Aufsätze

Finanztransaktionssteuer: die falsche Antwort auf die Finanzkrise

Eine Finanztransaktionssteuer ist die falsche Antwort auf die Herausforderung der Krisenbewältigung und -prävention im Finanzsektor. Sie würde den Nutzen, den gut regulierte Kapitalmärkte für die Realwirtschaft erbringen können, nicht vermehren, sondern verringern. Dennoch ist es grundsätzlich nachvollziehbar, dass die Teile der Finanzbranche, die die Krise ausgelöst haben, sich auch an den Kosten der Krisenbewältigung und des Aufbaus eines Krisenpräventionssystems beteiligen müssen - das ist nur konsequent im Sinne des Verursacherprinzips. Widerspruch zum Verursacherprinzip Eine Finanztransaktionssteuer ist jedoch kein geeignetes Instrument, um dieses Verursacherprinzip umzusetzen. Ganz im Gegenteil: Sie überwälzt die Kosten der Krisenbewältigung in letzter Instanz auf die Allgemeinheit, die sie zum einen in Form weitergeleiteter Gebühren, vor allem aber in Form höherer Finanzierungskosten für Unternehmen und schlechterer Renditen für Anleger zu tragen hätte. Ebenso wenig ist diese Steuer geeignet, das von den G20 formulierte Ziel einer höheren Sicherheit und Integrität der Finanzmärkte zu erreichen. Sie wäre dafür sogar kontraproduktiv: indem sie die Liquidität vermindert und Anreize zum Ausweichen in Regionen und Märkte schafft, die bei der Besteuerung nicht mitmachen. Somit würde eine Finanztransaktionssteuer statt zur Stabilität auf Finanzmärkten zur allgemeinen Verunsicherung beitragen. Das Kernproblem ist der übermäßige außerbörsliche Handel Um sich dieser Debatte sachgerecht zu nähern, ist es zunächst einmal wichtig, zwei Konzepte klar voneinander zu unterscheiden: die Börsenumsatzsteuer zum einen und die Finanztransaktionssteuer zum anderen. Im Gegensatz zu einer Finanztransaktionssteuer würde eine Börsenumsatzsteuer sämtliche Umsätze in den deutlich weniger oder komplett unregulierten außerbörslichen Märkten (oder "Over the Counter"- beziehungsweise OTC-)Märkten gar nicht erfassen. Eine Steuer, die Umsätze bestraft, die an regulierten - und das heißt an transparenten und überwachten - Märkten zustande kommen, belohnt damit indirekt die Umsätze, die an unregulierten - und das heißt an intransparenten und nicht überwachten - Märkten getätigt werden. Als Folge würde eine Börsenumsatzsteuer Anreize induzieren, den Handel noch mehr in die weniger transparenten OTC-Märkte zu verlagern und damit dem Ziel der G20 - mehr Transparenz und Integrität - entgegenwirken. Mit anderen Worten: Eine Börsenumsatzsteuer verschlimmert das Problem, das sie zu lösen vorgibt. Der Marktanteil des OTC-Handels ist bereits beträchtlich. Laut der Statistik des Europäischen Börsenverbands (Federation of European Securities Exchanges, kurz FESE) finden bereits heute 40 Prozent des Aktienhandels in Europa außerbörslich statt, beim Derivatehandel sind es weltweit sogar 90 Prozent. Ferner würde die Börsenumsatzsteuer auf nationaler und europäischer Ebene den deutschen beziehungsweise europäischen Kapitalmarkt benachteiligen, da die Geschäfte an andere Handelsplätze im (außereuropäischen) Ausland verlagert würden. Somit würden weder eine effizientere Regulierung noch die erwarteten staatlichen Steuereinnahmen generiert. Erfassung aller Transaktionen ist nahezu unmöglich Die Finanztransaktionssteuer ist zwar vor diesem Hintergrund eine weniger schädliche Lösung als die Börsenumsatzsteuer. So gesehen könnte eine solche zwar ein Fortschritt sein - aber kein wesentlicher. Denn auch sie würde Anreize schaffen, noch stärker als bisher in die Nischen auszuweichen, die von dieser Steuer noch nicht erfasst sind. Eine solche Steuer wäre somit ein Geschenk an die unregulierten Finanzplätze dieser Welt. Und selbst wenn das Kunststück gelingen würde, diese Steuer weltweit flächendeckend einzuführen, wäre ihre Wirkung immer noch zweifelhaft, zumal schon die Erfassung aller Finanztransaktionen als Voraussetzung für die Besteuerung äußerst aufwendig wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit lückenhaft bliebe. Als Anbieter von zuverlässigen, integren und streng regulierten Marktinfrastrukturen ist es aus Sicht der Deutschen Börse wichtig, dass jede - auch steuerliche - Regulierungsmaßnahme vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise die Transparenz, die Integrität und die Stabilität der Märkte stärkt. