kann, sondern mit Steuergeldern zum Schutz Dritter stabilisieren muss, sollte es nicht mehr geben. Der Umfang der neuen Maßnahmen und die Geschwindigkeit der Einführung haben seit dem Ausbruch der Finanzkrise stark zugenommen.

Fünf zentrale Ziele

In der Eurozone wurden in sehr kurzer Zeit mit der Bankenunion neue Strukturen und neue Regeln für die Aufsicht und die Abwicklung von Banken geschaffen, die die Finanzinstitute stabiler, ihre Abwicklung ohne Einsatz von Steuergeldern möglich und die Einlagen von Sparern sicherer machen. Die Finanzwirtschaft soll damit ihre dienende Funktion für die Realwirtschaft zurückerlangen. Der Steuerzahler sollte nie wieder für die Rettung von Banken herangezogen werden. So lautete das Credo. Ausgehend von den Ursachen der weltweiten Finanzkrise verfolgen die verabschiedeten Maßnahmen auf europäischer Ebene zur Regulierung der Finanzmärkte fünf zentrale Ziele: Das Haftungsprinzip sollte wieder gestärkt, die Stabilität des Finanzsystems verbessert, die Markt- und Produkttransparenz erhöht, die Lastenteilung gerechter und die Aufsichtsstrukturen gestärkt werden.

Regulierung stabilisiert das Finanzsystem. Doch heute, fast acht Jahre nach Lehman Brothers, zeigt sich, dass dieser allgemeine Ansatz große Schwierigkeiten nach sich zieht. So haben wir bei der Bankenregulierung ein grundsätzliches Problem mit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Regeln, die eigentlich für international tätige Großbanken gedacht waren, werden am Ende auch für kleine Institute angewandt. Der Mechanismus ist oftmals der, dass sich die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und nationale Aufsichtsbehörden die Praktiken, die beim Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism - SSM) zur Anwendung gebracht werden, abschauen. Doch was bei Großbanken funktioniert, passt eben nicht automatisch für kleine Bankhäuser.

Kleine Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind und bleiben regionale Institute, die sich vornehmlich um den kleinen Sparer und die mittelständische Wirtschaft kümmern. Das Risikoprofil dieser Institute und die Verflechtungen mit dem Rest der Wirtschaft sind entsprechend anders. Die Kosten für die Umsetzung der Anforderungen nationaler, europäischer und internationaler Aufseher liegen oft um ein Vielfaches höher als bei großen Instituten. Kleine Institute leiden schon aufgrund der beschränkten Ressourcen unter einer ausufernden Regulatorik und überbordenden Meldepflichten.

Ana-Credit: kleine und mittlere Banken nicht überfordern

Aktuelles Beispiel dafür ist die Kreditdatenbank Ana-Credit (Analytical Credit Dataset). Die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet derzeit das zentrale Kreditregister vor, das durch ein äußerst aufwändiges Meldesystem für Kreditdaten befüllt werden soll. Danach sollen die Kreditinstitute ab 2018 bereits Kredite ab 25 000 Euro mit jeweils über 150 Einzelmerkmalen melden. Hier stellt sich mir die Frage, ob sich irgendjemand bei der EZB Gedanken über die Frage der Verhältnismäßigkeit gemacht hat? Fest steht, dass die Einführung von Ana-Credit mit einem ganz erheblichen Meldeaufwand verbunden sein wird und diesem Aufwand kein entsprechender Nutzen gegenübersteht. Die bisher geplanten Meldegrenzen würden dazu führen, dass Kreditinstitute de facto alle Kredite inklusive aller detaillierter Kreditmerkmale entweder melden oder zumindest die entsprechenden Daten für den Fall vorhalten müssen, dass eine Wertminderung eintritt und die verschärften Meldeschwellen greifen.

