Genossenschaftsverbund 2011

Redaktionsgespräch mit Uwe Fröhlich - "Eine europäische Haushalts- und Wirtschaftspolitik muss grundsätzlich das Ziel sein."

Die Eurokrise hat sich wieder zu einer Bankenkrise zugespitzt. Bereitet die Lage der genossenschaftlichen Bankengruppe dem BVR-Präsidenten schon schlaflose Nächte?

Nein, unsere Organisation ist trotz der jüngsten Marktturbulenzen sehr gut aufgestellt. Meine Sorgen liegen eher außerhalb unserer Finanzgruppe. Gelingt die Stabilisierung der Märkte? Geht die Politik klug mit der Euro-Schuldenkrise um?

Macht Ihnen das Gesamtpaket, mit dem Europa Anfang November in den G20-Gipfel in Cannes gehen will, Hoffnung auf eine nachhaltige Besserung der Lage? Wie bewerten Sie die Vorschläge?

Die Beschlüsse des Eurogipfels von Ende Oktober sind ein starkes Signal an die Finanzmärkte und ein wichtiger Schritt zur Krisenbewältigung. Der beabsichtigte Schuldenschnitt bietet eine Perspektive zur Lösung der griechischen Finanzkrise. Die Beschlüsse sind aber kein Befreiungsschlag, der unmittelbar zur Beruhigung der Lage führt. Denn das grundlegende Problem ist das mangelnde Vertrauen der Finanzmärkte, aber auch der Bürgerinnen und Bürger, in die Fähigkeit der Regierungen, die Staatsfinanzen wieder auf Kurs zu bringen. Wenn es den Regierungen und auch den Parlamenten in den Euro-Staaten gelingt, einen Mentalitätswechsel hin zu einer strikten Stabilitätsorientierung nachvollziehbar zu machen, werden die Verspannungen an den Märkten merklich zurückgehen. Daher ist das Bekenntnis der europäischen Staats- und Regierungschefs zu einer Verankerung wirksamer Haushaltsregeln auf nationaler Ebene zu begrüßen. Die Ausgestaltung des Rettungsschirms EFSF, das Verfahren in der Griechenlandfrage und eine Rekapitalisierung systemrelevanter Banken sind natürlich ebenfalls wichtige Fragen. Ruhe wird aber erst einkehren, wenn sich für die Staatsfinanzen vor allem in Italien und den anderen schwächeren Euro-Staaten eine glaubwürdige Konsolidierungsperspektive abzeichnet.

Als IWF -Chefin Christine Lagarde das böse Wort von der Bankenrekapitalisierung aussprach, erntete sie von der EZB bis zur Politik bitteren Widerspruch. Nun wird wieder von einer systemischen Bankenkrise gesprochen. Wie können sich die Verhältnisse nach dem EBA-Stresstest binnen neun Wochen so gravierend ändern?

Die Stimmung war schon seit den Sommermonaten sehr labil. Spätestens das Schicksal der Dexia hat dann gezeigt, wie ernst die Lage ist. Im Nachhinein ist vielen klar geworden, weshalb der amerikanische Finanzminister Geithner Mitte September seine europäischen Kollegen so vehement zum Handeln gedrängt hat. Es ging und geht um die Vermeidung einer fatalen weltweit spürbaren Kettenreaktion durch die Entwicklung in Europa.

Ist die Lage wirklich so dramatisch?

Das hängt von den zu erwartenden Szenarien ab. Christine Lagarde hat einen Eigenkapitalbedarf europäischer Kreditinstitute von 200 Milliarden Euro ins Spiel gebracht und dabei Ausfallszenarien von 60 Prozent für Griechenland, 40 Prozent für Irland und Portugal sowie 20 Prozent für Spanien und Italien angesetzt. Mit solchen Verlustquoten kann man jedes Bedrohungspotenzial simulieren, und natürlich wäre dann auch die Lage der Banken außerordentlich bedrohlich. Aber all diese Überlegungen sind fiktiv. Warum unterstellt man keinen Währungsschnitt in den USA oder in anderen Ländern mit ähnlich hoher Staatsverschuldung? Wir sollten uns die Szenarien zuletzt nicht von den Marktteilnehmern vorgeben lassen, die möglicherweise Short-Positionen aufgebaut haben. Vielmehr sollte von den politischen Institutionen Europas eine klare Lösung für Griechenland und gegebenenfalls Portugal garantiert werden. Der Rest der europäischen Länder schafft das aus eigener Kraft - vorausgesetzt es wird überall eine konsequente Haushaltskonsolidierung betrieben.

