Aufsätze

Zu große Regulierungsdichte? - Anmerkungen und Anregungen aus Sicht der LBBW

Das Thema "Bürokratieabbau", noch vor wenigen Jahren lediglich von Vertretern der Industrie hervorgehoben, erfreut sich heute in Talk-Shows und allgemeinen politischen Äußerungen großer Beliebtheit. Auf nationaler Ebene ist der Thematik im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ein eigenes Handlungsfeld gewidmet.

Der Koalitionsvertrag führt aus: "Die Neuentlastung von Bürgern, Wirtschaft und Behörden von einem Übermaß an Vorschriften und der damit einhergehenden Belastung durch bürokratische Pflichten und Kosten ist ein wichtiges Anliegen der Koalition."

Auch die EU-Kommission beteiligt sich an den Bemühungen um eine Entlastung des Bürgers und der Unternehmen von überflüssigen und einschränkenden Regulierungen. Unter dem Stichwort "Better Regulation" wurde bereits auf dem EU-Gipfel in Edinburgh 1992 eine Initiative zum Bürokratieabbau beschlossen. Aber erst 2002, also zehn Jahre später, wurde der Kampagne mit der Vorstellung eines Aktionsplans für bessere Rechtssetzung mehr Gewicht verliehen.

Konkrete Pläne zur Kostenreduktion

Im erst jüngst vorgestellten Bericht der EU in Sachen Bürokratieabbau wurde dem Vorhaben jedoch bis dato nur eingeschränkter Erfolg beschieden. Gleichwohl bleibt es das Ziel der Kommission, die Bürokratiekosten durch Änderungen der bestehenden EU-Rechtsetzung bis 2012 um 25 Prozent zu reduzieren.

Dass das begrüßenswerte Ziel eines Bürokratieabbaus kein Selbstläufer ist, belegen Aussagen der verantwortlichen Politiker. So kommt das Bemühen um einen Abbau von Bürokratie nach den Wort des ehemaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement "einem Häuserkampf gleich, wenn es ernst wird mit einzelnen Gesetzen und Vorschriften". Und der für Bürokratieabbau verantwortliche EU-Kommissar Günter Verheugen räumt ein, dass es nicht nur im Apparat, sondern auch im Parlament Widerstand gegen Bürokratieabbau gebe, da einige Zeitgenossen glaubten, Bürokratieabbau bedeute Deregulierung und neoliberales Teufelszeug.

Daher sind die deutschen Interessenvertreter in Brüssel, also nicht nur die EU-Parlamentarier, sondern auch die Bundesregierung, speziell das Bundesfinanzministerium, die BaFin und die Deutsche Bundesbank, gefordert, ihren Einfluss geltend zu machen, um sich für eine Regulierungspause beziehungsweise für eine behutsamere Entwicklung der Regulierungspraxis einzusetzen. Wir benötigen diese Beruhigung aus Gründen der Rechtssicherheit und der Akzeptanz der neuen Regeln sowohl bei Kunden, Mitarbeitern, Abschlussprüfern und auch den Mitarbeitern von BaFin und Deutscher Bundesbank.

Denn die Kreditwirtschaft ist von bürokratischen Anforderungen, insbesondere der europäischen Ebene, besonders betroffen. Rund 90 Prozent der nationalen aufsichtsrechtlichen Regulierung haben ihre Grundlage in Richtlinien und Verordnungen der EU. Daher muss bei einer Betrachtung der Regulierungsdichte der Blick auf die europäische Dimension im Vordergrund stehen.

Das Lamfalussy-Verfahren: ein Motor für mehr Bürokratie in der EU?

Als neues Element der Regulierung im Bereich der Banken ist insbesondere das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) mit Sitz in London hinzugetreten (Jahresbericht von CEBS 2005 unter www.c-ebs.org). CEBS wurde 2003 durch die Europäische Kommission im Rahmen der Einführung des Lamfalussy-Verfahrens gegründet. Ziel des Lamfalussy-Verfahrens ist es, den komplexen und langwierigen regulären EU-Gesetzgebungsprozess im Rahmen eines Vier-Stufen-Plans zu vereinfachen und zu beschleunigen.

- Es sieht vor, dass die EU-Organe unter Federführung der Kommission die politische Rahmenrechtsetzung (1. Stufe) vornehmen.

- Die Ausarbeitung der "technischen" und detaillierten Durchführungsbestimmungen wird von der Kommission mit Unterstützung von vier Fachausschüssen (ESC, EBC, EIOPC, EFCC) vorgenommen (2. Stufe). Diese Ausschüsse setzen sich aus hochrangigen Vertretern der nationalen Finanzministerien unter Federführung der Kommission zusammen. Sie stimmen über die von der Kommission vorgelegten Durchführungsbestimmungen ab. Die Kommission kann diese unmittelbar erlassen, wenn sich in den zuständigen Fachausschüssen hierzu eine qualifizierte Mehrheit findet.

