Elektronische Kreditvergabe

"Das strenge Schriftformerfordernis hat sich überholt" Interview mit Jan W. Wagner

Bild 14

Im internationalen Vergleich ist die Kreditquote in Deutschland immer noch gering. Gleichwohl rangiert der Kauf auf Pump längst nicht mehr in der einstigen Schmuddelecke. Diesem unverkrampfteren Umgang mit dem Thema Finanzierung, das die Kreditnachfrage steigen lässt, sollte nach Meinung von Jan W. Wagner auch die Regulierung folgen und echte Online-Abschlüsse ermöglichen, wie sie auch bei Versicherungen längst usus sind. Die europäische Verordnung eIDAS ist dazu jedoch nur ein erster Schritt. Ein anderer Wunsch in Sachen Regulierung betrifft die Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie. Hier sollte es Händlern nicht unnötig schwer gemacht werden, in Verbindung mit einem Kredit etwa auch eine Restkreditversicherung mit anzubieten. Red.

Das Umfeld für Konsumentenkredite in Deutschland ist derzeit mit der wachsenden Konsumlaune der Verbraucher gut. Lebt diese Entwicklung nur von der wirtschaftlich guten Entwicklung, gepaart mit den Niedrigzinsen, die das Geldausgeben attraktiver machen als das Sparen? Oder gibt es auch einen Mentalitätswandel hin zu einer generell größeren Offenheit gegenüber dem "Konsum auf Pump"?

Die niedrigen Sparzinsen führen sicherlich dazu, dass Verbraucher ihr Geld lieber ausgeben, als es auf ein niedrig verzinstes Sparkonto zu legen. Teils werden Anschaffungen mit dem Ersparten bezahlt, teils mit günstigen Krediten. Es ist sicher nach wie vor so, dass niemand gerne Schulden hat. Wir beobachten aber in den letzten Jahren einen Trend hin zu einem unverkrampfteren Umgang mit dem Bezahlen in Raten. Die Deutschen denken nun einmal in Monatsraten. Sie erhalten jeden Monat ihr Gehalt, zahlen monatlich Miete und andere Ausgaben wie Kreditraten fürs Haus oder das Auto. Wichtig dabei ist, den Überblick über alle Ausgaben zu behalten. Im Vergleich mit anderen Ländern hat Deutschland im Übrigen eine der geringsten Kreditquoten.

Auch die Ausfallquoten in Deutschland sind im internationalen Vergleich sehr gering. Woran liegt das?

Entscheidend sind natürlich ein effizientes Risikomanagement und ein fundiertes Know-how bei der Kreditentscheidung. Wir müssen auch viele Kreditanfragen ablehnen, um den Verbraucher nicht zu überfordern und um uns vor Zahlungsausfällen zu schützen. Aber gerade bei Zahlungsschwierigkeiten ist es wichtig, den Kunden bestmöglich zu unterstützen und gemeinsam mit ihm nach einer Lösung zu suchen. Dazu haben sich die Mitglieder des Bankenfachverbandes in ihrem Kodex ausdrücklich verpflichtet. Eine Ratenplanänderung kann oft helfen, den Kredit doch noch zurückzuzahlen.

Was uns von anderen Ländern deutlich unterscheidet ist auf jeden Fall die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt. Im internationalen Vergleich hat Deutschland eine der geringsten Arbeitslosenquoten, die sich noch dazu auf einem historischen Tiefstand bewegt. Nur wer Arbeit hat, kann seine Kredite auch bedienen.

Auskunfteien warnen derzeit zum Teil vor einer wachsenden Überschuldungsgefahr der privaten Haushalte. Wie kann das angesichts der geringen Ausfallquoten sein? Ist die Kreditvergabe der Banken also doch nicht so verantwortungsvoll?

Fakt ist, dass die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im fünften Jahr in Folge zurückgeht. Auch die Konsumschulden in Relation zum verfügbaren Einkommen nehmen ab und die Beschäftigungsquote ist auf hohem Niveau. Die mit Abstand wichtigste Überschuldungsursache ist der Verlust der Arbeit.

Natürlich ist Überschuldung ein ernst zu nehmendes Phänomen, das wir ständig beobachten müssen. Wenn allerdings über Jahre hinweg rund 98 Prozent aller Konsumentenkredite zurückgezahlt werden, so spricht dies für sich. Eine verantwortungsvolle Vergabe von Krediten liegt eben nicht nur im Interesse des Verbrauchers, sondern auch der Kreditinstitute.

