Euro

Warum denn keine Euro-Bonds?

Dietmar K. R. Klein, Bundesbankdirektor a. D., Frankfurt am Main

Deutschland werde der Emission von Euro-Bonds zu einem Einheitszins nicht zustimmen, so lauten die politischen Nachrichten aus Berlin, aber auch viele Zeitungskommentare und andere Stimmen aus Deutschland haben diesen Tenor. In reißerischer Aufmachung heißt es zum Beispiel mit Bezug auf eine einfach gestrickte Berliner Rechnung und an die nationale Adresse mit Kopie an Brüssel gerichtet: "Deutsche sollen wieder zahlen. Euro-Bonds würden 17 Milliarden kosten", natürlich Jahr für Jahr und allein für mehr Zinsen. Grund für die 17-Milliarden-Mehrbelastung sei die Tatsache, dass die Zinsen für eine gemeinsame Euro-Anleihe deutlich über den Sätzen lägen, zu denen Deutschland mit unangefochtener Triple-A-Bonität derzeit Geld aufnehmen könne. Die Mehrbelastung ergebe sich daraus, dass für alle im Euro-Währungsgebiet aktiv gehandelten Staatspapiere der Durchschnittszins derzeit 3,31 Prozent betrage; für Bundesanleihen und andere Wertpapiere des Bundes seien es aber nur 1,73 Prozent.

Auf welche Weise und mit welchem Stichtag dabei gerechnet wurde, wird nicht verraten. Erstes Schlaglicht zur Aussagefähigkeit dieser Rechnung: Die offiziell errechnete Umlaufrendite für Bundeswertpapiere in 2010 sank vom Höhepunkt von 3,11 Prozent am 4. Januar auf einen Tiefpunkt von 1,81 Prozent am 27. August, um sich bis Mitte Dezember wieder bei 2,65 Prozent zu normalisieren. Der Festzins für Hauptrefinanzierungsgeschäfte der EZB ist dagegen im ganzen Jahr unverändert bei einem Prozent per annum geblieben. Die guten Konjunkturaussichten in Deutschland, die auf mittlere Sicht erhöhten Inflationsbefürchtungen als Folge der unverändert expansiven Zinspolitik der führenden westlichen Notenbanken und die steigende Nachfrage der Anleger nach höheren positiven Realzinsen ließen die Nominalrendite für zehnjährige Bundesanleihen seit Ende August wieder von 2,1 Prozent auf über 3 Prozent in die Höhe schnellen. Ein weiterer Anstieg auf 3,5 Prozent oder etwas darüber hinaus ist absehbar und eigentlich auch wünschenswert.

Doch angenommen, die von Deutschland zu zahlenden Mehrkosten lägen tatsächlich in der Größenordnung von 17 Milliarden Euro, zumal zu konstatieren ist, dass die durchschnittliche Rendite der im gesamten Euro-Währungsgebiet umlaufenden Staatsanleihen auch inzwischen erheblich angestiegen ist: Der statisch berechnete Effekt träte erstens in voller Höhe erst dann ein, wenn der Bund seine Papiere ab sofort nur noch über eine europäische Fiskalagentur emittierte, was auch die extremen Verfechter von Euro-Bonds nie vorgeschlagen haben, und dies auch nur nach Ablauf von zehn Jahren oder mehr, wenn auch die meisten langfristigen Titel fällig geworden sein würden.

Was heißt im Übrigen "Die Deutschen sollen wieder zahlen"? Bundeswertpapiere werden ganz überwiegend von gebietsansässigen institutionellen und natürlichen Sparern gehalten, denen die höheren Zinsen also zugute kämen, nicht jedoch irgendwelchen Transferempfängern im Ausland. Ein impliziertes Plädoyer für extrem niedrige Zinsen in Deutschland vertritt daher einseitig die Interessen von Schuldnern und Finanzintermediären, nicht die von Wertpapieranlegern; ganz zu schweigen von der riesigen Mehrheit der kleinen risikoscheuen Sparer in Deutschland, denen man mit Minizinsen auf Bankeinlagen einen positiven Realzins verwehrt. Sie sind schon heute die eigentlichen Transfergeschädigten.

Gleichwohl soll hier nicht eine Lanze für das Instrument einer prinzipiell unbegrenzten Emission von Euro-Bonds gebrochen werden. Die EU-Mitgliedsländer sind heute wie damals, bei der Formulierung des Maastrichter Unionsvertrages, noch nicht bereit, über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion hinaus auch einer Europäischen Fiskalunion zuzustimmen, also das Prinzip des Verbots des Einstehens für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes gemäß Art. 125 des Lissabon-Vertrages auszuhebeln.

Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Geiste praktischer europäischer Solidarität und bei Gefahr für "die Stabilität der Eurozone als Ganzes" einzelnen überschuldeten Mitgliedstaaten über Garantien und Krediten - von einseitigen Transferleistungen ist nicht die Rede - geholfen werden kann und muss. Dies ist ad hoc im Frühjahr 2010 in einem Rettungspaket für Griechenland mit Beteiligung des IWF unter einschneidenden Auflagen für das Schuldenland geschehen, und im vergangenen Herbst für Irland im Rahmen eines bis einschließlich 2013 laufenden 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirms. Auf den Euro-Rettungsfonds, offiziell als Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) bezeichnet, entfallen maximal 440 Milliarden Euro, ohne Griechenland und Irland gerechnet 420,6 Milliarden Euro. Die eigentliche Kreditvergabekapazität schmilzt jedoch auf 260 Milliarden Euro, da die großen Ratingagenturen für die Vergabe ihrer höchsten Bonitätsnote für EFSF-Emissionen Überdeckungen in Form von Garantien der Euro-Staaten und Barreserven verlangen. Im Januar 2011 wird der Rettungsfonds seine erste "Euro-Anleihe" über 5 Milliarden Euro emittieren. Er wird insgesamt 25 Milliarden Euro aufnehmen, um 17,7 Milliarden Euro zum irischen Gesamtpaket von 85 Milliarden Euro beizusteuern, während unter anderem auf EU-Kommission und IWF je 22,5 Milliarden Euro entfallen. Charakteristisch ist, dass die Anleiheerlöse nur einem Staat, nämlich Irland, zufließen, die Kredite an strikte wirtschaftspolitische Reformvorgaben geknüpft sind und der Kreditnehmer erhöhte Kreditzinsen als Kompensation für die von dritter Seite bereitgestellten hohen Sicherheiten zu zahlen hat.

Ab 2013 soll nach der am 16./17. Dezember erfolgten politischen Einigung auf dem Brüsseler Krisengipfel der EU-Regierungschefs ein dauerhafter Stabilitätsmechanismus in Kraft treten, dessen Modalitäten noch im Einzelnen festzulegen sein werden. Er wird verfassungsrechtlich abgesichert durch eine vorgesehene und zu ratifizierende Ergänzung des Artikels 136 des Lissabon-Vertrages, wonach "die Gewährung finanzieller Hilfe unter dem Mechanismus ... strikter Konditionalität (unterliegt)". Offen ist, unter welchen Bedingungen ab 2013 private Anleger auch tatsächlich zu einem "hair-cut" herangezogen werden können, falls sich ein Euroland wie Griechenland oder Irland außerstande sehen sollte, seine fällig gewordenen öffentlichen Schulden in voller Höhe zu begleichen beziehungsweise zu refinanzieren.

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