Bei der Entwicklung der Durchführungsbestimmungen wird die Kommission wiederum von Expertenausschüssen auf der dritten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens beraten (CEBS, CESR, CEIOPS, den 3L3-Institutionen). Die Ausschüsse setzen sich aus hochrangigen Vertretern der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Zusätzlich gehören dem Ausschuss für Bankenaufsicht auch Vertreter der nationalen Notenbanken an.

Neben der Beratung und Unterstützung der Kommission bei der Entwicklung der technischen Durchführungsbestimmungen beschäftigen sich die Expertenausschüsse mit dem Informationsaustausch der Aufsichtsbehörden, der konsistenten Umsetzung der europäischen Rechtsakte und der Angleichung der aufsichtsrechtlichen Praxis im europäischen Markt für Finanzdienstleistungen.

Auf der 4. Stufe achtet die Kommission in intensiver Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, den Regulierungsausschüssen in Stufe 3 und dem privaten Sektor - auf eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts.

CEBS: ein quasi legislativer Charakter

CEBS trägt zur Konvergenz der Aufsichtsregeln durch die Veröffentlichung von Empfehlungen (Guidelines) und Standards bei. Diese Standards haben zwar formaljuristisch keine rechtliche Bindungswirkung. De facto kommt der Arbeit von CEBS aber ein quasi legislativer Charakter zu, da sich die nationalen Aufsichtsbehörden und CEBS an die Empfehlungen gebunden fühlen und sie in nationales Recht umsetzen.

So wurde beispielsweise auf einer Tagung am 7. November 2006 in Frankfurt von offizieller Seite betont, dass sich die deutsche Aufsicht an Leitlinien von CEBS und Aussagen der Kommission zur Auslegung von einschlägigen Richtlinien gebunden fühlt. Soweit Leitlinien von CEBS oder Aussagen der EU-Kommission früheren Aussagen entgegen stehen, ist die Aufsicht lediglich bereit, den Instituten großzügige Übergangsfristen einzuräumen.

Die Frage der Regulierungsdichte für Institute wird, das zeigt die Darstellung, somit zu einem erheblichen Teil außerhalb der nationalen Rechtssetzung und auch unter begrenzter parlamentarischer Kontrolle des Europaparlamentes von den europäischen Aufsehern von CEBS entschieden.

Chancen und Risiken der Arbeit von CEBS

Die Arbeit von CEBS bietet im Hinblick auf Auswirkungen auf die Regulierungsdichte sowohl Chancen als auch Risiken. Zielsetzung von CEBS ist die Förderung von Konvergenz der europäischen Aufsichtsnormen. Diesem Gedanken fühlt sich CEBS verpflichtet. Gerade europaweit tätige Institute sind durch eine Vielzahl von unterschiedlichen bankaufsichtlichen Rechtsnormen und Auslegungen belastet.

Als Beispiel hierfür sind die unterschiedlichen Meldeanforderungen zu nennen, denen europaweit tätige Bankunternehmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausgesetzt sind. CEBS hat mit der Definition eines einheitlichen Rahmens für das Berichtswesen in Europa, das so genannte Common Reporting Framework (COREP) einen Weg beschritten, der grundsätzlich geeignet ist, unterschiedliche Berichtsanforderungen in Europa durch ein einheitliches Berichtsformat zu ersetzen und für europaweit tätige Institute zu einem Abbau der Regulierungsdichte beigetragen. Im Zuge der Beratungen zu COREP wurde jedoch die Gelegenheit verpasst, zu einem noch weitergehenden Abbau von Meldeanforderungen zu gelangen.

Neben einem Kern von verbindlichen Meldepflichten können die nationalen Aufseher von den Instituten weitergehende Meldungen verlangen. Der letztlich verabschiedete Berichtsrahmen stellt somit nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den europäischen Aufsichtsbehörden dar. Er wird nur eingeschränkt zu einer Entlastung der Institute beitragen. Gleichwohl ist der verfolgte Ansatz der Harmonisierung der Berichtsanforderungen der richtige Weg, um zu einem Abbau der Regulierungsdichte zu gelangen, auch wenn hiervon primär nur die europaweit tätigen Institute profitieren.

Schaffung eines aufsichtsrechtlichen Basisverständnisses

Die bisherigen Arbeiten von CEBS haben gezeigt, dass die jeweiligen nationalen Aufseher Aufsichtssystemen und -kulturen anderer Ländern zunächst kritisch bis ablehnend gegenüberstehen und daher nicht bereit sind, auf bewährte nationale Aufsichtsverfahren zu verzichten oder gar Aufsichtsentscheidungen anderer Länder gegen sich gelten zu lassen.

Der Schaffung eines gemeinsamen "Aufsichtsverständnisses" zwischen den verschiedenen europäischen Aufsichtsinstitutionen kommt daher eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Gedanke wird von CEBS unter dem Stichwort "college of supervisors" verfolgt. Unter diesem Stichwort ist die verstärkte Kooperation aller für eine Bankengruppe zuständigen Aufseher zu verstehen.

