Altersvorsorge

Altersarmut - nur ein Scheinproblem?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Bildquelle XING

Altersarmut ist kein Massenproblem und wird nach heutigen Berechnungen auch 2030 kein bedrohliches Ausmaß annehmen, so Joachim Ragnitz. Trotzdem sieht er es als gerechtfertigt an, Versicherte mit Rentenanwartschaften unterhalb der Grundsicherung - vorzugsweise durch steuerfinanzierte Transfers - stärker zu unterstützen. Denn nur dann gibt es Anreize, durch Zuverdienste oder private Vorsorge das Versorgungsniveau im Alter aufzustocken. Red.

Knapp 60 Prozent der Bundesbürger befürchten, im Alter nicht genügend abgesichert zu sein - also in die "Altersarmut" zu rutschen. Dies steht in eklatantem Gegensatz zu der tatsächlichen Einkommenssituation von Rentnern - derzeit verfügen Ehepaare im Schnitt über ein Nettoeinkommen von mehr als 2 540 Euro monatlich, und selbst Alleinstehende weisen im Durchschnitt ein Einkommen von mehr als 1 600 Euro (Männer) beziehungsweise 1 400 Euro (Frauen) auf.

Auch die zu erwartende Absenkung des (relativen) Rentenniveausin der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) von aktuell noch 47,9 Prozent auf höchstens 43 Prozent eines durchschnittlichen Erwerbseinkommens im Jahr 2030 dürfte nichts daran ändern, dass die allermeisten Menschen im Alter ein durchaus auskömmliches Einkommen aufweisen werden.

Durchschnittszahlen alleine sagen aber natürlich nichts über die Verteilung der Einkommen aus - problematisch ist ja in erster Linie die Situation von Personen, die während ihres Erwerbsleben im Niedriglohnsektor beschäftigt waren oder längere Zeit arbeitslos waren. Tatsächlich gelten Personen, die keine privaten Ersparnisse aufweisen und auch nicht anderweitig abgesichert sind, dann als von Altersarmut betroffen, wenn sie im Laufe ihres Erwerbslebens weniger als 30 Entgeltpunkte in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erworben haben. Die gesetzliche Rente liegt dann entsprechend der geltenden Rentenformel unterhalb des gesetzlich anerkannten Mindestbedarfs.

Kein Massenphänomen

Gerade weil Bezieher geringer Einkommen in der Erwerbsphase häufig auch nur geringe Möglichkeiten privater Vorsorge hatten (zum Beispiel durch Vermögensaufbau oder Einzahlungen in eine Lebensversicherung) und oft auch keine Rentenansprüche aus einer betrieblichen Altersvorsorge haben, ist für diesen Personenkreis das Risiko von Altersarmut auch besonders hoch. In diesem Fall besteht, sofern Bedürftigkeit nachgewiesen wird, ein Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen in Form der Grundsicherung im Alter. Diese entspricht dem Hartz-IV-Regelsatz zuzüglich Kosten der Unterkunft und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung; sonstige Einkommen und Vermögen werden allerdings hierauf angerechnet.

Derzeit liegt der Anteil der Empfänger von Grundsicherung im Alter jedoch bei nur rund drei Prozent aller Personen im Rentenalter - Altersarmut ist also derzeit beileibe kein Massenphänomen. Dieser Anteil dürfte in den kommenden Jahren zwar steigen, aber auch im Jahr 2030 nur im mittleren einstelligen Bereich (nach Schätzungen des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium bei 5,4 Prozent) liegen. Auch dies erscheint nicht bedrohlich.

Im Haushaltskontext zu sehen

Wesentlicher Grund dafür ist es, dass Einkommensarmut immer im Haushaltskontext gesehen werden muss - auf keinen Fall kann daher von einer hohen Zahl von Personen mit geringen Rentenansprüchen an die GRV auch auf eine starke Verbreitung von Altersarmut geschlossen werden. Bei Ehepaaren ist das Einkommen des Partners hinzuzunehmen, bei Verwitweten gibt es im Regelfall auch noch abgeleitete Ansprüche an die GRV aus der Rentenversicherung des Partners. Am größten ist das Risiko daher bei ledigen und bei geschiedenen alleinstehenden Personen.

Niedrige Rentenanwartschaften geben keinen Anreiz zu ergänzender Vorsorge

Auch wenn mit der Grundsicherung im Alter bereits eine Absicherung gegen (existenzbedrohende) Altersarmut besteht, ist es erklärter politischer Wille, die Betroffenen zusätzlich zu unterstützen. Dies scheint zumindest insoweit gerechtfertigt, als bei ohnehin geringen Rentenanwartschaften (unterhalb der Grundsicherung) kein Anreiz zum Aufbau weiterer Altersvorsorgeansprüche besteht, da diese nach derzeitigem Rechtsstand vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden.

Ob es darüber hinaus auch aus sozialpolitischen Gründen gewollt ist, ist hingegen letztlich allein eine Frage politischer Abwägung, denn jede Begünstigung einer Gruppe führt zu einer Mehrbelastung anderer Gruppen. Man kann jedenfalls nicht so tun, als ob eine bessere Absicherung von Niedrigeinkommensbeziehern im Alter umsonst zu haben wäre.

