Aufsätze

Weiterentwicklung des Europäischen Ausschusses der Bankaufsichtsbehörden (CEBS) durch Übergang zum Mehrheitsprinzip

Im Jahre 1985 wurde von der Europäischen Union der wegweisende Entschluss gefasst, einen integrierten Binnenmarkt zu schaffen, in dem Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmer frei zirkulieren können (Single European Market). Ein derartig ambitioniertes Unterfangen lässt sich verständlicherweise nicht von einem Tag auf den anderen realisieren, sondern dafür braucht es einen längeren Atem. Ein wichtiger Zwischenschritt auf diesem Weg war die Einführung des EU-Passes, durch den Anfang der neunziger Jahre rechtlich unselbstständige Auslandsniederlassungen von Banken der Aufsicht durch die Heimatlandbehörde unterstellt wurden.

Ende der neunziger Jahre wurde dann der Financial Services Action Plan (FSAP) beschlossen, um auch im Finanzsektor das Ziel eines integrierten Finanzbinnenmarktes vollständig zu erreichen. Teil des FSAP waren so gewichtige Vorhaben wie die Richtlinie zur Umsetzung der neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken (Basel II) in Gemeinschaftsrecht oder die MiFID. Mit diesen Gesetzesvorhaben wurden weite Teile des für Banken und Wertpapierfirmen einschlägigen Aufsichtsrechts harmonisiert beziehungsweise das bereits existierende Gemeinschaftsrecht wesentlich weiterentwickelt.

Abweichungen in der Praxis

Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen nun für grenzüberschreitend tätige Bankengruppen, die in zahlreichen EU-Staaten rechtlich selbstständige Töchter unterhalten und infolgedessen immer noch mit einer Vielzahl von nationalen Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten müssen? Prima vista könnte der Eindruck entstehen, dass im Zuge der Harmonisierung des EU-Rechts die Probleme gelöst werden. Schließlich gilt das EU-Recht für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen und muss 'nur' noch in nationales Recht umgesetzt werden.

Die Realität sieht freilich anders aus. Zum einen bietet die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationale Gesetze Spielraum, der letztlich zu erheblich unterschiedlichen Regelwerken führen kann. So enthalten verschiedene EU-Richtlinien zahlreiche explizite Wahlrechte für die Mitgliedstaaten; ferner können die nationalen Gesetzgeber in ihren Anforderungen über die EU-Vorgaben hinausgehen (Gold Plating). Zum anderen ist Recht, das sich nicht in einem unpraktikablen Detaillierungsgrad verliert, stets interpretierbar und auslegungsbedürftig.

Bei der Anwendung gesetzlicher Normen auf konkrete Sachverhalte kommt insbesondere den Aufsichtsbehörden eine entscheidende Rolle zu. Je nach Aufsichtsphilosophie und nationaler Tradition weist daher die Rechtspraxis in den EU-Staaten - trotz aller Harmonisierungsfortschritte immer noch große Unterschiede auf. EUweit tätige Bankengruppen sind folglich mit voneinander abweichenden Auflagen für ihr Geschäft konfrontiert. Dies produziert nicht nur signifikante, unnötige Kosten, sondern kann im Extremfall in Bereichen, die aus betriebswirtschaftlichen Gründen nur noch konzerneinheitlich ausgestaltet werden können (zum Beispiel der Internal Capital Adequacy Assessment Process - ICAAP), sogar zu nicht kompatiblen Anforderungen führen.

Einrichtung des Lamfalussy-Systems

Die europäischen Institutionen haben dieses Problem durchaus erkannt und darauf auch reagiert - mit der Einrichtung des Lamfalussy-Systems. Kern dieses Systems sind die sogenannten Level-3- Comittees CESR (Committee of European Securities Regulators), CEBS (Committee of European Banking Supervisors) sowie CEIOPS (Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors).

Diese Ausschüsse der mit der Aufsicht befassten Institutionen erfüllen insbesondere zwei Funktionen: Sie beraten die Europäische Kommission hinsichtlich möglicher Regulierungsinitiativen und künftiger Regelwerke. Darüber hinaus sollen sie die Konvergenz der Rechtsauslegung und Aufsichtspraxis in der EU befördern. Damit wurde eine bisher ausschließlich auf nationaler Ebene wahrgenommene Aufgabe - die Auslegung des Aufsichtsrechts - auch auf EU-Ebene verankert. Da das Recht zur Interpretation und Anwendung gesetzlicher Normen den Mitgliedstaaten jedoch nicht ohne Weiteres entzogen werden kann, haben die Entscheidungen der Ausschüsse derzeit keine rechtlich bindende Wirkung. Um die Bedeutung der Beschlüsse zu unterstreichen, haben die Ausschüsse der Aufsichtsbehörden für ihre Beschlussfassungen das Einstimmigkeitsprinzip festgelegt. Nur wenn alle Aufsichtsbehörden einer bestimmten Auffassung über Rechtsauslegung beziehungsweise -anwendung zustimmen - so die Logik -, wird diese Auffassung auch Eingang in die Aufsichtspraxis aller Mitgliedstaaten finden.

