Stimmrechtsberater auf dem Corporate-Governance-Prüfstand

Dr. Jan Dörrwächter, Partner, hkp///group, Frankfurt am Main

Quelle: HKP Group

Dr. Jan Dörrwächter, Michael H. Kramarsch und Regine Siepmann, alle Partner, hkp///group, Frankfurt am Main - In der abgelaufenen Hauptversammlungssaison ist wiederholt über den Einfluss von Stimmrechtsberatern auf Hauptversammlungen diskutiert worden. Die Autoren wollen deren Aktivitäten im modernen Kapitalmarktgeschehen nicht pauschal verteufelt wissen, verweisen vor dem Hintergrund der Konzentration dieser Dienstleister auf zwei große Anbieter und auf mögliche Konflikte zu nationalen Gesetzen und Kodizes zur guten Unternehmensführung und fehlende Anforderungen hinsichtlich der Transparenz. Als diskussionswürdigen Ansatz sehen sie einen Verhaltenskodex für Stimmrechtsberater, der den Umgang mit Interessenkonflikten transparent machen, Abstimmungsrichtlinien sowie die für die Analyse verwendeten Quellen offenlegen sowie die Verpflichtung beinhalten könnte, lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen und Investoren über den Dialog mit Emittenten zu informieren. (Red.)

Die Rolle von Stimmrechtsberatern, englisch Proxy Advisors, bei der Ausübung von Aktionärsrechten ist seit einiger Zeit Gegenstand zahlreicher kritischer Betrachtungen1) - nicht zuletzt deshalb, weil ihr Einfluss auf Investoren und damit auf die Abstimmungsergebnisse in Hauptversammlungen stark zugenommen hat. Dies hat auch die abgelaufene Hauptversammlungssaison in Deutschland wie in anderen Ländern gezeigt: Vor allem beim sogenannten Say on Pay, dem unverbindlichen Votum der Hauptversammlung gemäß § 120 Abs. 4 AktG über das Vergütungssystem für den Vorstand, kam es in einigen Unternehmen aufgrund ablehnender Stimmrechtsempfehlungen zu negativen Abstimmungsergebnissen.2) So empfahl der mit Abstand größte Stimmrechtsberater ISS nach eigenen Angaben in der zurückliegenden Hauptversammlungssaison nur bei rund einem Drittel der Vergütungssysteme deutscher Konzerne eine Zustimmung.3)

Ein Duopol

Stimmrechtsberater verdanken ihren Aufstieg vor allem zwei Faktoren: Zum einen verpflichten immer mehr Länder institutionelle Anleger, ihr Stimmrecht auf der Hauptversammlung auszuüben.4) Zum anderen verfügen aber gerade mittelgroße und kleinere Kapitalsammelstellen nicht über die personellen Ressourcen und damit das Knowhow, die Beschlussempfehlungen aller Unternehmen, in denen sie investiert sind, zu analysieren und sich eine Meinung hierzu zu bilden.

Die Stimmrechtsberater geben ihre Abstimmungsempfehlungen zu den Tagesordnungspunkten einer Hauptversammlung, vor allem auch zur Abstimmung über die Billigung des Systems der Vorstandsvergütung, auf Basis von ihnen entwickelter Standard-Checklisten ab. Anhand dieser sogenannten Voting Policies werden die Beschlussvorschläge bewertet.

Investoren greifen auf die Abstimmungsempfehlungen vor allem der beiden größten Stimmrechtsberater, ISS und Glass Lewis/Ivox, zurück. Allein auf ISS entfällt ein Marktanteil von 70 Prozent.5) Beide Anbieter gemeinsam kommen auf einen Marktanteil von rund 90 Prozent - ein Wert, der in den USA sogar noch höher ausfällt.6) Angesichts dieser Marktstellung von einem Duopol zu sprechen, ist sicherlich gerechtfertigt.