Was ist aus Sicht der Genossenschaftsorganisation konkret zu tun?

Zunächst ist es extrem wichtig, dass die EZB ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommt, für Preisstabilität zu sorgen. Der Aufkauf von Staatsanleihen, den die Notenbank in der Tri-chet-Ära übernommen hat, muss voll auf eine Institution wie die EFSF übertragen werden.

Darüber hinaus ist jede Nation innerhalb Europas erst einmal gefordert, die nationalen Probleme bis zur Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit in eigener Verantwortung zu lösen. Eigentümerverantwortung in diesem Sinne ist einer der wesentlichen Grundsätze unserer Organisation. Von der deutschen Politik mit der Bundeskanzlerin an der Spitze erwarten wir eine Bekräftigung dieser Linie auch für Europa.

Letztlich muss in einem Kraftakt unter Wahrung unseres gesellschaftlichen Konsensmodells zügig daran gearbeitet werden, die Staatshaushalte in Deutschland und Europa in die Waage zu bringen. Den Finanzmärkten muss deutlich gemacht werden, dass sich unser europäisches System aus sich heraus trägt. Das fehlende Vertrauen der Märkte lässt sich nicht durch eine gigantische Ausweitung von Rettungsschirmen zurückbringen, sondern durch aktives Handeln. Die rasche Verankerung von Schuldenbremsen in allen Ländern Europas wäre solch ein starkes Signal für die vorhandene demokratische Kraft, die Fakten zu akzeptieren und sich zu verändern.

Sehen Sie weltweit betrachtet wirklich ernsthafte Chancen für eine Begrenzung der Staatsverschuldung?

Ökonomen und Politiker hängen in dieser Frage weltweit unterschiedlichen Modellen an. Das muss man zur Kenntnis nehmen. In den USA und in Großbritannien etwa wird versucht, mit viel Geld die Konjunktur zu stimulieren. Für die Eurozone ist die ökonomische Grundsituation schon allein aufgrund der demografischen Entwicklung anders. Während einige Länder einschließlich der USA auf eine wachsende Bevölkerung setzen können, die in Zukunft wirtschaftliches Wachstum begünstigt, sind Deutschland und viele andere Länder der Eurozone mit rückläufigen Bevölkerungszahlen konfrontiert. An diese Tatsache muss sich auch das Ausgabenverhalten der Staaten anpassen - eine extrem schwierige Aufgabe.

Die Politiker in nahezu allen westlichen Demokratien müssen der Bevölkerung deutlich machen, dass das System einer ständig steigenden Staatsverschuldung so nicht weiter funktionieren wird. Es gilt, von der Frage der Finanzierung unserer Sozialsysteme bis zum Anteil des öffentlichen Sektors am Wirtschaftsgeschehen unangenehme Dinge anzusprechen und grundlegend zu reformieren. Die Staaten müssen letztendlich als Kreditnehmer wieder eine bessere Bonität aufweisen.

Brauchen wir eine wie auch immer geartete europäische Haushalts- und Wirtschaftspolitik?

Ja, grundsätzlich muss das das Ziel sein. Es geht aber auch um die Festlegung des Weges zum Ziel. An dieser Stelle muss sich Deutschland viel mehr einbringen. Deutschland fällt bei einer gemeinsamen europäischen Finanzpolitik aufgrund der wirtschaftlichen Kraft eine maßgebliche Finanzierungsfunktion zu. Das sollte unsere Politiker bei aller schwierigen deutschen Historie dazu ermutigen, selbstbewusst, aber ohne Arroganz die Voraussetzungen zu beschreiben, unter denen Deutschland bereit ist, diesen gemeinsamen Weg verantwortlich mit zu beschreiten. Die Bundesregierung sollte offensiv darum werben, unsere bewährten deutschen Erfolgsrezepte auf Europa zu übertragen.

