Klare Regeln, effiziente Kontrolle plus gute Regulierung = Vertrauen

Jürgen Pitzer, Dozent, Hochschule Darmstadt

Wir leben in einem veränderten Land. Waren wir gestern noch voller je nach Temperament mehr oder minder offen gezeigtem oder mühsam unterdrücktem Stolz auf unser wirtschaftlich starkes, politisch führendes und moralisch wiederhergestelltes Land mit international gepriesener Lebensart, funktionierendem Rechtsstaat und unbestechlicher Verwaltung, dann scheint dieser Befund inzwischen einer fernen Vergangenheit anzugehören. Denn wohin man in diesen Tagen und Wochen hinschaut, begegnet man offenbar nur noch Skandal, Fanal und Lug und Trug. Schlimmer noch:

Viele der das vormalige Renommee begründenden Erfolge erweisen sich nach neuesten Erkenntnissen als auf Täuschung, Tricks und Betrug aufgebaut. Das Fußball-Märchen: gekauft, die Rekorde beim Autoabsatz von VW: erschwindelt und die fantastischen Beiträge des Investmentbankings bei der Deutschen Bank: auf kriminellen Handlungen aufgebaut. Und das alles unter den Augen einer angeblich ahnungslosen, mindestens unfähigen, schlimmstenfalls in diese Vorgänge kungelnd miteinbezogenen Aufsicht.

In einer solchen, durch Medien zum schicksalhaften Skandal aufgeheizten Atmosphäre neigen Politiker fast schon reflexhaft dazu, ihre Handlungskompetenz durch Forderungen nach neuen Gesetzesinitiativen unter Beweis zu stellen. Diese Gesetze sollen, so die Versprechungen aus Berlin oder Brüssel, künftige Fehlsteuerungen durch neue Regeln, mehr Transparenz oder empfindliche Strafandrohungen verhindern. Grund genug, so fand die Schmalenbach-Gesellschaft, die Überprüfung dieses Zusammenhanges in den Mittelpunkt ihrer 69. Jahrestagung (Ende September in Düsseldorf) zu stellen. Erfreulich dabei die um praktische wie wissenschaftliche Erkenntnisse gleichermaßen bemühte Referentenliste. Um ein persönliches Fazit bereits vorwegzunehmen: Es gibt offenbar weder wissenschaftlich eindeutige noch durch die Unternehmenspraxis offenbar gewordene Resultate, von einzelnen extremen Fällen abgesehen. Dafür sorgen schon die im globalen Wettbewerb stehenden Unternehmen mit ihrer bewiesenen Flexibilität und die ebenfalls dadurch in permanentem Zugzwang befindlichen nationalen Gesetzgeber. Auf letztere Herausforderungen weist der Schirmherr der Veranstaltung, Wirtschaftsminister Gabriel, in seinem Grußwort hin und beschwört dort den Verzicht auf den Wettbewerb um die günstigste Regulierung.

Die Komplexität und Widersprüchlichkeit von Regulierungen wird in der unternehmerischen Praxis besonders dann augenfällig, wenn es um globale Unternehmen geht, die sich dann gleichzeitig unterschiedlichen und keineswegs immer kompatiblen Regelwerken für die gleichen Vorgänge anpassen müssen. Da gibt es die politisch gewollten steuerlichen Anreize für Investitionen in einem Land und die Erwartungen auf Standorttreue im anderen, die Steuer- und Abschreibungssätze differieren sowieso von Land zu Land und ob und wie man zum Beispiel Vermögenswerte wie Intangible Assets bilanziell ansetzt, darüber geraten sich dann die um Einheitlichkeit bemühten Standardsetter so in die Haare, dass die Ungleichheit größer ist als zuvor. Allein in den 28 Ländern der EU gibt es 38 unterschiedliche gesetzliche Regelungen für den Energiesektor, beklagte Peter Terium, der CEO von RWE. Diese zersplitterte Regulierung zwingt global agierende Unternehmen zu hohen unproduktiven Aufwendungen. Daher klingt es an dieser Stelle auch glaubwürdig, wenn Unternehmensvertreter wie Terium und Stefan Krause, vormals Deutsche Bank, unisono eine Vereinheitlichung der Regulierungen fordern, auch um damit die Voraussetzungen für ein wettbewerbsgerechtes "Level Playing Field" zu schaffen.

