Redaktionsgespräch mit Torsten Hinrichs

"Wir müssen uns analytisch absetzen, um erfolgreich zu sein"

Torsten Hinrichs, Vorsitzender des Vorstands, Scope Ratings AG, Berlin

Das Ratinggeschäft wird bestimmt von den drei großen Agenturen Fitch Ratings, Moody's und Standard & Poor's. Vor knapp zwei Jahren startete die in Berlin ansässige Scope Ratings ernsthafte Versuche, einen europäischen Wettbewerber zu den Platzhirschen zu etablieren. Führungspersonal und Mitarbeiter kamen überwiegend von den großen Häusern. Im Redaktionsgespräch beschreibt Torsten Hinrichs, Vorstandsvorsitzender von Scope Ratings, welchen Weg sein Haus gehen will, um sich als eine Full-Service-Alternative zu den "Großen Drei" zu etablieren. Als durchaus anspruchsvolles Ziel formuliert er, weniger komplex, dafür aber aussagekräftiger sein zu wollen als die großen Wettbewerber. Zum Ausbau von Sektoren- und Länderexpertise hält er auch nach der kürzlich erfolgten Beteiligung von BMW-Großaktionär Stefan Quandt weiteres Kapital für erforderlich. Aus dem Markt registriert er für den eingeschlagenen Kurs einen ermutigenden Zuspruch, weiß aber um die Mühen der weiteren Überzeugungsarbeit bis hinein in die relevanten politischen Instanzen in Europa. (Red.)

Herr Hinrichs - Sie waren über ein Jahrzehnt bei einem Ratinggiganten - wie ist das Leben in einer Boutique?

In zwei Worten zusammengefasst: spannend und kreativ. Nach fast genau 15 Jahren bei Standard & Poor's (als Geschäftsführer für Deutschland - Red.) merke ich hier einen deutlichen Unterschied. Es bereitet Vergnügen, in einem Umfeld zu arbeiten, das noch gestalterische Arbeit zulässt und das noch nicht für alles feste und tradierte Regeln vorschreibt und täglich unzählige Besprechungen und Ratingkomitees vorsieht.

Dies ist auch der Grund dafür, warum nicht nur ich, sondern auch viele Kollegen von S&P oder anderen Agenturen zu Scope Ratings gekommen sind. Hier besteht noch die Möglichkeit, kreativ zu gestalten. Was in diesem Zusammenhang aber wichtig ist: Die nötige Infrastruktur bei Scope ist vorhanden. Die relevanten Methodologien und Prozesse, die benötigt werden, um als Ratingagentur handlungsfähig zu sein, wurden in den vergangenen 18 Monaten erfolgreich geschaffen.

Es gibt immer die Diskussionen über die "amerikanischen" Agenturen - wie definiert sich Scope?

Das klare strategische Ziel ist, eine europäische Alternative zu den amerikanischen Ratingagenturen oder nordamerikanischen - wenn man DBRS einbezieht - zu bieten. Das ist das Aushängeschild, unter dem Scope operiert. Der Begriff amerikanisch oder europäisch ist dabei eher plakativ und nicht inhaltlich zu sehen. Ratings müssen natürlich vergleichbar sein, egal ob es sich um eine Bonitätsnote für ein deutsches oder ein US-Unternehmen handelt. Scope unterscheidet sich aber auf einigen Feldern deutlich von den großen Agenturen.

Worin bestehen diese Unterschiede?

Wir haben den großen Vorteil, dass wir die Methodologien neu entwickeln und die Erfahrungen aus der Finanzkrise verarbeiten konnten. Der Unterschied liegt beispielsweise darin, dass bei unseren Ratings kein mechanischer Kontext zwischen Banken- oder Unternehmensratings und den Bonitätsnoten für Staaten besteht.

In Europa spielt das Thema Länderrisiko nur eine zweitrangige Rolle. Bei den Ratings in anderen Ländern, wie beispielsweise Argentinien, hat es eine wesentlich größere Bedeutung. Eine mögliche staatliche Devisenbewirtschaftung wird dort enorme Auswirkungen darauf haben, ob ein Schuldner Geld an seine internationalen Gläubiger überweisen kann oder nicht. Das ist bei uns in Europa anders. Hier ist eher von Bedeutung, welche Positionen von Staatstiteln - beispielsweise im Falle der südeuropäischen Banken - sich in den Büchern befinden und mögliche Risiken darstellen.

Wie gehen Sie konkret vor?

Hier ist eine Bottomup-Analyse gefragt, welche Risiken Staatstitel im Portfolio der Banken im Einzelfalle wirklich darstellen. Sogar im selben Land gibt es teilweise massive Unterschiede. So hat die spanische Bank Santander nur relativ geringe Bestände an spanischen Staats titeln und darüber hinaus eine gute Risikodiversifikation, bei dem einen oder anderen Wettbewerber mag das ganz anders aussehen. Scope ist bei Bewertung damit fundamentaler in der Analyse, stellt auf das wirkliche Kreditrisiko ab und leitet es nicht mechanistisch vom Länderrating ab.

