Leitartikel

Die Auferstehung des europäischen Verbriefungsmarktes

Zu den populärsten Irrtümern der Menschheit zählt bekanntlich die Verwechslung von Auslöser und Ursache. So wurde die Finanzkrise häufig mit einer herabstürzenden, alles mit sich ziehenden Lawine verglichen, ausgelöst durch amerikanische Subprime-Verbriefungen, was zweifellos richtig beobachtet ist. Doch ist der Auslöser auch die Ursache? Jeder Lawinenabgang hat einen Auslöser, einen Skifahrer, einen darüber fliegenden Helikopter, eine Maus oder auch nur ein ins Rutschen kommender kleiner Schneeball. Was die eine Lawine größer macht als die andere hat nichts mit der Größe und Bedeutung ihres Auslösers zu tun, sondern ist Ergebnis der insgesamt instabilen Formation verschiedener, aufeinander gelagerter Schneemassen. In der Lawinenprävention geht man daher dazu über, instabile Formationen frühzeitig zu sprengen.

Ähnlich ist die Instabilität des Weltfinanzsystems das Ergebnis verschiedener, ineinandergreifender Faktoren. Die jahrelange Niedrigzinspolitik führte zu einer beispiellosen Kreditexpansion - insbesondere in den USA -, hinzu kommen sich auftürmende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte mit entsprechenden Kapitalanlageströmen von dem Überschuss in die Defizitländer und ein Strauß politischer Maßnahmen, wie zum Beispiel die Aufnahme der südeuropäischen Abwertungsländer in das europäische Währungssystem, die dazu beitrug, dass das Kreditrisiko dieser Länder von Investoren über lange Jahre vor der Krise systematisch unterschätzt und unterpreist wurde. Dies sind die wesentlichen Ursachen des heute fragilen Weltfinanzsystems. Doch der Auslöser war unbestritten der Zusammenbruch des US-Subprime-Marktes.

Insbesondere in Deutschland sind Verbriefungen in Verruf geraten, da deutsche Banken stärker als ihre Konkurrenten in anderen Ländern in den US-Subprime-Markt investierten. Deutschland ist ein Exportüberschussland. Schon aus der buchhalterischen Logik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung heraus ergibt sich, dass deutsche Banken in hohem Maße als Kapitalexporteure unterwegs sein müssen, denn die volkswirtschaftliche Kapitalbilanz ist das notwendige Spiegelbild der Leistungsbilanz. Hinzu kam 2005 im Zuge der Abschaffung der Garantien für den öffentlichen Bankensektor und dessen letztmaliger Option, sich bis zu zehn Jahre zu AAA zu finanzieren, eine hohe Überliquidität, die im Ausland nach Anlagemöglichkeiten suchte. Die USA hingegen hatten hohe Außenhandelsdefizite, hohe Kapitalimporte und einen boomenden Immobilienmarkt, der weltweites Kapital mit Extrarenditen anzog. Als der amerikanische Immobilienmarkt 2006/2007 kippte, folgten auch die darauf aufbauenden Finanzierungen und ein Abgrund von Unsolidität in dem ganzen US-Finanzierungsgebäude tat sich auf - insbesondere bei den sogenannten Subprime-Finanzierungen, das heißt den in den USA politisch gewollten und geförderten Baufinanzierungen an arme Kreditnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Im Gefolge der amerikanischen Subprime-Krise wurden in Deutschland von der politischen Öffentlichkeit alle Verbriefungen mehr oder weniger in einen Topf geworfen und mit einem Generalverdacht belegt. So entstand der Eindruck, es gäbe ein deutsches oder europäisches Verbriefungsproblem. Doch die Fakten stützen dies nicht.

Nach einer Auswertung von S&P beträgt die kumulierte Ausfallrate europäischer Verbriefungen im Zeitraum Q3 des Jahres 2007 bis erstes Halbjahr 2010 bei den gerateten Tranchen lediglich 0,65 Prozent (für die USA beträgt der entsprechende Wert über sechs Prozent! ). Bezogen auf ein zu Krisenbeginn ausstehendes europäisches Verbriefungsvolumen von 1,9 Billionen Euro entspricht dies einem Ausfallvolumen von etwa zwölf Milliarden Euro. Die letztlich daraus resultierenden Verluste sind aufgrund von Verwertungserlösen nochmals niedriger. Zwar ist kein Kreditprodukt unbeschadet durch die Krise gekommen, doch europäische ABS haben im Vergleich zu anderen Kapitalmarktsegmenten gut abgeschnitten. Denn betrachtet man als "Benchmark" zum Beispiel die Entwicklung von Bank- und Unternehmensanleihen, so liegen die Defaults im Zeitraum 2007 bis 2009 ebenso wie der Anteil der Ratingherabstufungen deutlich höher als bei Verbriefungen. Und selbst die Ausfälle auf europäische Staatsanleihen wären bereits bei einem Haircut von 30 Prozent für griechische Anleihen über europäischen ABS liegend - und man denke daran: Nur mit der Griechenlandrettung im Mai dieses Jahres konnten weit höhere Haircuts vermieden werden. Man kann daher mit Fug und Recht sagen: Die Performance europäischer ABS während der Finanzkrise stellt andere Kapitalmarktsegmente in den Schatten.

