Interview

Redaktionsgespräch mit Andreas Dombret - "Bestrebungen, nationale Wirtschaftsräume wieder stärker voneinander abzugrenzen, werden wir energisch entgegentreten."

Angesichts der Verflechtung des internationalen Finanzsystems betont Andreas Dombret den hohen Stellenwert einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der führenden Industrie- und Schwellenländer. Und in diesem Sinne bescheinigt das für Finanzstabilität und Risikocontrolling zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank im Redaktionsgespräch dem zentralen Forum der G20 eine erfolgreiche Arbeit. Im Rückblick auf den Seoul-Gipfel werden die Beschlüsse zum Regelwerk für den Finanzsektor ebenso als großen Erfolg gewertet wie die Verständigung auf Reformen zur Modernisierung des IWF. Letzteren sieht er in seiner Überwachungsfunktion gefordert. Eine weitergehende Rolle als "unabhängiger Schiedsrichter" wird aber abgelehnt. Dem deutschen Bankensystem bescheinigt er eine stabilisierende Wirkung in der Krise, verweist aber nach wie vor auf Verwundbarkeiten und strukturelle Schwächen. (Red.)

Hat der G20-Gipfel in Seoul die Erwartungen der Deutschen Bundesbank erfüllt? Welche Ergebnisse werten Sie als größten Erfolg der Veranstaltung?

Der G20-Gipfel in Seoul war ein Erfolg. Es ist keine geringe Leistung, in einer so großen und heterogenen Staatengruppe wie den G20 Konsens in so vielen komplexen Sachfragen herzustellen. Dahinter steht ein langwieriger Arbeitsprozess der Finanzministerien und Notenbanken der G20 sowie der von ihnen beauftragten internationalen Organisationen. Dieser Prozess ist von der Einsicht getragen, dass nur durch konstruktive Zusammenarbeit wichtiger Staaten die Stabilität des internationalen Finanz- und Währungssystems aufrechterhalten werden kann.

Die G20 verständigten sich auf den sogenannten Seoul Action Plan zur Stärkung eines nachhaltigen und ausgewogenen Wachstums und verabschiedeten - nachdem dies die Finanzminister und Notenbankgouverneure vorbereitet hatten entscheidende Reformen zur Modernisierung des IWF und des Regelwerks für den Finanzsektor. Hierbei war sicherlich der größte Erfolg des Gipfels die Verabschiedung der zuvor ausgehandelten und unter dem Stichwort Basel III bekannten neuen Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken sowie die Annahme der Empfehlungen des Financial Stability Boards zum Umgang mit systemrelevanten Finanzinstituten, den sogenannten SIFIs. Hiermit sind entscheidende Bausteine des neuen internationalen Regelwerks gesetzt. Die Gipfelteilnehmer verpflichteten sich auch, und das ist wichtig, zu deren Umsetzung entlang der jeweils vorgeschlagenen Zeitpläne.

Hatten die Diskussionen über Wechselkursfragen und die weltweiten Ungleichgewichte tatsächlich solch einen hohen Stellenwert wie das hierzulande in der Berichterstattung vermittelt wurde?

Die Diskussionen über Wechselkursfragen und die weltweiten Ungleichgewichte haben in Seoul in der Tat eine wichtige Rolle gespielt. Insofern war es durchaus angemessen, diesen Themen nicht zuletzt in den Medien einen hohen Stellenwert einzuräumen. Wenig hilfreich hingegen waren die im Vorfeld verwendeten martialischen Formulierungen. Alle Partner haben nämlich in diesen Fragen trotz unterschiedlicher Positionen konstruktiv zusammengearbeitet.

Dies belegt unter anderem der Seoul Action Plan. Er setzt Orientierungspunkte für die Fiskalpolitiken, die Handels- und Entwicklungspolitiken sowie für Finanzsektor- und Strukturreformen. Von besonderer Bedeutung sind die Aussagen zur Wechselkurspolitik. Dazu gehört die Absicht, sich, wo nötig, stärker in Richtung marktbestimmter Wechselkurssysteme zu bewegen, die Flexibilität der Wechselkurse im Einklang mit den Fundamentaldaten zu erhöhen und die eigene Währung nicht zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abzuwerten.

Der Aktionsplan setzt auch neue Akzente beim sogenannten Mutual Assessment Process, auf den sich die G20 in Pittsburgh im Jahr 2009 verständigt hatte. Dazu soll der IWF Anhaltswerte ausarbeiten, mit denen anhaltend hohe Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen beurteilt werden sollen. Hier möchte ich besonders hervorheben, dass im Abschlusspapier auf eindimensionale und quantitative Ziel- oder Schwellenwerte für Leistungsbilanzsalden verzichtet worden ist. Diese Entscheidung begrüße ich sehr. Angesichts unterschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Gegebenheiten in den einzelnen Ländern beziehungsweise Währungsräumen sind nur differenzierte und auf die zugrundeliegenden Ursachen von Leistungsbilanzsalden eingehende Ansätze zielführend.

