Interview

Redaktionsgespräch mit Hiltrud Thelen-Pischke und Klaus Lackhoff / "Ohne den SRM bliebe der SSM unglaubwürdig - Europa braucht beides"

Wie weit sind die gemeinschaftliche europäische Bankenaufsicht (SSM) und der einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM) gediehen? Sind die grundsätzlichen Entscheidungen für den SSM und den SRM schon unumkehrbar oder kann es noch Hindernisse geben, die diese beiden Projekte gefährden? Lackhoff: Die politische Einigung über die Verordnung zum Single Supervisory Mechanism (SSM-Verordnung) ist auf europäischer Ebene im Frühjahr dieses Jahres erreicht worden. In Deutschland haben Bundestag und Bundesrat vor der Sommerpause den Weg für die deutsche Zustimmung zur SSM-Verordnung im Rat der EU freigemacht. Die Abstimmung im Europäischen Parlament steht im September an. Diese könnte sich verzögern, wenn keine Einigung über die Ausgestaltung der Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament erreicht wird. Beide verhandeln derzeit über ein Abkommen, das die Einzelheiten der Rechenschaftslegung festlegen soll. Wenn diese Hürde genommen ist, sind im Europäischen Rat keine wesentlichen Änderungen mehr zu erwarten. Man kann demnach für Ende September 2013 mit einem Inkrafttreten der SSM-Verordnung rechnen. Ein Jahr nach Inkrafttreten der SSM-Verordnung ist dann die Aufnahme der operativen Aufsichtstätigkeit durch die EZB vorgesehen, wobei die Verordnung der EZB eine Möglichkeit zu einer zeitlichen Verschiebung einräumt. Im Vorfeld der Aufnahme der Aufsichtstätigkeit ist durch die EZB ein "Rahmenwerk" zu erlassen, das die Implementierung des Single Supervisory Mechanism (SSM) im Einzelnen regeln soll. Dieses Rahmenwerk ist sechs Monate nach Inkrafttreten der SSM-Verordnung zu erlassen. Eine Klippe könnte sich aus dem vorgesehenen Asset Quality Review ergeben. Sollte dieser einen Rekapitalisierungsbedarf zutage fördern, wäre das nach der SSM-Verordnung zwar kein Hindernis für die Aufnahme der Aufsichtstätigkeit der EZB. Aber aufgedeckte Kapitallücken würden die Frage aufwerfen, wie die erforderlichen Mittel aufgebracht werden. Dies kann eigentlich nur im Rahmen der derzeit schon bestehenden Mechanismen, bei denen noch eine Koppelung von Staatsverschuldung und Bankenrettung besteht, erfolgen. Thelen-Pischke: Beim Single Resolution Mechanism (SRM) ist der Zeithorizont bis zur Umsetzung weniger deutlich. Im Juli hat die Kommission den Entwurf einer Verordnung zu einem einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM-VO) vorgestellt. Damit soll sichergestellt werden, dass dem SSM unterliegende Banken bei Bedarf effizient abgewickelt werden, ohne übermäßige negative Konsequenzen für den Steuerzahler und die Realwirtschaft zu verursachen. Die materiellen Bestimmungen für die Abwicklung von Banken werden in der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Banken geregelt sein. Angesichts der ersten kontroversen Reaktionen aus verschiedenen Mitgliedstaaten auf den Verordnungsentwurf der EU-Kommission ist es keineswegs sicher, dass dieser in diesem Jahr noch verabschiedet werden kann. Konfliktpotenzial ergibt sich vor allem daraus, dass die SRM-VO die EU-Kommission als die Institution vorschlägt, die beschließt, ob und wann eine Bank abgewickelt werden soll. Zudem wird in diesem Kontext immer wieder das Thema der einheitlichen europäischen Einlagensicherung angesprochen. Zwar hat die Kommission versichert, dass derzeit eine einheitliche Einlagensicherung nicht vorgesehen ist. Gleichwohl sind auch die nationalen Einlagensicherungssysteme massiv betroffen, wenn ein Beschluss der EU-Kommission zur Abwicklung einer Bank erfolgt. Nicht zuletzt für die deutsche Kreditwirtschaft mit ihren gruppeneigenen Sicherungssystemen ist ein Dreiklang aus SSM, SRM und Einlagensicherung ein sehr wichtiges Anliegen. Die