Die Kooperation reicht von der Erarbeitung allgemein anerkannter Aufsichtsgrundlagen und eines gemeinsamen Aufsichtsverständnisses in Bezug auf eine bestimmten Bankengruppe unter Umständen bis hin zu gemeinsamen Prüfungen.

Ein Lernprozess

Eine verstärkte Kooperation der Aufseher bietet zum einen die Chance, durch die Schaffung eines gemeinsamen aufsichtsrechtlichen Basisverständnisses, Vertrauen in die Qualität der Arbeit anderer Aufseher zu gewinnen und auf zusätzliche Aufsichtsmaßnahmen bei europaweit tätigen Unternehmen zu verzichten. Zum anderen kann die Kooperation einen Lernprozess der Aufseher untereinander in Gang setzen, der in einem möglichst effektiven und unnötige Belastungen vermeidenden Aufsichtsprozess münden sollte.

Auf der anderen Seite sollte CEBS aber der Versuchung widerstehen, einzelne Aufsichtsbereiche durch detaillierte Regelungen normieren zu wollen. Neben der Festlegung von allgemein gültigen Prinzipien aufsichtsrechtlichen Handelns hat CEBS in mehreren Papieren und Guidelines detaillierte Vorstellungen zur konkreten Umsetzung einzelner Fragestellungen geäußert.

So stehen beispielsweise die Anforderungen an Stresstests in CP 12 unter dem allgemeinen Paradigma der Proportionalität, sind aber trotzdem für kleine und mittelgroße Banken und Sparkassen überzogen und wenig praktikabel.

Eingriff in die staatliche Souveränität?

Angesichts des "quasi" legislativen Charakters der "Empfehlungen" von CEBS und der fehlenden demokratischen Legitimation ist die Tiefe der Vorgaben von CEBS nicht unbedenklich. Es könnte hierin ein nicht legitimierter Eingriff in die staatliche Souveränität gesehen werden. Dabei geht CEBS offenbar nach dem Prinzip vor "Wo kein Kläger, da kein Richter". CEBS sollte darauf bedacht sein, neben den teilweise gerechtfertigten Anliegen von europaweit tätigen Großbanken, die Anliegen auch der lokal und regional operierender Institute im Blick zu behalten. Harmonisierung zum Vorteil der Großbanken und auf Kosten der kleineren Institute, die zwar die Aufwendungen zu tragen haben aber nicht in gleichem Maße von den Vorteilen profitieren können, wäre der falsche Weg.

Der Ansatz der Proportionalität, nach dem sich die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an ein Institut in Abhängigkeit von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der eingegangenen Geschäfte bemessen, erscheint in diesem Zusammenhang als der "Königsweg". Dieser Gedanke wird auf internationaler Ebene, auch im Rahmen von CEBS, insbesondere von Seiten der deutschen Bankaufsicht propagiert. Eine bankaufsichtliche "One-size-fits-all-Lösung" wird künftig immer weniger zu realisieren sein.

Erwartungen der Kreditwirtschaft

Angesichts des umfangreichen Arbeitsprogramms, das sich CEBS für das Jahr 2007 vornimmt - und das auch durch "Calls for Advice" der Kommission bestimmt ist (vor allem Advice zu Eigenmitteln, Großkrediten und Konzentrationsrisiken, Commodities und Liquidität) - wird es für die Beantwortung der Frage, ob CEBS zur Regulierungsdichte beiträgt, entscheidend darauf ankommen, ob die Kommission und CEBS es schaffen, Zurückhaltung bei Detailregulierungen zu üben.

Darüber hinaus wäre eine tiefere Einbindung der nationalen Kreditwirtschaft in die Konsultationen auf internationaler Ebene wünschenswert. In diesem Zusammenhang scheint auch eine stärkere Kontrolle der Aktivitäten von CEBS durch das Bundesfinanzministerium als Rechts- und Fachaufsichtsbehörde wünschenswert, um den gesamtwirtschaftlichen Interessen Deutschlands stärker als bisher Rechnung zu tragen.

Ausdrücklich zu begrüßen ist das Ende November 2006 gestartete Vorhaben von CEBS, die Einschätzungen und Erwartung der Marktteilnehmer mittels einer Umfrage zu erheben. Eine Ausrichtung der Aktivitäten von CEBS an den Anregungen der Marktteilnehmer bietet die Chance, die Akzeptanz und Qualität der Arbeit von CEBS zu steigern.

Es besteht sonst die Gefahr, dass die begrüßenswerten Ziele von CEBS - die Verbesserung der aufsichtsrechtlichen Koordination auf europäischer Ebene und die Schaffung eines ausgewogenen "Level Playing Field" - durch eine Vielzahl von Detailregelungen konterkariert werden. Die Kreditwirtschaft benötigt jedoch nicht mehr Regulierung, sondern eine behutsamere Regulierung mit einer Flexibilisierung der bestehenden Regelungen.

Dr. Siegfried Jaschinski , Partner, Augur Capital AG, Frankfurt am Main
Noch keine Bewertungen vorhanden


X