Wie muss die anstehende Bankenrekapitalisierung aussehen? Eine Rekapitalisierung von Banken in

Deutschland könnte nur auf einer sauberen juristischen Basis erfolgen. Und sie muss in jedem Falle durch den Bundestag abgesegnet werden, zum Beispiel eine Wiederbelebung des SoFFin.

Das von der Politik derzeit ins Spiel gebrachte Thema Zwangskapitalisierung mag vielleicht den Charme haben, kurzfristig das Vertrauen in das gesamte Bankensystem zu stärken und keine Bank als "bösen Buben" zu brandmarken. Aber es werden ganz klar Eigentümerrechte verletzt, wenn eine Bank mit Eigenkapital "zwangsbeglückt" wird, egal ob sie es betriebswirtschaftlich benötigt oder nicht. Die Genossenschaftsorganisation mit dem hohen Gut ihrer Eigentümerverantwortung ist zu Recht stolz darauf, bisher ohne Staatshilfe durch diese und diverse andere Krisen der Vergangenheit gekommen zu sein. Insofern sehen wir eine Zwangskapitalisierung sehr kritisch und fordern eine ordnungspolitisch saubere Vorgehensweise ein.

Das auf börsennotierte Großbanken abzielende amerikanische TARP-Modell, das oft als Vorbild angeführt wird, ist im Übrigen auf börsennotierte Unternehmen abgestellt und wäre damit zum Beispiel auf die genossenschaftlichen Zentralbanken nicht übertragbar - gleiches gilt für die deutschen Landesbanken. An der Stabilität des Gesamtsystems ändert sich letztendlich nur sehr temporär etwas, wenn die Staaten ihren Banken Geld leihen, das diese später wiederum als Kredit zurückgeben sollen. Man kauft sich damit nur wenig Zeit.

Stichwort Regulierung: Ist es nicht völlig kontraproduktiv, wenn Sparkassen und Genossenschaftsbanken in einer heiklen Phase der Umsetzung der Basel-III-Regeln deren Aussetzung für die Ortsbanken oder zumindest erhebliche Änderungen einfordern?

Ja und nein! Wir fordern den Grundsatz der Proportionalität in der Bankenaufsicht für unsere Finanzgruppe ein. Sicher halten wir viele Dinge von Basel III, um bei diesem Beispiel zu bleiben, für sinnvoll. Allerdings sind diese Regeln für international aufgestellte, börsennotierte Banken gemacht und nicht für kleine Genossenschaften. Vor diesem Hintergrund stellen wir etwa die Fragen, ob es nicht eine Wettbewerbsverzerrung ist, wenn das Regelwerk nur in Europa eingeführt wird und nicht in den USA und ob man nicht die Falschen trifft, wenn man es auch den Primärinstituten der deutschen Finanzverbünde überstülpt.

Wir nehmen bewusst keine totale Verweigerungshaltung an. Aber wir hätten durchaus Verständnis und Sympathie, wenn man zahlreiche von der European Banking Authority (EBA) kommende technische

Standards nur für die international tätigen Institute verbindlich einführt und bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken lediglich als Beobachtungswerte. In diese Richtung sind wir auf der Ebene der Interessenvertretung in Brüssel und London unterwegs.

Dabei haben wir durchaus die Besonderheiten unseres genossenschaftlichen Netzwerkes im Blick. Eine DZ und WGZ Bank werden Basel III wohl in jedem Falle erfüllen müssen - da wäre es vielleicht gar nicht so klug, unsere Gruppe als Gesamtheit aufsichtsrechtlich nach zwei Regelwerken beaufsichtigen zu lassen.