dahinterstehende Grundüberlegung ist einfach: Für die europäische Bankenaufsicht bedarf es eines Abwicklungsmechanismus nach gemeinsamen Regeln, und für diesen wiederum wird ein Fonds benötigt, der nach bestimmten, allgemein gültigen Regeln Verluste mittragen kann. Da stellt sich dann die Frage, wie weit der Bail-in gehen soll. Die nationalen Einlagensicherungssysteme müssen bei der Abwicklung einer Bank zumindest die Verluste bis zur Höhe der gedeckten Einlagen übernehmen, sind aber in dem der Abwicklung vorangehenden Entscheidungsprozess nicht eingebunden. Ist es aus heutiger Sicht nicht illusorisch, die Einführung aller drei Elemente der Bankenunion zeitlich eng zusammenführen zu wollen? Lackhoff: Die EU-Kommission hatte in ihrem ersten Vorstoß zur Bankenunion einen Dreiklang von einheitlicher Beaufsichtigung, einheitlichem Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus und einheitlicher Einlagensicherung vorgeschlagen. Aber in der Tat ist die zeitliche Kopplung aller drei Elemente nicht mehr ernsthaft in der Diskussion. Ohne einen wirksamen, durch einen leistungsfähigen Fonds gespeisten Abwicklungsmechanismus als zweites Element, bliebe indessen eine europäische Aufsicht unglaubwürdig, weil die Schließung einer Bank, wie die Finanzkrise gelehrt hat, nur eine valide Option ist, wenn sie ohne Schockwellen für die Finanzstabilität erfolgen kann. Dafür ist die Errichtung eines ausreichend finanzierten Restrukturierungs- und Abwicklungsmechanismus entscheidend. Die Schlüsselfragen lauten immer: Wer entscheidet, und wer muss zahlen? Genau an diesen Punkten kristalliert sich die Auseinandersetzung zum SRM. Und bei der einheitlichen Einlagensicherung als drittem Element der Bankenunion stellen sich die Fragen noch deutlicher. Angesichts dieser absehbaren Umsetzungsschwierigkeiten ist das ursprüngliche Paket der Bankenunion aufgeschnürt worden. Der SSM ist der erste Schritt, der in näherer Zukunft umsetzbar ist. Beim SRM wird weiter diskutiert, ob sich die EU-Kommission mit ihrem vor der Sommerpause veröffentlichten Entwurf durchsetzen kann. Wenn sich entgegen diesem Vorschlag die Rechtsauffassung durchsetzt, dass zu seiner Errichtung eine Änderung der EU-Verträge erforderlich ist, dürfte das wegen der notwendigen Ratifizierungsprozesse in den einzelnen Mitgliedstaaten das Projekt allerdings deutlich verzögern. Gleichwohl könnte das Projekt SRM in absehbarer Zeit als zweites umgesetzt werden. Die Einlagensicherung ist ein Projekt für die fernere Zukunft. Bemerkenswert ist insoweit, dass die zunächst kategorische Ablehnung in Deutschland, wie jüngste Äußerungen des Präsidenten des BdB nahelegen, zumindest im privaten Banksektor durch eine differenziertere Position ersetzt wird. Thelen-Pischke: Diese Einschätzung teile ich. Gerade die Haltung der deutschen Kreditwirtschaft und auch großer Teile der Politik zur Einlagensicherung resultiert aus den unterschiedlichen Standards der bestehenden Systeme. In Deutschland sind speziell die Töpfe der beiden Institutsverbünde mehr oder weniger ordentlich gefüllt, weil die Banken seit Jahren einzahlen und auch während der Finanzkrise die Gelder nicht in hohem Maße angetastet werden mussten. Nun wird befürchtet, die eingezahlten Beiträge als Hilfestellung für Banken aus anderen Ländern einsetzen zu müssen. Die Befindlichkeiten auch politischer Art sind deshalb an dieser Stelle derzeit sehr groß. Inwieweit ist der Start der beiden Projekte SSM und SRM rechtlich aneinander gekoppelt? Lackhoff: Es gibt keine rechtliche Aneinanderkoppelung von SSM und SRM, die einen zeitgleichen Start festlegt. Aber wirtschaftlich macht eine einheitliche Aufsicht eigentlich wenig Sinn, wenn man nicht parallel dazu das Instrumentarium zur Abwicklung schafft, das die rechtliche Möglichkeit zur Schließung einer Bank erst wirtschaftlich unterfüttert. Thelen-Pischke: An dieser Stelle lohnt sich der Rückblick auf die Jahre 2007/ 2008. Im Jahre 2007 war in Deutschland eine Bank in Schwierigkeiten, die von einem starken Partner aufgefangen werden konnte. 