Leitartikel

(K)Ein Staat für alle Fälle

Wann immer sich in den ersten Tagen des neuen Jahres Banker wie Bankiers in der Bankenmetropole begegneten, so wünschten sie sich verständlicherweise stets Glück und natürlich "einen guten Staat im neuen Jahr!".

"Es war einmal ... ein Land, in dem alle glücklich und zufrieden lebten. Denn es gab keine Sorgen in diesem Land. Die Menschen gingen stets nachsichtig und zuvorkommend miteinander um, denn Neid war ein Fremdwort. Wem immer es die Ernte verhagelt hatte, wem immer die Aufträge ausgingen, wem immer etwas misslang und er dadurch in Not geriet, der musste nur zum König gehen, und ihm wurde geholfen. Der milde Herrscher öffnete seine schier unerschöpflichen Schatzkammern und gab dem Betroffenen, was der brauchte. Die Straßen waren stets neu geteert, die Parks grün und wunderbar gepflegt, Schulen und andere öffentliche Gebäude in hervorragendem Zustand - schlicht, es war eine Pracht, die man zu sehen bekam. Die Kinder waren glücklich, ihre Augen strahlten. Es gab massenhaft Spiel- und Bolzplätze. Selbst in den dunklen Ecken dieses so wundersamen Landes gab es keine zwielichtigen Gestalten, die sich herumdrückten - die Menschen hatten Arbeit. Auch die Steuern waren niedrig, denn all das Gute und Schöne ging keineswegs zulasten der Bürger. Und der König? Wenn er nicht gestorben ist ... dann ist er heute pleite! "

Auch wenn dem gewöhnlichen Menschen auf der Straße das in diesem Märchen gezeichnete Bild auch oder gerade heute sicherlich gut gefallen mag - der Merkantilismus hat seine Zeit gehabt, sie ist vorbei. Ein Rückschritt selbst im kleinsten Ansatz in solche Gedankenwelten wäre fatal. Denn eine durch massive Staatseingriffe in die Wirtschaft gekennzeichnete Wirtschaftspolitik wie während der Zeit des Absolutismus zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert würde weder zu einer Steigerung der nationalen Wirtschaftskraft führen noch die Staatseinkünfte erhöhen. Im Gegenteil: Die Banken rutschen in der Gunst der Anleger trotz Rettungspaket mehr und mehr ab, die industriellen und mittelständischen Betriebe halten sich trotz Konjunkturpaket mit Investitionen zurück und fahren lieber Kurzarbeit, das Konsumklima trübt sich ein, sodass auch der Handel betroffen sein wird und die Staatsverschuldung steigt. Maastricht gilt künftig nur noch auf dem Papier. Der Staat taugt nicht zum Unternehmer.

Dennoch ist der VEB (Volkseigene Betrieb Bank) längst keine Horrorvision mehr, sondern Realität. Von den, gemessen an der Bilanzsumme, Top 50 der deutschen Banken aus dem Jahr 2007 finden sich Anfang des laufenden Jahres 35 Häuser mehr oder weniger unter staatlichem Einfluss wieder, eine Quote von 70 Prozent. Bei den Top 20 ist es noch erschreckender, hier sind 17 Institute dem Staat ausgeliefert, das sind 85 Prozent. Rutscht die genossenschaftliche DZ Bank auch noch unter den Schirm, so verbleiben nur die Deutsche Bank und die italienische Hypovereinsbank, sofern man diese noch dazu zählen darf, die die Probleme (noch) aus eigener Kraft zu meistern versuchen. Gab es da bis vor Kurzem nicht jemanden, der alle Banken privatisieren wollte?

Die DZ Bank, und mit ihr natürlich auch die WGZ Bank, sind zwei besonders interessante Fälle, muss hier doch von der gesamten Gruppe der 1 200 genossenschaftlichen Institute eine Grundsatzentscheidung getroffen werden. Will man auch weiterhin voller Stolz von sich behaupten können, die einzige Bankengruppe in Deutschland zu sein, die noch nie Staatshilfe in Anspruch genommen hat? Will man auch weiterhin die genossenschaftlichen Grundprinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung hochhalten? Wenn ja, dann müssen alle (! ) Mitglieder der vielschichtigen genossenschaftlichen Familie zusammen die notwendigen Mittel für eine zukunftsfähige Zentralbank aufbringen, zulasten des eigenen Eigenkapitals und damit der Möglichkeiten der Kreditvergabe, der Ertragserzielung und der Wettbewerbsfähigkeit (siehe dazu auch Hans- Joachim Tonnellier im Redaktionsgespräch, Seite 109).