Sie sind also mit dem vorliegenden CRD-IV-Entwurf zufrieden?

Nicht mit allen Inhalten, aber durchaus mit den für uns entscheidenden Passagen, die die Spezifika des Genossenschaftsektors in ihren Kernpunkten reflektieren. Auf der Eigenkapitalseite ist man sicherlich richtig unterwegs - wobei die aktuelle Realität der EBA-Stresstests diese Planungen konterkariert. Und die geplanten Liquiditätsregeln geben uns die Möglichkeit, die Liquiditätssteuerung und auch den Liquiditätsstatus gegebenenfalls aufsichtsrechtlich auf Gruppenebene festzustellen.

Mit welchen Regeln konkret können Sie gut leben, und welche lehnen sie ab?

Grundsätzlich ist eine bessere Differenzierung nach Geschäftsmodellen und den damit verbundenen Risiken einzufordern. So erzeugt beispielsweise die Gleichmacherei bei der Eigenkapitalunterlegung auf der Aktivseite unerwünschte Nebenwirkungen, die noch korrigiert werden müssen. Dass auch klassische Mittelstandskredite mit mehr Eigenkapital unterlegt werden sollen, ist volkswirtschaftlich und unter Risikogesichtspunkten nicht der richtige Weg. Deshalb plädieren wir an dieser Stelle - übrigens in engem Schulterschluss mit der Sparkassenorganisation für einen Korrekturfaktor bei der Risikogewichtung, um das Mittelstandsgeschäft durch Basel III nicht künstlich zu verteuern oder gar zu verknappen.

Darüber hinaus wird keiner ernsthaft in Frage stellen, Eigenhandelspositionen stärker mit Eigenkapital zu unterlegen. Schwieriger wird es schon, die deutschen Spezifika des Eigenkapitals angemessen zu behandeln, beispielsweise stille Einlagen. Damit beschert Basel III auch der Genossenschaftsorganisation eine sportliche Herausforderung, die Qualität des Eigenkapitals in der Gruppe bis 2019 überall so zu berücksichtigen, dass wir in dem derzeit auskömmlichen Rahmen bleiben.

Handwerkliche Kritik ist schließlich an den Liquiditätsregeln angebracht: Was genau sind liquide und was nicht liquide Assets? Sind die Kapital- und die Liquiditätsflussrechnungen empirisch sauber darstellbar? An diesen Fragen muss in der sogenannten Beobachtungsphase mit Sicherheit noch gearbeitet werden.

Werden die Anliegen der Verbundgruppen in Regulierungs- und Wettbewerbsfragen von der Europäischen Kommission gebührend zur Kenntnis genommen, oder bedarf es einer intensiveren Lobbyarbeit des Genossenschaftssektors in Brüssel und London?

Das Ziel unserer Interessenvertretung ist es, bei der Umsetzung von Regeln die Freiräume zu erhalten, die unser genossenschaftliches Geschäftsmodell benötigt. Dabei ist es ganz wichtig, die eigene Inte ressenlage bereits in der Beratungsphase künftiger aufsichtsrechtlicher Regeln frühzeitig zu adressieren. Wenn aus Brüssel oder London schon etwas auf dem Tisch liegt und dann kommt das Argument: "Wir in Deutschland ..." dann hat man meist wenig Erfolg und macht sich auch wenig Freunde in der Bundesregierung.

Die Zusammenarbeit mit den Fachleuten der EU-Kommission funktioniert. Dass Binnenmarktkommissar Michel Barnier den Erfolg der mittelständischen deutschen Wirtschaft mehrfach mit der ebenfalls mittelständisch strukturierten deutschen Bankenlandschaft in Zusammenhang gebracht hat und daran nicht rütteln will, stimmt uns hoffnungsvoll. Aber gleichwohl ist es harte Arbeit, mit den europäischen Fachleuten über die Detailformulierungen zu ringen, die faire Wettbewerbsbedingungen ermöglichen. Um das weiterhin zu gewährleisten, werden wir unsere Interessenvertretung auf internationaler Ebene noch ausbauen.