2008 gab es dann gleich mehrere Fälle und keine starke Partnern mehr. Folglich musste man sehr schnell die Mechanismen für eine Abwicklung von Bad Assets schaffen. Mit dem Instrumentarium in Deutschland, nämlich dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz, der Gründung von SoFFin, FMSA und EEA wurde zügig ein wirksamer Abwicklungsmechanismus geschaffen. Damals zeigte sich sehr deutlich, dass man Vertrauen nur aufrechterhalten kann, indem man in schnellen Reaktionen die betroffenen Institute von den schlechten Assets entlastet und die guten Vermögenswerte entweder in eine andere Bank einbringt oder die Teilbank stand alone weiterarbeiten lässt. Gerade für grenzüberschreitend tätige Institute ist es extrem wichtig, den SRM zu haben. Dieser sollte parallel zum SSM vorangetrieben werden, auch wenn das realistische Zeitfenster für eine Einigung beim SRM wesentlich größer ausfallen dürfte. Lackhoff: Da stimme ich voll zu. Es reicht eben nicht aus, nationale Abwicklungsmechanismen zu errichten, wie es der Vorschlag für die Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (RRD) vorsieht und diese zu koordinieren. Für zentral beaufsichtigte Institute sollte es vielmehr auch eine zentrale Abwicklungseinheit geben. Bei aller gebotenen Vorsicht und allen Hindernissen der Umsetzung lässt sich also klar eine Präferenz für die Zwillingslösung aus SSM und SRM heraushören ... Thelen-Pischke: Ja, ohne beide Instrumente geht es in Europa nicht. Gerade die Lehman-Pleite hat sehr deutlich die Schwierigkeiten vor Augen geführt, die entsprechenden Zahlungsströme und Zahlungsverpflichtungen zu lenken. Die jüngste Krise, die wir in Zypern erlebt haben, macht ebenfalls deutlich, wie wichtig ein solcher Mechanismus ist. Welchen Zeitbedarf veranschlagen Fachleute wie Sie für die erforderlichen Schritte? Lackhoff: Für die Aufnahme der Aufsichts tätigkeit der EZB im Rahmen des SSM halte ich - wie gesagt - den Herbst 2014 für realistisch. Beim SRM möchte ich mich angesichts der noch anstehenden Herausforderungen lieber nicht festlegen. Auf politischer Ebene wird darum gerungen, wer angesichts der erheblichen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Auswirkungen der Abwicklung eines Kreditinstituts über diese entscheidet: die Kommission - wie im Kommissionsentwurf zur SRM-Verordnung vorgeschlagen - oder ein anderes Gremium, in dem die nationalen Restrukturierungsbehörden vertreten sind. Eine Ableitung der zweiten Position ist es, ein Netzwerk nationaler Restrukturierungs- und Abwicklungsbehörden für ausreichend zu halten, die ihre Tätigkeit koordinieren müssen. Rechtlich wird der Disput in die Frage eingekleidet, ob der SRM auf die Rechtsangleichungsvorschriften zum europäischen Binnenmarkt im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestützt werden kann oder eine Vertragsänderung notwendig ist. Und on top spielt die Frage hinein, ob Entscheidungsbefugnisse im Rahmen des SRM delegiert werden dürfen. Die Position der Kommission ist, dass der AEUV eine Rechtsgrundlage für die Errichtung des SRM bietet, aber eine Delegation solch wesentlicher Entscheidungen auf eine neu geschaffene Einrichtung nicht zulässt, sodass die Entscheidungskompetenz bei der Kommission liegen müsse. Die Bundesrepublik scheint der Auffassung zu sein, dass der AEUV keine Grundlage für den SRM biete, sodass eine Vertragsänderung erforderlich sei, mit der auch eine eigene Restrukturierungs- und Abwicklungsbehörde mit einem für die Mitgliedstaaten akzeptablen Entscheidungsmechanismus geschaffen werden könne. Thelen-Pischke: Die Vorgabe der einzelnen Schritte einer Abwicklung braucht in jedem