Schwerpunkt Kommunalkredit

Neue Bankenregulierung - Gefahr für den Kommunalkredit?

Die Pfandbriefbanken gehören zu den traditionellen Finanzierern des Bundes, der Länder und nachgeordneter Gebietskörperschaften, den Gemeinden. Mit einem Zusagevolumen von insgesamt 53 Milliarden Euro entfiel 2010 reichlich ein Drittel ihres deckungsfähigen Neugeschäfts auf das Geschäftsfeld Staatsfinanzierung. Mit einem Deckungsbestand von 73 Milliarden Euro erreichte der Marktanteil der Pfandbriefbanken im Jahr 2010 bei Darlehen an Gemeinden und Gemeindeverbände in Deutschland 43 Prozent. Ein enges regulatorisches Korsett droht der traditionell niedrigmargigen Staatsfinanzierung dieser Institute nun sehr enge - zu enge? - Grenzen zu setzen. Steht der Kommunalkredit in seiner bisherigen Form vor dem Aus?

Als Folge der Beschlüsse der G20 auf ihrem Treffen in Pittsburgh im September 2009 hat der Baseler Ausschuss im Dezember 2010 ein erweitertes aufsichtliches Rahmenwerk - Basel III - veröffentlicht. Neben schärferen Anforderungen an das regulatorisch anerkennungsfähige Eigenkapital und einheitliche Liquiditätsanforderungen wurde auch eine nicht risikobasierte Kennziffer, die sogenannte Leverage Ratio, in Ergänzung zu den risikobasierten Regelungen von Basel II vorgestellt. Die neue Kennziffer ist zunächst als aufsichtliche Meldeziffer in Säule II verankert, jedoch mit der Option, sie nach einer Beobachtungsphase zu einem späteren Zeitpunkt als verbindlich einzuhaltende Kennziffer in Säule I zu verankern.

Die Leverage Ratio definiert eine Schuldenobergrenze, bei der das Eigenkapital ins Verhältnis zur Bilanzsumme sowie außerbilanziellen Positionen wie unter anderem auch Derivate gesetzt wird. Sie wurde auf drei Prozent festgelegt. Das bedeutet, dass die Bilanzsumme und die außerbilanziellen Geschäfte das 33,3-Fache des Kernkapitals (sogenanntes Tier 1-Kapital) nicht überschreiten dürfen. Lediglich während der bis Ende 2017 laufenden Beobachtungsphase wird zusätzlich das Gesamtkapital (Tier 1 und Tier 2) als Bezugsgröße herangezogen.

Die Beobachtungsphase hat bereits begonnen. Bis Ende des Jahres 2014 ist die Leverage Ratio von den Kreditinstituten ausschließlich an die Aufsicht zu melden. Ab 2015 müssen die Kreditinstitute die Kennziffer auch veröffentlichen. Nach Ende der Beobachtungsphase ist die Umwandlung der Leverage Ratio als verbindlich einzuhaltende Kennziffer frühestens ab 2018 möglich. Die Entscheidung darüber soll nach derzeitiger Planung im Jahr 2017 fallen. Die Regelungen aus Basel III werden aktuell im Rahmen der Überarbeitung der Capital Requirements Directive (CRD IV) auf europäischer Ebene umgesetzt.

Die Einführung einer Leverage Ratio als feste Kennziffer würde mit der Staatsfinanzierung eines der Kerngeschäftsfelder der Pfandbriefbanken nachhaltig infrage stellen. Als kreditrisikoarmes und niedrigmargiges Geschäft kann es in profitabler Weise nur großvolumig und unter Einsatz erheblicher Fremdkapitalmittel betrieben werden. Eine feste Schuldenobergrenze würde die Fortführung dieses Geschäfts in seinem bisherigen Umfang ernsthaft gefährden.

Herausforderungen

Mit dem Konzept der Leverage Ratio wird das Staatsfinanzierungsgeschäft von zwei Seiten in die Zange genommen: zum einen durch die aufsichtliche Beschränkung der Fremdfinanzierung und zum anderen durch die geringe Eigenkapitalbasis, die zur Ermittlung der Schuldenobergrenze herangezogen wird. Denn das geringe Kreditrisiko des Staatsfinanzierungsgeschäfts bewirkt seine Risikogewichtung von null Prozent. Auf Staatsfinanzierung spezialisierte Institute wären von einer verbindlich einzuhaltenden Leverage Ratio daher empfindlich betroffen. Aber auch die meisten breit aufgestellten Kreditinstitute überprüfen vor dem Hintergrund der Leverage Ratio ihre Geschäftsausrichtung und stellen niedrigmargige Geschäftsfelder wie die Staatsfinanzierung auf den Prüfstand. Tatsächlich könnte die Einführung der Schuldenobergrenze Anreize für die Verfolgung einer deutlich risikoreicheren Geschäftspolitik bringen - ein eigenartiges Ergebnis regulatorischen Handelns nach der Finanzkrise.

