Die geldpolitischen Ankaufprogramme des Eurosystems 2015: Umsetzung und Marktwirkung

Dr. Joachim Nagel, Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main - Nach und nach sind die geldpolitischen Ankaufprogramme des Eurosystems zum faktisch wichtigsten Instrument der Liquiditätsbereitstellung für die Banken geworden und die Bedeutung der befristeten Refinanzierungsgeschäfte ist dem Volumen nach relativ gesunken. In welchen Dimensionen sich dieser Wandel abspielt, erläutert der Autor anhand der Entwicklung der vergangenen Jahre. Mit heftiger Kritik hält er sich dabei zwar zurück. Aber er deutet durchaus Fragestellungen und Sachverhalte an, die ihm diskussionswürdig erscheinen. Geldpolitische Maßnahmen, so seine Mahnung, entfalten ihre volle Wirkung erst mit gewissem zeitlichem Verzug. In diesem Sinne wirft sein Plädoyer für eine Vermeidung hektischer Reaktionen einschließlich des Hinweises auf fehlende akute Deflationsgefahren indirekt die Frage auf, ob die Frequenz der sogenannten unkonventionellen Maßnahmen der EZB glücklich gewählt ist. Hierzu zählen Negativzinsen, Langfristtender und die Ankaufprogramme. (Red.)

Seit 2015 haben sich die Schwerpunkte in der Durchführung der Geldpolitik in der Europäischen Währungsunion verschoben. Bis dahin stellte das Eurosystem den Banken Liquidität hauptsächlich über befristete Refinanzierungsgeschäfte bereit. Mit der Einführung und Ausdehnung von Ankäufen verschiedener Wertpapierklassen ist die relative Bedeutung dieser klassischen geldpolitischen Operationen gesunken. Im Herbst 2014 starteten die Ankaufprogramme des Eurosystems im Rahmen des sogenannten "Asset Purchase Programme". Der EZB-Rat hatte beide Programme, das Covered Bond Purchase Programme 3 (CBPP3) und das Asset Backed Securities Purchase Programme (ABSPP) am 4. September 2014 beschlossen. Die Käufe von Covered Bonds begannen am 20. Oktober, die ABS-Käufe am 21. November 2014.

Weder Zielvolumen noch konkreter Zeitrahmen vorgegeben

Nach mehr als zweijähriger Unterbrechung - das vorangegangene Securities Markets Programme (SMP) war im September 2012 beendet worden - trat das Eurosystem wieder mit regelmäßigen, geldpolitisch motivierten Käufen am Kapitalmarkt auf. Die neuen Programme sollten die Kreditgewährung im privaten Sektor fördern und die monetäre Transmission verbessern. Der EZB-Rat erwartete von den Ankäufen im Zusammenspiel mit den Mitte 2014 eingeführten gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften (GLRG) beträchtliche Auswirkungen auf die Bilanzsumme des Euro systems.

Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Ankaufprogrammen für Covered Bonds gab der EZB-Rat beim CBPP3 weder ein Zielvolumen noch einen konkreten Zeitrahmen vor. Auch das ABSPP blieb diesbezüglich unbestimmt. Beide Programme sollen allerdings mindestens zwei Jahre lang laufen. Das CBPP3 wird wie die früheren Programme dezentral umgesetzt, durch die EZB und die nationalen Zentralbanken. Sie kaufen am Primär- wie Sekundärmarkt ein breites Portfolio auf Euro lautender gedeckter Schuldverschreibungen von Emittenten, die ihren Sitz im Euroraum haben. Die Bundesbank beteiligt sich entsprechend ihrem Anteil am EZB-Kapital.

Im ABSPP kauft das Eurosystem für geldpolitische Zwecke einfach strukturierte und transparente Verbriefungen. Diese müssen durch Forderungen an Privatunternehmen aus der Realwirtschaft des Euroraums besichert sein. Auch beim ABSPP entscheidet das Eurosystem über jede Transaktion im Einzelfall. Externe Manager schlagen Transaktionen vor und schließen sie nach Bestätigung durch das Eurosystem auch ab. Inzwischen haben mit der Banque de France und der belgischen Notenbank zwei nationale Zentralbanken diese Aufgaben internalisiert.

