Start-ups im Retailbanking

Fintechs: Aus der Nische zum Mainstream

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Es war vor allem die Finanzkrise mit dem Vertrauensverlust der Kreditinstitute, die den Aufstieg der Fintechs als Alternativmodelle begünstigt hat. Gegründet werden sie vor allem von "Seitenwechslern" aus dem Bankgewerbe, aber auch von Digital Natives, die die Bedürfnisse der Generation Facebook mit dem Modell des Mitmach-Bankings besser abzubilden versuchen. Längst sind solche neuen Angebote nicht mehr nur etwas für "Technik-Freaks", so Matthias Kröner. Sondern sie sind auf dem besten Weg, aus der Nische heraus zum Mainstream zu werden. Klassische Banken dagegen sieht er eindeutig in der Defensive. Um die Bedürfnisse der Digital Natives wirklich zu erfüllen, bräuchten sie dringend ein Update. Red.

Die Musikindustrie und der Einzelhandel haben es dramatisch zu spüren bekommen: Ihr Geschäftsmodell wurde in den vergangenen Jahren komplett umgekrempelt. Auch den Medienhäusern ist es nicht anders ergangen; sie suchen noch immer nach einer nachhaltigen Strategie im Umgang mit den digitalen Umwälzungen. Und jetzt - das erste Mal, seit es die globale Finanzindustrie gibt - steht auch die Bankenbranche vor einer weiteren Transformation.

Digitalisierung und Finanzen passen grundsätzlich gut zusammen, denn der überwiegende Teil des Geldes war von je her digital. Auch gab es schon früh Online-Angebote diverser Marktteilnehmer. Aktuell sehen wir eine zweite Welle der Digitalisierung. Eine Welle, die die Finanzindustrie vielleicht stärker treffen wird als alles, was wir zuvor gesehen haben. Das vorläufige Ergebnis: Die sogenannten "Financial Services and Technology" Startups, kurz Fintechs, rütteln an den Fundamenten der klassischen Bankhäuser. Paypal, mittlerweile auch schon über zehn Jahre alt, war erst der Anfang.

Bereits mehr als 100 Fintechs in Deutschland

Heute bieten junge, innovationsorientierte und teils branchenfremde Unternehmen im großen Stil alternative Plattformen für verschiedenste Finanzdienstleistungen an und verändern damit das Marktumfeld von Versicherern und Banken nachhaltig. Von Anlagevermittlung, über die Kreditvergabe oder auch Vermögensverwaltung bis zum Zahlungsverkehr - die Neuen nehmen den Etablierten Marktanteile ab. Vielleicht sind diese noch nicht signifikant, aber die Fintechs treiben die traditionellen Häuser vor sich her und lassen sie in Sachen Kundenorientierung und Innovationsbereitschaft so alt aussehen wie sie sind.

Aktuell sind bereits mehr als 100 junge Unternehmen an der entscheidenden Schnittstelle zwischen Finanzdienstleistung und Technologie tätig - allein in Deutschland. Welche Antworten haben die traditionellen Finanzdienstleister? Und wie sieht die Zukunft von Fintechs wie der Fidor Bank aus?

Vier Gründe für den Erfolg

Doch zunächst drängt sich die Frage auf: Wie ist die rasante Entwicklung der Fintechs zu erklären? Vier Entwicklungen zeichnen sich hierfür hauptverantwortlich:

- Erstens hat die ohnehin schon krisengeplagte Finanzindustrie durch die Finanzkrise zusätzlich an Ansehen verloren;

- zweitens steigt Verbreitung und Akzeptanz der "Web 2.0 DNA";

- drittens gibt es heute bessere Möglichkeiten, innovative Konzepte auch im Finanzsegment unabhängig finanzieren und abschließen zu können;

- und viertens herrscht bei den bestehenden Playern in vielen Fällen immer noch eine nachhaltige Innovationsfeindlichkeit.

Bankenkrise als Chance für Fintechs

Die Geschichte der Fidor Bank beginnt, wie die vieler anderer Fintechs, in den Wirren der Finanzkrise. Es scheint absurd, gerade dann eine neue Bank zu gründen, wenn die Branche unter einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem leidet und ein Großteil der Kunden ihr das Vertrauen abspricht.

Hierin lag und liegt jedoch genau die Chance für Fintechs: Gerade wenn das klassische Banking seinen Kredit verspielt hat, ist die Zeit für einen neuen Ansatz gekommen. Die Bereitschaft, sich mit einer neuen Bank auseinanderzusetzen, ist naturgemäß eher gering, wenn alle mit ihrer Bank zufrieden sind. Das sinkende Vertrauen in die traditionellen Bankinstitute verschafft innovativen Ansätzen jedoch zusätzliche Aufmerksamkeit und in der Folge wachsende Kundenzahlen.

