Glaubwürdige Kommunikation im Zeitalter der Disruption

Jürgen Pitzer, Dozent, Hochschule Darmstadt

Überall in der Wirtschaft ist die Digitalisierung in Gestalt von "Big Data" oder "Wirtschaft 4.0" beziehungsweise dem "Internet der Dinge" das beherrschende Thema. Ob bei Management- Symposien, Fachkonferenzen oder internationalen Messen wie jüngst bei der weltweit größten Industriemesse in Hannover, es wird darüber gesprochen, wie schnell und wie durchgreifend die herkömmlichen Geschäftsmodelle geändert werden müssen, um weiter konkurrenzfähig zu bleiben. Anders als bisher erlaubt das Tempo des digitalen Fortschritts offensichtlich keine bequem zu steuernden Anpassungsprozesse.

Big Data erzwingt, so die gängige Überzeugung, komplette und grundlegende Erneuerungen der Prozesse, der Organisation und insbesondere der Marktbearbeitung. Denn wer jetzt nicht dafür sorgt, den Zugang zu den Daten des Kunden zu sichern und sein Unternehmen auf den reibungslosen Fluss der Daten zwischen Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten auszurichten, den wird entweder Apple oder einer dieser schnell wachsenden Startups aus dem Markt drängen. Disruption ist dafür das neue "Catchword", Schumpeter beschrieb diesen dem marktwirtschaftlichen System als genetischer Code innewohnenden Prozess als schöpferische Zerstörung.

Lange Zeit wähnten sich viele führende deutsche Unternehmen aller Branchen gegenüber solchen Entwicklungen immun. Warum auch sollte man das eigene Geschäftsmodell kritisch hinterfragen, das weltweit so offensichtlich erfolgreich war. Schließlich schickte sich ein deutscher Automobilkonzern gerade an, die Weltmarktführerschaft zu übernehmen. Und auch in der Finanzbranche sah es lange Zeit so aus, als könne man sowohl im Investmentbanking wie bei der Vermögensverwaltung und in der Versicherungsbranche mit den Besten mithalten. Inzwischen geht es vielfach nicht mehr um die Planung einer Erfolg versprechenden Aufholjagd, sondern um die Verteidigung des Klassenerhalts. Natürlich haben die Verwerfungen der Wirtschaftskrise samt ihren nachfolgenden regulativen Daumenschrauben einen nicht unbeträchtlichen Anteil. Hinzu kommen aktuell für die gesamte Branche die Folgelasten der EZB-Niedrigzinspolitik. Hinzu kamen als zusätzliche Herausforderung die erfolgreichen Angriffe branchenfremder Unternehmen wie Fintechs, Google und Co, die mit ihrer globalen Expertise im Sammeln, Bewerten und nutzerorientierter Anwendung von Daten schneller als erwartet mindestens einen Fuß, manchmal sogar schon ein veritables Standbein in die Märkte bekamen. Immerhin reift inzwischen auch bei beharrlichen Traditionalisten die Erkenntnis, dass auch Sparkassenkunden eine andere Aufstellung erzwingen und zum Beispiel die Filiale der Zukunft das Smartphone sein könnte.

Während sich die Finanzbranche wie die deutsche Wirtschaft insgesamt inzwischen dazu aufgerafft haben, ihre Zukunft mit den Möglichkeiten der Digitalwirtschaft zu verbinden und zu erweitern, sind einige der ehemals führenden Unternehmen immer noch damit beschäftigt, aus den Trümmern der Vergangenheit ein halbwegs stabiles Unternehmen zu fertigen. Unrühmliches Beispiel hierfür ist der Volkswagenkonzern. Dessen Glaubwürdigkeit ist nicht nur in den USA infolge der Täuschungshandlungen des zur "Abgasthematik" verballhornten "Dieselgate" nachhaltig zerrüttet. Die Reputationsverluste erstrecken sich inzwischen auf die Behandlung des Themas durch das neue Management, das einen Kulturwandel versprochen hatte. Wenn aber in einem straff geführten Konzern trotz des massiven Einsatzes externer Kräfte nach fast einem Jahr immer noch nicht klar ist, wer und zu welchem Anteil Verantwortung an dem Einbau trägt, dann wird einem nicht nur wegen der drohenden Entschädigungssummen um die Zukunft dieses Konzerns angst und bange. Nimmt man die verbalen Stolpereien des Vorsitzenden ausgerechnet in den USA noch dazu, wo er den absichtsvollen Einbau der Täuschungssoftware verneinte, sowie das unsägliche öffentliche Hickhack über Bonusverzichte der Vorstände, dann drängt sich schon die Frage auf, ob denn das Bild, was uns von dem Konzern und seinem Management vermittelt wurde, überhaupt je der Wirklichkeit entsprach.