Allerdings nutzen Investoren Stimmrechtsberater höchst unterschiedlich. Große institutionelle Investoren wie Blackrock oder Vanguard, aber auch deutsche Kapitalsammelstellen wie Union Investment oder Deutsche Asset Management, haben eigene Governance-Abteilungen, welche die Empfehlungen der Stimmrechtsberater als eine Informationsquelle von vielen nutzen. Oder sie entwickeln eigene Voting Policies, deren Anwendung sie dann an Stimmrechtsberater auslagern. Mittlere und kleinere Investoren dagegen folgen teilweise vollständig ungeprüft den Empfehlungen der Stimmrechtsberater. Schätzungen zufolge beeinflussen ISS bis zu 30 Prozent und Glass Lewis bis zu 10 Prozent der Stimmen auf einer Hauptversammlung.7) 2012 folgten rund 80 Prozent der in Deutschland investierten ausländischen Fonds den Empfehlungen von Stimmrechtsberatern.8)

Während Stimmrechtsberater damit einen wichtigen Beitrag zur Corporate Governance leisten, weil gerade kleinere Investoren ohne eigene Kapazitäten für Corporate-Governance-Analysen eine Unterstützung bei der Stimmrechtsausübung angeboten wird, wirft ihre Tätigkeit zugleich kritische Fragen auf.

Probleme beim Tätigwerden von Stimmrechtsberatern

Voting Policies im Wettbewerb zu Corporate-Governance-Kodizes: Das grundlegendste Problem in der Tätigkeit von Stimmrechtsberatern besteht darin, dass diese faktisch in ein Konkurrenzverhältnis zu nationalen Gesetzen und Kodizes zur guten Unternehmensführung treten. Denn ihre Voting Policies enthalten detaillierte Vorgaben, nach denen sie sich bei der Bewertung der von Unternehmen zur Abstimmung gestellten Tagungsordnungspunkten richten und auf deren Grundlage sie ihre Abstimmungsempfehlungen formulieren.

In Deutschland weichen diese Vorgaben von den Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) ab, gehen zum Teil über diese hinaus oder stehen sogar im Widerspruch dazu. Damit entsteht quasi ein "Schattenregime"9) zur Corporate Governance, das einen wesentlich stärkeren Befolgungszwang auslöst: Setzt ein Unternehmen eine DCGK-Empfehlung nicht um, muss es diese Abweichung gemäß § 161 AktG lediglich erklären und begründen. Die Abweichung von bloßen Anregungen muss gar nicht erklärt werden. Folgt ein Unternehmen dagegen der Vorgabe einer Voting Policy zur Vorstandsvergütung nicht, muss es mit einer negativen Abstimmungsempfehlung durch die betreffenden Proxy Advisors und aufgrund deren Einflusses mit einem insgesamt negativen Votum der Hauptversammlung rechnen.

Zwar hat das Say on Pay der Hauptversammlung heute keine rechtlich bindende Wirkung. De facto kann es sich jedoch kein Aufsichtsrat erlauben, ein solches Votum zu ignorieren. Dieser Effekt wird sich absehbar mit der Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie durch den deutschen Gesetzgeber verschärfen. Denn die neue Richtlinie räumt Aktionären das Recht ein, regelmäßig über die Vergütungspolitik für Vorstand und Aufsichtsrat sowie jährlich über den Vergütungsbericht abzustimmen.10) Genauso einschneidend wie beim Say on Pay kann sich eine ablehnende Abstimmungsempfehlung zur Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds auswirken, die mit den Vorgaben der Voting Policies begründet wird.

Keine demokratische Legitimation und regulatorische Kontrolle

Damit erheben die Voting Policies von Stimmrechtsberatern im Ergebnis einen stärkeren Geltungsanspruch als der DCGK, der gut begründete Abweichungen von seinen Empfehlungen ausdrücklich als Zeichen guter Unternehmensführung anerkennt und zur Flexibilisierung und Selbstregulierung der deutschen Unternehmensverfassung beitragen will.11)

Zugleich entbehren Voting Policies jeder - auch noch so mittelbaren - demokratischen Legitimation beziehungsweise regulatorischen Kontrolle. Während der DCGK gemäß § 161 AktG von einer durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz berufenen Regierungskommission erarbeitet wird, deren Vorschläge in einem breit angelegten Konsultationsverfahren diskutiert und bewertet werden, handelt es sich bei Voting Policies der Stimmrechtsberater um Richtlinien privater Dienstleister. Diese sind vor allem, wenn nicht gar ausschließlich, auf die Interessen der Investoren zugeschnitten.12) Auch eine Transparenz über die Entstehung von Voting Policies oder ein Mitspracherecht beziehungsweise eine irgendwie geartete Genehmigungspflicht bestehen bislang nicht.