Was für Europa gilt, gilt erst recht für Deutschland. Deutsche Autokredit-, deutsche Leasing-, deutsche Mittelstandskreditverbriefungen haben sich in der Krise bewährt. Teilweise - wie zum Beispiel bei Autoverbriefungen und dem überwiegenden Teil der Mittelstandskreditverbriefungen - liegen die Ausfälle während der Krisenjahre noch unter den Erwartungswerten der Zeit vor der Krise, die 2007 ihren Anfang nahm.

Doch die anfängliche Gleichsetzung des Auslösers der Krise mit der Ursache der Krise hat weltweit die Aufmerksamkeit von Gesetzgebung und Aufsicht auf die Verbriefungsmärkte gelenkt. Im Kern sind folgende vier Regulierungen beschlossen beziehungsweise in Vorbereitung: strenge Due-Diligence-Auflagen für beaufsichtigte ABS-Investoren, weitgehende Transparenzverpflichtungen, Risikobeteiligung bei verbriefenden Banken sowie eine Verschärfung der EZB-Anforderungen für Repogeschäfte mit ABS. Hinzu kommt, dass die Ratingagenturen ihre Ratingkriterien für ABS in den letzten Jahren erheblich verschärften.

Diese Maßnahmen werden nachhaltig dazu beitragen, das Ansehen von ABS bei Investoren zu heben und die bereits hohe Qualität europäischer ABS zu unterstreichen. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen betreten jedoch Banken, Politik und Aufsicht Neuland. Entsprechend kommt es darauf an, Sicherheit zu schaffen. Nationale Sonderwege, die das Level Playing Field in Europa verschieben, deren Wirkungen und Interdependenzen nicht abschätzbar sind, sind dabei nicht hilfreich - zumal vor dem Hintergrund der Marktentwicklung sich in Europa das Blatt langsam wendet. Nach dem Markteinbruch 2007/2008 gibt es 2010 wieder öffentliche Transaktionen, am Ende des Jahres werden es wahrscheinlich europaweit etwa 70 bis 80 Milliarden Euro sein. Auch viele deutsche Verbriefungen sind an den Markt gegangen, so mehrere Autokredit- und Autoleasingverbriefungen.

Die realistische Abwägung der Risiko-/Renditeprofile bei Investoren fällt zunehmend wieder zugunsten von ABS aus. Korrespondierenden Röhren gleich hat der tiefe Einbruch auf den ABS-Märkten nach 2007, beflügelt von der Liquiditätszufuhr der Zentralbanken, bei Unternehmensanleihen zu einem Kauf- und Emissionsboom geführt mit entsprechend niedrigen Renditen und hohen Kursen.

Die Auferstehung der Verbriefungsmärkte ist begleitet von einem Käuferverhalten, das sich gründlich und differenziert mit den Underlyings, das heißt den verbrieften Krediten und der dahinterstehenden Kreditvergabepolitik und Kreditbearbeitung sowie den Transaktionsstrukturen beschäftigt - und dies nicht nur, weil im Rahmen der neuen europäischen CRD- Vorgaben und ihrer nationalen Umsetzung beaufsichtigte Investoren zu einem sorgfältigen Due Diligence angehalten sind. Die gesetzlichen Vorgaben korrespondieren mit den Learnings und internen Vorgaben und Prozessen infolge der US-Subprime-Erfahrungen.

Um die Qualität europäischer Prime-Verbriefungen als Qualitätsmarke besser sichtbar zu machen, gab es nach Ausbruch der Krise auf europäischer Ebene, aber auch in Deutschland, Diskussionen wie ein derartiges Qualitätssegment aussehen soll. Während die europäischen Diskussionen noch nicht abgeschlossen sind, haben die deutschen Banken gemeinsam mit Investoren im Rahmen der TSI die Anforderungen an ein deutsches Qualitätssegment definiert, das seit Mitte 2010 auch mit der TSI-Zertifizierung als "Certified by TSI - Deutscher Verbriefungsstandard" zur Verfügung steht und bereits in mehreren öffentlich platzierten Transaktionen zwischenzeitlich angewendet wurde.

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