Falle eine vergleichbare Rechtsbasis. In diesem Zusammenhang gilt es nicht zuletzt zu bedenken, dass Europa kein einheitliches Insolvenzrecht hat. Auf Deutschland bezogen gilt das allgemeine Insolvenzrecht in Verbindung mit den Besonderheiten im KWG. Zudem wird hierzulande die Frage der parlamentarischen Kontrolle aufgeworfen. Heute sind zumindest BaFin und SoFFin dem BMF und damit letztlich dem Mitspracherecht des Parlamentes unterstellt. Bei der EU-Kommission wäre diese direkte Einflussmöglichkeit der nationalen Seite nicht gegeben. Wenn neue Instrumente eingerichtet werden, dann muss es auch eine parlamentarische Kontrolle geben. Das ist für die deutsche Seite ein wichtiges Kriterium. Lackhoff: In der Tat ist nach der Schaffung des SRM eine Kontrolle durch die Parlamente der Nationalstaaten nicht gegeben, das ist aber bei jeder Kompetenzverlagerung auf die europäische Ebene so. Auf europäischer Ebene wäre die EU-Kommission, sofern sie die Entscheidungsbefugnis beim SRM zugesprochen bekommt, allerdings sehr wohl dem EU-Parlament verantwortlich. Sie kann von den Abgeordneten befragt werden, und die Kommissare müssen vor Untersuchungsausschüssen auftreten. Welche praktischen Schritte zur Bankenunion sind schon in die Wege geleitet worden? Wer hat die organisatorische und personelle Vorbereitung in der Hand? Lackhoff: Die EZB muss sich der Beschlusslage nach auf das SSM-Projekt vorbereiten und tut das auch. In diesem Zusammenhang sind vor einigen Monaten Angaben zur möglicherweise notwendigen Personalausstattung aus einem Gutachten publik geworden. Seinerzeit war die Rede von 2 000 Mitarbeitern. Die EZB hat zwischenzeitlich klargestellt, dass diese Zahl nicht realistisch ist. Es wird inzwischen von mehreren Hundert gesprochen. Aber die Anzahl der Mitarbeiter ist natürlich auch eine Frage des Zeithorizontes. Thelen-Pischke: Die Schwierigkeiten der EZB bei der Vorbereitung des Projektes resultieren aus der fehlenden Rechtsgrundlage. Solange die SSM-Verordnung als solche nicht verabschiedet ist, kann die EZB beispielsweise keine bindenden arbeitsrechtlichen Verpflichtungen eingehen oder Gebäude anmieten. Gibt es Vorstellungen, wie viele Mitarbeiter aus den nationalen Notenbanken zur Vorbereitung des Projektes SSM an die EZB delegiert werden? Thelen-Pischke: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es überhaupt erheblicher Ressourcen bedarf, 130 bis 150 Bankengruppen, die vielfach auch grenzüberschreitend tätig sind, von der Aufbau- und Ablauforganisation über die Governance bis hin zu den IT-Strukturen, auf Einhaltung der Single-Rulebook-Vorgaben überprüfen zu wollen. Zur Vorbereitung des Projektes SSM muss die von der SSM-Verordnung vorgesehene Bilanzüberprüfung beziehungsweise der Asset Quality Review durchgeführt werden. Nur so ist sichergestellt, dass noch in den Bilanzen schlummernde Risiken von den einzelnen Mitgliedstaaten selbst getragen werden. Nach Aussagen der Bundesbank ist dieses Vorhaben aufgrund der enormen Komplexität und des damit verbundenen Arbeitsaufwands eine große Herausforderung für die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden. Offizielle Zahlen zur notwendigen Personalentsendung aus den nationalen Notenbanken gibt es meines Wissens nach noch nicht. Im Übrigen ist ein gewisses Konfliktpotenzial bei dem Vorbereiten beziehungsweise Ausüben von Entscheidungen zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und der EZB sowie damit einhergehender Doppelarbeiten zu befürchten. Die Zuständigkeiten zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und der EZB sind in der Verordnung festgelegt. Es fehlt aber noch die konkrete Ausgestaltung, die von der EZB in Form einer Rahmenverordnung, Leitlinien oder Empfehlungen zu erlassen ist. Und nicht zuletzt stellt sich in diesem Zusammenhang noch die spannende Frage nach den