Der deutsche Gesetzgeber wie auch die Deutsche Corporate Governance Kommission müssen sich daher die Frage stellen, wie weit sie sich von erwerbswirtschaftlich orientierten Unternehmen aus den USA aus der Verantwortung drängen lassen wollen, den Rahmen für die Corporate Governance deutscher Aktiengesellschaften zu setzen.

Sorgfalt bei der Stimmrechtsempfehlung: Bedenken bestehen des Weiteren gegen die schematische Vorgehensweise der Stimmrechtsberater. Diese bewerten Beschlussvorschläge der von ihnen analysierten Unternehmen überwiegend anhand von Checklisten und leiten daraus ihre Abstimmungsempfehlungen ab, wobei sowohl die Voting Guidelines selbst als auch ihre Anwendung nationale oder branchenspezifische Besonderheiten weitgehend außer Acht lassen.13) Dies mag bei klassischen Aktionärsthemen wie Kapitalmaßnahmen oder Entlastungsbeschlüssen sinnvoll sein. Bei Abstimmungen zum Vergütungssystem für den Vorstand ist dieses schematische Vorgehen aber unzureichend, bedarf es doch gerade hier einer gründlichen Analyse und Bewertung der komplexen unternehmensindividuellen Sachverhalte.

Hoch industrialisierte Arbeitsweise

Für eine sorgfältige Auswertung aber bietet die hoch industrialisierte Arbeitsweise der Stimmrechtsberater kaum eine Möglichkeit. So werden die zirka 250 börsennotierten Unternehmen der Schweiz nach Angaben von ISS von fünf Analysten betreut,14) in Deutschland sind es die Hauptversammlungen von 500 Gesellschaften, die mit sieben Mitarbeitern begleitet werden.15) Geht man davon aus, dass der größte Teil der Analyse und Bewertung in der Hauptversammlungssaison, also in einem Zeitraum von maximal drei Monaten beziehungsweise etwa 60 Arbeitstagen, stattfindet, sind Zweifel an der Validität der hieraus resultierenden Abstimmungsempfehlungen angebracht.

Fraglich ist es daher auch, ob Investoren ihrer Sorgfaltspflicht bei der Abstimmung über die entsprechenden Beschlussvorschläge gerecht werden, wenn sie sich auf solchermaßen erstellte Empfehlungen (blind) verlassen. Denn - und das ist ein weiterer Kritikpunkt - es kommt damit zu einer Dominanz von Dienstleistern, die ohne eigenes Geld, eigenes Risiko sowie ohne jede Haftung gegenüber dem betroffenen Unternehmen, ferner ohne regulatorische Kontrolle agieren.16)

Interessenkonflikte: Schließlich wird kritisiert, dass der größte Dienstleister ISS neben der Stimmrechtsberatung für Investoren auch eine Beratung der betroffenen Unternehmen vor allem zu Fragen der Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung anbietet, wodurch sich signifikante Interessenkonflikte ergeben können.17)

Bisherige Regulierungsansätze

Erste Ansätze, die die geschilderten Probleme zumindest teilweise adressieren, enthält die EU-Aktionärsrechterichtlinie, die vom deutschen Gesetzgeber innerhalb der nächsten zwei Jahre umzusetzen ist. Nach deren Art. 3j Abs. 1 haben die EU-Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass sich Stimmrechtsberater öffentlich auf einen Verhaltenskodex beziehen sowie über dessen Anwendung Bericht erstatten. Wenden Stimmrechtsberater keinen Verhaltenskodex an oder weichen sie von dessen Empfehlungen ab, müssen sie dies erklären und begründen.

