Aufsätze

Target-2-Securities - mehr als nur ein System für die Wertpapiergeschäftsabwicklung

Fast vier Jahre, nachdem der EZB-Rat den Auftrag zur Projektdurchführung erteilt hatte, wurde am 8. Mai 2012 in Frankfurt am Main der 700-seitige Rahmenvertrag zu Target-2-Securities (T2S) zwischen Eurosystem und der ersten Gruppe von Wertpapier-Zentralverwahrern (Central Securities Depositories - CSD) unterzeichnet. Damit ist der Weg zum einen für eine effiziente europaweite Wertpapierabwicklung und zum anderen für sinkende Kosten für CSD und Nutzer frei geworden.

Schnittstellenmodell versus integriertes Modell

An der feierlichen Unterschriftszeremonie nahmen neun CSD aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Rumänien und Spanien teil. Die CSD aus diesen Ländern decken etwa 60 Prozent des möglichen Transaktionsvolumens ab, wobei 40 Prozentpunkte davon allein auf den deutschen Markt entfallen. Die CSD im Euroclearverbund, die gegen Euro abwickeln, würden weitere 25 Prozent beisteuern. Die Erwartung im Markt, dass es auch hier zu einer positiven Entscheidung kommt, hat sich Mitte Juni 2012 bestätigt: Euroclear gab zu diesem Zeitpunkt die Bereitschaft zur Teilnahme für die CSD in Belgien, Frankreich und den Niederlanden bekannt.

Einer der Auslöser für die 2005 begonnenen Überlegungen, T2S aus der Taufe zu heben, waren die damaligen Pläne von Euroclear France und der Banque de France zur künftigen Wertpapiergeschäftsabwicklung gegen Zentralbankgeld. Während zu dieser Zeit in Deutschland Clearstream Banking Frankfurt (CBF) und die Bundesbank ein Schnittstellenmodell ("interfaced model") planten, sollte in Frankreich das von Fachleuten als effizienter bewertete integrierte Modell ("integrated model") zum Einsatz kommen. Der Unterschied der beiden Verfahren wird im Wesentlichen in der Kontoführung für die Geschäftsabwicklung gegen Zentralbankgeld deutlich. Beim Schnittstellenmodell liegt die für die Abwicklung erforderliche Liquidität in Zentralbankgeld auf dem System der Zentralbank (Target 2), beim integrierten Modell befindet sie sich auf Konten, die auf dem Abwicklungssystem des CSD geführt werden. Letzteres ist nichts anderes als eine Auslagerung der Führung von Zentralbankkonten auf einen Dritten.

Da bei den Zentralbanken Uneinigkeit über den richtigen Weg der künftigen Wertpapiergeschäftsabwicklung herrschte, sollte nun ein integriertes System geschaffen werden, in dem CSD ihre Depotführung und die Systeme der Geschäftsabwicklung auf eine vom Eurosystem betriebene Plattform auslagern. Auf dieser werden auch die Konten mit Zentralbankliquidität geführt. Dies war die Ursprungsidee für T2S. Im Juli 2006 erteilte der EZB-Rat den Auftrag für eine Machbarkeitsstudie zu T2S, und im Juli 2008 erfolgte der Auftrag zur Durchführung von T2S.

Abwicklungskosten für Wertpapiertransaktionen zu hoch

Die Initiative des Eurosystems, mit T2S eine europaweit einheitliche Plattform für die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen zu entwickeln, geht weit über die Frage hinaus, auf welchem System Zentralbankkonten geführt werden. So werden die Abwicklungskosten für Wertpapiertransaktionen in Europa seit Langem als eindeutig zu hoch angesehen. Dies gilt allgemein im internationalen Vergleich, speziell aber bei grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb Europas. In den USA kostete die Abwicklung eines Wertpapiergeschäftes beim Zentralverwahrer etwa ein Zehntel dessen, was im günstigsten Fall im Jahr 2005 in Europa in Rechnung gestellt wurde. Grenzüberschreitende Transaktionen in Europa beliefen sich im Schnitt auf das Zehnfache einer nationalen Transaktion.