Mit einem Marktanteil von deutlich über 40 Prozent gehören die Pfandbriefbanken zu der bedeutendsten Gruppe von Finanziers der öffentlichen Gebietskörperschaften. Die Einführung der Leverage Ratio würde auch ihr traditionelles Kommunalkreditgeschäft aufgrund der Null-Pro-zent-Gewichtung öffentlicher Schuldner und der niedrigen Margen in diesem Geschäftsfeld infrage stellen. Die Institute stehen vor der Wahl, entweder ihr Kernkapital zu erhöhen oder Bilanzvolumen abzubauen. Ein Beispiel: Ausgehend von einem Gesamtbestand an Buchkrediten an Gemeinden und Gemeindeverbände inländischer Kreditinstitute in Höhe von 168 Milliarden Euro per Dezember 2010 entstünde der Kreditwirtschaft allein für diese Geschäftsart ein einmaliger zusätzlicher Bedarf an hartem Tier 1-Kapital in Höhe von etwa fünf Milliarden Euro, um sich für eine harte Leverage Ratio zu rüsten.

Die Kreditinstitute müssten aufgrund derartig erhöhter Eigenkapitalkosten mindestens ihre Margenanforderungen im Staatsfinanzierungsgeschäft deutlich anheben, um das Geschäft in betriebswirtschaftlich vertretbarer Weise zu betreiben. Die angebotsseitige Verknappung des Kredits würde die - bedingt durch die stärkere Kreditdifferenzierung seitens der kreditgebenden Banken - bereits heute schwierige Refinanzierungssituation der Kommunen auf breiter Front weiter verschärfen. Insbesondere die Gebietskörperschaften, für die eine direkte Mittelaufnahme am Kapitalmarkt aus wirtschaftlichen Gründen wegen ihrer geringen Größe nicht sinnvoll ist - und dies sind die meisten deutschen Kommunen - bekämen diese Mittelverknappung unmittelbar zu spüren. Da die Ergiebigkeit des Marktes für die Aufnahme von Tier 1-Kapital jedoch beschränkt ist, ist der planmäßige Abbau von Bilanzvolumen, die Einstellung des Staatsfinanzierungsgeschäfts, naheliegend. Eine gewisse Zurückhaltung der Institute im Vorgriff auf die Leverage Ratio ist heute tatsächlich bereits erkennbar.

Die Übernahme der traditionellen Staatsfinanzierungsfunktion durch andere Bankengruppen wie zum Beispiel die Förderbanken erscheint indes unwahrscheinlich, da auch diese Institute überwiegend den neuen regulatorischen Anforderungen unterliegen werden. Es muss daher mit einer deutlichen Verknappung und Verteuerung der an den Kreditmärkten verfügbaren Mittel für Gemeinden gerechnet werden.

Perspektiven

Die Europäische Kommission scheint der Einführung einer Leverage Ratio insbesondere ihrer Verankerung in Säule I - eher skeptisch gegenüberzustehen. Ebenso wie in Basel III ist als erster Schritt eine Beobachtungsphase vorgesehen. Für die Pfandbriefbanken ist der Verbleib der Leverage Ratio als Meldekennziffer in Säule II entscheidend. Für den Fall ihrer Überführung in Säule I müsste hilfsweise an eine Privilegierung bestimmter kreditrisikoarmer Geschäftsfelder gedacht werden. Diese könnte dadurch erfolgen, dass sich die Bemessung der Leverage Ratio an der "Umlaufgrenze" des ehemaligen Hypothekenbankgesetzes orientiert, die für spezialisierte Institute das 60-Fache des Eigenkapitals betrug.

Wichtig für die Pfandbriefbanken ist die baldige Festlegung durch die Politik. Auf keinen Fall sollte die bestehende Unsicherheit über die Einordnung der Leverage Ratio bis Ende 2017 fortbestehen, da die Geschäftsmodelle wegen der Anforderungen der Marktteilnehmer - der Analysten, Investoren und Ratingagenturen - im Vorgriff auf die mögliche Einführung der Leverage Ratio als verbindlicher Kennziffer bereits heute angepasst werden. Andernfalls droht die Regulierung - mit Blick auf den Titel dieses Beitrags - tatsächlich zu einem Risiko eigener Art für die herkömmliche Kommunalfinanzierung in Deutschland zu werden.

Jens Tolckmitt , Hauptgeschäftsführer , Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) e.V., Berlin
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