Einem solchen administrativen Aufwand steht kein verhältnismäßiger Informationsgewinn über Risiken im Finanzsystem gegenüber. Und selbstverständlich stellt sich bei der Akkumulierung solcher Datenberge auch immer die Frage, ob der Datenschutz ausreichend gewährleistet ist. Angesichts der datenschutzrechtlichen Bedenken, des hohen administrativen Aufwandes für die betroffenen Institute und dem geringen Mehrwert halte ich Ana-Credit für ein Projekt, das man am besten gleich wieder einstellen sollte. Wenn das nicht geschieht, muss die EZB aber zumindest die Meldeschwellen deutlich anheben und die Meldepflichten so ausgestalten, dass sie automatisch und ohne großen Mehraufwand erfüllt werden können.

Neben diesen grundsätzlichen Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Projekts Ana-Credit halte ich es für ausgesprochen problematisch, dass die Deutsche Bundesbank zudem noch erwägt, die von der EZB vorgeschlagenen Umsetzungsschritte sogar noch vorzuziehen. Dies geht jedenfalls aus der Dokumentation einer Informationsveranstaltung zu Ana-Credit hervor, die am 20. Mai 2015 im Hause der Deutschen Bundesbank stattfand. Angesichts des enormen Meldeaufwands, der für die betroffenen Institute durch Ana-Credit entstehen wird, wären zumindest möglichst lange Übergangsfristen geboten, um gerade den vielen kleineren Instituten den Übergang so leicht wie möglich zu gestalten. Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesbank jeglichen Spielraum bei der Umsetzung nutzen und Ana-Credit so pragmatisch wie möglich umsetzen. Auf keinen Fall darf eine überambitionierte Umsetzung der Deutschen Bundesbank dazu führen, dass die vielen kleinen Institute in Deutschland vor so große Anforderungen gestellt werden, dass der Wettbewerb in Europa zulasten deutscher Institute verzerrt wird.

Basel III: auf KMU-Regelungen weiterhin bestehen

Ein anderes Beispiel ist Basel III, die Regeln zur Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken, welche durch die Richtlinie über Eigenkapitalunterlegungspflichten und die zugehörige Verordnung (CRR/CRD IV) in europäisches Recht umgesetzt wurden. Grundsätzlich gelten für Kredite künftig höhere Unterlegungspflichten. Wichtig ist aber auch hier die Ausgestaltung der Eigenkapitalvorschriften gemäß dem zugrunde liegenden Risiko. Der traditionelle Mittelstandskredit stellt ein deutlich geringeres Risiko in der Bilanz dar als ein anderweitiges spekulativeres Investment. Deswegen war es ein besonderer Erfolg des Europäischen Parlaments, dass solche Mittelstandskredite durch einen sogenannten Korrekturfaktor und daraus resultierenden geringeren Unterlegungsvorschriften relativ besser gestellt wurden. Damit wurde insbesondere das Geschäftsmodell von regional verankerten Kreditinstituten wie Sparkassen und Volksbanken gestärkt. Der Korrekturfaktor wird jedoch Mitte 2016 noch einmal einer Überprüfung unterzogen. Dabei ist es äußerst wichtig, dass diese Überprüfung positiv ausfällt.

Leitlinien zu den Vergütungsvorschriften

Dies gilt umso mehr als seitens des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) bereits neue Maßnahmen wie eine Überarbeitung des Kreditrisiko-Standardansatzes (KSA) erwägt werden. Damit verfolgt der Baseler Ausschuss das Ziel, eine Reihe von Schwachpunkten im aktuellen Ansatz zu beseitigen. Nach Auffassung des Baseler Ausschusses zählen hierzu insbesondere die übermäßige Abhängigkeit von externen Ratings sowie der Mangel an Risikosensitivität. Der BCBS kritisiert zudem die Vielzahl von nationalen Ermessensspiel räumen. Da der Standardansatz selbst für die kleinsten Banken gilt, ist er heute bewusst einfach gehalten und sieht daher feste Risikogewichtungen vor. Dieser Standardansatz muss für die Vielzahl kleiner Institute auch weiterhin anwendbar bleiben und der KMU-Faktor für Mittelstandsportfolios bei Banken muss weitergeführt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass sich infolgedessen die Kreditversorgung von kleinen und mittleren Unternehmen verteuern könnte. Hier darf es also keinesfalls zu einer blinden Eins-zu-eins-Übernahme des Baseler Ansatzes in europäisches Recht kommen.