Für eine verbesserte Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden und die Beaufsichtigung EU-weit tätiger Banken hat CEBS bereits wichtige Arbeiten geleistet. Im Vordergrund standen dabei vor allem Guidelines zu zentralen Aspekten der Anwendung der Basel II-Richtlinie. Außerdem hat CEBS wichtige Fortschritte bei ganz praktischen Aspekten der Beaufsichtigung erreicht. Dazu wurden die Colleges of Supervisors verschiedener grenzüberschreitend operierender Bankengruppen in einem Operational Networking zusammengeschlossen.

Trotz aller durch CEBS erzielten Verbesserungen ist die Konvergenz der Aufsichtspraxis aber noch deutlich hinter dem Stand der EU-Finanzmarktintegration und den Erwartungen der Kreditwirtschaft hinsichtlich eines echten, auch auf Aufsichtsseite integrierten Binnenmarktes zurückgeblieben. Und diese Kluft droht sich auszuweiten, da das Integrationstempo der Finanzmärkte höher ist als die Fortschritte in den genannten Ausschüssen. Für die globale Wettbewerbssituation europäischer Kreditinstitute ist dies kein akzeptabler Zustand. Daher werden in jüngster Zeit verstärkt Überlegungen angestellt, wie die Arbeit von CEBS weiter verbessert werden könnte.

Um die Arbeit von CEBS zu beschleunigen und schärfer zu profilieren, sollte daher auf das Einstimmigkeitsprinzip verzichtet werden. Der derzeitige Konsenszwang führt tendenziell zu sehr lang anhaltenden Diskussionen und birgt selbst dann noch die Gefahr, dass eine Einigung lediglich auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners erfolgt. Ein abschreckendes Beispiel stellt der Versuch der Vereinheitlichung des Meldewesens im Rahmen des COREP-Projektes dar. Statt einen sinnvollen einheitlichen Standard zu erstellen, wurden hier sämtliche nationalen (Sonder-)Vorschriften aufaddiert.

Rechtlich bindende Wirkung

Die nicht-bindende Wirkung der CEBS-Vorschläge sollte dabei kein Hindernis für den Übergang zum Mehrheitsprinzip sein. Ein wirksamer "Comply-or-Explain"-Mechanismus, der die nationalen Aufsichtsbehörden verpflichtet, ein Abweichen von den CEBS-Guidelines und -Beschlüssen nachvollziehbar zu begründen, kann der Gefahr entgegenwirken, dass Mitglieder des Ausschusses sich leichtfertig über die CEBS-Linie hinwegsetzen. Bei einem Übergang von der Einstimmigkeit zum Mehrheitsentscheid sollten jedoch die Stimmen der CEBS-Mitglieder in gewissem Umfang mit der Größe des jeweiligen Mitgliedstaates gewichtet werden.

Der Übergang zum Mehrheitsprinzip kann jedoch nur ein erster Schritt sein. Darüber hinaus sollten im Interesse eines echten Binnenmarktes die Beschlüsse von CEBS auch rechtlich bindende Wirkung erhalten. Nur so kann letztlich die Vereinheitlichung von Aufsichtsrecht und -praxis erzielt werden. Sie wiederum ist notwendig, um möglichst bald einen umfassenden Lead Supervisor und mittelfristig ein einheitliches System europäischer Aufsichtsbehörden zu schaffen. Wegen des nationalen Vorrangs in der Richtlinienumsetzung und Anwendung des EU-Rechts dürfte dies jedoch mindestens eine entsprechende Änderung im europäischen Aufsichtsrecht, eventuell sogar darüber hinausgehende Rechtsanpassungen, etwa im EU-Vertrag, erfordern.

Auch wenn also eine rechtliche Bindungswirkung somit kurzfristig nicht zu verwirklichen ist, darf sie als Ziel - im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU-Finanzwirtschaft - nicht aus den Augen verloren werden.

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