Seitenwechsler und junge Unternehmer der Generation Facebook

In nicht wenigen Fällen kommen die neuen Konkurrenten aus den eigenen Reihen. Überspitzt könnte man sagen: Die Banken haben sich ihre eigenen Wettbewerber herangezüchtet. Denn nicht alle Banker wollten nach 2009 weitermachen wie zuvor. Eine Reihe Finanzprofis will mehr als nur dicke Gehälter, ein Eck-Office und einen Firmenwagen in gedeckten Farben; sie wollen wirklich etwas bewegen und im Sinne der Kunden verändern. Viele von ihnen stehen nun an der Spitze einer Bewegung, die die Traditionalisten verdrängen will.

Zu den mutigen Seitenwechslern kommen junge, kreative Unternehmer der Generation "Facebook", die sich an ihren eigenen Bedürfnissen orientieren und darauf aufbauend neue Ideen entwickeln - von der einfachen App bis zum komplexen Geschäftsmodell. Notwendige Voraussetzung hierzu: Ein technologisches Grundverständnis sowie ein Gespür dafür, was einen Webdienst heute ausmacht.

Social Banking als Gegenmodell zum klassischen Bankangebot

Die Fidor Bank ist die erste Web 2.0 Bank Deutschlands und damit ein - hoffentlich gutes - Beispiel für den neuen Ansatz, den die Mehrzahl der Fintechs verfolgt. Als erste Direktbank für das Internetzeitalter der sozialen Netzwerke setzt sie bewusst auf Social Banking und damit auf das Gegenmodell zur klassischen Bank.

- Ziel ist es, dem grundsätzlichen Mangel an kundenzentriertem Denken sowie dem fehlenden Verständnis für die Lebensumstände der Kunden entgegenzuwirken.

- Ziel ist es, Servicequalität und kundenrelevante Prozesse zu verbessern.

- Ziel ist es, Innovationen voranzutreiben, um den Kunden wirkliche Verbesserungen beim täglichen Bankgeschäft zu bieten.

- Auf den Punkt gebracht: Das Ziel ist es, den Kunden wieder in den Mittelpunkt des Bankgeschäfts zu rücken und die hierfür notwendige dienstleistungsfreundliche Unternehmenskultur zu etablieren - geprägt von Offenheit, Ehrlichkeit, Transparenz, Dialog und Partizipation.

Banken brauchen ein "Update"

Ein Großteil der alteingesessenen Finanzinstitute hat von den Kunden allerdings immer noch ein falsches Bild. Es bedarf dringend eines "Updates", um der Online- und Technologie-Affinität und dem damit verbundenen Lebensstil vieler Menschen Rechnung zu tragen. Denn der digitale Lebensstil hat längst Einzug gehalten und alte Traditionen aufgebrochen. Nicht umsonst werden die nun Heranwachsenden als "Digital Natives" bezeichnet, weil sie ein Leben ohne Internet gar nicht mehr kennen. Den Besuch in der Filiale vermeidet diese Generation tunlichst. US-Studien zeigen, dass die meisten lieber zum Zahnarzt als zur Bank gehen.

Der Kunde von heute ist neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen, möchte die Dinge einfach und schnell verstehen können und beispielsweise über sein Smartphone abwickeln. Moderne Kunden wie diese lockt man nicht zu festen Öffnungszeiten in düstere Filialen. Will man mit ihnen tatsächlich ins Gespräch kommen, muss man dorthin, wo auch sie sich aufhalten: ins Internet.

Rückständiger Umgang mit Social Media

Natürlich gehört eine Website ebenso wie Online-Banking für alle Banken mittlerweile zum Mindeststandard. Das Problem ist jedoch, dass sich ein Großteil mit diesem Mindeststandard zufrieden gibt und die zahlreichen weiteren Kommunikationskanäle nicht oder falsch nutzt. Grund hierfür ist das eigene Unverständnis des Web- 2.0-Umfelds - auch weil die Entscheidungsträger der Banken sich häufig schlicht nicht in diesem Umfeld bewegen.

