Leitartikel

Warum die EZB die Geldpolitik nicht mehr lockern sollte

Es mutet schon fast wie ein Ritual an. Jeweils in der ersten Woche eines Monats werden die Finanzmärkte nervös. Sie erwarten eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Die Volkswirte finden viele Gründe, weshalb dies notwendig ist. Die Finanzpresse weiß aus angeblich sicherer Quelle, welche der möglichen Maßnahmen ergriffen wird. Dann kommt der Tag der Ratssitzung, und es wird wieder einmal nichts beschlossen. In der anschließenden Pressekonferenz gibt sich der EZB-Präsident kämpferisch, dass die Notenbank bereit ist, mit allen notwendigen Maßnahmen gegenzusteuern, falls sich die Situation im Euroraum verschlechtern sollte. Viel reden, wenig handeln, könnte man zynisch formulieren. Tatsächlich steckt dahinter aber ein gut nachvollziehbares und volkswirtschaftlich vernünftiges Konzept.

Warum tut sich die EZB mit neuen Maßnahmen so schwer? Eigentlich ist doch alles ganz einfach. Die Notenbank hat das Mandat, die Preisstabilität zu verteidigen. Seit mehr als einem Jahr steigen die Verbraucherpreise langsamer als die Rate, die die EZB als Stabilität definiert ("nahe, aber unter zwei Prozent"). Also wäre die logische Schlussfolgerung, dass die geldpolitischen Schleusen weiter geöffnet werden müssten.

Freilich ist die Realität nicht so einfach. Es gibt derzeit mehr Gründe, die gegen eine Lockerung sprechen als dafür. Einer ist die Konjunktur. Die wirtschaftliche Aktivität im Euroraum erholt sich. Die Rezession ist zu Ende. Das macht es für die Unternehmen einfacher, Kostensteigerungen auf die Verbraucher zu überwälzen. Es müsste sich früher oder später auch in der Preisentwicklung zeigen. Eine weitere Lockerung der Geldpolitik könnte sich unter diesen Umständen am Ende als prozyklisch herausstellen. Der EZB könnte passieren, was sie schon einmal 2011 erlebt hatte: Sie hob die Zinsen an und war wenige Monate später gezwungen, sie wieder zu senken.

Ein anderer Grund ist, dass die für die mittelfristigen Perspektiven so wichtigen Preiserwartungen noch nicht zurückgegangen sind. Unternehmer und Verbraucher gehen davon aus, dass sich der Euroraum nicht auf eine Deflation bewegt. Hier spielt auch eine Rolle, dass die niedrige Preissteigerung nicht - jedenfalls nicht primär - auf eine schlechte wirtschaftliche Verfassung zurückzuführen ist. Sie beruht vielmehr auch auf der veränderten Situation am Ölmarkt und dem billigeren Benzin. Bemerkenswert ist, dass die Kernrate der Inflation (also die Geldentwertung ohne Energie- und saisonabhängige Nahrungsmittelpreise) höher ist als die tatsächlich ausgewiesene Inflation. Das kann eine Notenbank mit ihren Instrumenten nicht ändern. Sie sollte es auch nicht.

Ein weiterer Grund für das Zögern der Notenbank: Die Situation im Euroraum hat sich entspannt. Griechenland und Portugal können sich wieder auf den Kapitalmärkten refinanzieren. Portugal wird - wie Irland - in den nächsten Monaten den Rettungsschirm verlassen. Die Zinsen der großen Schuldnerländer sind gesunken. Da muss die EZB nicht noch mit niedrigeren Zinsen zu weiterer Entspannung beitragen.

Was belastet, ist, dass die Kreditzinsen der Banken in Südeuropa noch zu hoch sind. Das zeigt, dass der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik nicht richtig funktioniert. Das kann aber nicht mit allgemeinen geldpolitischen Lockerungen bekämpft werden. Hier könnte eine Belebung des Marktes für Verbriefungen in Europa helfen. Die EZB arbeitet zusammen mit der Bank of England daran, auf diesem Gebiet Fortschritte zu erzielen. Am Ende könnten dann Käufe der EZB von Asset Backed Securities stehen. Das dauert aber noch.

Gegen weitere Zinssenkungen im Euroraum spricht weiter, dass die Sätze ohnehin schon sehr niedrig sind. Es ist kaum zu erwarten, dass eine Verringerung des Hauptrefinanzierungssatzes von 0,25 auf sagen wir 0,15 Prozent das preispolitische Klima wesentlich verringern würde. Auch die Einführung von negativen Zinsen auf Einlagen der Banken bei der EZB würde vermutlich mehr Probleme schaffen als sie Erleichterungen bringt. Wie würde wohl der Verbraucher reagieren, wenn die Bank ihm schreibt, dass er künftig dafür zahlen müsste, wenn er Geld zur Bank bringt?

Ganz generell hat sich in letzter Zeit gezeigt, dass die Maßnahmen der Geldpolitik nur begrenzte Wirkung erzielen. Nach Berechnungen der EZB würde ein Wertpapierankaufsprogramm auf den Kapitalmärkten mit einem Volumen von 1 000 Milliarden Euro die Inflationsrate im Euroraum um weniger als einen Prozentpunkt erhöhen. Da fragt es sich schon, ob sich der Aufwand lohnt.

Schließlich aber das wichtigste Argument gegen eine weitere Lockerung der Geldpolitik, das in der Öffentlichkeit aber am wenigsten diskutiert wird: Die Liquidität ist nicht nur in Europa durch die Bekämpfung der Finanzkrise extrem stark gewachsen. Sie zeigt sich wegen der schwachen Konjunktur bisher zwar noch nicht in den Verbraucherpreisen, wohl aber in den Vermögensgüterpreisen. Sowohl auf den Aktien- und Rentenmärkten als auch auf den Immobilien- und Goldmärkten sind Symptome von Blasen erkennbar. Die Risikoneigung der Anleger ist wegen der niedrigen Zinsen stark gestiegen. Das ist gefährlich nahe an einer "irrational exuberance", wie das der frühere amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan nannte.

Das sind keine normalen Verhältnisse, bei denen sich die Notenbank allein an die üblichen Indikatoren wie Preise oder Konjunktur halten kann. Wichtiges Ziel der Notenbank muss es sein, auf den Finanzmärkten wieder gesunde Verhältnisse herzustellen und die Liquidität so zu verringern, dass die Preise wieder die relativen Knappheiten widerspiegeln. Die Amerikaner haben damit angefangen. Die Bank of England wird in diesem Jahr die Zinsen erhöhen. Die Europäische Zentralbank wird sich - auch wenn das viele derzeit nicht gerne hören - dem früher oder später anschließen müssen.

Ihre derzeitige Doppelstrategie "Viel reden, wenig handeln" ist daher vernünftig. Einerseits erklärt sie allen, die eine Deflation im Euroraum befürchten, dass sie bereit steht, alles zu tun, um so etwas zu verhindern. Das ist ihre Aufgabe. Andererseits ergreift sie aber keine Maßnahmen, die das Schiff in die falsche Richtung driften ließe. Man kann EZB-Chef Draghi nur ermutigen, auf diesem Kurs weiter zu gehen.

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