Deutsche Börse

Neue Entscheidungsgrundlage

Quelle: DB LSW

Langsam wird es ernst: In gut vier Wochen, bis zum 3. April, will die EU-Kommission ihre Prüfung des Fusionsvorhabens zwischen der Deutschen Börse und der London Stock Exchange (LSE) abschließen. Anschließend muss noch die Hessische Börsenaufsicht ihr Okay geben und es fehlen noch weitere zwölf Bewilligungen. Bis spätestens 30. Juni muss der Zusammenschluss unter Dach und Fach sein, sonst waren alle Mühen und die bisher entstandenen Kosten von rund 66 Millionen Euro umsonst.

Kurz vor Druck dieser Ausgabe wurde bekannt, dass die Fusion zwischen der Deutschen Börse AG und der London Stock Exchange vermutlich am Veto der Europäischen Wettbewerbshüter scheitern wird. Hintergrund ist die Weigerung der LSE, zusätzliche Auflagen der EU-Kommission zu erfüllen. Diese fordert neben dem bereits angebotenen Verkauf des Abwicklungshauses Clearnet SA im Falle eines Zusammenschlusses beider Häuser nun von der LSE auch den Verkauf der Mehrheitsbeteiligung an der italienischen Handelsplattform MTS. Das sei „unverhältnismäßig“, teilte die LSE mit. – Red.

Langsam wird es ernst: In gut vier Wochen, bis zum 3. April, will die EU-Kommission ihre Prüfung des Fusionsvorhabens zwischen der Deutschen Börse und der London Stock Exchange (LSE) abschließen. Anschließend muss noch die Hessische Börsenaufsicht ihr Okay geben und es fehlen noch weitere zwölf Bewilligungen. Bis spätestens 30. Juni muss der Zusammenschluss unter Dach und Fach sein, sonst waren alle Mühen und die bisher entstandenen Kosten von rund 66 Millionen Euro umsonst. "In der entscheidenden Phase" angekommen sah Deutsche Börse-Chef Carsten Kengeter das Vorhaben jüngst auf der Bilanzpressekonferenz des Marktinfrastrukturbetreibers. Der unter Druck stehende Manager - die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt aktuell wegen des Verdachts auf Insiderhandel gegen ihn - nutzte die Gelegenheit, um noch einmal kräftig die Werbetrommel für die Fusion zu rühren. Im internationalen Vergleich verharre die Deutsche Börse an der Marktkapitalisierung gemessen unverändert auf Platz vier, insbesondere gegenüber der amerikanischen und asiatischen Konkurrenz drohe der deutsche Branchenprimus den Anschluss zu verlieren. Auch die Anziehungskraft des Finanzplatzes Frankfurt habe in den vergangenen Jahren spürbar nachgelassen.

Um diesen Trends entgegenzuwirken, erachtet Kengeter den Zusammenschluss mit London als dringlich - nicht zuletzt im Interesse des hiesigen Kapitalmarkts und der Volkswirtschaft. An dieser Stelle ist es angebracht, sich kurz einen entscheidenden Eckpunkt der Fusionvereinbarungen zu vergegenwärtigen: Obwohl der von den Aktionären abgesegnete Fusionsvertrag, wie Kengeter mehrfach betonte, zwei Hauptsitze vorsieht, soll der Rechtssitz der zusammengeschlossenen "Superbörse" in London beheimatet sein. Inwieweit dieser Aspekt im Sinne des Finanzstandorts Frankfurt ist, darf spätestens seit dem Austrittsvotum der Briten aus der EU zunehmend angezweifelt werden. Dass solche Bedenken insbesondere die Hessische Börsenaufsicht umtreiben dürften und der herbeigesehnten Fusion noch gefährlich werden könnten, sollte den Vorstand und den Aufsichtsrat der Frankfurter Börse eigentlich nicht wundern. Gerade hierzulande ist die Börse immer auch eine politische Veranstaltung, anderenfalls würde es die deutschen Regionalbörsen vermutlich gar nicht mehr geben. Die objektiv veränderte Lage nach dem Brexit-Votum einfach zu ignorieren beziehungsweise als wenig entscheidungsrelevant einzustufen, ist jedenfalls unklug.

Trotz der von Kengeter erwähnten Treffen und Gespräche mit den hessischen Aufsehern, werden diese sich erst nach Abschluss der Prüfung durch die EU-Kommission zur geplanten Fusion äußern. Auf die Gretchenfrage, ob bezüglich der Standortwahl hypothetisch noch einmal nachverhandelt werden könnte, ging Kengeter nicht ein. Die Verlegung des Holdingsitzes nach Frankfurt ohne Zugeständnisse dürfte den Partnern von der LSE sicherlich nur schwer zu vermitteln sein. Jedwede Gedankenspiele, in denen der bislang für Kengeter reservierte CEO-Posten der Holding als Gegenleistung für einen Standortwechsel an einen Vertreter aus der City gehen könnte, ins Reich der Spekulationen zu verbannen, erfasst die Entscheidungssituation aber auch nicht vollständig.

Bei all dem Trubel um die Fusion und Kengeters persönlicher Zukunft geriet der eigentliche Anlass der Pressekonferenz, das vorläufige Geschäftsergebnis 2016, etwas in den Hintergrund. Bei den Nettoerlösen (2,38 Milliarden Euro) ist auf Gruppenebene ein Anstieg von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, der Gewinn in Höhe von 811 Millionen Euro entsprach gar einem Wachstum von 14 Prozent gegenüber 2015. Besonders das vierte Quartal stach dabei dank der starken Entwicklung im Eurex-Segment hervor. Von der guten Geschäftsentwicklung sollen auch die Aktionäre profitieren: Eine Dividende von 2,35 (2,25) Euro je Aktie schlägt das Unternehmen vor.

Um die Möglichkeiten im technologischen Bereich voll auszuschöpfen, trieb die Deutsche Börse im vergangenen Jahr vor allem auch ihr Projekt "Börse 4.0" voran. So wurden zum Beispiel mit dem "Deutsche Börse Venture Network" zunehmend Fintechs gefördert und mit Partnern wie der Eurex und der Bundesbank Blockchain-Projekte aufgelegt. Das Unternehmen ist also gut gerüstet für die anstehenden Zukunftsaufgaben. In diesem Kontext erscheint ein Scheitern der Fusion in ihrer aktuellen Ausgestaltung durchaus verschmerzbar. Vielleicht sogar wünschenswert? Wer braucht in einem Europa voller Ungewissheit noch eine zusätzliche Irritation durch die unsichere Zukunft der Frankfurter Börse an einem Holdingstandort außerhalb der EU und unter einer anderen Rechtsordnung?

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