Alternative Maßnahmen statt konventioneller Zinspolitik

Am 22. Januar 2015 beschloss der EZB-Rat, das CBPP3 und das ABSPP um eine zusätzliche Komponente für Anleihen des öffentlichen Sektors zu erweitern. Im Rahmen dieses Public Sector Purchase Programme (PSPP) kauft das Eurosystem seit 9. März 2015 Anleihen der Staaten des Euroraums, daneben Anleihen staatlicher Agenturen mit Förderauftrag (Agencies) und supranationaler europäischer Institutionen. Dem Eurosystem ist nach Artikel 123 des EU-Vertrags eine direkte Finanzierung des öffentlichen Sektors untersagt. Deshalb erwirbt das Eurosystem diese Papiere nur am Sekundärmarkt.

Alle drei Ankaufprogramme - PSPP, CBPP3 und ABSPP - bilden zusammen das erweiterte Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP). Damit strebt der EZB-Rat ein monatliches Ankaufvolumen von insgesamt 60 Milliarden Euro an, gemessen am Buchwert der Transaktionen. Konkrete Zielvolumina für die einzelnen Teilprogramme sind nicht veröffentlicht, allerdings entfiel bisher der weitaus größte Teil auf das PSPP. Die Programme sollten ursprünglich bis mindestens September 2016 laufen. Im Dezember 2015 verlängerte der EZB-Rat die Laufzeit bis mindestens März 2017. Nach dem Ausweitungsbeschluss entspricht dies einem Gesamtvolumen von mindestens 1 500 Milliarden Euro. Angesichts bereits herrschender Niedrigstzinsen greift der EZB-Rat damit auf unkonventionelle Maßnahmen zurück, um gegen weiterhin niedrige Inflationsraten, vor allem aber auch niedrige Inflationserwartungen anzugehen. Deshalb sollen die Käufe laut EZB-Ratsbeschluss in jedem Fall so lange fortgesetzt werden, bis die Preissteigerungsrate den mittelfristig angestrebten Wert von unter, aber nahe bei zwei Prozent erreicht hat.

Das Eurosystem setzt das PSPP dezentral um. Neben der EZB mit 8 Prozent kaufen im PSPP die nationalen Zentralbanken entsprechend ihrem Anteil am EZB-Kapital öffentliche Anleihen an, und zwar jede nationale Zentralbank nur Anleihen ihrer eigenen Jurisdiktion. Die Bundesbank erwirbt mithin nur Bundesanleihen und Anleihen zugelassener deutscher Agencies. Das waren 2015 die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Landwirtschaftliche Rentenbank, die NRW-Bank und die Landeskreditbank Baden-Württemberg - Förderbank (L-Bank). Für alle Anleihen europäischer Institutionen und die von der EZB erworbenen Bestände gelten die Ertragsund Verlustteilungsregeln des Eurosystems. Zusammen machen sie 20 Prozent der Käufe im PSPP aus. Die übrigen 80 Prozent entfallen auf die von den nationalen Zentralbanken erworbenen Staatsanleihen und Agencies, hier trägt jede NZB das entsprechende Risiko selbst.

Renditeniveaus insgesamt senken

Schrittweise sind die geldpolitischen Ankaufprogramme zum faktisch entscheidenden Strategem der Liquiditätsbereitstellung geworden, die Bedeutung der befristeten Refinanzierungsgeschäfte ist dem Volumen nach relativ gesunken. Die aktuellen Ankäufe gehen neben dem Volumen auch in Marktbreite und operativer Zielsetzung über frühere Maßnahmen des Eurosystems hinaus. Im ersten Covered Bond Purchase Programme (CBPP) kaufte das Eurosystem von Juli 2009 bis Juni 2010 Anleihen im Nennwert von insgesamt 60 Milliarden Euro. Das entspricht aktuell gerade dem monatlichen APP-Ankaufvolumen.

