RECHTSFRAGEN

EuGH kreiert doppelten Widerrufsjoker

Verbraucherkreditverträge müssen in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben. Das hat der Europäische Gerichtshof am 26. März entschieden. Es reicht nicht aus, dass der Vertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere nationale Rechtsvorschriften verweist.

Im konkreten Fall geht es um einen Kunden der Kreissparkasse Saarlouis, der im Jahr 2012 einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100 000 Euro mit einem bis zum 30. November 2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61 Prozent pro Jahr aufnahm. Laut Kreditvertrag begann die 14-tägige Widerrufsfrist, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben erhalten hat, die eine bestimmte Vorschrift des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs vorsieht. Welche genau das sind, führt der Vertrag jedoch nicht auf. Stattdessen verweist er auf § 492 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, wo wiederum auf andere Paragrafen verwiesen wird.

Genau in dieser sogenannten "Kaskadenverweisung" liegt nach Einschätzung des EuGH der Fehler. Der Verweis auf eine Rechtsvorschrift, die selbst auf weitere Vorschriften verweist, ist zu unpräzise. Denn so könne der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat. Der vom Kunden Anfang 2016 erklärte Widerruf des Vertrags ist deshalb dem EuGH zufolge rechtmäßig.

Die Folgen dieses Urteils sind vermutlich weitreichend. Denn es geht um Immobilienkredite und Verbraucherkredite gleichermaßen. Das Landgericht Saarbrücken, das den Europäischen Gerichtshof angerufen hatte, vertrat die Rechtsauffassung, dass der deutsche Gesetzgeber die Regelungen der Verbraucherkreditrichtlinie auch auf grundpfandrechtich gesicherte Kreditverträge anwende. Dem folgt der EuGH, um eine einheitliche Auslegungen der deutschen Rechtsvorschriften zu gewährleisten.

Das wiederum bedeutet, dass das Urteil einen neuen Widerrufsjoker schafft, der auf zwei Vertragstypen angewandt werden kann: Im Bereich der Immobilienkredite von solchen Kunden, die ihren laufenden Kredit widerrufen wollen, um eine günstigere Finanzierung zu erreichen; und im Bereich der Konsumentenkredite vor allem von Diesel-Fahrern, die hier eine Möglichkeit sehen, ihren bestehenden Finanzierungsvertrag zu widerrufen, um das Fahrzeug an die Bank zurückgeben zu können und sich so für Werteinbußen schadlos halten zu können.

Anwaltskanzleien, die sich mit der Diesel-Thematik befassen, haben bereits begonnen, darauf hinzuweisen. Beispielsweise sieht die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Lahr "durch das Urteil des Gerichtshofs gute Chancen, dass geschädigte Verbraucher den Diesel-Skandal hinter sich lassen können". Potenziell seien fast 20 Millionen Autokredit- und Leasing-Verträge mit einem Volumen von 340 Milliarden Euro betroffen. Denn die vom EuGH monierte Klausel findet sich in beinahe allen Verbraucherkreditverträgen, die seit Juni 2010 abgeschlossen wurden. Die Immobilienkredite, die nun auch widerrufbar werden, sind in dieser Zahl noch gar nicht inbegriffen. Red.

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