Gemäß Art. 3j Abs. 2 müssen die EU-Mitgliedsstaaten zudem sicherstellen, dass Stimmrechtsberater angemessen über die Richtigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Tätigkeit - unter anderem zu Methoden und Modellen, Qualitätssicherung, Berücksichtigung nationaler Marktbedingungen und regulatorischer sowie unternehmensspezifischer Bedingungen, zu ihrer Stimmrechtspolitik sowie zum Umgang mit Interessenkonflikten - informieren. Nach Art. 3j Abs. 3 ist schließlich sicherzustellen, dass Stimmrechtsberater tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte in ihrer Tätigkeit identifizieren und ihre Kunden und die betroffenen Unternehmen dazu wie auch über ergriffene Gegenmaßnahmen unverzüglich informieren. Darüber hinaus sollen die EU-Mitgliedsstaaten nach Art. 3i Abs. 1 sicherstellen, dass Vermögensverwalter gegenüber ihren Auftrag gebenden institutionellen Anlegern unter anderem über den Einsatz von Stimmrechtsberatern für die Zwecke von Mitwirkungstätigkeiten berichten.

Auch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) fordert einen Verhaltenskodex für Stimmrechtsberater. Dieser soll zum Beispiel den Umgang mit Interessenkonflikten transparent machen, Abstimmungsrichtlinien sowie die für die Analyse verwendeten Quellen offenlegen und Stimmrechtsberater verpflichten, lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen sowie Investoren über den Dialog mit Emittenten zu informieren.18)

In ihren G20/OECD Principles of Corporate Governance rät die OECD von einer verpflichtenden Stimmrechtsausübung für institutionelle Anleger ab. Sie unterstützt zudem die Offenlegung der Analysemethoden und unterstreicht die Wichtigkeit von Regulierungen oder Selbstregulierungskodizes, um Interessenkonflikte zu verringern.19)

Weitere Lösungsansätze zur Regulierung von Stimmrechtsberatern

Die genannten Regulierungen präzisierend und darüber hinausgehend bedarf es jedoch weiterer Maßnahmen, um den beschriebenen Problemen zu begegnen. Hier können vergleichbare Regulierungen wie bei Ratingagenturen oder Wirtschaftsprüfern herangezogen werden. Diese unterliegen ebenfalls strikten Regeln, zum Beispiel in Bezug auf Objektivität, Unabhängigkeit, Zugang, Transparenz und Offenlegung.

Regulierung der Voting Policies: Ein erster wichtiger Schritt wäre eine Auseinandersetzung mit den Voting Policies der Stimmrechtsberater als "Parallel-Kodizes" zu existierenden Corporate-Governance-Regelungen. Mit Blick auf die weitreichenden Folgen dieser Voting Policies ist zu hinterfragen, ob die Befugnis sowie der Prozess zu deren Entwicklung völlig unreguliert bleiben können.

Zum Beispiel könnten Stimmrechtsberater der BaFin unterstellt werden. Hier hat die ESMA den Weg über die Kapitalmarktaufsicht bereits vorgezeichnet. Ferner ist zu überlegen, Mindeststandards beziehungsweise Minimalforderungen für die Entwicklung von Voting Policies vorzugeben.

Vor allem aber könnten Proxy Advisors dazu verpflichtet werden, ihre Voting Policies in einem Konsultationsverfahren zur Diskussion zu stellen, wie es die DCGK-Kommission mit ihren Änderungsvorschlägen zum Kodex tut. Über eine zentrale Dialogplattform müssten Stimmrechtsberater dann ihre Anforderungen - etwa an ein Vergütungssystem für den Vorstand - begründen.

Proaktiver Dialog mit wichtigen Investoren

Möglich wäre auch eine gesetzliche Regelung, dass bei Einhaltung aller gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben ein negatives Aktionärsvotum unberücksichtigt bleiben kann - sonst lagert der Staat seine Regelungskompetenz faktisch an externe Dienstleister aus.

Verpflichtung zum Dialog mit Unternehmen: Auch sollten Stimmrechtsberater verpflichtet werden, einen spezifischen Dialog mit den von ihnen analysierten Unternehmen zu führen. Dies sollte für alle betreuten Unternehmen und nicht nur die prestigeträchtigen Mandate gelten.