Kosten. Letztlich sollen die Banken nach dem vorliegenden Verordnungsentwurf die Kosten für die Aufsicht tragen. Aber wer wird dazu herange zogen? Nur die direkt beaufsichtigten 130 bis 150 Bankengruppen oder auch die kleinen, und wenn ja, nach welchem Schlüssel werden die Kosten verteilt? Die Kostenverteilung verspricht in der Tat ein interessantes Thema zu werden. In welchen Dokumenten ist diese festgehalten? Lackhoff: Es gibt eine Kostenregelung in der SSM-Verordnung; Einzelheiten wird die EZB in einem weiteren Rechtsakt ausgestalten müssen. Aber die Frage der Kostentragung lässt sich erst sinnvoll beantworten, wenn man ein klares Verständnis für die Funktionsweise des SSM hat. Für dieses Verständnis ist die mit der SSM-Verordnung geschaffene Kompetenzverteilung von zentraler Bedeutung. Dazu enthält die SSM-Verordnung klare Regelungen. Für die prudentielle Beaufsichtigung der bedeutenden Einlagenkreditinstitute ist grundsätzlich die EZB zuständig. Für die weniger bedeutenden Institute sind es die nationalen Aufsichtsbehörden. Darüber hinaus gibt es für verschiedene Bereiche eine zentrale Zuständigkeit der EZB für alle Einlagenkreditinstitute (Erlaubniserteilung, Erlaubnisentzug, Zustimmung zum Erwerb bedeutender Beteiligungen) und in manchen Bereichen "parallele" Zuständigkeiten (Macro-prudentielle Instrumente, Prüfungen vor Ort). Schließlich sind die Kompetenzen der EZB im Hinblick auf Institute in Staaten in "enger Zusammenarbeit" zu nennen; das sind Mitgliedstaaten der EU, deren Währung nicht der Euro ist, die sich aber entscheiden, am SSM teilzunehmen. Für die prudentielle Aufsicht über die bedeutenden Einlagenkreditinstitute ist nur die EZB zuständig. Ob sie diese mit eigenem Personal ausführt oder mit Hilfe der nationalen Aufsichtsbehörden, ist zunächst einmal ihre Sache. Aber sie muss dafür sorgen, dass sie die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Mittelausstattung hat. Für die Aufsicht über die weniger bedeutenden Institute sind grundsätzlich - wie bisher - die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig. Die EZB hat aber die Aufgabe, die Funktionsweise der nationalen Aufsicht zu überwachen ("Aufseher der Aufseher") und hat bestimmte Kompetenzen in Bezug auf alle Einlagenkreditinstitute. Aus dieser Kompetenzverteilung wird man schließen können, dass die bedeutenden Einlagenkreditinstitute den bei Weitem überwiegenden Teil der Aufsichtskosten werden tragen müssen, die weiteren Kreditinstitute aber wohl einen geringen Anteil werden schultern müssen. Der Umfang der Aufsichtskompetenz der EZB und die Kostentragung durch die Aufsichtsunterworfenen dürften mithin parallel laufen. Sollen die Banken alle Aufsichtskosten tragen? Lackhoff: Ja, die SSM-Verordnung sieht eine vollständige Kostentragung durch die Beaufsichtigten vor. In der Summe dürften auf bedeutende Einlagenkreditinstitute höhere Kosten der Beaufsichtigung als bisher zukommen. Allerdings könnte für die bedeutenden Institute die Erhöhung der Aufsichtskosten dadurch abgemildert werden, dass sich der Aufwand der nationalen Aufseher in Bezug auf diese Institute verringert und dies bei der nationalen Festsetzung der Gebühren berücksichtigt werden muss. Thelen-Pischke: Es ist davon auszugehen, dass dieser kombinierte Aufsichtsprozess mit einem hohem Abstimmungsbedarf zwischen EZB und nationaler Aufsicht in der Tat teurer wird, zumal gewisse Aufsichtstätigkeiten von der Geldwäsche bis hin zum Verbraucherschutz ohnehin ganz bei den nationalen Aufsehern bleiben. Vor dem Start des SSM soll es den bereits erwähnten Asset Quality Review bei den betroffenen Banken geben. Wie ist an dieser Stelle der Stand der Dinge, angefangen von der angewandten Methodik bis zum organisatorischen Ablauf? Werden beispielsweise externe Prüfungsgesellschaften in diese Bewertung einbezogen? Lackhoff: Die