Ähnliches gilt für die ehemals unbestritten führende Deutsche Bank, deren damaliger Vorstandsvorsitzender Ackermann noch vor zehn Jahren vollmundig erklärte, dass es kein Geschäft wert sein dürfe, "den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Bank aufs Spiel zu setzen." Wie es um diese Fundamente bereits bestellt war, als das Investmentbanking zu einem überwiegenden Teil für die Erträge der Bank verantwortlich zeichnete, lässt sich vielleicht daran bemessen, dass seit 2012 der für Rechtsstreitigkeiten meist aus dieser Ära aufzuwendende Betrag fast 13 Milliarden Euro erreicht hat. Und ein Ende dieser kapitalzehrenden Kosten ist immer noch nicht in Sicht. Im Gegenteil, es drohen weitere Auseinandersetzungen, die ihre Wurzeln überwiegend aus der Hochzeit des Investmentbankings haben. Ausgerechnet der dafür Verantwortliche wollte als Co-Vorstandsvorsitzender Vorreiter für einen Kulturwandel der Bank gesehen werden. Erschreckend sind für Aktionäre, Kunden und wohlmeinende Stakeholder dabei nicht nur der Werteverfall von Image und Aktie, sondern auch der weite Abstand, der zwischen dem Leistungsversprechen und dem Leistungsvermögen sich inzwischen aufgetan hat. So grenzt es wohl an ein Wunder, dass eine international so breit aufgestellte Bank 45 unterschiedliche und größtenteils nicht miteinander kompatible Betriebssysteme unterhält, ohne Probleme mit den nach unterschiedlichen internen und externen Publizitätsanforderungen aufzubereitenden Berichten zu bekommen. Auch wenn das inzwischen nahezu komplett erneuerte Management offenkundig bestrebt ist, klar und offen die Probleme zu adressieren, bleibt die Frage, wie es kommen konnte, dass sich ein so stolzes und angesehenes Unternehmen als Sanierungsfall entpuppt!

Eine der möglichen Erklärungen könnte darin liegen, dass das Management in beiden Fällen das von ihm und seinen Kommunikationsprofis entwickelte Bild schließlich für die Wirklichkeit gehalten hat. Dieser nach der Novelle von Oscar Wilde benannte Dorian-Gray-Effekt beschreibt die Möglichkeit, ein möglichst fehlerloses und positives Bild eines Unternehmens beziehungsweise seines Managements zu entwerfen. Es ist eine der verführerischsten Versprechungen der Kommunikationsprofis, dass es auch noch für den unbegabtesten Redner, den linkischsten Manager und trockensten Technokraten Mittel und Wege gibt, ein gefälliges Wunschbild in den Zielöffentlichkeiten zu kreieren, kurzum "gut aussehen" zu lassen. Wichtigste Voraussetzung dafür ist, sich vollständig in die Hände und Planungen dieser Profis zu begeben. Kernstück der wundersamen Erschaffung eines bedeutenden, sympathischen, in jedem Fall aber souveränen Managers ist die planvolle und vor allem absolut kontrollierte Inszenierung öffentlicher Auftritte, seien es die sorgsam einstudierten und geprobten Reden und Statements bei notwendigen öffentlichen Auftritten wie Bilanzpressekonferenzen oder Hauptversammlungen oder seien es Interviews in den Printmedien, die durch sogenannte Autorisierungsprozesse jedweder Brisanz beziehungsweise Abweichungen von strategischen Vorgaben entkernt werden können. Die Liste der Kunstgriffe ist lang und umfasst zum Beispiel Video-Botschaften der Manager, sei es als Befragungen, wie auf einer Pressekonferenz getarnt, oder als Statement. Alle diese Maßnahmen haben aus der Sicht der PR-Profis den entscheidenden Vorteil: Man kann den Auftritt perfekt auf die Wirkung durchinszenieren und damit die Wirkung kontrollieren.

Wer erinnert sich nicht in diesem Zusammenhang an die Bilder, die einen detailversessenen VW-Konzernlenker auf Knien rutschend zeigen, der die Fugen eines Autos eigenhändig nachprüft. Oder ein Oneonone-Interview mit Ackermann im öffentlichrechtlichen Fernsehen, wie er die Finanzwelt erklärt. Je mehr sich aber ein so geschaffenes Bild von der Realität entfernt, umso notwendiger wird es, diese Diskrepanz verständlich zu machen. Gelingt dies nicht oder wird die Möglichkeit dazu verbaut, weil man kritische Fragen intern wie extern unterdrückt, kommt es am Ende zu dem fatalen Ergebnis des allsei tigen Vertrauensverlustes. Dann wird das makellose Image zum entlarvenden Zerrbild, das im Nachhinein auch positive Dinge überstrahlt. So wird zugleich der Eindruck in der breiten Öffentlichkeit von der "Lügen-PR" gefestigt, der Unternehmenskommunikation, der man ohnehin kaum mehr Glauben schenkt.

Das liegt auch zu einem erheblichen Teil daran, dass viele Unternehmen auch bei der Verwendung der sogenannten Sozialen Medien immer noch darauf setzen, Werbung und einseitige Informationen zu posten, statt wirklich in den Dialog mit den Nutzern einzutreten. Entsprechend schmal fallen auch dort die Nutzerzahlen zumeist aus. Wenn es den Unternehmen und ihren Managern wirklich daran gelegen ist, einen "true and fair view" zu erreichen, dann müssen sie sich dem Dialog tatsächlich öffnen. So schwer es auch fällt, es gibt auch im digitalen Zeitalter für die Erreichung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit nur den einen Weg, den bereits Alfred Herrhausen beschrieben hat: Sagen, was man tut - oder tun will, tun, was man sagt und dann sollte man sein, was man tut!

Jürgen Pitzer, Dozent, Hochschule Darmstadt

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