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass die entsprechenden Maßnahmen zu keinen Wettbewerbsverzerrungen führen. Anreize zur Flucht in dunkle Nischen Eine Finanztransaktionssteuer, die lediglich in Deutschland oder Europa eingeführt wird, würde die Ziele, die Verursacher an den Kosten der Krise zu beteiligen und zugleich sichere und integre Märkte zu schaffen, ad absurdum führen, denn um die Steuer zu umgehen, würden Finanztransaktionen ins (außereuropäische) Ausland verlagert und die erwarteten Steuereinnahmen blieben somit aus. Zusätzlich käme es zu einer immer weiteren Flucht in die unregulierten und intransparenten Märkte, die sich jeglicher Kontrolle durch die Behörden entziehen. Auch würde auf Nischenprodukte ausgewichen, und es würden neue Produkttypen wie zum Beispiel "Contracts for Difference" erfunden, die die Steuer nicht erfasst. Das Kapital ist über Grenzen hinweg mobil, und nur eine lückenlose Besteuerung einer jeden Finanztransaktion auf wirklich globaler Ebene würde eine Umgehung der Steuer verhindern. Wenn sich auch nur ein Staat weigerte, diese Steuer einzuführen, wären der Steuerarbitrage Tür und Tor geöffnet.1) Höhere Kosten und niedrigere Liquidität in den Märkten Um die Umgehung der Finanztransaktionssteuer zu verhindern, wäre somit eine vollständige und zentrale Erfassung aller Transaktionen erforderlich. Dies könnte etwa durch (neu zu schaffende) Datensammelstellen (Trade Repositories) gewährleistet werden. Aber wie die Steuer letztlich eingezogen würde, wäre damit immer noch unklar. In jedem Fall wäre die lückenlose Erfassung aller Finanztransaktionen mit hohem Aufwand und mit enormen Verwaltungsgebühren der Institute sowie mit hohen Bürokratiekosten der öffentlichen Hand verbunden. Diese Kosten würden die möglicherweise aus der Finanztransaktionssteuer zu erzielenden Einnahmen wiederum schmälern. Durch die Finanztransaktionssteuer würde für Unternehmen Kapital teurer, denn eine Finanztransaktionssteuer würde die Zahl der Transaktionen und die Liquidität auf bestimmten Märkten senken, denn kurzfristige Transaktionen würden im Verhältnis zu langfristigen Transaktionen verteuert. Dies würde die Effizienz der Preisbildung erheblich beeinträchtigen, weil Kursschwankungen zunehmen, wenn Liquidität fehlt. Das heißt, die Finanztransaktionssteuer würde die Preisvolatilität und die Risiken für Investoren und somit auch die Kosten für die Absicherung gegen Risiken (Hedging) erhöhen.2) Unternehmen würden somit in einem weniger liquiden Kapitalmarkt zum einen geringere Einnahmen aus Börsengängen erzielen. Zum anderen ist damit zu rechnen, dass die Banken die Kosten durch ihre Kreditbedingungen auf die Realwirtschaft abwälzen würden. Gerade in der Krise sind die Unternehmen jedoch auf zusätzliches Kapital und Investoren angewiesen. Steuer kann Spekulationsblasen nicht verhindern Kurzfristige Investitionen werden oft mit Spekulation gleichgestellt, die destabilisierend wirken. Deshalb soll eine Finanztransaktionssteuer zu langfristigen Investitionen führen und Spekulationen sowie Spekulationsblasen vermindern. In der Tat würde eine Finanztransaktionssteuer einige kurzfristige Geschäfte verhindern. Doch ist es äußerst schwierig, sogar nahezu unmöglich, zwischen erwünschtem und unerwünschtem kurzfristigen Handel zu unterscheiden. Zudem ist das der Steuer zugrunde liegende Argument empirisch nicht valide, denn die Erfahrung zeigt, dass niedrigere Transaktionskosten nicht gleichzeitig zyklische Marktpreisausschläge bedeuten. Vielmehr treten Blasen ebenso in Märkten mit sehr hohen Transaktionskosten auf, beispielsweise auf dem Immobilienmarkt.3) In letzter Konsequenz würde eine Finanztransaktionssteuer somit die Zahl der schädlichen Finanztransaktionen, Spekulationen und Blasen nicht nachhaltig senken, aber die Kosten von Finanztransaktionen für alle erhöhen - und damit indirekt auch für die Realwirtschaft. Die Finanztransaktionssteuer würde einen zusätzlichen Kostenfaktor für die Marktteilnehmer bilden. In der Folge würde sie die Preise und den Wettbewerb verzerren. Daher wäre die Effizienz