Vorbereitung auf den Asset Quality Review läuft bereits bei der EZB. Sie arbeitet dabei eng mit den nationalen Aufsehern und den nationalen Notenbanken zusammen und stimmt sich mit der European Banking Authority (EBA) ab. Das betrifft auch Überlegungen zum methodischen Vorgehen, die allerdings wohl noch nicht zu einem Ende gekommen sind. Dem Vernehmen nach soll es den nationalen Aufsichtsbehörden überlassen werden, ob sie bei dieser "Eingangsuntersuchung für den SSM" externe Wirtschaftsprüfer einschalten oder nicht. Thelen-Pischke: In letzterem Punkt muss man die unterschiedlichen Kulturen der aufsichtsrechtlichen Praxis berücksichtigen. In Deutschland, Österreich, Luxemburg und auch in der Schweiz ist es durchaus üblich, externe Wirtschaftsprüfer stark in jegliche Aufsichtstätigkeiten einzubinden. Manchmal werden sie sogar zum verlängerten Arm der Aufsicht. Insbesondere in den südlichen Ländern der Eurozone ist das allerdings ganz anders. Dort haben die Aufsichtsbehörden sehr viel Personal, das umfassend mit Asset Quality Reviews in den Banken beschäftigt ist. So ist das beispielsweise in Spanien und auch in Italien der Fall. Aber auch in Frankreich sind Wirtschaftsprüfer bisher oft außen vor. Man wird also sehen müssen, wie sich die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden künftig aufstellen werden. Im Übrigen stellt sich beim Asset Quality Review die Frage, ob es bei dem ein oder anderen der zu prüfenden Institute ausreichen wird, sich nur die Kreditseite anzusehen oder ob nicht doch der gesamte Abschluss die Grundlage dar stellen sollte. Denn die Vermögensmasse wird in erheblichem Maße durch Goodwill, außer bilanzielle Posten und Derivatepositionen sowie die zugehörigen Bewertungsmechanismen bestimmt. Unterschiedlicher Meinung kann man schließlich auch da rüber sein, ob sich das Ganze nur auf Mikropositionen der jeweiligen Bankbilanzen beziehen soll oder auch die Makrosituation der Volkswirtschaften Eingang in die Bewertung finden muss. Ganz wichtig ist für die betroffenen Institute darüber hinaus die Beantwortung der Frage, wie mit dem Ergebnis des Balance Sheet/Asset Quality Review umgegangen werden soll. Das sollte unbedingt vor dessen Durchführung erfolgen. Ebenso fehlen derzeit Informationen darüber, wie die Verbindung der Ergebnisse beziehungsweise wie die Abstimmung mit dem geplanten EBA-Stresstest aussehen wird. Worauf stützen sich diese Aussagen und Einschätzungen? Thelen-Pischke: Teilweise basieren sie auf Verlautbarungen aus der EZB und der Bundesbank, teils sind sie am Markt zu vernehmen. Aber natürlich wird es zu diesen offenen Fragen offizielle Regelungen geben müssen. Lackhoff: Die wird es geben. Grundlage für den SSM wird die SSM-Verordnung sein. Dort ist unter anderem der Asset Quality Review vorgesehen. Die Verordnung ist freilich auf einer Flughöhe jenseits der technischen Details der Bewertung einzelner Assets verfasst. Die Regelung von Details zur Umsetzung, einschließlich der anzuwendenden Methodik obliegt im Rahmen der vorgesehenen Rechtssetzungskompetenz der EZB. Diese Arbeit läuft unter anderem auch in Abstimmung mit der EBA, die ihren Stresstest schon verschoben hat, um eine Doppelbelastung oder Unstimmigkeiten von vornherein möglichst zu vermeiden. Wird es beim Asset Quality Review auch eine Einbeziehung der Banken durch einen Konsultationsprozess geben, um Dissonanzen schon im Vorfeld gering zu halten? Lackhoff: Im Moment läuft dieser Abstimmungsprozess zwischen der EZB, der EBA und den nationalen Aufsichtsbehörden. Inwieweit man die Kreditwirtschaft und ihre Verbände einbezieht, ist derzeit noch nicht bekannt. Thelen-Pischke: Von möglichen Konsultationen ist auch mir bislang nichts bekannt. Mit Blick auf die zeitlichen Abläufe befürchtet die Kreditwirtschaft derzeit Anfang kommenden Jahres Überschneidungen des