Die neuen Regeln hinsichtlich der Kapitalanforderungen (CRR/CRD IV) sehen die Verabschiedung einer großen Anzahl von delegierten und durchführenden Rechtsakten vor, welche die Art, wie die in der Verordnung und Richtlinie dargelegten Auflagen von zuständigen Behörden und Marktteilnehmern einzuhalten sind, spezifizieren. Im März 2015 hat die EBA einen Konsultationsprozess zu den Leitlinien zu den Vergütungsvorschriften unter der CRD IV gestartet. Darin geht es unter anderem um die Identifizierung von Mitarbeitern von Kreditinstituten, die in besonderem Maße an risikorelevanten Entscheidungen beteiligt sind, und die Vergütungspolitik für diese Mitarbeiter. Diese Leitlinien enthalten eine Reihe von Vorschriften, welche insbesondere für viele kleinere Institute mit einem hohen Erfüllungsaufwand einhergehen. Der EBA-Vorsitzende, Andrea Enria, hat aus diesem Grund zu Recht auf Artikel 92(2) der CRD IV hingewiesen, welcher explizit klarstellt, dass die einschlägigen Vergütungsgrundsätze in einer Art und Weise anzuwenden sind, die der Größe, der internen Organisation, der Art, dem Umfang und der Komplexität der jeweiligen Geschäftsmodelle entsprechen. Aus genau diesem Grund brachte Andrea Enria auch Ausnahmeregelungen für kleine und nichtkomplexe Institute ins Spiel. Diesen Ansatz halte ich unter dem Proportionalitätsgedanken für ausgesprochen zielführend.

Umso verwunderter war ich über die Aussage der Generaldirektion Justiz und Verbraucher der Europäischen Kommission vom 23. Februar 2015, in der diese auf eine buchstabengetreue Anwendung des CRD-IV-Wortlautes drängt, welche zweifelsohne gerade zulasten der vielen kleinen Regionalbanken ginge. Mit dieser Interpretation stellt sich die Europäische Kommission meines Erachtens eindeutig gegen den Willen des europäischen Gesetzgebers und wählt einen vollkommen praxisfernen Ansatz, der großen Schaden für den europäischen Bankensektor zu verursachen droht.

Keine europäische Einlagensicherung

Als bereits abgeschlossen galt das Projekt der Bankenunion. Nun wurden mit dem 5-Präsidenten-Bericht von Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats, Jeroen Dijsselbloem, Präsident der Euro-Gruppe, Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, und Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, ehrgeizige Pläne vorgelegt, wie die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) vom 1. Juli 2015 an vertieft und bis 2025 vollendet werden soll. Zur Vertiefung und Vollendung der Währungsunion wurde erneut eine europäische Einlagensicherung ins Spiel gebracht. Dieser Vorschlag hat mich in der Tat sehr überrascht. Die Richtlinie über Einlagensicherung, die jedem Bürger in Europa einen Mindestschutz seiner Spareinlagen zusagt, wurde vor kaum mehr als einem Jahr verabschiedet.

Während in Deutschland die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sogar zusätzlich ihre eigenen Institutssicherungssysteme pflegen und Milliarden von Euro in einem Sicherungstopf angespart wurden, hat etwa die Hälfte der Staaten noch nicht einmal diese Richtlinie umgesetzt. Viele beginnen erst mit dem Aufbau nationaler Sicherungstöpfe. Bis sie gefüllt sind, kann allenfalls die jeweilige Regierung im Notfall die Einlagen garantieren. Eine Überprüfung der europäischen Regel war erst für das Jahr 2019 vorgesehen. Aber jetzt wird schon über den dritten Schritt vor dem zweiten gesprochen. Hier setzte die Kommission falsche Anreize. Außerdem hatte sich der europäische Gesetzgeber im vergangenen Jahr bewusst für eine Lösung entschieden, die gemeinsame hohe Standards für die nationalen Einlagensicherungssysteme enthält, aber eben keine Vergemeinschaftung. Das halte ich auch nach wie vor für den richtigen Ansatz, da eine Vergemeinschaftung das Haftungsprinzip aushöhlen würde.