Stimmrechtsberater und Investoren sollten für diesen Dialog Grundsätze entwickeln, an denen sich Unternehmen orientieren können, und über deren Einhaltung berichten. Überlegenswert wäre es, diesen Dialog an die Investoren als "Eigentümer" zurückzudelegieren. Da Unternehmen immer mehr auf Forderungen der Investoren nach einem Dialog mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden eingehen, wäre diese spiegelbildliche Verpflichtung nur sachgerecht. Unternehmen wiederum sollten wissen, dass ein proaktiver Dialog mit wichtigen Investoren viele Probleme erst gar nicht entstehen lässt.

Qualität in der Erarbeitung der Stimmrechtsempfehlungen: Mit Blick auf die Qualität der Stimmrechtsempfehlungen könnten Proxy Advisors zudem über die Regelungen in der EU-Aktionärsrechterichtlinie hinaus verpflichtet werden, ihre Ressourcen und deren Verhältnis zu den analysierten Unternehmen transparent zu machen - so zum Beispiel die Angabe, wie viel Zeit einem Analysten durchschnittlich für die Bewertung eines Unternehmens zur Verfügung steht.

Berufsständische Mindestqualitätsanforderungen

Damit würden Investoren, aber auch betroffene Unternehmen in die Lage versetzt, sich selbst ein Bild von der Validität der Abstimmungsempfehlungen zu machen. Außerdem könnten wie bei Finanzanalysten berufsständische Mindestqualitätsanforderungen definiert werden.

Umgang der Investoren mit den Empfehlungen: Des Weiteren könnten institutionelle Investoren - ähnlich wie es Art. 3i Abs. 1 der EU-Aktionärsrechterichtlinie mit Vermögensverwaltern tut - verpflichtet werden, in geeigneter Form darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit sie die Dienste von Stimmrechtsberatern in Anspruch nehmen, ob sie deren Empfehlungen ohne weitere eigene Prüfung folgen beziehungsweise welche Maßnahmen sie zur Sicherstellung der Qualität ihres Entscheidungsprozesses zur Abstimmung in den Hauptversammlungen ergriffen haben und wie oft sie von Empfehlungen in der eigenen Stimmrechtsausübung abgewichen sind.

Verbot sachfremder Einflüsse: Das Votum der Hauptversammlung zur Vorstandsvergütung (Say on Pay) verlagert eine Entscheidung zur Führung des Unternehmens vom Aufsichtsrat hin zu den Aktionären. Aber ausgeweitete Aktionärsrechte gehen mit gestiegener Verantwortung einher. Sachfremde Einflüsse haben dabei nichts verloren.

Inanspruchnahme von Beratungsleistungen öffentlich machen

Daher dürfen etwa Forderungen nach Offenlegung von an Budgetzahlen orientierten Zielvorgaben für die Vergütung des Vorstands nicht dazu missbraucht werden, um Unternehmen durch die Hintertür zu zwingen, ihre Planung offenzulegen.

Transparenz zu Interessenkonflikten: Um mögliche Interessenkonflikte transparent zu machen, will die Schweizer Börse in einem aktuellen regulatorischen Vorstoß Unternehmen, die Beratungsleistungen von einem Proxy Advisors bezogen haben, verpflichten, dies detailliert im Geschäftsbericht zu veröffentlichen.20) Ein solcher Vorschlag sollte auch in Deutschland umgesetzt werden. Ein identisches Ausmaß an Transparenz ist zudem Investoren gegenüber herzustellen.

Weitergehend wird - übrigens auch von Glass Lewis, die als Stimmrechtsberater selbst keine (Vergütungs-)Beratung anbieten - ein Verbot der parallelen Beratung von Unternehmen zur Corporate Governance einschließlich Vergütungsfragen sowie von Stimmrechtsberatung vorgeschlagen,21) analog zum Selbstprüfungsverbot bei Wirtschaftsprüfern.

