Leitartikel

Keine Lust auf Krise

Es gibt Dinge, die man zum Glück nur bedingt mit rationalen oder statistischen Daten erklären kann, weil sie auf Emotionen beruhen. Die deutschen Verbraucher haben sich jedenfalls anders als befürchtet keineswegs von der Krisenstimmung in Europa anstecken lassen und dem Einzelhandel mit ihren Weihnachtseinkäufen einen ordentlichen Jahresschluss beschert. Sind die Menschen das Krisengerede einfach leid oder ist es so etwas wie das letzte Zucken bevor das Ende naht? Natürlich spielen auch die mangelnden Alternativen angesichts der Verunsicherung um die meisten Geldanlagemöglichkeiten und die niedrigen Zinsen eine Rolle. Konsum statt Sparen mag sich mancher da denken.

Und die deutsche Wirtschaft blickt ebenfalls mit deutlich mehr Zuversicht in das Jahr 2012 als das die allgemeinen Erwartungen der Experten zulassen dürften. Der bekannte Ifo-Geschäftsklimaindex der Gewerblichen Wirtschaft jedenfalls stieg zum zweiten Mal in Folge und notierte im Dezember 2011 bei 107,2Punkten, 0,6 Punkte mehr als im November. Hoffnungsvoll stimmt den externen Beobachter die Erwartung der Unternehmen selbst, die ihre Geschäftslage und die Aussichten positiv beurteilen. Und das, obwohl das Wirtschaftswachstum den Prognosen zufolge in diesem Jahr spürbar einbrechen wird. Die Bundesregierung geht noch von einem BIP-Wachstum in Deutschland von rund einem Prozent aus, nachdem es 2011 um rund drei Prozent zulegte. Es wird allerdings erwartet, dass dieser Wert alsbald nach unten korrigiert werden wird. Das Ifo-Institut rechnet nur noch mit Zuwächsen von 0,4 Prozent, die sogenannten Wirtschaftsweisen erwarten 0,5Prozent, und die Analysten der Deutschen Bank sind noch skeptischer und gehen gar von einer Nullrunde aus, schreiben in ihrer Analyse aber, dass "die deutsche Industrieproduktion 2012 auf hohem Niveau stagnieren dürfte".

Rein theoretisch könnte man da Rezessionsängste ansprechen, ist der Zustand der Rezession per Definition doch von einem abgeschwächten, stagnierenden oder leicht negativen Wirtschaftswachstum gekennzeichnet. "Aber eine Rezession befürchte ich nicht - erst recht nicht eine so starke wie 2009, als das Bruttoinlandsprodukt um rund fünf Prozent absackte, " sagte der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz jüngst. Die Gründe für diese Einschätzung: Die Zahl der Beschäftigten sei so hoch wie nie, die Kapazitäten der Industrie seien besser ausgelastet als im langjährigen Durchschnitt und die Unternehmen seien gesund und zuversichtlich. "Deutschland geht es gut, noch jedenfalls", so Franz.

Damit das so bleiben kann, ist die künftige Entwicklung in Europa maßgeblich, schließlich gehen rund 60 Prozent der deutschen Exporte in die europäischen Nachbarländer. Und hier sieht es bei Weitem nicht so rosig aus. Von positiven Ausreißern wie Polen (plus 2,6 Prozent), Dänemark (plus 1,2 Prozent) und Norwegen und Schweden (jeweils plus 1,3 Prozent) einmal abgesehen, wird in anderen Ländern mit negativen Vorzeichen für das BIP-Wachstum gerechnet. Dabei stehen sicherlich die Schuldenstaaten Griechenland, Spanien und Italien am meisten unter Beobachtung, für die weitere Entwicklung Europas wird aber das Verhalten Frankreichs entscheidend sein, das verzweifelt um seinen Status als Europas zweitwichtigste Wirtschaftsmacht kämpft. Allerdings gehen Experten von einem Schrumpfen der französischen Wirtschaftsleistung von zunächst 0,3 Prozent aus, was die gesamten bisherigen Budgetplanungen über den Haufen wirft und größere Sparanstrengungen nötig machen würde. Die Bereitschaft dafür ist allerdings begrenzt, stehen im Frühjahr doch Präsidentschaftswahlen an.

All das ist für Deutschland und für ganz Europa natürlich kritisch. Zum einen könnte ein wichtiger Verbündeter für Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kampf gegen die Schuldenkrise wegfallen. Zum anderen wird mit Argusaugen zu beobachten sein, ob Frankreich denn die nun erwirkten harten Regeln gegen Defizitsünder auch auf sich selbst angewendet sehen will, wenn es denn soweit kommt. Davon wird aber das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte Europas abhängen. Bricht Frankreich aus, ist der Glauben an eine Allianz der Europäer ebenso dahin wie der Anreiz für andere Länder, ihre Sparanstrengungen zu verstärken.

Der deutschen Wirtschaft geht es auch gut, weil die Banken (noch) ihren Job machen und die Unternehmen ausreichend mit Kredit versorgen. Mit 2413,747 Milliarden Euro belaufen sich die Ausleihungen an inländische Unternehmen und Privatpersonen laut Bundesbankstatistik zum 30. September 2011 auf den höchsten Stand seit 2004. Allerdings muss das angesichts der noch nicht abzusehenden Konsequenzen der Regulierungsbemühungen und der Staatsschuldenkrise nicht so bleiben. Die Sorge hiervor und die Kritik daran verbindet Vertreter von Banken und Wirtschaft, die man so einträchtig selten nebeneinander gehört hat, wenn es um das Thema Kreditvergabe geht. Die Refinanzierung der Kreditinstitute wird das Wettbewerbsthema der kommenden Jahre sein. Dauerhaft kann und wird die EZB, die den Bankenmarkt gerade wieder mit langfristig günstigen Mitteln geflutet hat, nicht als "Lender" zur Verfügung stehen.

Das heißt, die Unternehmen sind gut beraten, nicht nur für den Aufbau eigener Liquidität zu sorgen, sondern sich auch nach alternativen Finanzierungsquellen an den Banken vorbei umzusehen. Um den Sprung in Deutschland von einem hauptsächlich bankenfinanzierten System hin zu einer stärker Kapitalmarkt getragenen Unternehmensfinanzierung zu schaffen, bedarf es laut einer aktuellen Studie des DAI zweierlei, der "objektiven" Börsenfähigkeit und dem "subjektiven" Willen, vor allem der größeren Mittelständler, den Sprung aufs Parkett auch zu wagen. Das Potenzial prinzipiell börsenfähiger Unternehmen ist mit immerhin rund 1250 Mittelständlern beachtlich. Andererseits bestätigt die Studie die viel zitierte Skepsis des Mittelstands. Viele Unternehmen fühlen sich zu klein oder scheuen die Einmischung von Dritten in die Geschäftspolitik. Ersteres versucht die Studie zu entkräften: Bei den Börsengängen der vergangenen Jahre lag die durchschnittliche Bilanzsumme bei rund 30 Millionen Euro, ein Viertel der Unternehmen hatte einen Umsatz von weniger als zehn Millionen Euro.

Es bleibt festzuhalten: Sowohl Unternehmen als auch Banken in Deutschland machen ihre Sache gut. Nun ist es an der Politik, tragfähige Lösungen für Europa und damit gegen die allgemeine Verunsicherung zu entwickeln. Dann kann auch 2012 wieder eine Überraschung werden und keine Enttäuschung.

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