Kontaktloses Zahlen

Mobile Payment- bald Realität oder nur ein Hype?

"In Zukunft bezahlen alle mit ihrem Handy - Mobile Payment ist die Zukunft! " Das ist hochverdichtet das Fazit gemäß folgender Argumentationskette:

1. Die Handyverbreitung ist enorm und jeder Mensch hat bald ein Handy.

2. Das Handy wird zu dem zentralen Device für den Kunden schlechthin; Konsumenten - insbesondere die "digital natives" - gehen eher ohne Portemonnaie als ohne Handy aus dem Haus.

3. Die NFC Technologie ist vorhanden und ausgereift.

4. Durch die Kooperation der Issuer und Mobilfunkgesellschaften wird das Bezahlen jetzt revolutioniert, das mobile Endgerät wird die Karte bald ersetzen.

Wenn man - einen anderen Blickwinkel einnehmend - die bisherige Entwicklung der letzten zehn Jahre in dem Bereich reflektiert - oder beispielsweise die aktuelle Version der "Mobile Contactless Sepa Card Payments Interoperability Implementation Guidelines" (MCPIIGs) (Version 2.0 vom November 2011) des European Payment Council (EPC) detailliert durcharbeitet und einer Bewertung unterzieht - kann man durchaus zu anderen Schlussfolgerungen gelangen.

Abgesehen von weltweit mehr als 150 Pilotprojekten - diese mehrheitlich nur von lokaler Bedeutung - hat sich das mobile Bezahlen bis heute in keinem europäischen Markt durchgesetzt. Viele Projekte wurden mit breiten Medienmitteilungen - teilweise bereits als "pre-commer cial launch" - angekündigt und weitere ambitionierte Ausbaustufen wurden kommuniziert.

So sollte beispielsweise nach "Nice, mobile contactless city" im Jahr 2010 eine Ausbreitung in weiteren französischen Großstädten vollzogen werden. Viel passiert ist aber anscheinend wohl doch nicht mehr und Nizza ist heute Vieles - aber sicherlich keine "mobile contactless city"!

Das Projekt "mobile shopping Sitges 2010" hat sich bisher ebenfalls nicht stubstanziell weiterentwickelt.

Auch in London zu den Olympischen Spiele 2012 wird man bei weitem nicht - wie vor Jahren angekündigt - alles und überall mit dem mobilen Handset zahlen können.

Sixpack in den Niederlanden sollte schon lange lanciert sein, wird aber vor aussichtlich erst 2013 live gehen.

Auch um das "Google Wallet" ist es wieder sehr ruhig geworden, und in Europa sieht man davon bis auf Weiteres noch rein gar nichts. Und mit dem einfachen Aufkleben eines NFC-Stickers auf ein mobiles Gerät hat man das mobile Zahlen eben noch lange nicht verwirklicht.

Angstgetriebenes Engagement? Im "Gartner Hype Cycle" für neue Technologien dürfte die Thematik "Mobile Payments" irgendwo um den Gipfel der über zogenen Erwartungen anzusiedeln sein (siehe Abbildung auf der nächsten Seite):

"Wenn wir es nicht tun, werden es andere tun ..." ist auch eine oft gehörte These, und Namen wie Google oder Apple, die dann in den Markt eindringen sollen, werden schnell genannt. Wenn man aber mit den "Anderen" eine sachliche Diskussion führt, stellt sich als deren Position schnell heraus: "we are not interested in payments".

Insofern basieren viele Mobile-Payment-Initiativen schlichtweg auf der (unbegründeten) Angst, die Zukunft oder eine Mega-Chance zu verpassen. Angst ist aber eine schlechte Basis für Business-Entscheidungen und sollte ersetzt werden durch eine saubere Analyse der Fakten und klare Einschätzung zukünftiger Entwicklungen.

Dabei braucht es wohl den Mut, eben nicht wie die Lemminge einem womöglichen Trend hinterherzuspringen und mit den Wölfen zu heulen, sondern eine differenziertere Position einzunehmen.

Dem Wettbewerb stellen

Sollte wider Erwarten wirklich einer der völlig branchenfremden Player in diese heute klar von Banken beherrschte Domäne "Payments" einsteigen, sollte sich die Kartenindustrie selbstbewusst, aber in aller Bescheidenheit dem zusätzlichen Wettbewerb stellen. Konkurrenz kann das Geschäft beleben.