der Finanzmärkte beeinträchtigt, das Kapital würde gesamtwirtschaftlich nicht mehr optimal eingesetzt, und Investitionen der Realwirtschaft würden gestört. Auf lange Frist würde das ein verringertes Wirtschaftswachstum, sinkende Reallöhne sowie eine nachlassende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bedeuten. Doppelte Dividende: höhere Einnahmen sowie mehr Effizienz und Stabilität In einem aktuellen Papier zu den Auswirkungen der Finanzkrise legte die Europäische Kommission eine Analyse der wichtigsten innovativen Finanzierungsquellen vor und kommt zu dem Schluss, dass es Instrumente gibt, die eine doppelte Dividende ermöglichen: eine Erhöhung der Einnahmen und eine Verbesserung von Markteffizienz und Stabilität. Die Kommission betont, dass eine globale Koordinierung für die erfolgreiche Umsetzung der meisten innovativen Finanzierungsinstrumente von grundlegender Bedeutung ist. Dabei bewertet sie auch die Auswirkungen einer globalen Steuer auf Finanztransaktionen, nimmt diese jedoch nicht in ihre entsprechenden Schlussempfehlungen auf.4) Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) untersuchte im Auftrag der G20 jüngst, wie die Finanzindustrie einen fairen und substanziellen Beitrag zu den Kosten der Krise leisten und wie die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß künftiger Krisen reduziert werden kann. Als Ergebnis lehnt auch der IWF die Einführung einer Finanztransaktionssteuer als nicht geeignetes Mittel ab, auf den Finanzmärkten für Stabilität, Sicherheit und Integrität zu sorgen.5) Neuausrichtung der Finanzmärkte auf ein ordnungspolitisches Leitbild Am Beispiel der hier diskutierten Finanztransaktionssteuer wird deutlich, dass nach einer langen Phase der Deregulierung nun an den Kapitalmärkten weltweit mit einer Art "Gegenreformation" zu rechnen ist: einer Re-Regulierung, die notwendig erscheint, aber nicht in eine Überregulierung ausarten darf. Vielmehr gilt es nun, die richtige Balance zu finden, zwischen sinnvollen Regeln zum Ausgleich von Marktversagen und zur Vermeidung von Interessenkonflikten oder "Moral Hazard" auf der einen Seite sowie ausreichendem Spielraum für die positiven ökonomischen Impulse funktionierender Märkte auf der anderen Seite. Das ordnungspolitische Leitbild für politisches Handeln im Hinblick auf die zukünftige Regulierung der Finanzmärkte sollte daher die Sicherung von Marktintegrität und Stabilität sein. Dazu bedarf es im Einzelnen (1) einer umfassenden Erfassung aller Finanzmarkttransaktionen, (2) einer neutralen Risikobewertung insbesondere für außerbörslich gehandelte Derivate, (3) einer möglichst weitreichenden Standardisierung von Finanzmarktprodukten, einhergehend mit einer Preisbildung auf transparenten regulierten börslichen Märkten, (4) einer effektiven Aufsichtsstruktur sowie (5) der Gewährleistung zumindest annähernd international gleicher regulatorischer Wettbewerbsbedingungen. Vertrauen auf die Vorteile einer transparenten Preisbildung Eine strikte Ausrichtung der politischen Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte an den oben genannten Leitlinien würde eine Finanztransaktionssteuer überflüssig machen, da davon ausgegangen werden kann, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile, welche im Zuge einer transparenten Preisbildung auf börslichen Märkten entstehen würden, die zu erwartenden staatlichen Einnahmeeffekte einer Finanztransaktionssteuer bei Weitem überschreiten. Fußnoten 1)International Monetary Fund, April 2010, "A fair and substantial contribution by the financial sector - Interim Report for the G20", Seite 15. 2)European Commission, April 2010, Commission Staff Working Document, "Innovative financing at a global level" SEC(2010) 409, Brüssel, Seite 47. 3)International Monetary Fund, April 2010, "A fair and substantial contribution by the financial sector - Interim Report for the G20", Seite 17. 4)European Commission, April 2010, Commission Staff Working Document, "Innovative financing at a global level" SEC(2010) 409, Brüssel. 5)International Monetary Fund, April 2010, "A fair and substantial contribution by the financial sector - Interim Report for the G20".

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