Sehen Sie den IWF nach Seoul in einer neuen, stärkeren Rolle? Und hat er gegebenenfalls zur Erfüllung seiner Aufgaben aus Sicht der Bundesbank hinreichende Befugnisse und/oder Instrumentarien?

Die Staats- und Regierungschefs haben in Seoul umfassende Reformen des IWF auf den Weg gebracht, die zuvor von den Ministern und Notenbankgouverneuren ausgearbeitet worden waren. Im Ergebnis werden die Kapital- und Stimmenanteile im IWF erheblich umverteilt. Die dynamischen Schwellenländer, deren wirtschaftliche Bedeutung in der Welt stark zugenommen hat, werden davon besonders profitieren, aber auch stärker in die Verantwortung genommen. Dies wird die Legitimität des Fonds stärken.

Die Reformen sehen zudem eine Verdopplung der gesamten Quotensumme des IWF vor. Damit wird er auch für künftige Krisen über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügen. Zudem ist der IWF mit der jüngsten Anpassung des Kreditinstrumentariums für Krisen unterschiedlichster Art gut aufgestellt; einen Bedarf für weitergehende Änderungen sehe ich nicht.

Der IWF definiert sich allerdings nicht zuvorderst durch seine finanzielle Unterstützungsrolle. Vielmehr besteht seine primäre Aufgabe darin, die Wirtschaftspolitiken seiner Mitgliedsländer zu überwachen. Diese sogenannte "Surveillance" dient insbesondere auch der Krisenprävention. Die G20 waren sich daher einig, dass der IWF mehr Kompetenzen in der Finanzsektor-Surveillance und der multilateralen Surveillance haben soll. Das unterstütze ich voll und ganz, da hier zum Teil noch Lücken bestanden. Eine weitergehende Rolle für den IWF - etwa als "unabhängiger Schiedsrichter" oder in der Nähe der Institutsaufsicht - wäre dagegen nicht sachgerecht.

Ist angesichts der nationalen Standortinteressen vom gemeinsamen Geist einer Stärkung der globalen Finanzsystemstabilität überhaupt noch etwas übrig geblieben?

Zuallererst möchte ich betonen, dass die Entscheidung, die G20 als zentrales Forum der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu etablieren, richtig war. Denn angesichts der dichten Verflechtung des internationalen Finanzsystems gibt es zu einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit im Kreis der führenden Industrie- und Schwellenländer keine Alternative. Dass Finanzstabilität nicht im nationalen Alleingang gewährleistet werden kann, ist allen Beteiligten im Prinzip klar. Daher hat sich auch die Bundesbank stets für eine möglichst enge internationale Kooperation ausgesprochen und protektionistischen Bestrebungen eine klare Absage erteilt.

Der von Ihnen angesprochene gemeinsame Geist der G20 zeigt sich darin, dass zentrale Reformprojekte, insbesondere die Kapital- und Liquiditätsvorschriften für den Bankensektor, trotz unterschiedlicher Interessen konstruktiv und zügig zu einem guten Ergebnis geführt wurden. Dieser gemeinsame Geist wird weiterhin gebraucht, sowohl bei der Konkretisierung einiger Vorhaben als auch für weitere Reformen, vor allem aber für die unverzügliche Implementierung der beschlossenen Maßnahmen in den Mitgliedsländern der G20. Ich bin mir durchaus der Gefahr bewusst, dass das hierfür benötigte politische Momentum nachlassen und sich das Zeitfenster für Reformen wieder schließen kann. Von daher sehe ich es auch als eine Aufgabe der Notenbanken an, entschieden auf eine Fortsetzung der Reformagenda hinzuwirken.

Inwieweit kann man in Sachen Finanzsystemstabilität noch von einem Level Playing Field reden? Gilt das wenigstens noch für Europa?

Bei der Reform des Ordnungs- und Regulierungsrahmens des internationalen Finanzsystems müssen wir auf international vergleichbare Wettbewerbsbedingungen achten. Zwar dürfte eine wirklich global einheitliche Lösung nur in wenigen Fällen möglich sein beziehungsweise den Besonderheiten nationaler Finanzsysteme hinreichend gerecht werden.