Die Vorteile der eigenen Lösungen müssen dargelegt werden, der Kunde hat die Auswahl und kann frei entscheiden, welchem Anbieter und/oder System er sein Vertrauen für seine finanziellen Transaktionen respektive seine Konsumausgaben schenken wird.

Dabei wird es dann sehr spannend sein zu sehen, wie das neue Geschäftsmodell in diesem zweiseitigen Markt (Issuing/ Acquiring) konkret aussieht, wie ein völlig neuer Marktteilnehmer ein Netz der globalen PoS-Akzeptanz aufbaut und weltweiten Zugang zu ATM , s sicherstellt, wie die elementaren Kernprozesse wie (sekundenschnelle) Autorisierung und Verbuchung inklusive Clearing und Settlement hochstandardisiert ablaufen und wo die Kontoführung liegt, wie professionell das Risk-Management umgesetzt wird, wie die globalen "rules & regulations" ausformuliert sind, wie man mit notwendigen Sicherheitsstandards (zum Beispiel PCI-DSS) umgeht und welche Fraud-Preven-tion-Systeme greifen.

Neues Geschäftsmodell noch unklar

Der Aufbau eines neuen globalen Zahlsystems ist eine absolute Herkulesaufgabe und aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität des Markets mit verschiedensten Parteien auch nicht trivial und darüber hinaus sehr kostenintensiv. Selbst - teilweise sogar von Banken getriebene - Initiativen wie Payfair, EAPS, Monnet oder V-Pay zeigen deutlich auf, wie anspruchsvoll diese Thematik insgesamt ist. Durchdenkt man das Ecosystem für Mobile Payments, erkennt man die Notwendigkeit einer spezifischen technischen Infrastruktur und der Erweiterung des bisherigen Geschäftsmodells und der traditionellen Wertschöpfungsketten.

Das System wird insgesamt auch deutlich komplexer: Neben den bisherigen Akteuren kommen neue Marktteilnehmer hinzu - das ECP-Dokument erwähnt in diesem Zusammenhang: Mobilfunkgesellschaften, Trusted Service Manager, Secure Element Manufacturers, Anwendungsentwickler (MCP application, AAUI, mobile wallet, mobile equipment manufacturers, NFC equipment manufacturers, organisations performing infrastructure certification (Secure Elements, MCP applications, POI). Und dabei immer noch unklar ist jedoch: Wie sieht das Geschäftsmodell ganz konkret aus; wie wird die Kooperation der Stakeholder in diesem erweiterten Ecosystem insgesamt geregelt?

Komplexe Thematik

Das Zusammenspiel all dieser Akteure muss also klar definiert und standardisiert werden, damit das Ecosystem insgesamt überhaupt im standardisierten und hochvolumigen Massengeschäft funktionieren kann. Für das grundsätzliche Geschäftsmodell und die klare Aufgabenzuweisung (wer macht was?) sind verschiedenste Szenarien vorstellbar; notwendig ist jeweils die Definition der Verantwortlichen, der wesentlichen Basisprinzipien und Prozesse sowie eine Evaluation und Analyse möglicher Servicemodelle. Beispielsweise zeigen Übersichten im EPC-Dokument zum Life Cycle einer "mobile-contactless-payment"-Transaktion allein schon 27 verschiedene Prozesse auf von "inquiry" über "application installation" und "usage" bis hin zur "termination". Und das wiederum für verschiedenste Szenarien und Umsetzungsvarianten - je nach Modell und Ausgestaltung des Ecosystems!

Insgesamt ergeben sich als ganz wesentliche Herausforderungen die Interoperabilität zwischen verschiedenen Trusted Service Managern, der operationelle Set-up zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern - insbesondere zwischen Bankensekor und Mobilfunkgesellschaften - sowie die notwendige Vereinbarung einheitlicher Prozesse und der Aufbau von zielführenden einheitlichen technischen und Sicherheitsstandards.

Und bezüglich der Standards gibt es heute noch eine Vielzahl von Vorgaben oder Empfehlungen verschiedenster Institutionen und Organisationen: ISO, ETSI, EMV -Co, GP, GSMA, Mobey Forum, NFC Forum - und natürlich auch von Mastercard und Visa.

