Diesmal ist alles anders - eigentlich

Horst Bertram

Seit Carsten Kengeter vor weniger als einem Jahr das Ruder bei der Deutschen Börse übernommen hat, blieb dort kein Stein auf dem anderen. Als ehemaliger Investmentbanker mit Stationen bei Goldman Sachs und UBS, ausgestattet mit einer gehörigen Portion Durchsetzungskraft, brachte er genügend Schwung und Ungeduld mit, um einen eher verschlafenen, aber trotzdem erfolgreichen Apparat zukunftsfähig zu machen. Er holte für Produkt- und Vertriebsaufgaben ehemalige Vertraute an Bord, tätigte Akquisitionen und verteilte auch die Zuständigkeiten im Vorstand neu. Damit verbunden ist das Ziel, die Kundengruppen intensiver zu betreuen und mehr Geschäft an die Börse zu holen. Aber das war ihm scheinbar noch nicht genug, denn sein Ziel ist die Weltspitze.

Stolz verkündete er Ende Februar, die Deutsche Börse mit der London Stock Exchange (LSE) vereinen zu wollen. Die Aktienkurse beider Unternehmen goutierten die Idee anfänglich mit kräftigen Kurssteigerungen. Kengeter will die "Super-Börse" bauen, so lauteten in den Tagen danach die ersten Kommentare. Ob es geschickt war, das Thema Standort erst mit Verzögerung zu kommunizieren, ist zumindest fraglich.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Deutsche Börse an einer Fusion oder Übernahme arbeitet. Gescheitert sind zuletzt alle Versuche, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Streitpunkte waren unter anderem der Sitz des Unternehmens, die Personalie an der Spitze, Aktionärswiderstand und Einsprüche der Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission. Begleitet wurden - und so ergeht es Kengeter jetzt auch wieder - die Fusionsideen von Kommentaren aller möglichen real existierenden oder virtuellen Stakeholder. Es ist fast wie bei der Fußballnationalmannschaft, auch hier weiß es jeder besser als der Trainer.

Dabei ist die Logik der Fusion frappierend. Beide Börsenbetreiber ergänzen sich in Bezug auf Dienstleistungen und Produkte gut und haben gemeinsam eine Chance, dauerhaft ein wirkliches Gegengewicht zu den Börsengiganten in den USA und Asien darzustellen. Wie sich wenige Tage nach der Fusionsankündigung zeigte, steht die Intercontinental Exchange, der unter anderem die Nyse gehört, Gewehr bei Fuß, eine Offerte für die LSE abzugeben und damit Europas Börsenordnung zu attackieren.

Eine erfolgreiche Fusion der beiden europäischen Giganten könnte im Anschluss auch eine Sogwirkung auf andere Börsenteilnehmer auf dem Festland haben, sich anzuschließen und damit das immer noch vorhandene Börsen-Klein-Klein vergessen zu machen. Idealerweise sorgt eine größere und stärkere Börse auch dafür, dass wieder mehr Aufträge - die bisher über außerbörsliche oder börsenähnliche Plattformen liefen - wieder an eine leistungsfähige regulierte Börse zurückkehren. Zudem besteht die Hoffnung, dass auch Anleihen in absehbarer Zukunft nicht nur ein Schattendasein an den Börsen führen. Gerade für die großen Marktteilnehmer dürfte es interessant sein, bei ihren Handelsgeschäften weniger Plattformen bespielen zu müssen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Börse ein Technologieunternehmen ist. Investitionen erfordern einfach Größe. Im Idealfall profitiert auch die Realwirtschaft. Carsten Kengeter sieht es als wichtige Auf gabe, die Eigen- und Fremdkapitalkosten der europäischen Wirtschaft spürbar zu senken. Mit seiner Idee einer fusionierten Börse unterstützt er grundsätzlich gleichzeitig auch die Pläne der Europäischen Kommission, einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt zu schaffen oder zumindest zu fördern.

Auf dem Weg zur Fusion müssen Deutsche Börse und LSE aber noch einige schwere Steine aus dem Weg räumen. Dies wird ihnen möglicherweise gelingen, wenn die beiden Institute weitere Details im Rahmen der Fusion der breiten Öffentlichkeit nennen dürfen. Bisher konnten erst die Rahmendaten kommuniziert werden. Dazu gehört beispielsweise der Sitz der Holding (London) - und wer CEO wird (Kengeter). In Deutschland war das Geschrei groß, als London als Sitz der Zentrale genannt wurde. Sofort war - wie bei praktisch allen bisherigen Fusionsversuchen - vom Ausverkauf des Finanzplatzes Deutschland die Rede. Bei dem Thema sollten die deutschen Kritiker aber nicht vergessen, dass die Deutsche Börse mittlerweile zu 85 Prozent internationalen Aktionären gehört. Gerne vergessen die Gelegenheitsunterstützer des Finanzplatzes aus dem deutschen Bankenlager auch, dass sie es waren, die ihre Beteiligungen an der Deutschen Börse abgaben und sich die großen deutschen Institute mittlerweile kaum noch für die Frankfurter Wertpapierbörse, wo sie im Beirat sitzen, engagieren. Vergessen wird auch gerne, dass die Genossenschaftsbanken und Sparkassen ihre Kundenaufträge sehr gerne an Tradegate geben, statt an die traditionelle Börse in Frankfurt. So weit zu den Finanzplatzlobbyisten. Im Falle der Deutschen Börse sollte prinzipiell akzeptiert werden, dass die Aktionäre als Eigentümer die wesentlichen Entscheidungsträger mit Entscheidungshoheit sind. Wenn ihnen die Logik der Fusion zusagt, dann werden sie als professionelle Investoren ihre Entscheidung für oder gegen eine Fusion treffen oder ein höheres Angebot eines Wettbewerbers annehmen.