Unser Ziel ist es aber, in den Grundzügen international abgestimmte Mindeststandards festzulegen und ein Regulierungsgefälle zwischen einzelnen Staaten zu vermeiden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Geschäftsaktivitäten verlagert werden, um einschränkende Regulierungen zu umgehen. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass alle Länder davon Abstand nehmen, sich durch eine allzu zurückhaltende Umsetzung der international vereinbarten Reformen, beispielsweise des überarbeiteten Baseler Regelwerks, Standortvorteile zu verschaffen - Stichwort "bankaufsichtlicher Protektionismus" -, die zulasten der Finanzstabilität gehen würden.

Dies gilt selbstverständlich auch für Deutschland. Insgesamt sind wir aber auf einem guten Weg; ich erwarte, dass die auf Ebene der G20 getroffenen Vereinbarungen auch von allen Beteiligten fristgerecht umgesetzt werden. Gerade in der EU sollten und werden wir hier mit gutem Beispiel vorangehen. Bestrebungen, nationale Wirtschaftsräume wieder stärker voneinander abzugrenzen, beispielsweise mittels des sogenannten Ring Fencing, werden wir daher energisch entgegentreten.

Welche Chancen sieht die Bundesbank, das sogenannte Schattenbankensystem in den Regulierungsprozess einzubeziehen?

Der Umgang mit dem sogenannten Schattenbankensystem stellt eine der zentralen Herausforderungen für Notenbanken und Aufsichtsbehörden dar: Erstens müssen wir die Reichweite der Regulierung überprüfen. Zwar setzt die Überarbeitung des Rahmen- und Regelwerks zuallererst an den Banken an, da diese nun mal die zentralen Akteure des Finanzsystems sind. Es ist allerdings klar, dass strengere Vorschriften für den Bankensektor nur einen ersten Schritt darstellen können. Es wäre nichts gewonnen, wenn Regulierung umgangen würde und Risiken in die weniger oder unregulierten Bereiche abwanderten.

Zweitens müssen wir das Schattenbankensystem künftig besser ausleuchten, um systemische Risiken zuverlässiger und früher identifizieren zu können. Dafür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass im Vorfeld der Krise finanzielle Aktivitäten und Risiken aus dem Bankensektor in regulierungsfreie Bereiche, etwa in außerbilanzielle Anlagezweckgesellschaften, verlagert wurden. Daher gilt es, künftig auch alle bislang unregulierten relevanten Akteure in das Blickfeld der zuständigen Behörden zu rücken und angemessenen

Registrierungs- und Offenlegungspflichten zu unterwerfen; genau dies haben auch die Staats- und Regierungschefs der G20 auf ihrem Gipfel in Washington im November 2008 gefordert.

Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits getan; ein Beispiel ist die Richtlinie der EU für die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM), die kurz vor ihrer formellen Verabschiedung steht. Unter anderem werden dann Hedgefonds neben einer Registrierungs- und Lizenzierungspflicht auch umfangreichen Offenlegungspflichten gegenüber Aufsichtsbehörden und Investoren unterworfen sein. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die von diesen Akteuren ausgehenden potenziellen Systemrisiken einzudämmen.

Wie schätzt die Deutsche Bundesbank im Lichte der Krise die deutsche Bankenstruktur, sprich das Drei-Säulen-System, ein?

Das Drei-Säulen-System hat sich in der Krise bewährt und zur Stabilisierung der Lage beigetragen. Das deutsche Bankensystem blieb funktionsfähig und auch die zwischenzeitlich befürchtete Kreditklemme konnte vermieden werden. Dennoch bestehen Verwundbarkeiten und strukturelle Schwächen; da gibt es nichts zu beschönigen. Kritisch ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die schon länger bestehenden Unterschiede in der Leistungsfähigkeit zwischen einzelnen Instituten beziehungsweise Institutsgruppen weiter zugenommen haben.

Hier müssen die Verantwortlichen entschieden gegensteuern - ungeachtet der Tatsache, dass sich die Stabilitätslage in allen drei Säulen im vergangenen Jahr deutlich verbessert hat. Denn der von der derzeitigen überaus positiven konjunkturellen Entwicklung in Deutschland ausgehende Rückenwind für das Finanzsystem kann auch wieder abflauen. Daher muss die Konsolidierung im deutschen Bankensystem weiter vorangetrieben werden; vorhandene Überkapazitäten müssen abgebaut und, wo nötig, zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickelt werden. Dies schließt den Sektor der Landesbanken explizit mit ein. Denn die dort bislang erfolgten Anpassungen sind unzureichend; gemessen am Umfang der aufgetretenen Probleme könnte (und sollte) der Reformwille und damit auch das Reformtempo höher sein.

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