Die oben anskizzierten Bereiche zeigen die Dimensionen, die Vielschichtigkeit und die Komplexität der Thematik in den wesentlichen Punkten kurz auf. Hierzu müssen die "Hausaufgaben" gemacht werden die genannten Herausforderungen gilt es zu adressieren, zu durchdenken und zu analysieren. Und Lösungen sind zu definieren.

Business Case für Emittenten noch unausgereift

Das lässt sich mit viel gutem Willen wahrscheinlich und letztendlich irgendwann und irgendwie bewerkstelligen. Aber noch gar nicht ausgiebig berücksichtigt und im EPC Dokument völlig "out of scope" sind zwei ganz elementare und zentrale Punke: der Business Case (für alle Beteiligen) und das Revenue Model (wer zahlt wem was wann wofür?)!

Ein kleines Beispiel zum noch sehr unausgereiften Business Case für den Kar tenherausgeber: Von vielen Fachexperten wird dieser dadurch als sehr attraktiv bezeichnet, als dass man ja die Kartenproduktionskosten einsparen kann. Wirklich! Bei einer Kartenlaufzeit von mehreren Jahren ist der jährlich Einsparungseffekt - im Vergleich zu den sonstigen Kostenblöcken im Kartengeschäft - eher gering.

Physische Karte behält ihre Berechtigung

Die physische Karte wird auch weiterhin noch sehr lange ihre Berechtigung haben, denn im Vergleich zum heutigen Akzeptanzstellennetz für traditionelle Kartenzahlungen liegt die weltweite Verbreitung von NFC-fähigen PoS-Terminals gerade mal bei etwas mehr als einem Prozent. Und wie soll man denn in der nahen Zukunft ohne Plastikkarte am Geldautomaten Geld beziehen oder an einem Automaten ein Billett kaufen können?

Die globale Umrüstung aller Automaten auf die NFC-Technologie bedarf enormer Investitionen und dürfte sich über Jahre hinweg ziehen. Oder: Wie soll man im Flugzeug mit dem - notwendigerweise ausgeschalteten - Handy seine Waren einkaufen können? Das Bild, dass kurzfristig alle Konsumenten in Europa völlig auf ihr Portemonnaie und die Kartenvielfalt verzichten können und nur noch ihr Handy nutzen werden, ist keine Vision, sondern schlichtweg Unfug.

Die heutigen Bargeldzahlungen am PoS und die steigenden Online-Zahlvorgänge sind ein weiterhin enormes und phantastisches Potenzial für verschiedenste Zahlsysteme, die auch untereinander um die Gunst des Konsumenten konkurrieren.

Durchsetzen werden sich die Zahlverfahren, die den wesentlichen Anforderungen der Marktteilnehmer gerecht werden.

Kunden wollen einfach, sicher und bequem bezahlen können - traditionelle Kartenzahlungen bieten bereits heute diese geforderte Convenience. Und mit der Weiterentwicklung zu kontaktlosen Kartenzahlungen (NFC-basiert) wird ein noch schnelleres Bezahlen durch ein einfaches "tap and go" mit der Karte am Point of Sale ermöglicht. Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wäre der Zahlvorgang mit dem Handy wirklich einfacher als mit der Karte?

Ein breites Akzeptanznetz ist ebenfalls eine zentrale Kundenanforderung. Visa und Mastercard sind mit weltweit 30 Millionen Akzeptanzstellen gut positioniert, die Akzeptanz für die NFC-basierten Lösungen Paypass und Paywave ist jedoch noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Und jedes neue System muss sich dieser "Henne-Ei-Thematik" stellen. Viele Initiativen sind daran schon gescheitert oder in regionaler Bedeutungslosigkeit versunken.

Kartensysteme punkten bei Akzeptanz und Sicherheit

Sicherheit - real und gefühlt - ist eine Anforderung, der sich jedes neue Zahlsystem stellen muss. Auch hier punkten die traditionellen Kartenzahlungen dank der bisher getätigten Investitionen in modernste Chiptechnologie, Fraud-Prevention-Systeme und Maßnahmen wie beispielsweise 3-D-Secure zum sicheren Onlineshopping.