Grundsätzlich ist eine Besserstellung von Personen mit geringen Alterseinkünften durch Umverteilung innerhalb der GRV möglich, indem beispielsweise niedrige Anwartschaften auf Kosten höherer Anwartschaften aufgewertet werden. Die Besserstellung von Rentnern mit geringen Renteneinkünften würde in diesem Fall von den Rentnern mit höheren Renteneinkünften bezahlt. Alternativ wäre es aber auch möglich, Rentnern mit geringen Rentenansprüchen zusätzliche staatliche Transfers über die bestehende Grundsicherung im Alter hinaus zu gewähren; diese wären in diesem Fall durch die Gemeinschaft der Steuerpflichtigen zu finanzieren.

In diese Richtung bewegen sich die vorliegenden Vorschläge der großen politischen Parteien in Deutschland, so auch die von der aktuellen Regierung verfolgte Idee einer "Lebensleistungsrente". Die dabei diskutierten Vorschläge sind allerdings noch nicht wirklich ausgereift - so dürfte die laut Presseberichten vorgesehene Beschränkung auf Personen mit wenigstens 35 Beitragsjahren gerade die am stärksten betroffene Personengruppe wohl kaum erreichen, und eine vereinfachte Bedürftigkeitsprüfung, wie vorgesehen, dürfte wohl dazu führen, dass auch Personen begünstigt werden, die zusätzliche staatliche Transfers überhaupt nicht nötig haben. Zudem ist noch gar nicht klar, wie eine solche zusätzliche Einkommensabsicherung im Alter finanziert werden soll.

Andere Reformvorhaben der Bundesregierung - eine Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge, eine Erhöhung der Akzeptanz der "Riester-Rente" durch Standardisierung von Vorsorgeprodukten und die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters - zielen nicht direkt auf die Vermeidung von Altersarmut (weil sie für alle Bevölkerungsgruppen relevant sind), könnten aber indirekt zu deren Abbau beitragen, weil damit das System der Alterssicherung auf verschiedene Säulen aufgeteilt wird.

Anreize zu mehr Eigenvorsorge

Akzeptiert man den politischen Willen, Altersarmut über das bisherige Ausmaß hinaus zu bekämpfen, so scheint es aus anreiztheoretischer Sicht sinnvoll, den Weg über zusätzliche steuerfinanzierte Einkommenstransfers zu gehen, höhere Renten also unangetastet zu lassen.

Zudem kann auf diese Weise - und nur auf diese - weiterhin eine Bedürftigkeitsprüfung durchgeführt werden, die notwendig ist, um Altersarmut zielgenau zu bekämpfen.

Diese Transfers könnten ohne Weiteres in das System der gegenwärtigen Grundsicherung im Alter integriert werden - zum Beispiel indem (anders als bisher) zusätzlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Vermögen oder gesetzlicher Rente nicht länger zu 100 Prozent auf die Grundsicherungsleistung angerechnet werden, sondern nur zu einem geringeren Prozentsatz. Damit würde analog zu dem Modell des "Aufstockens" beim Arbeitslosengeld II erreicht, dass bereits in der Erwerbsphase ein zusätzlicher Anreiz zum Erwerb hö herer Rentenansprüche durch höhere Einkommen oder durch private Vorsorge entstünde, der heute wegen der Vollanrechnung sämtlicher Zusatzeinkommen auf die Grundsicherung im Alter nicht besteht.

Bei einer solchen Reform der Grundsicherung im Alter würden allerdings nicht nur die bisherigen Empfänger von Grundsicherung begünstigt; vielmehr müsste - um Sprungstellen im Tarifverlauf zu vermeiden - auch der Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet werden. Insoweit ist gegenüber dem heutigen System auf jeden Fall mit deutlichen Mehrausgaben zu rechnen.

Selbst wenn man den hier skizzierten Weg wählt, muss klar sein, dass es dabei nur um die Reparatur von Entwicklungen handeln kann, deren Ursache in der Vergangenheit liegt - nämlich in der ungünstigen Erwerbsbiografie der Betroffenen. Auf lange Sicht wird sich Altersarmut nur bekämpfen lassen, indem gerade auch Personen mit geringer Qualifikation und daraus resultierend niedrigen Einkommen beziehungsweise hohen beitragslosen Zeiten besser in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Noch besser wäre es, durch verstärkte Bildungsanstrengungen die Zahl der Geringqualifizierten zu verringern, da sich dann deren Arbeitsmarktchancen automatisch verbessern dürften - was über höhere Löhne und damit höhere GRV-Ansprüche das Risiko der Altersarmut für die Betroffenen verringert. Dies ist zwar auch nicht umsonst zu haben, aber sicherlich besser, als im Alter über höhere Transfers die Symptome von früheren Fehlentwicklungen zu beheben.

Zum Autor Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Stellvertretender Leiter, ifo Institut, Niederlassung Dresden
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