Rund jeder dritte Ratenkredit in Deutschland wird mit einer Restkreditversicherung abgesichert. Steht dieses Thema immer noch im Fokus der Verbraucherschützer?

Die Restkreditversicherung ist ein freiwilliges Zusatzprodukt zum Kredit, das vor Überschuldung schützen kann. Pauschal von einem Produkt abzuraten, ohne die persönliche Situation eines einzelnen Kunden zu kennen, geht ganz klar am Interesse der Verbraucher vorbei. Genau diese pauschale Verurteilung eines gesamten Produktes praktizieren aber gewisse Teile des Verbraucherschutzes immer wieder gerne.

Was bedeutet die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD für den Vertrieb von Versicherungen in Verbindung mit einer Finanzierung? Können Händler den Schulungsaufwand überhaupt leisten - oder ist eine Lösung in Sicht, bei der der Vermittler sich nur mit den Versicherungsprodukten auskennen muss, die er tatsächlich anbietet?

Die Richtlinie wird derzeit umgesetzt, einen Gesetzentwurf erwarten wir im Sommer dieses Jahres. Es ist davon auszugehen, dass die Umsetzung noch vor der Bundestagswahl abgeschlossen wird. Für Vollvermittler sieht die Richtlinie allein für die Weiterbildung einen Schulungsaufwand von mindestens 15 Stunden pro Jahr vor. Automobil- und Einzelhändler sind dagegen keine hauptberuflichen Versicherungsvermittler, sondern sie bieten Versicherungen nur ergänzend zu ihren Kernprodukten an.

Das sind einfache und standardisierte Basis-Versicherungen wie Kfz-Haftpflicht, Kfz-Kasko sowie Reparatur- und Ratenschutzversicherungen. Deshalb müssen sich die beruflichen Kenntnisse des Vermittlers in Nebentätigkeit auch nur auf die Produkte beziehen, die er tatsächlich vermittelt.

Der Bankenfachverband fordert daher, den Status quo im Versicherungsvertrieb aufrecht zu erhalten, denn bereits jetzt tragen Banken, die eine Finanzierung über einen Vermittler anbieten, die Verantwortung für den gesamten Prozess. Bereits jetzt garantieren sie eine angemessene Sachkunde ihrer Vertriebspartner, die sie regelmäßig schulen. Sollte es zu einer gesetzlichen Schulungsanforderung kommen, so wäre auf jeden Fall die jeweilige Branche der richtige Ansprechpartner.

Mit der europäischen Datenschutzgrundversorgung ist auch das Scoring wieder in die Diskussion geraten. Drohen hier wirklich Datenschutzprobleme beziehungsweise Scoring-Werte mit sehr begrenzter Aussagekraft, weil sie etwa allein auf der Adresse basieren?

Sogenannte Geo-Scores, die auf Adressdaten beruhen, sind für den Versandhandel wichtig. Beispielsweise dann, wenn Händler einem ihnen unbekannten Verbraucher eine Ware zusenden und darauf vertrauen müssen, dass er sie auch bezahlt.

Es wird aber kein potenzieller Kreditnehmer abgelehnt, weil er in der "falschen" Straße wohnt. Hier sind andere Daten ausschlaggebend, wie zum Beispiel Einkommensverhältnisse und Arbeitgeber. Auch unter Geltung der neuen Verordnung wird es wichtig sein, eine solide Datenbasis zu erhalten, die für ein aussagekräftiges Scoring und damit auch für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe nötig sind. Auch wenn jemand der Meinung ist, sein Familienstand gehe keine Bank etwas an: Für die Kreditentscheidung kann dieses Merkmal durchaus wichtig sein, ebenso wie die Zahl der Kinder. Denn danach richtet sich ja gerade, wie viele Personen mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen versorgt werden müssen und wie viel Geld zur freien Verwendung vorhanden ist.

Am PoS gab es schon lange sogenannte Null-Prozent-Finanzierungen. Geht nun der Trend zu "Negativzinsen", bei denen der Kunde für die Kreditaufnahme bezahlt wird? Oder sind derartige Aktionen eher als vereinzelte Marketing-Gags zu bewerten? Und wie finanzieren sich solche Modelle überhaupt?