Kosten, insbesondere die zusätzlichen Investitionen in ein neues Zahlsystem für den jeweiligen Marktteilnehmer, sind zu berücksichtigen. Speziell ein Händler fokussiert sich bei der Beurteilung rasch auf den Kostenblock und negiert den Nutzen (Reduktion Bargeldhandling und damit verbundene Kosten, Mehrumsatz) eines bargeldlosen Zahlsystems. Und für einen Issuer muss die Einführung eines zusätzlichen Systems auf einem attraktiven Business Case basieren.

Evolutionäre Entwicklung....

Der Markt der "Consumer-Payment-Methode" unterliegt weiterhin einer evolutionären Entwicklung und einem kontinuierlichen Transformationsprozess - die heutige Realität zeigt folgendes Bild und die sich abzeichnenden Trends.

Insgesamt gesehen sind in Europa am PoS immer noch die Zahlungen mit Bar geld (also traditionelle Münzen und Geldscheine! ) absolut führend. Die - vergleichsweise jungen und in den letzten über 40 Jahren deutlich gestiegenen - Kartenzahlungen (Debit- und Kredit) werden das Bargeld weiterhin kontinuierlich substituieren - "less cash" ist ein klarer Trend, aber bargeldlos wird unsere Gesellschaft nicht so rasch werden.

Im Distanzgeschäft hat sich die Kreditkarte als Zahlungsmedium absolut etabliert, ist weiterhin auf dem Vormarsch und in einer hervorragenden Ausgangslage gegenüber anderen Zahlungssystemen. Dabei gewinnt das mobile Zahlen natürlich an Bedeutung: Die Kunden nutzen das Handy als Zugangsmedium zum Internet und können über diesen Kanal - anstatt von daheim oder vom Büro aus über den traditionellen PC - Waren und Dienstleistungen einkaufen. Gerade durch jüngere Konsumenten - insbesondere mit höherer Bildung, höherem Einkommen und einem White-Collar-Job, völlig vertraut mit dem Internet und der "Online-Welt"und frühzeitig an das Medium Karte herangeführt werden sich diese Entwicklungen weiter akzentuieren.

Darüber hinaus gab es, gibt es auch jetzt und wird es auch in der Zukunft immer wieder geben: neue Initiativen für neue Payment-Lösungen oder mobile Zahlsysteme, die einen Markteintritt wagen. Dabei bleiben dann gewisse Systeme - eben weil sie die Grundanforderungen, und sei es nur in Teilbereichen, an ein Zahlsystem nicht vollumfänglich zu erfüllen vermögen - auf der Strecke (zum Beispiel Paybox in Deutschland oder Vanilla in der Schweiz); andere Systeme werden sich allenfalls in spezifischen Nischen etablieren können (zum Beispiel Paypal) - der Markt ist insgesamt sicherlich groß genug für vereinzelte Nischenlösungen.

Die Bedeutung der einfachen, etablierten, traditionellen und weltweit einheitlichen Plastikkarte als Zahlungsmittel für den privaten Konsumenten am PoS und im Onlinebereich wurde bisher durch eine kontinuierliche und konsequente Weiterentwicklung (Beispiel Rritsch-Ratsch-Abwicklung, Magnetstreifen, EMV-Chip und PIN@POS, NFC-Technologie) sichergestellt und wird auch weiterhin Bestand haben.

... aber keine "disruptive revolution"

Eine "disruptive revolution" durch ein völlig neues, mobiles Zahlsystem ist in Europa kurzfristig nicht zu erwarten - insofern ist die aktuelle Euphorie nahezu der gesamten Branche um das Thema "Mobile Payments" stark von einem sehr optimistischen Wunschdenken geprägt und wohl eher als Hype einzustufen.

Prognose 2020: Im Verlauf der längerfristigen Entwicklung ist die weitere Verschmelzung von "Payment" und "mobile" und die damit verbundene Integration der Dienstleistung "Payment" in mobile Endgeräte sehr wahrscheinlich; Zahlungen über das Medium Handy werden selbstverständlich deutlich zunehmen. Die mobilen Kunden gehen mobil in das Internet und tätigen ihre "Onlineeinkäufe" und kaufen so beispielsweise ihre Bahn- oder Flugtickets; der Anteil der mit dem Handy abgewickelten Zahlungen am physischen PoS wird jedoch lediglich erst im einstelligen Prozentbereich liegen und die PoS-Zahlungen mit der klassischen Karte nie vollständig ersetzen.

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