In diesem Punkt gibt es offenbar volle Übereinstimmung mit der BaFin, denn in seinem Beitrag unterstrich Präsident Felix Hufeld die inzwischen innerhalb der EU erzielten Erfolge bei der Vereinheitlichung von Regulierungsstandards, die sich zum Beispiel in der nunmehr erreichten zentralen Beaufsichtigung von 123 Banken in 19 Ländern zeigten. Dies sei ein wichtiger Schritt auf dem weiterhin zu verfolgenden Weg, überall gleiches Geschäft mit gleichem Risiko gleichen Regulierungsstandards zu unterwerfen. Daher habe man den Schattenbankensektor sehr wohl im Blick, speziell um unzulässige "Aufsichtsarbitrage" zu verhindern. Im Übrigen erinnerte er daran, dass die Finanzkrisen im vergangenen Jahrhundert und die von 2008 beide Male zu einer Vereinheitlichung der Aufsicht geführt haben. Als notwendige Bestandteile einer "guten" Aufsicht bezeichnete er feststehende Prinzipien, die aber flexibel angewandt werden könnten. Angemessenheit und risikosensitive Herangehensweise seien ebenso wichtig. Er bekräftigte die notwendigen Bemühungen der Banken, ihren Beitrag zu leisten, machte aber deutlich, dass dies nicht ausreicht. Ein Leitbild und Selbstkontrolle reichten erfahrungsgemäß nicht, es bedürfe der Unterstützung durch klare Regulierung. Der Anspruch müsse sein, Wissenschaft und Praxis rechtzeitig in Regulierungsvorhaben einzubeziehen und damit umfassende Analysen in überprüfbarer Form in den Entscheidungsprozess zu geben. Oberstes Ziel sei dabei, das Risiko des gesamten Systems zu verringern. Allerdings räumte Hufeld auch ein, dass manche Regelungen noch nicht diesen Ansprüchen genügten. Dazu zählte er zum Beispiel die immer noch gültige Nullgewichtung bei der Risikokapitalbemessung für europäische Staatsanleihen. Hier sei man an die Grenzen des politisch Durchsetzbaren gestoßen.

Er weckte zugleich Verständnis für die Politik und ihren manchmal engen Handlungsspielraum. Politische Entscheidungen würden eben meist nur unter enormem zeitlichem Druck gefällt, das sei manchmal dann ein schwieriger Balanceakt zwischen dem Wünsch- und dem Machbaren. Insgesamt sei die Regulierung aber angemessen. Die Branche habe weiter Anreize zur Übernahme von vertretbaren Risiken und für Innovationen. Allerdings sieht er auch die Gefahr durch die Bestrebungen, den Verbraucherschutz europaweit zu forcieren, und hier speziell die bereits implementierten Vorgaben zum Anlegerschutz. Es könne nicht angehen, den Verbraucher vor sich selbst und möglichen Fehlentscheidungen zu schützen. Wenn dann in der Konsequenz viele Institute inzwischen ihre Angebote für Privatanleger beschneiden oder gar ganz aufgeben, habe man das Gegenteil von dem erreicht, was man beabsichtigt habe. Den Einwand von Krause, der die hohen Regulierungskosten beklagte, die zur Wertevernichtung der Branche erheblich beitrügen, ließ er aber nicht gelten.

Professor Clemens Fuest, der zuvor über die spärlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Regulierungen berichtete, verwies auf die Stärkung des Wettbewerbs durch Marktregulierung hin. Mit den gezielt auf die großen Institute abzielenden Regularien sei ein wichtiger Schritt in der Beseitigung des Toobigtofail-Vorteils erreicht worden. Diesen bezifferte er allein für die Deutsche Bank, die, wie Krause zugab, öfters im Ausland mit der Bundesbank verwechselt wurde, mit jährlich 12 Milliarden Euro, ein Wettbewerbsvorteil, um den sich weder die Deutsche Bank in ihrer jet zigen Verfassung noch Stefan Krause bekümmern muss.

Regulierung bleibt offensichtlich auch künftig ein spannendes und dynamisch sich verändertes Feld. Einerseits lassen sich die Hoffnungen, dass durch weniger Regulierung mehr Wachstum und Wohlstand entstehen kann, bislang wissenschaftlich nicht eindeutig bestätigen, zumal die Risiken von Fehlentwicklungen steigen können. Andererseits bieten auch noch so gute Gesetze keine Gewähr dafür, dass sie nicht umgangen, sondern von allen eingehalten werden. Bis die Vorschriften umgesetzt, die Leitlinien gelebt werden, können Jahre vergehen. Bis dahin können durch ein Übermaß an Regularien Eigeninitiative erstickt oder Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden. Es kann aber auch sein, dass durch kluge, also zugleich prinzipienfeste und maßvolle Aufsicht gepaart mit schnellem und konsequentem Durchgriff bei Fehlverhalten die Risikolage sowie die angeschlagene Reputation der Finanzbranche gestärkt und Vertrauen in die Marktkräfte zurückgewonnen wird. Über einen solchen Erfolg könnte dann eine weitere Jahrestagung Aufschluss geben.

OECD-Checkliste für die Einführung regulatorischer Maßnahmen: 1. Ist das Problem korrekt definiert?2. Ist ein staatlicher Eingriff gerechtfertigt?3. Ist ein regulatorischer Eingriff die beste Form staatlichen Handelns?4. Ist eine Rechtsgrundlage für die Regulierungsmaßnahme vorhanden?5. Auf welcher staatlichen Ebene liegt die Zuständigkeit für die Maßnahme?6. Übersteigt der Nutzen der Maßnahme die entstehenden Kosten?7. Ist die gesellschaftliche Verteilung der Kosten und Nutzen transparent?8. Ist die regulatorische Maßnahme klar, konsistent, verständlich und zugänglich formuliert?9. Wurde allen betroffenen Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben?10. Wie wird die Einhaltung der regulatorischen Maßnahme sichergestellt?Quelle: Auswirkungen der Regulatorik auf kleinere und mittlere Banken am Beispiel der deutschen Genossenschaften; Gutachten im Auftrag des BVR; 30. September 2015
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