So einfach wäre es bei einem normalen Unternehmen. Ein solches ist die Deutsche Börse aber nicht. Sie ist zwar ein privatwirtschaftlich orientiertes Unternehmen, ist aber gleichzeitig ein Dienstleister, der in staatlichem Auftrag die Börseninfrastruktur der größten europäischen Volkswirtschaft betreibt und von staatlicher Stelle auch überwacht und reguliert wird. Damit hat die Deutsche Börse einen besonderen Stakeholder, dessen positives Votum für den Erfolg der Fusion nötig ist. Insofern war es zumindest ungeschickt, das zuständige Ministerium allem Eindruck nach nicht hinreichend einbezogen zu haben. Bei den vergangenen Fusions- und Übernahmeversuchen mussten die Aufseher aus dem hessischen Wirtschaftsministerium nicht tätig werden, als einmal eine negative Entscheidung zu erwarten war, kam ihnen das Wettbewerbsteam der EU-Kommission zuvor. Diesmal dürfte es anders sein und die Verantwortlichen im Ministerium werden sich äußern müssen.

Die erste Stellungnahme aus Wiesbaden dürfte Kengeter aber nicht gefallen haben. So schreibt das Ministerium, dass die Börsenaufsicht prüfen wird, ob durch den geplanten Zusammenschluss der Betrieb oder die angemessene Fortentwicklung des Börsenbetriebs am Standort Frankfurt beeinträchtigt werden könnten. Am Ende der kurzen Stellungnahme wird klar betont, dass der Zusammenschluss durch die Aufsichtsbehörden untersagt werden kann. Mit dem frühen Verweis auf die "Untersagungskeule" dürfte die Aufsicht Kengeter & Co. durchaus die gelbe Karte gezeigt haben. Auch aus Brüssel sind Störfeuer denkbar, die zumindest in massiven Auflagen münden könnten. Denn beide Börsen verfügen bei Zinstermingeschäften über eine starke Wertschöpfungskette vom Handel zu Abwicklung und Clearing. Hier wird entscheidend sein, ob die EU-Kommission die beiden Geschäftsarten als unterschiedliche Aktivitäten (Exchange Trade und OTC) ansieht oder nicht. Falls nicht, dann dürfte zumindest eine Teilblockade wahrscheinlich sein.

An dem Umgang mit all diesen Themen, oder besser an deren Lösung, wird sich zeigen, ob Kengeter seine Hausaufgaben gemacht hat, oder ob er aus den Fehlern seiner Vorgänger nichts gelernt und sich bei seinem Vor preschen vergaloppiert hat. Er verweist darauf, dass bei der Vorlage der Details zum Fusionsplan deutlich werden soll, dass eine sehr positive Fortentwicklung möglich wird und die deutsche Börsenaufsicht die volle Kontrolle behalten würde. Es liegt an der Deutschen Börse, entsprechend harte Regeln für das fusionierte Institut zu implementieren, um das wertvolle Gut der staatlichen Aufsicht - was letztendlich ein wichtiges Gütesiegel für eine Börse ist - zu erhalten und damit von den Aufsehern das Go zu erhalten. Scheitert die Fusion mit der LSE am Ende an einer "besseren" Offerte vonseiten eines Konkurrenten für diese, dann gehört das zu den Spielregeln des Marktes und Kengeter muss sich Alternativen suchen.

Scheitert die Fusion an der hessischen Aufsicht, dann hat Kengeter einfach seine Hausaufgaben nicht gemacht und sein Stuhl dürfte wackeln. Kann er die Aufsicht überzeugen, dann könnte diesmal wirklich alles anders werden. Ach ja, Kengeters Konzept muss nicht zuletzt auch Sinn machen, sollten sich die Briten von der Europäischen Union verabschieden. Vor der Abstimmung über den "Brexit" wird sich die hessische Aufsicht nicht zu einer Entscheidung drängen lassen. Bis dahin stehen dem deutschen Finanzplatz spannende Wochen bevor.

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