Also auf nach Brüssel?

Ein BVR-Büro in Brüssel unterhalten wir bereits, darüber hinaus arbeiten wir aktiv in der European Association of Co-operative Banks (EACB). Grundsätzlich sitzen unsere Fachleute für Bankenaufsicht oder Steuerrecht allerdings in Berlin beziehungsweise für die Sicherungseinrichtung in Bonn. Das "Relationship Management" betreiben wir mit einem eher kleinen Team vor Ort in Brüssel und London und arbeiten auf dieser Basis als Verband lieber mit erhöhter Reisetätigkeit. Dieses Konzept der Lobbyarbeit wird übrigens von der gesamten Organisation in vollem Konsens mitgetragen.

Der angekündigte Aufbau von Ressourcen klingt ziemlich konträr zu den Schrumpf- und Sparprogrammen der beiden anderen großen Bankenverbände in Berlin ...

Der BVR ist traditionell ein sehr schlank aufgestellter Verband. Zurzeit beschäftigen wir auf zwei (mit Brüssel drei) Standorte verteilt rund 190 Mitarbeiter. Und wir werden auch künftig nicht in Riesendimensionen wachsen, sondern gezielt, mit wenigen guten Köpfen an wichtigen Schaltstellen. Unsere Budgets sind angemessen, und es gibt eine klare Aufgabenteilung mit den Regionalverbänden.

Gilt Letzteres auch gegenüber dem Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband?

Selbstverständlich haben wir auch mit dem DGRV eine klare Arbeitsteilung. Seine Schwerpunkte sind das Rechnungswesen und die Rechnungslegung, während das klassische Bankaufsichtsrecht, das Steuerrecht und die (internationale) Interessenvertretung für unsere Bankengruppe beim BVR liegt.

Wieso ist es so extrem ruhig in der Genossenschaftsorganisation? Und inwieweit ist das ein Verdienst des BVR -Vorstands? Gibt es intern keine wirklich kontroversen Themen mehr?

Auch bei uns gibt es strittige Themen, aber wir diskutieren sie in der Tat innerhalb der Gruppe sehr sachlich in den dafür vorgesehenen Gremien und nicht über die Presse oder durch "stille Post". Hilfreich ist sicherlich auch, daß der BVR-Vorstand an einem Strang zieht und sich sehr gut als Führungsteam ergänzt.

Welche Auswirkungen haben die Regulierung und die Finanzkrise auf die Refinanzierung der genossenschaftlichen Organisation?

Dass das Interbankengeschäft wie schon vor drei Jahren von tiefem Misstrauen der Kreditinstitute untereinander geprägt ist, bringt einer in Summe "passivlastigen" Verbundorganisation eher Vorteile. Aber den Wechselwirkungen zwischen Regulation und Einlagengeschäft können auch wir uns nicht entziehen. Der Tendenz nach treibt Basel III alle Banken verstärkt in das

klassische Retail Banking, um Einlagen einzusammeln und die eigene Liquiditätsposition zu stärken. Diesen regulatorisch angefachten Wettbewerb müssen wir bestehen.

Wie begegnen die Genossenschaftsbanken dem Wettbewerbsdruck?

Wir gehen aktiv damit um. Sehr nützlich ist zum Beispiel die Aufklärung über die Funktionsweise des nachhaltigen genossenschaftlichen Geschäftsmodells. Wenn die Kunden verstehen, dass die vor Ort eingesammelten Einlagen in diesen Wirtschaftsregionen wieder als Kredite ausgereicht werden, kann das zwar nicht unüberbrückbare Differenzen in den Konditionen aufwiegen, aber es erzeugt zumindest eine gewisse Kundenbindung, die die Margengestaltung attraktiver werden lässt. Darüber hinaus spielt die umfassende Institutssicherung eine Rolle, auch wenn wir damit nicht aktiv werben. Insbesondere über dieses Instrument demonstrieren wir unsere Solidarität in der Finanzgruppe.