So ist der Umgang mit Social Media im Finanzdienstleistungssektor geradezu rückständig. Soziales Netzwerken wird von den meisten Unternehmen weiterhin falsch verstanden: Statt die sozialen Medien als Feedback-Kanal zu nutzen, um besser verstehen zu lernen, was die Kunden wollen, dienen Twitter und Co. meist nur der PR und dem Vertrieb. Oder die firmeneigene Facebook-Seite gerät zum Schnellschuss und auf einige Wochen Engagement folgt schnell wieder Totenstille. Darüber hinaus gibt es wohl auch auf Facebook die Öffnungszeiten einer Filiale, denn gepostet wird nur zwischen Montag und Freitag von 9.00 bis 17.00 Uhr. Die Möglichkeiten und Chancen, die das Internet den Banken bietet, werden so sträflich vernachlässigt und liegen gelassen.

Ganz anders die Fintechs: Häufig bieten sie nicht einmal vollkommen neue Produkte oder Dienstleistungen an; aber sie unterscheiden sich von den klassischen Finanzdienstleistern meist durch spürbar höhere Kundenorientierung. Um emanzipierte Kunden zu überzeugen, braucht es mehr als aufwendige TV-Spots oder Imagekampagnen. Fintechs werben mit Transparenz und Offenheit, die nicht damit endet, dass man den Kunden die Quartalszahlen per Newsletter zukommen lässt. Die Kunden werden umfassend informiert und können auch selbst ihre Meinung äußern; sie werden eingebunden, statt außen vor gelassen.

Mitmach-Banking als Ziel

Die Banken haben ihre Kunden in den vergangenen Jahren dazu erzogen, nicht mehr mit ihnen zu reden - doch das ist genau der falsche Weg. Wichtiger als die Frage "Was müssen wir verkaufen?" sollte die Frage sein "Womit können wir unseren Kunden helfen?". Das richtige Bild vom Kunden führt zu den richtigen Kommunikationskanälen, diese führen zum beiderseitigen und vor allen Dingen gleichberechtigten Austausch und in der Folge zu zeitgemäßen Produkten und Dienstleistungen. Ziel ist das "Mitmach-Banking" - ermöglicht und umgesetzt dank der Möglichkeiten des Web 2.0.

Die Fidor Bank steht für dieses moderne Mitmach-Banking, das den Kunden in den Mittelpunkt stellt: Abseits jedes Filialsystems und ohne bankeigene Berater informieren sich Nutzer und Kunden der Fidor Bank über alle möglichen Finanzthemen in der Fidor-Community. Im Diskurs mit anderen Community-Mitgliedern sowie mit Bankmitarbeitern und Beratern können Kunden so mit minimalem Aufwand ihre Finanzen optimieren - in ihrem Interesse, nicht im Interesse der Bank. Zudem dient die Online-Community als unmittelbarer Feedback-Kanal für Anregungen, Wünsche oder Kritik. Wer will, kann sich aktiv beteiligen, zum Beispiel um neue Produkte mitzuentwickeln oder die Zinsen mitzubestimmen.

Darüber hinaus läuft die Kommunikation permanent über alle Social-Media-Kanäle, das heißt die Fidor Bank zeigt sich auch auf Facebook, Twitter und Co. dialogbereit und offen. Doch die Möglichkeiten der sozialen Medien enden nicht bei der Kommunikation: Über Facebook haben Kunden beispielsweise die Möglichkeit, die Verzinsung des Kontos aktiv mitzugestalten.

Im Rahmen des "Dispo-Like-Zins" profitieren Inhaber eines Girokontos direkt von den Likes auf der Facebook-Seite der Bank. Pro 2 000 Klicks sinkt der Dispozins um 0,1 Prozent und kann nur durch das Engagement der Kunden von aktuell 6,8 Prozent auf bis zu 6,3 Prozent fallen. Auch das Fidor Smart Girokonto ist zum "Mitmachen" gedacht, denn die Kunden können selbst entscheiden, welche der zahlreichen Finanz-App-Angebote und Dienste sie von der Fidor Bank oder Drittanbietern nutzen wollen. Die offene Kontoinfrastruktur erlaubt eine laufende Implementierung von Produkten (Apps) externer Partner - und damit ein Kontoangebot, das immer "state of the art" ist.

Die Möglichkeiten, die sich für die Kunden aus "offenen" oder "smarten" Konten er geben, gehen weit über das standardisierte Online-Banking hinaus: Geld senden via Handynummer oder an Twitterkontakte, Geld anlegen, Geld leihen und verleihen, Crowdfunding, Crowdinvesting und vieles mehr.

Nicht nur etwas für Technik-Freaks

Statt den Kunden nur eine sehr begrenzte und statische Angebotsauswahl aus dem eigenen Sortiment vorzusetzen, können so die Stärken anderer Partner genutzt werden. Fidor bietet die Plattform, die Partner stellen ihre Apps ein und der Kunde kann sich sein individuelles Finanzangebot zusammenstellen.