Kein Governance-TÜV

Stimmrechtsberater sind ein elementarer Akteur im modernen Kapitalmarkt und dürfen nicht verteufelt werden. Jedoch stellen sie keinen Governance-TÜV dar, sondern sind ihrerseits im Besitz von Private-Equity-Gesellschaften beziehungsweise Fonds und agieren als entgeltlicher Dienstleister für Investoren. Grundlegende Interessenkonflikte sind dabei eine zwangsläufige Konsequenz, denen mit Transparenz und angemessener Regulierung zu begegnen ist.

Vor allem Entscheidungen zur Vorstandsvergütung sind ein wichtiger Stellhebel für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens. Darum verwenden Aufsichtsräte viel Sorgfalt auf dieses Thema. Gleiche Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Sachkunde ist auch von den Mitentscheidern, sprich Investoren und deren Stimmrechtsberatern, zu verlangen. Daher sind grundlegende Anforderungen an das Zustandekommen von Voting Policies, den Dialog mit den Unternehmen, die Qualität in der Erarbeitung von Stimmrechtsempfehlungen und die Transparenz bei der Tätigkeit der Stimmrechtsberater zu stellen, um negative Auswirkungen auf den Kapitalmarkt auszuschließen.

Fußnoten

1) Zusammenfassung bei Dörrwächter AG 2017, 409ff.

2) Etwa bei der Münchner Rück AG, ProSiebenSat1 SE oder Merck KGaA.

3) So Thomas von Oehsen, Leiter des Deutschland-Research ISS, in Schürmann, ISS lehnt zwei Drittel aller Vergütungssysteme deutscher Unternehmen ab, Wirtschaftswoche online, 9. Mai 2017, www.wiwo.de/finanzen/boerse

4) Beispielsweise müssen in den USA Investmentfonds nach dem Investment Companies Act seit 2003 ihr Stimmverhalten und ihre Stimmrechtspolitik offenlegen.

5) Büsser, Stimmrechtsberater ISS: So tickt die Aktionärspolizei, Bilanz vom 13. Juli 2017.

6) Kalss, EuZW 2014, 441.

7) Osman, "Ohrfeige des Aktionärsberaters", Handelsblatt vom 2. Mai 2017; www.swipra.ch

8) Schätzung des Hamburger Juraprofessors Holger Fleischer unter Berufung auf eine Studie der OECD. Siehe Manager Magazin online, 3. Mai 2012, www.manager-magazin.de/magazin

9) Kramarsch, Stimmrechtsberater als Schattenregime, Börsenzeitung vom 17. Juni 2017.

10) Dazu näher Leuering NZG 2017, 646

11) DCGK in der Fassung vom 7.2.2017, Präambel (www.dcgk.de).

12) Investoreninteressen sind aber nicht mit den Interessen des Unternehmens identisch, siehe dazu J. L. Bower/L. S: Paine, The Error at the Herat of Corporate Leadership, Harvard Business Review May-June 2017, p. 51ff.

13) Zetzsche/Preiner, AG 2014, 685 (690)

14) Büsser, Stimmrechtsberater ISS: So tickt die Aktionärspolizei, Bilanz vom 13.7.2017.

15) Schürmann, ISS lehnt zwei Drittel aller Vergütungssysteme deutscher Unternehmen ab, Wirtschaftswoche online, 9. Mai 2017, www.wiwo.de/finanzen/boerse

16) S. Dörrwächter AG 2017, 409 (411).

17) S. Tao Li, Outsourcing Corporate Governance: Conflicts of Interest within the Proxy Advisory Industry, Management Science 2016, www.doi.org; ferner Dörrwächter AG 2017, 409.

18) Zuckschwerdt, A.-S. (2016): Stimmrechtsberater gewinnen an Einfluss, in: Die Volkswirtschaft 10/2016, Schweiz.

19) OECD (2015): G20/OECD Principles of Corporate Governance, 2015 Edition.

20) Schweizer Börse www.six-exchange-regulation.com

21) Center on Executive Compensation, A Call for Change in the Proxy Advisory Industry - The Case for Greater Accountability and Oversight, January 2011, S. 85 f.; Glass Lewis, Response to the Green Paper on the EU corporate governance framework, July 22, 2911, S. 13.

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