Asset-Quality-Review-Prozesses mit den Jahresabschlussarbeiten 2014. Wäre es klug, die Banken in dieser wichtigen Frage nicht einzubeziehen? Thelen-Pischke: Das kommt auf die Sichtweise der Beteiligten an. Die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden sind an einer übergeordneten Regelung interessiert. Banken haben hingegen stark divergierende Interessen, deren umfassende Berücksichtigung den Entscheidungsprozess zeitlich verzögern könnte. Deshalb glaube ich im jetzigen Stadium nicht an eine Konsultation. Gleichwohl ist eine Anhörung der Banken im Vorfeld aus meiner Sicht gerade vor dem Hintergrund der Doppelbelastung und der Praktikabilität sowie der noch offenen methodischen Fragen sinnvoll. Über die Rahmenverordnung zum SSM oder Teile davon, darf man dann eher ein öffentliches Anhörungsverfahren erwarten. Stichwort Rechtsfragen: Welche Rechtsgrundlagen gelten bezüglich SSM und SRM? Wo kann eine Bank klagen, falls sie mit Maßnahmen nicht einverstanden ist? Lackhoff: In der Frage des Rechtsschutzes gibt es relativ klare Vorgaben. Erstens wird - eigentlich nur in Deutschland - die Frage gestellt, ob und wie man sich gegen die Errichtung des SSM wenden kann. Der SSM ist auf der Grundlage von Artikel 127 Absatz 6 AEUV erlassen worden. Einzelpersonen, die gegen die Zustimmung der Bundesregierung zur Errichtung des SSM klagen wollen, können versuchen, sich an das Bundesverfassungsgericht zu wenden. Zweitens stellt sich die Frage, wie sich Einlagenkreditinstitute gegen einzelne Beschlüsse der EZB im Rahmen des SSM wenden können. Nach den europäischen Verträgen ist für den Rechtsschutz gegen Rechtsakte der EZB der Europäische Gerichtshof zuständig. Im Rahmen einer solchen Klage könnte ein Institut, an das Maßnahmen im Rahmen des SSM gerichtet werden, im Übrigen auch argumentieren, dass der gesamte SSM in Artikel 127 Absatz 6 AEUV keine hinreichende Grundlage hat. Bevor ein Institut gegen eine Aufsichtsmaßnahme klagt, kann es - muss es aber nicht - eine Überprüfung durch den Administrativen Prüfungsausschuss anstrengen. Dieser entscheidet zwar nicht selber in der Sache, schlägt aber der EZB, die letztlich durch den EZB-Rat entscheidet, eine Entscheidung vor. Noch einmal zurück zum Stichwort Personal: Bedarf es einer Verankerung der verschiedenen europäischen "Aufsichtskulturen" in der künftigen europäischen Bankenaufsicht? Lackhoff: Nein, die Mitgliedstaaten wollen hier gerade eine neue europäische Aufsichtsarchitektur mit einer zentralen Behörde für die gesamte Eurozone schaffen. Insofern muss sich zwangsläufig eine eigene Aufsichtskultur entwickeln. Die wichtige Aufgabe für die EZB besteht darin, dieses Verständnis durchzusetzen. Es ist eine große Herausforderung für die neue Instanz, ihren eigenen Weg zu gehen und nicht von den nationalen Aufsichtsbehörden abhängig zu bleiben. Thelen-Pischke: Wie schwierig es ist, eine eigenständige Kultur zu entwickeln, zeigt sich derzeit an der Arbeit der EBA. Die bislang veröffentlichten Entwürfe zu den sogenannten Technischen Standards tragen sehr oft die Handschrift der nationalen Behörden. Die bereits von einzelnen Aufsehern entwickelten Vorgaben werden zusammengeführt, um weitere Details ergänzt und münden in umfangreichen Dokumenten. Diese werden anschließend in aufwendigen Verfahren öffentlich konsultiert. Eine eigenhändige Handschrift mit wirklich neuen Ansätzen zur Schaffung effizienter und wirksamer Regelungen hat man bisher kaum wahrnehmen können. In Teilen ist diese Vorgehensweise natürlich dem engen Zeitplan, den die EBA zu erfüllen hat geschuldet. Einige der theoretisch sicherlich gut begründeten Ansätze sind in der praktischen Umsetzung jedoch kaum zu bewältigen. Im Moment denke ich, dass häufig noch die nationale Sicht der Aufseher im Vordergrund stehen wird.

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