Aufsätze

Nullzinspolitik - Japan in der Liquiditätsfalle gefangen

Zins wird oft als Preis für Zeit bezeichnet: Ein Gläubiger verzichtet heute auf Konsum, um in der Zukunft mehr konsumieren zu können - wenn er die Zinsen erhält und der Kredit zurückgezahlt wird. Demnach scheint Zeit in Japan nichts mehr zu kosten, denn der Leitzins ist hier schon seit dem Jahr 1995 auf unter 1,0 Prozent gefallen (Abbildung 1).

Ein einmaliges Phänomen in der Wirtschaftsgeschichte

Die anhaltende Nullzinspolitik in Japan ist in der Wirtschaftsgeschichte einmalig. In den vergangenen Jahrhunderten markierte ein Zinsniveau von zwei Prozent die untere Grenze, wie das Beispiel der Bank von England zeigt (Ab bildung 2). Lange Zeit setzte der Gold standard eine Grenze für das Zinsniveau. So führte ein zu niedriges Zinsniveau zu einem Abfluss von Gold und somit zu einer automatischen Kontraktion der Geldmenge, die die positiven Konjunktureffekte des niedrigeren Zinsniveaus konterkarierte. Unter dem Goldstandard war die Aufgabe der Zentralbanken sehr einfach: Sie mussten den Leitzins nur dann anpassen, wenn das vorgegebene starre Verhältnis von Geldmenge zu Gold in Gefahr war.

Unter einem Papiergeldstandard gibt es dagegen weder eine natürliche Grenze für das Zinsniveau noch für die Größe der Zentralbankbilanz mehr. Dementsprechend ist das Zinsniveau seit dem Ende des Goldstandards 1973 deutlich volatiler geworden. So stieg der Leitzins in Japan bis 1990 sogar auf über acht Prozent. In den Folgejahren - nach dem Platzen der Blase am Aktien- und Immobilienmarkt - erreichte er allerdings schon 1995 einen neuen historischen Tiefstand. Damit steckt das Land schon seit über 15 Jahren in einer Liquiditätsfalle.

Das niedrige Zinsniveau kann die Unternehmen und Konsumenten nicht mehr zu kreditfinanzierten Investitions- und Konsum ausgaben anreizen. Seit dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase Anfang der neunziger Jahre summierte sich der Vermögens verlust in Japan durch die Preisrückgänge am Aktien- und Immobilienmarkt auf insgesamt 1 500 Billionen Yen, was etwa dem Dreifachen des japanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Der japanische Unternehmenssektor wie auch das japanische Bankensystem waren infolgedessen de facto pleite, da die Bilanzaktiva stark schrumpften, während die Bilanzpassiva unverändert hoch blieben. Die Konjunkturprogramme der Regierung sowie die Nullzinspolitik der japanischen Zentralbank erkauften Zeit, damit die Unternehmen mit ihrem unverändert positiven Cash-Flow die Verschuldung langsam abbauen konnten. Solange aber die Unternehmen ihre Verschuldung weiter abbauen, bleibt Japan in der Liquiditätsfalle. Denn im Endeffekt gibt es für ein großes Angebot an Ersparnissen keine Nachfrage aus dem privaten Sektor, sodass der Preis für Zeit in Japan tatsächlich bei null liegt.

Liquiditätsfalle als Folge wirtschaftspolitischer Entscheidungen

Die anhaltende Liquiditätsfalle in Japan und die Wirtschaftsprobleme, beispielsweise die hohe Staatsverschuldung, sind jedoch keineswegs eine zwangsläufige Folge des Platzens der Vermögenspreisblase, sondern eine Folge wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Die skandinavischen Länder etwa brachten ihre Wirtschaft nach dem Platzen der Immobilienblase Anfang der neunziger Jahre wieder schnell in Gang - mit einer raschen und radikalen Rekapitalisierung des Bankensystems. Die private Nachfrage kann nämlich nur mit einer ausreichenden Kreditversorgung wachsen, und das erfordert ein gesundes Bankensystem. In Japan dauerte es dagegen mehr als zehn Jahre, bis die Probleme im Bankensystem ernsthaft angegangen wurden.

Darüber hinaus lastet die Deflation schwer auf der Wirtschaft: Sie erhöht die reale Schuldenlast und erschwert damit den Unternehmen den Schuldenabbau. Auch verharren die Realzinsen aufgrund der Deflation auf einem ungewöhnlich hohen Niveau und reduzieren somit die Attraktivität der Kreditaufnahme. Trotz einer stagnierenden Wirtschaft lag die durchschnittliche reale Rendite von zehnjährigen japanischen Staatsanleihen ungefähr auf dem gleichen Niveau wie in den USA oder der Eurozone seit 1990 (Abbildung 3). Die Wirtschaftsschwäche sowie die hohe Verschuldung der Unternehmen hätten eigentlich einen durchschnittlich negativen Realzins in Japan in den vergangenen beiden Dekaden erfordert.

Ausweg gesucht

Die Deflation bewirkt somit eine massive Umverteilung von Vermögen von der jungen Generation, den Unternehmen und dem Staat hin zur älteren Generation mit einem hohen Sparvermögen. Dementsprechend entwickelte sich der japanische Rentenmarkt in den vergangenen Jahren sehr gut, während die Unternehmen unter der Deflation litten und der Aktienmarkt folglich zur Schwäche neigte. Die durchschnittliche Wertentwicklung japanischer Staatsanleihen lag seit 1990 bei etwa 4,3 Prozent pro Jahr, die durchschnittliche Wertentwicklung von Aktien dagegen bei minus 3,9 Prozent (Abbildung 4).