In den USA ist die Abwicklung von Staatsanleihen beim System der Zentralbanken Federal Reserve und die Abwicklung sonstiger Wertpapiere bei nur einem CSD, der Depository Trust & Clearing Corporation (DTCC) zentralisiert. Die DTCC ist eine Non-Profit Organisation und Eigentum derjenigen, die diese Infrastruktur nutzen, was neben den Skalenvorteilen, die sich aus den dortigen sehr hohen Transaktionsvolumina ergeben, die vergleichsweise niedrigen Abwicklungsgebühren begünstigt. Diese Entwicklung in den USA war allerdings nicht allein die Folge ökonomischer Einsicht der Marktbeteiligten. Noch Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Situation jedoch unzureichend, sodass zeitweise nur an vier Tagen pro Woche gehandelt werden konnte. Denn man benötigte einen handelsfreien Wochentag, um mit der Geschäftsabwicklung nachzukommen. Der notwendige Druck, eine Änderung herbeizuführen, erfolgte durch einen Beschluss des Kongresses. Die Umsetzung bis zur Erreichung eines hocheffizienten Standes dauerte rund 30 Jahre.

Vereinzelte Initiativen zur Zentralisierung von CSD

An der Errichtung eines EU-Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen wird bereits seit 1973 gearbeitet. 1998 wurden diese Bemühungen im Hinblick auf die Euro-Einführung intensiviert, unter anderem verbunden mit der Forderung nach Errichtung einer integrierten Infrastruktur für Wertpapierabrechnungssysteme. Dieser Vorschlag fand allerdings nur rudimentär Eingang in den 1999 verabschiedeten "Aktionsplan für Finanzdienstleistungen" (Financial Services Action Plan, FSAP). In den folgenden Jahren wurde die Thematik jedoch im "Lamfalussy-Report" (Februar 2001) und in zwei "Giovannini-Reports" (2001 und 2003) aufgegriffen. In den Giovannini-Reports wurden 15 Integrationshemmnisse (Barrieren) identifiziert. Hierzu gehören beispielsweise Harmonisierungserfordernisse und Zugangsbeschränkungen, von denen zehn den Abwicklungsbereich von Wertpapiergeschäften betreffen.

Aufgrund nationaler Befindlichkeiten wurde allerdings in der EU nie erwogen, analog zum Vorgehen in den USA eine Zentralisierung auf maximal zwei CSD zu erreichen. Zwar befinden sich unter dem Dach von Euroclear inzwischen die CSD aus Belgien, Niederlande, Frankreich, Großbritannien, Irland, Schweden und Finnland. Hierbei wird jedoch nur ein Teil des Binnenmarktes abgedeckt. Allein Euroclear hat im eigenen Umfeld im Zuge der Schaffung einer übergreifenden vereinheitlichten Infrastruktur 200 Harmonisierungsthemen identifiziert. Davon betrafen 90 die Geschäftsabwicklung, zehn den Zahlungsverkehr, 80 die Depotverwaltung und 20 die Stammdatenverwaltung. Clearstream adressierte die Verbesserung der grenzüberschreitenden Abwicklung im Binnenmarkt durch die in 2008 gestartete Initiative "Link Up Markets". Das Modell der Zukunft wird für die EU aber nicht in diesen Initiativen liegen, sondern unter anderem in T2S in Verbindung mit Anpassungen bei den CSD und Anpassungen bei großen regional und global tätigen Depotbanken.

Enge Einbindung der Nutzer bei T2S-Projekt

Im Rahmen des Projektes T2S wurde von Anfang an größter Wert auf Transparenz gelegt. So trafen die Verantwortlichen des Eurosystems zu Beginn die wichtige Entscheidung, in der Governance des Projektes Interessenvertreter der CSD, Zentralbanken sowie Nutzer (Kunden der CSD) in Form einer "Advisory Group" paritätisch zu beteiligen. Eine angemessene Beteiligung der Nutzer war auch über die "National User Groups" (NUGs) möglich. Diese wurden in der Regel national bei der jeweiligen Zentralbank eingerichtet. Jedoch war die gleichberechtigte Beteiligung der Nutzer keine Selbstverständlichkeit, zumindest nicht aus Sicht der CSD. Die Nutzer setzten immerhin durch, dass in einem parallelen Gremium, in dem der Rahmenvertrag zwischen Eurosystem und CSD verhandelt wurde, Nutzer ausgeschlossen wurden und das Eurosystem durch eine Vertraulichkeitsvereinbarung gehindert war, den Nutzern über den Verhandlungsstand Auskunft zu geben. Die Argumentation der CSD war, dass es sich hierbei um einen Vertrag zwischen Eurosystem und denjenigen CSD handeln würde, die bereit seien, mit ihrem T2S-Beitritt einen Teil ihrer Prozesse und die Führung des Depotbuchs auszulagern. An der Vertragsbeziehung zwischen CSD und Nutzer ändere sich durch T2S grundsätzlich nichts, begründeten die CSD.