Die Präsenz in Social-Media-Portalen wird ebenso wie ein zeitgemäßes Produktportfolio in den kommenden Jahren einen wachsenden Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben. Die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, wird zukünftig wohl von einem Großteil der Kunden in noch stärkerem Maße vorausgesetzt und von den Banken gefordert.

Fintechs sind bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen und ihre Kundschaft geht längst über die viel zitierten Technik-Freaks hinaus. In der Online-Community der Fidor Bank haben sich mittlerweile mehr als 270 000 Finanzinteressierte registriert - vom Studenten bis zum Rentner, von der Haus- bis zur Geschäftsfrau, vom Laien bis zum Finanzprofi.

Banken in der Defensive

Auch die Banken wissen, dass es sich bei den Fintechs nicht um ein Randphänomen handelt, sondern um ernsthafte Konkurrenz. Ein Indikator hierfür ist das Geld, das von Private Equity und Venturefonds in dieses Marktsegment fließt. Ob Banking oder Corporate Finance, Capital Trading, Crowdinvesting, Data Analystics oder Mobile Payment - die Fintechs attackieren Banken an vielen Fronten gleichzeitig.

Bei den schwerfälligen Großbanken haben es Innovationen dagegen nicht leicht. Bevor neue Ideen in die Chefetage der Banktürme durchdringen, müssen sie in einer langen Hierarchie bestehen. Die Aufmerksamkeit oder Begeisterung der Chefs ist jedoch auch dann nicht sicher, wenn es eine Idee einmal bis nach oben schafft.

Um aus dieser Klemme zu kommen, experimentiert manche Großbank beispielsweise in "Future Labs", wie der Kontakt zwischen Kunde und Berater zukünftig aussehen könnte. Ob schlussendlich mehr dabei herauskommt als ein Chat oder eine Videokonferenz, bleibt abzuwarten. Doch auch die Idee der Filiale wird neu gedacht; unter anderem soll eine "Lounge"-Atmosphäre zum Verweilen einzuladen - inklusive Espressomaschine und Kinderspielecke. Die "Erlebniswelt Filiale" orientiert sich dabei auch an den Supermärkten, denn die Kunden müssen hier einmal durch die gesamte Filiale laufen, um zum Kassengeschäft im hinteren Teil zu gelangen. Ob dies der radikale Umbau des Privatkundengeschäfts ist, von dem in jüngerer Vergangenheit bei den etablierten Banken immer wieder die Rede ist, dürfen die Kunden selbst entscheiden.

Die Banken können ihre aktuell noch bestehende Vormachtstellung gegenüber den Fintechs jedoch einsetzen und gute Ideen einfach kaufen. Dies entspräche auch der grundsätzlichen Philosophie, die Nachhaltigkeit gewisser Entwicklungen erst einmal zu testen, bevor man aufspringt. Sicherlich nicht die schlechteste Vorgehensweise. Gerade erst kündigte die Commerzbank an, sie werde einen Risikokapitalfonds als Tochtergesellschaft ausgründen. Auch Mastercard, Barclays, die spanische BBVA oder die russische Sberbank haben Venture-Capital-Fonds oder Inkubatoren, die in vielversprechende Startups investieren. Auf diese Weise können sich die Banken moderne Technologien zu Eigen machen und im besten Fall an einem erfolgreichen Newcomer kräftig mitverdienen beziehungsweise die eigenen Kunden besser binden.

Der Gegenwind wird zunehmen

Aber wird das reichen? Unabhängig von Investitionen in Fintech-Startups, werden die Banken auch eine eigene Innovationsstrategie benötigen, um Kunden langfristig an das Produkt- und Dienstleistungsportfolio zu binden. Denn der Gegenwind für die Banken wird zunehmen.

Die jüngsten Beteiligungsaktivitäten im Fintech-Segment beweisen, dass die Branche in Bewegung ist und der nächste Big Player nur darauf wartet, zum großen Sprung anzusetzen. Für die Banken wird es zukünftig überlebensnotwendig, am Puls der Zeit zu sein und zeitgemäßes Banking für eine gegenwärtige Kundschaft anzubieten. Sperren sie sich gegen eine Neuausrichtung und ignorieren die Bedürfnisse ihrer Kunden, werden ihnen die Fintechs einen Großteil des Marktes streitig machen - und dies mit Unterstützung einiger weniger Banken, die die Zeichen der Zeit erkannt haben. Spätestens dann wird das Mainstream, was heute vielleicht noch Nische ist.

Zum Autor

Matthias Kröner, Mitglied des Vorstands, Fidor Bank AG, München.

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