Ratings sollen generell zukunftsgerichtet sein, aber die verarbeiteten Zahlen sind meist historisch - wie arbeitet Scope an dieser Stelle?

Ein weiterer Unterschied liegt in unserem bewussten Reagieren auf die Erfordernisse der Investoren. Diese wollen ganz klar eine deutlich vorwärts gerichtete Analyse und entsprechende Einschätzungen. Um dies zu bedienen, setzen wir auf eine Mischung aus Aktien- und Fixed-Income-Analyse. Dabei werden Analysetechniken und -modelle aus dem Aktienresearch genutzt. Die Analystenteams bestehen bewusst aus erfahrenen Vertretern von der Investorenseite, aus dem Aktienresearch und von Ratingagenturen. Mit diesem Ansatz besteht die Möglichkeit, einen wirklichen Ausblick zu geben. Er wird auch durch quartalsmäßig erscheinende Ratingreports kommuniziert. Dabei ist der Ausblick in der Regel auf die nächsten 18 bis 24 Monate ausgerichtet. Dieses Vorgehen ist genau das, was Investoren sehen wollen. Der Markt braucht keine weitere Agentur, die nur das Gleiche macht wie die Großen Drei. Also keine Mini-Moody's oder Mini-S&Ps, damit wäre niemand gedient. Scope muss sich analytisch absetzen, um erfolgreich zu sein.

Wo gibt es sonst noch Unterschiede?

Von den Investoren wird häufig bemängelt, dass Ratinganalysen und -methodologien immer umfangreicher und komplexer werden. Unser Ziel ist es, weniger komplex, dafür aber aussagekräftiger zu sein als die Großen Drei. Dazu gehört auch, dass es bei Scope nicht die große Vielzahl von Bankratings gibt, sondern Noten für die Bank sowie für die lang- und kurzfristigen Verbindlichkeiten und die entsprechenden Kapitalinstrumente.

Eine Ihrer Schwerpunkte ist die Bankenanalyse; was machen Sie dort anders als die Big Three?

Scope ist wahrscheinlich immer noch die einzige Agentur, deren Bankenmethodik die gesamte neue Regulierungswelt vollständig und konsequent in die Bewertung eingearbeitet und umgesetzt hat. Auch für die neue Form der Kapitalinstrumente in Europa gibt es die passende Methodologie und die entsprechenden Bonitätsnoten. Hier sind wir eine Art Front-Runner, was die methodische Seite der Bankenanalyse angeht.

Sie haben unbeauftragte Bankenratings vergeben, mit wie vielen Häusern steht Scope im aktiven Dialog?

Derzeit werden 27 Banken geratet. Bis auf eine kleine Hand voll Häuser kooperieren alle Banken mit den Ratinganalysten unseres Hauses. Durch die Mitwirkung besteht Zugang zum Management und es besteht die gleiche Informationsbasis, über die Fitch, Moody's oder Standard & Poor's verfügen. Die beiden deutschen Banken, Commerzbank und Deutsche Bank, für die auch unbeauftragte Ratings vergeben wurden, kooperieren ebenfalls. Wir sind jetzt dabei, mit den Häusern zu sprechen, ob eine formelle Beauftragung und Bezahlung denkbar ist. Dazu gehört aber auch, dass wir unsere Kompetenz und analytische Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen und unsere Meinung von Investoren geschätzt wird.

Wann startet Scope das Rating von Covered Bonds?

Die Methodologie zur Bonitätsbewertung von Covered Bonds ist fertig und kommuniziert. Sie unterscheidet sich substanziell von denen der Wettbewerber. Sie kommt bei Emittenten und den spezialisierten Verbänden in Europa gut an. Scope steht in den Startlöchern, um die ersten Ratings für die gedeckten Schuldverschreibungen zu veröffentlichen. Dazu gehören auch Bonitätseinschätzungen für deutsche Pfandbriefe.

Worin liegt der Unterschied bei der Bewertung der Covered Bonds?

Es wird auf dem Bankrating aufgebaut und dann erfolgen Bewertungen des jeweiligen regulatorischen Umfeldes. Basierend darauf ist ein sogenannter Uplift von bis zu sechs Stufen über dem Bankrating möglich, ohne dass ein Blick auf den Deckungsstock geworfen wurde. Dieses Vorgehen reflektiert den regulatorischen Rahmen, die die Covered Bonds im Falle von Schwierigkeiten der emittierenden Bank sehr gut schützen. Danach folgt die Einstufung der Qualität des Deckungsstocks. Bei entsprechend hoher Qualität gibt es die Möglichkeit, dass weitere drei Ratingstufen hinzukommen. Letztendlich kann das Covered Bonds Rating neun Stufen über der Einstufung der Bank liegen. Darüber hinaus werden auch Detailthemen wie Gegenparteirisiken konstruktiver bewertet. Man braucht nicht immer umfangreiche Rechtsgutachten, wenn das Thema - wie in Deutschland so häufig anzutreffen - gesetzlich ausreichend gut geregelt ist.