Wie entwickeln sich die Marktanteile? Steht die Marke von 30 Prozent noch als Ziel?

Wir arbeiten weiter intensiv an profitablem Wachstum - 30 Prozent Marktanteil allein sind da kein aussagefähiges Ziel. Faktisch haben wir seit zwei, drei Jahren den Trend der Stagnation in vielen Kundensegmenten drehen und ein deutliches Wachstum erzielen können. So erreichen wir derzeit im Firmenkundenkreditgeschäft nach den Bundesbankzahlen 15,4 Prozent. Dort steigt nicht nur das Volumen, sondern auch die Zahl der Kunden, mit erfreulich vielen neuen Verbindungen. Generell ist es für uns dabei eine Herausforderung, auch für kleinere Abschnittsgrößen effiziente Prozesse vorzuhalten. Gerade im gewerblichen und im Firmenkundengeschäft profitieren wir besonders von der Geschäftspolitik einiger Banken aus anderen Gruppen, kleinere Abschnittsgrößen abzulehnen. Bei Gewerbekunden wie Freiberuflern oder Einzelkaufleuten kommt inzwischen mehr als jeder vierte Kredit-Euro von uns.

Im Privatkundengeschäft erklärt die Rückholung von Einlagen aus Zweit- und Drittbankverbindungen einen Teil unseres Wachstums. Kurzum, wir sind insgesamt gut unterwegs, das Geschäftsmodell ist hoch attraktiv und weiter ausbaufähig. Das Wort "Genossenschaftsbank" hat einen hervorragenden Klang, es ist im Markt ein besonderes Vermögensgut.

Wo liegen neue Ertragspotenziale der Genossenschaftsorganisation?

Wir haben im vergangenen Jahr gegen den Trend im Kundengeschäft mehr verdient nicht nur über die Aktiv-, sondern auch über die Passivseite. Das ist nicht nur betriebswirtschaftlich eine sehr positive Entwicklung. Der Anteil der Fristentransformation am Zinsergebnis liegt etwa noch bei 20 Prozent, ist aber rückläufig. Sehr erfolgreich sind wir im Umfeld der erneuerbaren Energien. Auch das Baufinanzierungsgeschäft läuft sehr gut, ebenso wie das Teilzahlungskreditgeschäft über die Teambank.

Große Freude macht derzeit schließlich das klassische gewerbliche Geschäft. Man kann genossenschaftliche Werte wie Bodenständigkeit, Regionalität und Zuverlässigkeit gegenüber einem Firmenkunden sehr überzeugend verdeutlichen und leben. Nicht zuletzt haben wir auf der Versicherungsseite enormes Wachstumspotenzial der Marktanteil der R+V liegt absolut gesehen noch deutlich niedriger, als der der Volks- und Raiffeisenbanken.

Ist und bleibt die Preispolitik eine dezentrale Angelegenheit oder bedarf das der zentralen Koordination?

Die Hoheit für die Preis- und Produktpolitik liegt eindeutig bei den Ortsbanken - und dabei werden wir auch bleiben. Natürlich erzeugt dieses Prinzip automatisch eine Notwendigkeit, sich vor Ort intensiv und eigenverantwortlich auch um die Kostenseite zu kümmern. Hierbei helfen wir gemeinsam mit den Regionalverbänden mit unserem BVR-Planungswerkzeug "Kompass". Wir sprechen dabei über die jeweiligen Herausforderungen des Marktes vor Ort, den Einsatz der Banksteuerungssysteme, über IT und mögliche Marktinitiativen, über Maßnahmen zur Kosten senkung und intelligenter Preispolitik bis hin zur Nutzung von Preisflexibilitäten vor Ort.

Welche Rolle spielt die Mitgliedschaft?

Sie ist nicht nur schöne Tradition, sondern auch ein wertvolles Kundenbindungsinstrument, das in den Ortsbanken aktiv genutzt wird. Unsere Analysen weisen nach, dass die Deckungsbeiträge von Mitgliedern höher sind, als die von Nichtmitgliedern. Die Kundenbeziehung ist intensiver, und der Kunde signalisiert mit der Mitgliedschaft die Zugehörigkeit zu seiner Genossenschaftsbank.