Die Idee ist eigentlich nicht neu. Es gab ja auch schon Prämien für den Wechsel des Girokontos. Kredit ist aber im Grunde eine Dienstleistung und kostet Geld. Daher sind Kredite zu Negativzinsen eher als Marketingmaßnahme zu verstehen und kein Geschäftsmodell. Es handelt sich eigentlich um Nullprozentfinanzierungen mit einem Kaufpreisrabatt.

Kredite im Handel werden vom Händler in der Regel bezuschusst, um den Warenabsatz zu fördern. Die Bank gewinnt einen neuen Kunden und der Händler steigert seine Verkaufszahlen. Dies lassen sich beide Kooperationspartner etwas kosten. Zu welchen Anteilen, das bleibt ihnen überlassen.

Machen Vertriebspartnerschaften von Banken und Sparkassen mit Spezialanbietern im Bereich Ratenkredit im Umfeld von Negativzinsen überhaupt noch Sinn? Einzelne Banken, die bisher im Ratenkreditgeschäft mit einem Partner zusammengearbeitet und Kredite nur noch vermittelt haben, vergeben ja die Kredite inzwischen wieder selbst ...

Spezialanbieter können Kredite immer kostengünstiger anbieten als Generalisten. Das wird auch in Zukunft so sein. Auch im Niedrigzinsumfeld lässt sich mit Krediten weiterhin Geld verdienen. Und man sollte ja auch nicht davon ausgehen, dass die niedrigen Zinsen ewig bleiben.

Welche Perspektiven bieten sich in diesem Umfeld für die Kreditbanken, die dadurch Vertriebspartner verlieren?

Die Kreditbanken haben sich im Vertrieb schon immer möglichst breit aufgestellt. Ob Filiale, Handel oder Internet oder eben die Kooperationen mit Partnerbanken. Auch was die Digitalisierung angeht, haben die Kreditbanken schon neue Wege eingeschlagen zum Beispiel mit Kredit-Apps. Eben immer so, wie es die Kunden erwarten oder besser noch so, wie sie es morgen erwarten werden.

Zum 1. Juli tritt die EU-Verordnung eIDAS in Kraft. Was bedeutet das für die elektronische Kreditvergabe?

Die eIDAS-Verordnung ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zum digitalen Kreditvertrag. Sie ermöglicht die Anerkennung elektronischer Fern-Signaturen europäischer Anbieter. In Deutschland konnte man bisher nur mit Karte und Lesegerät elektronisch signieren. Der Aufwand, sich diese Gerätschaften anzuschaffen, hat sich aber offenbar für die Mehrzahl der Haushalte schlicht und einfach nicht gelohnt.

Warum ist eIDAS auf dem Weg zum echten Online-Kredit noch nicht ausreichend?

Verbraucher können heute mit wenigen Klicks vom Sofa aus im Internet einen neuen Fernseher bestellen. Mit eIDAS ist es jetzt zwar einfacher geworden, von zuhause aus die zugehörige Finanzierung abzuschließen, es sind aber immer noch ein mehrstufiger technischer Prozess erforderlich, ein Handy, eine Video-Identifizierung. Hier ist das Bestellen noch um ein Vielfaches einfacher und komfortabler als das Finanzieren.

Was müsste sich ändern, um einen echten digitalen Kreditvertrag zu ermöglichen?

Das strenge Schriftformerfordernis für Kreditverträge hat sich überholt. Auch eine Identifizierung des Kunden nach Geldwäschegesetz müsste dringend entfallen, da sie den Aufwand für Kunde und Anbieter unnötig aufbläht. Wer im Internet eine Waschmaschine finanziert, will doch Wäsche waschen und kein Geld. Im Übrigen ist der Kunde umfassend geschützt. Er kann den Finanzierungsvertrag innerhalb der Widerrufsfrist ohne Angabe von Gründen widerrufen und danach jederzeit vorzeitig zurückzahlen.

In der Versicherungsbranche sind digitale Abschlüsse bereits seit längerem üblich, und diese Verträge sind teilweise um einiges komplexer als die Online-Finanzierung eines Haushaltsgeräts. Wenn wir den E-Commerce-Standort Deutschland tatsächlich fördern und die Digitalisierung ernst nehmen wollen, sollte der Gesetzgeber den digitalen Kreditvertrag ermöglichen.

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X