Die früheren Ankaufprogramme stellten Krisenreaktionen dar und sollten spezielle Kapitalmarktsegmente stützen beziehungsweise die reibungslose Transmission geldpolitischer Maßnahmen gewährleisten. Beim CBPP ging es um gedeckte Schuldverschreibungen, beim SMP um Staatsanleihen einzelner Krisenländer. Das APP ist breiter angelegt und erfasst nahezu alle größeren Teile des Euro-denominierten Kapitalmarktes im Euroraum. Regelmäßige, großvolumige Wertpapierkäufe sollten eine zusätzliche monetäre Lockerung bewirken und die Inflation mittelfristig auf den Zielwert von unter, aber nahe zwei Prozent steigern.

Wirkung abwarten

Seit etwa zwei Jahren liegen im Euroraum die Inflationsraten nun unterhalb von plus ein Prozent. Wesentlicher Grund hierfür sind aber die seit einiger Zeit global sinkenden Energie- und Rohstoffpreise, die die Geldpolitik des Eurosystems kaum beeinflussen kann. Sinkende Energie- und Rohstoffpreise stimulieren die Konjunktur, nicht zuletzt den privaten Konsum. Die Kernrate der Inflation, wenn man Nahrungsmittel- und Energiepreise herausrechnet, bewegt sich denn auch seit rund zwei Jahren beständig oberhalb der Gesamtrate. Im Dezember belief sich die Kernrate für den Euroraum auf plus 0,9 Prozent, gegenüber einer Gesamtrate von nur plus 0,2 Prozent. Daraus lässt sich zurzeit noch kein mittelfristiger Trend ableiten.

Geldpolitische Maßnahmen entfalten ihre volle Wirkung erst mit gewissem zeitlichen Verzug. Diese abzuwarten erscheint ratsam, zumal gegenwärtig keine akuten Deflationsgefahren erkennbar sind.

Für die Finanzbranche sind die Niedrigstzinsen problematisch. Sie führen im Ergebnis zu niedrigeren Margen im klassischen Kreditgeschäft. Negativzinsen können kaum an Retail-Kunden weitergegeben werden. Marktakteuren wie Lebensversicherungen und Pensionsfonds machen die niedrigen Renditen langlaufender Anleihen angesichts langfristiger Zahlungspflichten ernsthafte Probleme. In diesem Umfeld artikulieren manche die Sorge, Investoren wie auch Banken oder Versicherer könnten auf der Suche nach Rendite unangemessen hohe Risiken eingehen, ohne hierfür ausreichend Vorsorge zu treffen. Das könne besonders an den Aktien- und Immobilienmärkten zu Preisblasen führen, mit Gefahren für die Finanzstabilität insgesamt.

Auch die beständigen großvolumigen Käufe des Eurosystems sehen Marktteilnehmer kritisch. Die Liquidität in einigen Märkten - etwa für gedeckte Schuldverschreibungen, aber auch für Anleihen kleinerer Staaten und supranationaler Emittenten - habe sich erheblich verschlechtert. Die geringere Liquidität mache die Märkte weniger attraktiv für Investoren und anfälliger für Schwankungen. Emittenten sorgen sich, angestammte Investoren zu verlieren. Das Eurosystem verdränge private Anleger.

Eurosystem als größter Einzelgläubiger der Eurostaaten

Umstritten sind ferner die immer stärkeren Wechselwirkungen zwischen Geld- und Fiskalpolitik. Die Niedrigstzinsen mindern den Druck auf die Regierungen, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren und ihre Strukturen anzupassen. Das ist besonders akut in Ländern mit hohem Schuldenstand oder beträchtlichen Haushaltsdefiziten. Deshalb weist der EZB-Rat immer wieder darauf hin, dass die Mitgliedsstaaten strukturelle Reformen umsetzen müssten, um die Wachstumskräfte zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Das Eurosystem wird im März 2017 Staatsanleihen der Mitgliedsländer im Umfang von rund 1 300 Milliarden Euro halten. Das werden voraussichtlich mehr als 25 Prozent des handelbaren liquiden Staatsanleihenmarktes sein. Damit wird das Eurosystem größter Einzelgläubiger der Eurostaaten geworden sein. Über die Implikationen dieses Umstandes für die Zentralbankunabhängigkeit wird schon jetzt diskutiert. Ein rechtzeitiger Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik darf nicht deshalb auf die lange Bank geschoben werden, weil er mit steigenden finanziellen Belastungen der Mitgliedsstaaten verbunden wäre.

Dr. Joachim Nagel , Präsident , Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main
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