Passt der Ansatz "ein Markt, eine Bank" auf die 1138 Ortsbanken am Jahresende 2010, oder sollte die früher propagierte Zahl von 800 Instituten angepeilt werden?

Der Grundansatz ist und bleibt richtig. Allerdings ist die Frage, wie groß ein Markt wirklich ist, nicht einfach zu beantworten. Die regionalen Märkte Deutschlands sind sehr unterschiedlich groß, und deshalb lässt sich auch die Frage nach der optimalen Betriebsgröße nicht abschließend beantworten. Es gibt überaus erfolgreiche Genossenschaftsbanken in der Größenordnung von 200 Millionen Euro Bilanzsumme, und es gibt erfolgreiche Große. Man muss stets genau hinschauen, wie die Bank intern aufgestellt ist, wie die Marktdurchdringung aussieht und wie sich der regionale Markt entwickelt. In jedem Falle sind wir fest davon überzeugt, dass die Selbstbestimmung der Bank und ihrer Mitglieder vor Ort auch in der Frage möglicher Fusionen der richtige Ansatz ist.

Ist der Vorschlag diskussionswürdig, das genossenschaftliche Grundprinzip "Eine Bank - eine Stimme" durch das Prinzip "Ein Mitglied eine Stimme" zu ersetzen?

Die großen Primärbanken haben erhebliches Gewicht in der Organisation. Ihre Wertigkeit wird unter anderem durch die intensive Zusammenarbeit mit den Verbundunternehmen in der Marktbearbeitung in den Ballungsräumen unter Beweis gestellt. Ob ein anderer Maßstab der Einflussnahme in den Gremien realistisch und von der großen Mehrheit gewollt ist, ist schwer abzuschätzen, denn das müsste ja über das bestehende System beschlossen werden. In der Verbändeebene halte ich das eher für unwahrscheinlich.

Der BVR selbst differenziert nicht zwischen kleinen, mittelgroßen und großen Genossenschaftssbanken. Mir ist wichtig, dass es weder Sonderrechte für die kleinen und mittleren Banken noch für die größeren gibt. Wenn es unterschiedliche Sachinteressen gibt, muss inhaltlich unter Moderation des BVR eine Klärung herbeigeführt werden.

Internet und Regionalprinzip: Wie geht man damit um?

Unser Geschäftsmodell sieht vor, dass jeder Neukunde bei einer Genossenschaftsbank geerdet werden sollte - es gibt keine zentrale Kontoführung bei einer Direktbank in unserer Gruppe. Wir bieten über die Rechenzentralen die technischen Möglichkeiten einer filialgestützten Multikanalbank, um die Ortsbanken auch über den Vertriebsweg Internet erfolgreich zu machen.

Dennoch müssen wir weiter daran arbeiten, dass die dezentral organisierten Genossenschaftsbanken im Internet gegenüber denjenigen Wettbewerbern, die diesen Kanal zentral bedienen, keine Nachteile haben. Unsere genossenschaftliche Finanzgruppe muß künftig noch schlagkräftiger und für potenzielle Neukunden attraktiver im Internet agieren. In einem gemeinsamen Verbundprojekt diskutieren wir unter Führung des BVR mögliche Lösungsansätze zur Stärkung auch des künftigen Markterfolgs unter Berücksichtigung demografischer und technologischer Entwicklungen im Markt und des bewährten Geschäftsmodells unserer Finanzgruppe.

Ist es eigentlich klug, die Verbraucherschutzregelungen per se als bürokratische Schandtaten zu betrachten statt als Potenzial zur erfolgreichen Positionierung gegenüber den Wettbewerbern?

Wenn man die Nummer eins in der Mitglieder- und Kundenzufriedenheit sein will, muss man selbstverständlich auch verbraucherfreundlich agieren. Letztlich hilft kein Lamentieren gegen beschlossene Gesetze wie das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz, sondern wir müssen aus der Not eine Tugend machen, selbst wenn bürokratische Auswüchse nicht immer Freude bereiten und wir Banken etwa im Vergleich zu den freien Vertrieben ungleich behandelt werden.