Es gab bei Scope die "Episode" Mittelstandsratings - wie arbeiten Sie die Altfälle ab?

Sämtliche ausstehenden Mittelstandsratings oder anders ausgedrückt Bonitätsnoten für Mini-Bonds, die wir im Bestand haben, sind mittels neuer Methodologien und neuer Analysten so bewertet worden, dass wir uns damit wohlfühlen. Im Rahmen dieser Neubewertung wurden auch einige Ratings ganz bewusst zurückgezogen. Das Thema Mittelstand ist aber keineswegs abgedeckt, Scope ist weiter offen für dieses Marktsegment. Allerdings gibt es nur eine für alle Emittenten einheitliche Methodologie.

Haben Sie schon einen Bereichsleiter für Corporate Ratings gefunden?

Ja, der Vertrag wurde vor Kurzem unterschrieben und damit eine weitere wichtige Position gut besetzt.

Wie sind in Ihrem Haus Analyse und Business Development getrennt, auf welcher Seite stehen Sie?

Es gibt bei Scope - genau wie bei den großen Agenturen - eine klare Trennung zwischen der geschäftlichen Seite - die wir Operations nennen - und der Analysetätigkeit. Meine eigene Rolle als CEO liegt beim Geschäft.

Wer repräsentiert die analytische Seite?

Die Rolle des analytischen "Kopfes" von Scope hat Stefan Bund übernommen. Er wurde vor Kurzem in den Vorstand berufen. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Ratinggeschäft durch seine Tätigkeit als Managing Director im europäischen Structured-Finance-Geschäft von Fitch. Die Aufsicht ESMA hat seine Berufung in den Vorstand aufgrund seiner Qualifikation problemlos genehmigt.

Ist der regulatorische Aufwand für kleinere Agenturen zu schaffen?

Aufwand hin oder her, es gibt keine Alternative, als den regulatorischen Vorgaben zu folgen.

Ist es nicht ein Widerspruch, wenn Sie von ESMA anerkannt sind, aber von der EZB nicht?

Die Unterschiede in den Regeln stellen enorme Eintrittshürden für neuere und kleinere Agenturen dar. Die Beschränkung der Europäischen Zentralbank auf die Akzeptanz der Ratings von nur vier Agenturen ist problematisch. Dies gilt vor allem, da die EZB in wichtigen Segmenten wie Bankanleihen, Covered Bonds und Verbriefungen der größte Investor ist. Mit der EZB gibt es einen aktiven Dialog -ebenso wie mit dem Europaparlament und der Europäischen Kommission.

Wie wichtig ist eine EZB-Anerkennung?

Die EZB-Akzeptanz ist von großer Bedeutung, vor allem vor dem Hintergrund ihrer derzeitigen Rolle als Investor. Auch auf Gebieten, auf denen die Zentralbank nicht als Käufer auftritt - zum Beispiel bei Repo-Geschäften - wäre eine Anerkennung der Ratings von Scope oder anderer Wettbewerber wichtig. Aber der derzeitige Rahmen der EZB, das Eurosystem credit system assessment framework (ECAF), sieht dies nicht vor. Wir würden es begrüßen, wenn die EZB in diesem Rahmen einen stärkeren Fokus auf die methodische Prüfung der Qualität einer Agentur, die Erfahrung der Analysten und die Methodik legen würde, als den Schwerpunkt auf die historische Betrachtung - den Track Record - und damit eher quantitative Faktoren zu legen. Es wäre sinnvoll, wenn über alternative Zulassungsmethoden diskutiert würde. Die EZB könnte aber das bestehende ECAF-System auch ganz abschaffen, die Notenbanken in Großbritannien und den USA kennen solche Regeln nicht.

Ein weiteres Thema ist auch das Mapping der Ratings durch die Europäische Bankenaufsicht EBA. Wer zum Zeitpunkt der Bewertung der Ratings durch umfangreiche Simulationen beispielsweise noch keine "AAA"-Ratings vergeben hat, wie sie bei Covered Bonds denkbar sind, dessen Bonitätsnoten werden bei der Eigenkapitalunterlegungspflicht diskriminiert. Ein kleiner Lichtblick ist, dass das Econ Committee des Europaparlaments die EBA zur Überarbeitung aufgefordert hat, um qualitative Elemente stärker zu berücksichtigen.