Wäre es da nicht einfacher, auch das Spitzeninstitut unter die keineswegs mehr unsichtbare Hand des Staates zu schicken? Schon jetzt wird überall in der Repub lik laut gemault, dass staatlich gedopte Konkurrenten mit Kampfkonditionen durch die Lande ziehen und Kunden locken - als hätte es Kaupthing nie gegeben. Dabei hat jeder Banklehrling spätestens im zweiten Ausbildungsjahr gelernt, dass Tagesgeld zu fünf Prozent und eine Baufinanzierung zu 4,3 Prozent kein auskömmliches Bankenleben ermöglichen. Mancher amtierende Vorstand mag es inzwischen verdrängt haben. Ein weiteres Beispiel der Absurdität: Kaum ein Unternehmen bekommt derzeit seine Anleihen am Markt platziert. Die Refinanzierung stockt. Die jüngst begebene Anleihe der todkranken und wahrlich überflüssigen IKB dagegen war binnen kürzester Zeit gezeichnet und verkauft. Staatsgarantie macht alles möglich.

Oder der SoFFin. Es ist erschreckend, wenn gleich zwei gestandene Männer, die noch dazu den Großteil ihres Berufslebens im öffentlichen-rechtlichen Sektor verbracht haben und damit den Umgang mit der Politik gut genug zu kennen schienen, vor eben jener kapitulieren. Daran wird sich nichts ändern, wenn nicht unverzüglich für die Klarheit gesorgt wird, die eine so wichtige Institution wie der Rettungsfonds zum Agieren braucht. Es muss klare Grenzen zwischen den Aufgaben des Leitungsausschusses und denen des Lenkungsausschusses, in dem die Bundesministerien und die Länder ihre Interessen vertreten, geben. Sonst wird der SoFFin der Zankapfel der Nation bleiben. Es fällt schwer, dem Finanzministerium hier nicht sowohl schlechten Stil als auch schlechte Organisation und schlechte Kommunikation vorzuwerfen.

Und während der SoFFin so vor sich hinlahmt, wird der Ruf nach einer Bad Bank lauter. Paradox ist es, dass vor allem diejenigen, die immer gegen hohe Staatsquoten waren, beispielsweise die privaten Banken, nun staatliche Hilfe in Form einer "Giftmülldeponie" einfordern. Diese würde die Banken zwar von ihren faulen Krediten befreien, sie würde aber keinesfalls dafür sorgen, dass die bestehende Unsicherheit verschwände. "Der Staat würde maximal die Aktiva aus der Bank herauskaufen, die bis dato als vergiftet identifiziert worden sind. Nun nimmt der Markt aber gerade jetzt an, dass demnächst weitere Klassen von Risikoaktiva starke Wertverluste aufweisen werden", so BaFin-Chef Jochen Sanio, der in dieser Zeit so furchtbar oft recht behalten hat. Um neues Vertrauen zu schaffen, müsste der Staat also eine Art Blankozusage für die Zukunft geben, was angesichts der nackten Volumina völlig unmöglich ist. Laut Bankenstatistik der Deutschen Bundesbank belief sich das Forderungsvolumen an Nichtbanken und sogenannte Monetary Financial Institutions (MFI) auf rund 5,9 Billionen Euro. Sollten davon auch nur fünf Prozent notleidend werden, reicht das bestehende Rettungspaket bei Weitem nicht mehr aus.

In Jochen Sanio, der ein solches Gebilde unter keinen Umständen beaufsichtigen will, siegt bei dieser Vorstellung der Steuerzahler über den Aufseher. Dabei ist ein Auslagern der faulen Kredite zulasten des Staates gar nicht nötig. Sie könnten, so der oberste Bankenaufseher, auch in der Bank verbleiben und hier isoliert vom laufenden Geschäft abgewickelt werden. Damit würde dem Verursacherprinzip gerecht das Moral-Hazard-Problem deutlich reduziert.