Wie weit oben steht auf der Agenda des BVR eine Zusammenführung der genossenschaftlichen Rechenzentren und der Zentralbanken?

Langfristig ist eine Fusion in beiden angesprochenen Bereichen richtig und wichtig. Auch wenn gerade wieder ein Fusionsversuch der Rechenzentralen nicht fortgeführt wurde, streben letztlich alle in unserer Organisation - wie in den Garmischer

Beschlüssen grundsätzlich schon 1999 vereinbart - ein einheitliches Anwendungssystem für die Ortsbankenebene an. Den letzten Schritt sind die Verantwortlichen aber leider noch nicht gegangen.

Sind Sparda-Banken und PSD-Banken nützliche Mitglieder der genossenschaftlichen Finanzgruppe? Und was halten Sie von der Idee, sie künftig auch in Konzepte von Fusionsüberlegungen mit Ortsbanken einzubeziehen?

Sie sind sehr wertvolle und vollwertige Mitglieder. Und mit ihren Markterfolgen unterstreichen sie, wie nützlich sie für ihre Kunden sind. Bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Volksbanken Raiffeisenbanken und Sparda- beziehungsweise PSD-Banken entscheiden das Management und die Eigentümer der Ortsbankenebene, also die Mitglieder vor Ort.

Sehen die Volks - und Raiffeisenbanken das auch so?

Es gibt an der einen oder anderen Stelle sicherlich Berührungsängste und unterschiedliche Ansätze des gemeinsamen Miteinanders oder Nebeneinanders. In der Tat werden Wettbewerbssituationen besonders im Privatkundengeschäft besonders intensiv empfunden, Sparda- und PSD-Banken agieren aus Sicht der VR-Banken häufig sehr preisaggressiv. Die Institute müssen jeweils vor Ort klären, wie sie sich im Wettbewerb aufstellen wollen, und letztlich muss der Markt entscheiden. Die eigentlichen Wettbewerber sollten allerdings außerhalb unserer Organisation gesucht werden anstatt sich innerhalb der genossenschaftlichen Familie das Leben schwer zu machen.

Findet der Genossenschaftssektor genug qualifizierten Nachwuchs?

Demografie ist für uns nicht nur auf der Kunden-, sondern auch auf der Mitarbeiterseite ein Thema, das aktiv angegangen wird. Es gibt dazu neben verschiedenen Projektansätzen seit kurzer Zeit ein sogenanntes Allfinanz-Trainee-Programm. Dabei akquirieren Ortsbanken zusammen mit der DZ Bank gute

Universitätsabsolventen für unsere Gruppe. Wenn Hochschulabsolventen die Chance haben, die Zentralbank, Verbundunternehmen und primär die Ortsbank in einem Trainee-Programm zu durchlaufen, ist das sicherlich sehr attraktiv. Die Trainees erkennen sehr schnell, dass sie im Genossenschaftssektor mit seinen mehr als 160000 Mitarbeitern mittelständischer Mit-Unternehmer und nicht nur Abteilungsleiter einer Großbank. werden können.

Muss sich das Berufsbild Banker wandeln, noch mehr weg vom Schalterbeamten?

Dieses Bild gibt es längst nicht mehr. Und im Übrigen unterliegt das Idealbild "Bankmitarbeiter" gewissen Zyklen. Wurde vor zehn Jahren der extrem vertriebsorientierte Banker gesucht, schauen wir heute nach Mitarbeitern, die auch unser nachhaltiges, kundenorientiertes Geschäftsmodell leben wollen. Verstehen, was eine Genossenschaftsbank ist und was eine nachhaltige Kundenbeziehung bedeutet: Das ist viel leichter formuliert als vor Ort gelebt. Dies in einen Gleichklang zu bringen, ist die besondere Herausforderung der Führungskräfte unserer Organisation.

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