Markt- und Objektbewertung

Transparenz für die Gewerbeimmobilienbewertung dank Datenbanken?

Prof. Dr. Gerrit Leopoldsberger, FRICS MAI, Dr. Leopoldsberger + Partner Immobilien- und Grundstückssachverständige, Frankfurt am Main

Groß sind die Visionen mancher digitaler Vordenker im Bereich der Gutachtenerstellung für Gewerbeimmobilien. Mithilfe von "Big Data" und "künstlicher Intelligenz" sollen ihnen zufolge schon bald vollautomatisierte Bewertungsprozesse der Liegenschaften möglich sein. Der Autor des folgenden Beitrags tritt diesbezüglich auf die Euphoriebremse. Er macht darauf aufmerksam, dass es schlicht zu wenige Transaktionen in diesem Marktsegment gebe, um die dafür benötigte Datenbasis gewährleisten zu können. Selbst im Wohnungsmarkt ließen sich aktuell nicht genug Marktdaten generieren. Insgesamt geht er davon aus, dass die Digitalisierung einige Abläufe zwar schneller machen wird. Im Bereich der gewerblichen Immobilienbewertung werde es jedoch noch lange mehr "natürlicher" Intelligenz als "künstlicher Intelligenz" bedürfen. Red.

Ein Schlagwort in der Branche war dieses Jahr "Big Data", ein anderes "künstliche Intelligenz", "Digitalisierung" ein drittes. Zusammen sollen sie mittelfristig vieles schneller und effizienter machen. Die Erwartungen sind immens. Dies gilt auch für die Prozesse der Gutachtenerstellung. Da wird von vollautomatischer Gutachtenerstellung geträumt; auch für gewerbliche Immobilien. Die Zielvorstellung: Eine App, die mit einem Objektfoto gefüttert wird, dann den Verkehrswert ermittelt und am besten gleich ein entsprechendes Gutachten ausdruckt.

Die Sache hat allerdings einen Haken, der größer ist, als das "big" in "Big Data": Durch die Flut der Marktreports - natürlich im Wesentlichen für die Topstandorte - und diversen täglichen Newsletter wird übersehen, dass die Ausgangsbasis "Big Data" gar nicht zur Verfügung steht. Dies ist weniger ein technisches Problem, sondern liegt daran, dass der "Markt" als solcher gar nicht so "big" ist.

Die Datenbank der Immobilien-Zeitung (IZ) weist für den deutschen Markt über 40 000 Marktberichte aus. Die Co-Star-Tochter Thomas-Daily führt in ihrer Datenbank über 18 000 Berichte, wobei in dieser Zahl auch ausländische Immobilienmärkte enthalten sind. Das ist die eine Seite der Marktwahrnehmung; doch diese ist lediglich auf die Anzahl der Reports bezogen. Wie viele Fakten - echte Marktdaten - stecken in diesen Reports? Wie viele Informationen sind redundant? Welche Informationen sind davon relevant?

Viele Marktberichte, aber nur wenige Preisinformationen

Tatsächlich berichten IZ und Thomas-Daily über deutlich weniger als 900 Transaktionen von Investmentimmobilien pro Jahr. Damit ist jedoch nur die bloße Erwähnung der Transaktion in der Presse gemeint. Echte Marktfakten, beispielsweise im Sinne von Kaufpreisen, lagen bei den genannten Pressehäusern nur in rund 150 Fällen respektive 130 Fällen vor. Es darf unterstellt werden, dass sich diese Veröffentlichungen im Wesentlichen auf die gleichen Objekte beziehen und sich somit eine Addition der beiden Zahlen verbietet.

150 Transaktionen für ganz Deutschland über alle Arten von Investmentimmobilien - Büro-, Handels-, Logistik- und Gesundheitsimmobilien um nur die größeren zu nennen - hinweg ist natürlich nicht die Datengrundlage, die es für "Big Data" braucht. Da es in Deutschland bekanntlich die Gutachterausschüsse gibt, könnten dort deutlich mehr Daten zur Verfügung stehen, als dies aus den einschlägigen Veröffentlichungen ersichtlich ist.

Unter 3 000 Transaktionen pro Jahr für ganz Deutschland

Der "Immobilienmarktbericht Deutschland der Gutachterausschüsse in der Bundesrepublik Deutschland" hat 2 930 Transaktionen von Büroimmobilien registriert. Allerdings stammt die letzte Ausgabe dieses Reports von 2015 und die genannte Zahl bezieht sich auf das Jahr 2014. Das Alter der Datenlage ist in diesem Fall jedoch ohnehin zu vernachlässigen, da Informationen auf Einzelobjektebene nicht zur Verfügung stehen und die veröffentlichten Auswertungen nicht unbedingt dem entsprechen, was Immobilienmarktteilnehmer an Marktdaten erwarten. So überrascht der "Immobilienmarktbericht Deutschland" mit einer Auswertung der Anzahl der Transaktionen je Bundesland in Bezug auf jeweils 10 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort. Da bedarf es sehr viel "künstlicher Intelligenz", um aus dieser Information marktrelevante Fakten abzuleiten.

Die Gesamtzahl von unter 3 000 Transaktionen pro Jahr für das gesamte Bundesgebiet zeigt deutlich, dass der "Markt" bei Weitem nicht so groß ist, wie es die Anzahl der Marktberichte suggeriert. Nur zur Erinnerung: Die Anzahl der Kreise beziehungsweise kreisfreien Städte in Deutschland beträgt rund 400; im Mittel wären dies folglich 7,5 Verkäufe je Kreis beziehungsweise Stadt. Das Problem der Durchschnittsbildung ist bekannt. Aber selbst in Frankfurt am Main sind in den Jahren 2014 bis 2016 jeweils weniger als 75 Büroobjekte gehandelt worden, lediglich die zehnfache Anzahl des Bundesmittelwerts. Eine einfache Google-Suche nach Büromarktberichten in Frankfurt für den gleichen Zeitraum zeigt, dass es - rein rechnerisch - pro zwei Transaktionen einen "neuen" Marktbericht gibt.