Die Finanzierung höherer Staatsausgaben durch die Zentralbank könnte ein Weg aus der Liquiditätsfalle sein. Unter einem Papiergeldstandard ist eine Deflation eigentlich vermeidbar. In eine Liquiditätsfalle kann im Grunde nur der private Sektor geraten - der öffentliche Sektor ist grundsätzlich nicht davon betroffen. So könnte der japanische Staat beispielsweise die Nachfrage der Gesamtwirtschaft signifikant stimulieren, indem er die Staatsausgaben erhöht und die Steuern senkt. Jedoch müsste der staatliche Stimulus durch die japanische Zentralbank direkt finanziert werden und nicht, wie in der Vergangenheit üblich, durch die Emission von Staatsanleihen. Denn eine Finanzierung der Staatsausgaben durch die Zentralbank erhöht die Geldmenge und damit ultimativ das Preisniveau.

Die Emission von Staatsanleihen erhöht die Geldmenge dagegen nicht, da schon existierendes Geld dem privaten Sektor zur Staatsfinanzierung entzogen wird. Bisher agierte die japanische Zentralbank äußerst konservativ und versuchte jegliche Staatsfinanzierung zu vermeiden. Die Maßnahmen der japanischen Zentralbank konzentrierten sich daher überwiegend auf das Bankensystem - mit nur mäßigem Erfolg, da die Banken aufgrund einer unzureichenden Eigenkapitalausstattung in ihren Aktivitäten sehr eingeschränkt waren. Ein Grund für das zögerliche Verhalten der japanischen Zentralbank könnte darin liegen, dass sie eine Übertreibung des staatlichen Stimulus fürchtet und damit ein Überschießen der Inflation. Eine höhere Inflation aber würde vor allem die ältere Bevölkerung treffen und damit den Medianwähler - also diejenigen Wähler, die letztlich für den Wahlausgang entscheidend sind.

Höhere Inflationserwartungen weisen einen neuen Weg im Kampf gegen die Deflation. Unter dem massiven Druck der Regierung versucht die japanische Zentralbank, einen neuen Weg in der Bekämpfung der Deflation einzuschlagen. Zwar verzichtet sie offenbar weiterhin auf eine Staatsfinanzierung, doch scheint sie die japanische Wirtschaft durch einen Anstieg der Inflationserwartungen und der Vermögens preise aus der Liquiditätsfalle führen zu wollen.

Die Etablierung eines Inflationsziels von mittelfristig zwei Prozent in diesem Jahr bewirkte schon einen deutlichen Anstieg der Inflationserwartungen und damit einen Rückgang der Ex-ante-Realzinsen (Abbildung 5). Auch soll mit den verschiedenen Kaufprogrammen für Wertpapiere ein Vermögenseffekt eintreten, der eine Belebung der Kreditvergabe ermöglicht. Höhere Preise für Vermögenswerte verbessern die Bilanzqualität und erhöhen somit die Besicherungsmöglichkeiten von Krediten.

Geldpolitik aus politischen Gründen?

Die Deflation in Japan ist vor diesem Hintergrund eine Folge der Liquiditätsfalle im privaten Sektor und einer unzureichenden Staatsfinanzierung durch die japanische Zentralbank. Die demografische Entwicklung in Japan steht somit nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Deflation, wie oft fälschlicherweise behauptet wird. Indirekt allerdings könnte ein Zusammenhang bestehen, da der ältere Teil der Bevölkerung mit seinen hohen Ersparnissen den Medianwähler stellt, der von einer moderaten Deflation profitiert. Die Bank von Japan könnte also durchaus mit ihrer konservativen Ausrichtung der Geldpolitik aus politischen Gründen auf den Medianwähler Rücksicht genommen haben.

Solange die Deflation in Japan anhält, solange dürfte auch die Nullzinspolitik der japanischen Zentralbank Bestand haben. Sollte es der japanischen Notenbank jedoch gelingen, früher oder später der Liquiditätsfalle zu entkommen, könnte sich die Inflation durchaus wieder um das Inflationsziel von zwei Prozent einpendeln. Bei einem Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft von rund 1,0 Prozent ergibt sich ein theoretischer Gleichgewichtszins von etwa drei Prozent. Sollte es aber wieder zu einer Inflation kommen, ist zu vermuten, dass die japanische Zentralbank dem Beispiel anderer Zentralbanken in den Industrie nationen folgen und über einen gewissen Zeitraum negative Realzinsen in Kauf nehmen wird, um den Staat bei der Entschuldung zu unterstützen.

Eines aber ist in diesem Zusammenhang zu beachten: Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank und der Federal Reserve mit der Folge negativer realer Zinsen unterscheidet sich erheblich von der Nullzinspolitik der Bank von Japan. In Europa und den USA werden die Sparer angesichts der über den Zinsen liegenden Inflation schleichend enteignet, während die Sparer in Japan aufgrund der Deflation bisher zu den Gewinnern zählten. Die Nullzinspolitik wird erst dann zu einem Ende kommen, wenn sich die Inflation signifikant beschleunigt.

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