Das alles zeigt, wie sehr inzwischen Interventionismus und staatlicher Dirigismus die Herrschaft über die freie Marktordnung übernommen haben. Natürlich kann man Institute, die unter den Rettungsschirm geschlüpft sind, nicht per Dekret anweisen, bestimmte Gebühren für ihre Leistungen zu verlangen. Man kann höchstens auf sie einreden, sich marktkonform und damit konkurrenzschonend zu verhalten. Aber: Wer soll festlegen, welcher Zins noch marktadäquat ist, wer bestimmen, ab wann eine Verzerrung der Wettbewerbsstrukturen vorliegt? Der Staat ist nun Eigentümer und muss gerade und weil es sich um öffentliche Mittel handelt, mit dem investierten Geld höchst sensibel und sorgfältig umgehen. Er muss allein deswegen schon auf möglichst erfolgreiche "Töchter" aus sein, die ihre Zinsen bezahlen können und ordentliche Dividenden abwerfen. Dazu gehört Geschäft, das über Konditionen gewonnen wird.

Wird das Engagement des Staates in den Banken endlos sein? Schon jetzt ist nur schwer vorstellbar, wann die Institute die Gelder zurückzahlen können. Beispiel Commerzbank: Die stillen Einlagen in Höhe von rund 16 Milliarden Euro müssen laut EU-Kommission mit etwa neun Prozent verzinst werden. Selbst wenn es da irgendwelche Saldierungsmöglichkeiten gibt, steht pro Jahr ein zu leistender Zinsaufwand von mindestens 700 Millionen Euro zu Buche. Um auch das Eigenkapital ordentlich zu rentieren und eine anständige Dividende zahlen zu können, wird sich die Frankfurter Großbank gewaltig strecken müssen - selbst zusammen mit der Dresdner Bank veranlagt, der künftig die Erträge aus dem Investmentbanking fehlen werden. Es riecht hier in Frankfurt, es riecht in München, aber auch in Düsseldorf keineswegs nach schnellen Abschieden des Staates so wünschenswert sie wären. Nein, hier wurde etwas angestoßen, dessen Notwendigkeit sicherlich eindeutig war, dessen Konsequenzen aber weiter und länger reichen, als bislang bedacht wurde.

Während dieser Zeit wird der Staat seiner Pflicht als Aktionär wie als Investor gerecht werden müssen. Nachdem er sich nun einmal dafür entschieden hat, öffentliche Mittel zu investieren, darf er sich nicht aus der Verantwortung herausstehlen, diese auch zu verwalten. Dabei muss allerdings stets der Finanzcharakter der Investments im Vordergrund stehen, nicht der ideologische. Gerade die Banken dürfen nicht für strukturpolitische Zwecke missbraucht werden. Wozu das führen kann, zeigt das beeindruckende Beispiel der Landesbanken, von denen außer in Frankfurt und vielleicht noch in Stuttgart und Hannover keine ein nachhaltiges Geschäftsmodell hat. Von daher ist es absolut richtig, dass an dieser Stelle mit SoFFin-Geldern nur zögerlich umgegangen wird und zur Sanierung erstmal die Eigentümer, in erster Linie die Länder herangezogen werden.

Was insgesamt Sorge bereiten muss, ist die Frage: Wo ist Schluss? Welche Branche darf beziehungsweise kann nicht mehr gefördert werden? Bäckermeister und Handwerker, Bauern und Friseurmeister, Wirte, Fluglinien und Hoteliers welche dieser Branchen ist systemrelevant, ist für eine Volkswirtschaft und damit das Wohl aller wichtig? Diese Entscheidungen zu treffen wird schwer. Banken - ja!

Autos - ja! Pornos? Nein! Der Vorstoß der US-Pornoindustrie - so medienwirksam er auch inszeniert war - zeigt das ganze Dilemma der handelnden Personen. Denn wenn man seitens der öffentlichen Hand hier zu großzügig und mildtätig agiert, langt ein Konjunkturpaket wie das deutsche von 50 Milliarden Euro noch nicht mal für das erste Jahr. Kein Zweifel: Deutschland braucht starke Banken, aber dafür braucht es wohl "neue" Banken. Solche nämlich, die sich wieder auf ihren ursprünglichen Zweck besinnen, nämlich Einlage einsammeln und als Kredit wieder ausreichen und das Investmentbanking nur als Nebenerwerbszweck sehen. Volksbanken und Sparkassen tun dies geradezu beispielhaft. P.O.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X