Profitiert Scope schon vom Status als "kleinere" Agentur bei den Structured-Finance-Transaktionen oder wird Scope profitieren?

Nach Paragraph 8 d der europäischen Ratingverordnung müssen Emittenten bei der Vergabe eines zweiten Ratings prüfen, ob sie eine Ratingagentur mit einem Marktanteil von unter 10 Prozent nutzen wollen. In der Praxis wird diese Regel in den unterschiedlichen Rechtsräumen unterschiedlich behandelt. Es gibt keinerlei bindende Wirkung für die Emittenten, mit einer halbseitigen Notiz kann man sich davon entledigen. In Frankreich nimmt sich die Regierung aber des Themas an und will von den großen CAC-40 Unternehmen wissen, ob kleineren Agenturen eine Chance gegeben wird.

Das Thema einer bindenden Mandatierung ist nicht vom Tisch. Die europäischen Politiker sehen, dass es nicht zu der gewünschten Verbesserung des Wettbewerbs kommt. Aus Brüssel kommen klare Signale, dass das Thema im Rahmen der Überarbeitung der europäischen Rechtsverordnung für die Ratingagenturen neu diskutiert werden wird.

Welche Emittenten sollten Scope mandatieren und warum?

Ganz einfach ausgedrückt, es sollten sich Emittenten von Scope bewerten lassen, die unseren analytischen Ansatz für sinnvoll erachten oder bei Investoren eine andere Positionierung erreichen wollen. Es sollten sich aber auch diejenigen raten lassen, die sich in den vergangenen Jahre kritisch über das Oligopol der drei großen Agenturen geäußert haben.

Auf welcher Basis errechnet Scope die Gebühren für Ratings?

Die Gebührenstruktur ist in Grundzügen mit den bekannten Modellen vergleichbar. Der Emittent bezahlt das Rating. Hierbei gibt es einen Preis für die Ersteinschätzung und die Gebühr für die Überwachung. Daneben werden für die Begebung von Anleihen Emissionsgebühren in Rechnung gestellt. Das Fee-Schedule von Scope ist aber relativ einfach und auch nur zwei Seiten dick; während es bei S&P durchaus sieben oder acht Seiten sind. Unser Preis reflektiert selbstverständlich den Nutzen des Ratings für den Auftraggeber, hier hat Scope derzeit nicht die gleiche Positionierung wie die Großen Drei. In die Gebühren fließt aber auch die günstigere Kostenbasis unseres Hauses ein. Da es bisher nur drei große und in der Regel gleichwertige Konkurrenten gibt, herrscht auf der Einnahmeseite bei diesen Häusern entsprechende Entspannung.

Warum hat sich Stefan Quandt an Scope beteiligt?

Stefan Quandt hat die Idee der Schaffung einer europäischen Agentur gefallen. Er sieht auch die Chancen, die ein solches Projekt mit sich bringt.

Wie hat sich das Eigenkapital entwickelt beziehungsweise über welche EK-Basis verfügt Scope jetzt?

Scope hat in verschiedenen Schritten die Kapitalbasis gestärkt, an der sich bekannte Privatpersonen und institutionelle Anleger beteiligt haben. Dazu gehört auch Stefan Quandt. Wir wollen aber nicht den Eindruck erwecken, dass hiermit das Ziel erreicht und alles gut ist. Der Aufbau einer europäischen Agentur geht weiter. Scope wird weiter Kapital aufnehmen, um weiteres Wachstum zu generieren. Dazu gehört der Ausbau der Sektorenexpertise. Bisher liegt der Schwerpunkt bei Ratings für Firmen aus den Branchen erneuerbare Energien, Immobilien, Auto- und Autozulieferer sowie dem Pharmasektor. Es fehlen im Team aber auch noch lokale Spezialisten beispielsweise aus Frankreich, Italien und Spanien. In diesem Zusammenhang wird Scope an weiteren europäischen Standorten Büros eröffnen.

Haben Sie Unterstützung von Key-Investoren im Markt - das heißt, gibt es Friends of Scope, die sich bei Emittenten für Scope einsetzen?

Ein klares Ja und das freut uns. Es gibt eine lange Liste von Investoren, die unser Vorgehen und unsere Analysen schätzen und nutzen. Dazu gehören auch sehr große Anleger. Unterstützung gibt es auch von zahlreichen deutschen Investoren.

Werden Sie von Fitch, Moody's und S&P schon als Konkurrent wahrgenommen?

Die drei großen Agenturen haben Scope wohl nicht auf dem Radarschirm. Sie sehen zwar, dass Analysten von ihnen zu uns wechseln, aber das war es schon. Als angsteinflößende Konkurrenz werden wir noch eine ganze Weile nicht gesehen.

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