Kapitalmarktunion: Kreditfinanzierung nicht schwächen

Die EU-Kommission möchte Wachstum und Beschäftigung in Europa fördern und setzt dabei auf einen künftig erleichterten Kapitalmarktzugang für Unternehmen. Sie verspricht sich von der Kapitalmarktunion, dass vor allem mittelständische Unternehmen ihren Finanzierungsbedarf leichter decken können, dass die Sparer von einer größeren Auswahl an Investitionsmöglichkeiten profitieren und dass Investoren aus der ganzen Welt in die europäische Volkswirtschaft investieren. Die Grundpfeiler einer Kapitalmarktunion sollen deshalb bis 2019 stehen.

Doch bei aller Euphorie müssen wir uns schon heute bewusst sein, dass die Hürde für kleinere Unternehmen, wie einen mittelständischen Handwerksbetrieb, auch dann noch zu hoch sein wird, wenn die Kosten für den Kapitalmarktzugang wirklich gesenkt werden. Solche Betriebe werden sich auch künftig nicht über die Börse finanzieren. Die Kapitalmarktfinanzierung ist für sie meistens ungeeignet oder hat erhebliche Nachteile, wie die zu hohen Fixkosten. Für kleine und mittelständische Unternehmen wird also der Bankkredit nach wie vor die zentrale Säule der Außenfinanzierung bleiben. Die Kreditfinanzierung darf also im Rahmen der Kapitalmarktunion keinesfalls erschwert werden. Denn das wäre letztlich ein Nachteil für die kleinen und mittleren Unternehmen und damit die kleinen Institute vor Ort. Die Pläne der EU-Kommission dürfen nicht zu einem Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Bürger führen. Die Kapitalmarktunion soll die Finanzierungsmöglichkeiten ergänzen, nicht ersetzen.

Differenzierte Regulierung notwendig

Allein zwischen 2009 und 2014 initiierte die EU-Kommission rund 30 Gesetzesvorhaben im Bereich der Banken- und Kapitalmarktregulierung. Die regulatorische Landschaft hat sich in den vergangenen Jahren ganz fundamental verändert. Der allergrößte Teil der Einzelmaßnahmen ist in sich schlüssig und kohärent. Aber wir müssen natürlich auch die Frage stellen, wie sich die Summe dieser Einzelmaßnahmen im Zusammenspiel auswirkt. Und da gibt es eine Reihe von Anzeichen, dass nicht alles so gut zusammenpasst, wie wir uns das wünschen. Hier hat die Europäische Kommission nun eine Überprüfung angestoßen, um zu untersuchen, welche Vorschriften negative Auswirkungen auf die Fähigkeit der Wirtschaft sich zu finanzieren und zu wachsen haben. Wo bestehen unnötige regulatorische Belastungen, Interaktionen, Widersprüchlichkeiten und Lücken? Oder bestehen Regeln mit unbeabsichtigten Konsequenzen?

Diese Überprüfung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn wir brauchen nicht mehr Regulierung, sondern wirksame Regeln. Das gilt insbesondere bei Fragen wie Offenlegungs- und Meldepflichten, wo es oft Dopplungen und Überlappungen gibt, die keinen praktischen Mehrwert haben, aber einigen Aufwand für diejenigen erzeugen, die sich daran zu halten haben. Um genau diesen Prozess zu verhindern, muss es für die Zukunft darum gehen, dass wir auf europäischer Ebene ein noch größeres Bewusstsein für die spezielle deutsche Struktur mit den vielen kleinen und mittleren Regionalbanken schaffen, das sich am Ende auch in verhältnismäßigen aufsichtsrechtlichen Regelungen wiederfindet. Denn wer die wirtschaftliche Entwicklung in Europa unterstützen will, muss zu einer besseren Differenzierung bei der Regulierung zurückkehren. Regulierungsmaßnahmen müssen stärker nach Größe und Risikogehalt von Kreditinstituten differenziert werden und die internationalen Abhängigkeiten müssen eine stärkere Rolle spielen. Die Regulierung muss so ausgestaltet werden, dass sie auf die jeweiligen Geschäftsmodelle passt und darf nicht strukturverändernd wirken.

Markus Ferber , Mitglied des Europäischen Parlaments, Brüssel
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