Diese Einstellung ist formal als richtig zu bewerten. Allerdings unterwirft sich ein CSD mit Unterzeichnung des T2S-Vertrages auch der Einhaltung europaweit standardisierter und harmonisierter Verfahren, welche Auswirkung auf die Anwender haben. Die Nutzer machten allerdings oft von der Möglichkeit Gebrauch, sich in die Definition der fachlichen Nutzeranforderungen einzubringen. Diese wurden in sechs Arbeitsgruppen unter Nutzerbeteiligung erarbeitet und auf knapp 800 Seiten Ende 2007 für die formelle öffentliche Konsultation publiziert. Die enge Nutzereinbindung setzte sich bei der Entwicklung weiterer Spezifikationen fort. Zuletzt war dies der Fall bei der Erstellung des funktionalen Grobkonzeptes (General Functional Specifications, GFS), das seit Mai 2010 in der Version 4.0 vorliegt, und den detaillierten funktionalen Nutzerspezifikationen (User Detailed Functional Specifications, UDFS), die im Oktober 2011 in der Version 1.2 veröffentlicht wurden.

Die UDFS sind insbesondere für die Nutzer von Bedeutung, die von der Option Gebrauch machen wollen, sich direkt an T2S anzuschließen. Der direkte Anschluss an T2S ermöglicht dem Anwender, Aufträge für die Geschäftsabwicklung und für Wertpapierüberträge über eine Kommunikationsschnittstelle unmittelbar an T2S weiterzuleiten. Außerdem ist es möglich, Informationen über den Auftragsstatus und über die Auftragsausführung direkt von T2S zu erhalten, ohne über den jeweiligen CSD zu kommunizieren. Dies könnte für Nutzer vorteilhaft sein, die eine Kundenbeziehung zu mehreren CSD unterhalten. Allerdings spart diese Lösung nicht generell die Kommunikationsanbindung an einen CSD, da T2S lediglich den Funktionsumfang von Wertpapiertransaktionen und Führung des Depotbuches abdeckt, nicht jedoch die Durchführung von Depotverwaltungsmaßnahmen. Diese obliegen nach wie vor dem jeweiligen CSD, der darüber direkt mit seinen Kunden kommuniziert und eventuell erforderliche Stückbuchungen (etwa Einrichtung von Bezugsrechten) über seine Schnittstelle bei T2S veranlasst.

Harmonisierung alleine nicht ausreichend

Es war von Anfang an erklärtes Ziel, mit T2S eine hocheffiziente Plattform für die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen für den EU-Binnenmarkt zu errichten. Es wurde schnell klar, dass dies nur durch weitgehende Harmonisierung der nach wie vor unterschiedlichen Handhabungen in den einzelnen Ländern zu erreichen war. Nationale Besonderheiten kamen auf den Prüfstand, und T2S wirkte als Katalysator für die Beschleunigung bestehender und neuer Harmonisierungsinitiativen. Dies betraf zum Beispiel die Ausgestaltung des Datenformates für die Kommunikation (hier ISO 20022 Nachrichtenformat), Abgleichregeln für Aufträge ("matching"), Festlegung der Abwicklungszyklen der Tag- und Nachtverarbeitung, Regeln für die CSD-überschreitende Abwicklung ("Cross-CSD"), Behandlung von Nebenrechten und rechtliche Fragen zur Finalität der Auftragserteilung sowie der Abwicklung.

Um größtmöglichen Nutzen aus T2S zu ziehen, reichen aber Harmonisierungsinitiativen allein nicht aus. T2S wird und muss dazu führen, dass CSD Teile ihrer Infrastruktur zurückbauen. Höchstmögliche Effizienz ist nur zu erzielen, wenn das Gesamtsystem, das aus der Infrastruktur beim CSD und der Infrastruktur T2S besteht, redundanzfrei arbeitet.

Ein transparentes Preissystem kann diesen Ansatz befördern. Denn es wird niemandem einleuchten, für über T2S abgewickelte Transaktionen - neben den dort anfallenden transparenten Gebühren - noch Kosten zu tragen, die der Beibehaltung dann unnötiger Systeme geschuldet sind. T2S wird nicht zuletzt auch die Interoperabilität zwischen den CSD befördern, allerdings nur, soweit diese auch tatsächlich an T2S teilnehmen. Es bleibt zu hoffen, dass neben den neun CSD, die am 8. Mai 2012 den Vertrag unterschrieben haben, möglichst viele der insgesamt 28 europäischen CSD (19 davon im Euro-Raum) T2S beitreten werden, um eine optimale Nutzung von T2S zu ermöglichen.

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