Noch deutlicher wird das Missverhältnis von Berichten zu Verkäufen, wenn statt Büros Handelsimmobilien betrachtet werden. Ausweislich der Veröffentlichung des Frankfurter Gutachterausschusses wurden in den Jahren 2014 bis 2016 fünfzehn Handelsimmobilien veräußert: in Summe. Den durchschnittlich fünf Transaktionen standen - gemäß den einschlägigen Datenbanken - mehr als 15 Reports gegenüber: im Jahr. Dies stellt keine Ausnahme dar, sondern die Regel. Für die letzten sechs Jahre wurden durchschnittlich 24 Berichte pro Jahr mit Bezug zum Frankfurter Handelsimmobilienmarkt angeboten.

Nicht nur das Verhältnis von Marktberichten zu tatsächlich erfolgten Transaktionen, sondern die absolute Anzahl der Transaktionen überhaupt zeigt das Problem für "Big Data", "künstliche Intelligenz", Digitalisierung und Co. auf: Es gibt faktisch zu wenige Transaktionen. Dies gilt insbesondere für Gewerbeimmobilien - aber nicht nur dort, wie folgende Überlegungen zeigen.

Höhere Datenverfügbarkeit im Wohnungsmarkt?

Berlin ist der größte Wohnungsmarkt in Deutschland. Wenn es irgendwo genug Transaktionen gibt, dann sicherlich dort. Um eine Wohnung preislich einigermaßen einordnen zu können, müssen einige Parameter bekannt sein. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären beispielsweise folgende Daten zu erheben: die Lage in der Stadt, das Baujahr, die Wohnungsgröße, die Lage im Objekt und einige wenige Informationen zur Ausstattung. Die Lage in der Stadt kann vereinfacht durch die Stadtteile erfasst werden. In Berlin sind dies insgesamt 96. Für das Baujahr oder alternativ das Jahr der letzten Modernisierung wären Altersklassen zu bilden.

Über die Anzahl und Abgrenzung kann diskutiert werden. Grundsätzlich dürfte Einigkeit erzielt werden, dass Bauten vor dem 2. Weltkrieg, solche aus der Wiederaufbauphase bis zur Erdölkrise und solche danach sowie Objekte nach der Wiedervereinigung beziehungsweise Neubauten zu unterscheiden sind. Bei einer solchen Minimalklassifizierung ergeben sich fünf Altersklassen. Alternativ kann auch die Gruppierung des Gutachterausschusses von Berlin herangezogen werden, der sieben Klassen bildet. Die Wohnungsgrößen könnten nach Quadratmetern klassifiziert werden oder nach der Anzahl der Zimmer. Um es einfach und übersichtlich zu halten, wird die Größe nach der Zimmeranzahl gewählt: 1-Zimmer-Appartment, 2-Zimmer-, 3-Zimmer-, 4-Zimmer-Wohnungen sowie Wohnungen mit mehr als vier Zimmern. Somit ergeben sich fünf Größenklassen.

Für die Lage im Objekt werden nur die Informationen Erdgeschoss, Dachgeschoss oder anderes Geschoss herangezogen. Folglich gibt es drei weitere Kategorien. Soll schließlich noch die Ausstattung rudimentär mitberücksichtigt werden, müssten beispielsweise Informationen vorliegen, ob ein Balkon, Gäste-WC oder ein Stellplatz vorhanden ist oder nicht. Es ergeben sich folglich 60480 Variationen. Gemäß der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt sind im Jahr 2015 26263 Eigentumswohnungen veräußert worden.

Groß ist nicht groß genug

Im Ergebnis wären folglich nur bei 45 Prozent der Variationen Informationen verfügbar, wenn eine Gleichverteilung der Transaktionen aus Vereinfachungsgründen unterstellt wird. Selbst unter Berücksichtigung von Paketverkäufen und über alle Immobilienarten hinweg gab es in Berlin im Jahr 2015 "nur" 35244 Transaktionen. Folglich ist der gewählte Teilmarkt "Wohnungseigentum" mit einem Anteil von fast 75 Prozent bereits das mit Abstand größte Marktsegment.

Selbst im größten Marktsegment und in der größten deutschen Stadt werden nicht genug Marktdaten generiert, als dass genügend Daten für "Big Data" zur Verfügung stehen würden. Dies wird insbesondere deutlich, wenn ein Vergleich mit Bereichen gezogen wird, in denen "Big Data" tatsächlich "big" ist: Zahlungen mit Kreditkarten zum Beispiel, die in Deutschland im Jahr rund eine Milliarde Mal durchgeführt werden, Nutzung von Bewegungsdaten im ÖPNV, die auf zehn Milliarden im Jahr geschätzt werden oder minütlich auswertbare Börsenkurse über einen fast beliebig langen Zeitraum.

Die Digitalisierung wird einige Abläufe schneller machen, einige Datenerhebungen vereinfachen - jedoch wird es im Bereich der Bewertung von gewerblichen Immobilien im Allgemeinen und von Investmentobjekten im Speziellen noch lange mehr "natürlicher" Intelligenz als "künstlicher Intelligenz" bedürfen. Die App, die vom Objektfoto zum Marktwert und automatisch generierten Gutachten kommt, wird eine Wunschvorstellung bleiben.

Der Autor Prof. Dr. Gerrit Leopoldsberger, FRICS MAI, Dr. Leopoldsberger + Partner Immobilien- und Grundstückssachverständige, Frankfurt am Main
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