Europäische Union

Brexit - Ende offen

"Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" - so die Kanzlerin am Ende des Besuchs von Premierminister David Cameron in Berlin. Der britische Regierungschef hatte den Unterhauswahlkampf damit geführt, sich für einen "besseren Deal" für Großbritannien in der EU und mehr nationale Kompetenzen in bestimmten Politikbereichen einzusetzen und anschließend die Briten in einem Referendum darüber abstimmen zu lassen. Nun ist er in einer Bringschuld: Was meint er genau mit einem "besseren Deal", welche Politikbereiche sollen von Brüssel weg- und mehr in nationale Verantwortung übergehen? Die Besuche in verschiedenen europäischen Hauptstädten waren nicht mehr als ein erstes Ausloten britischer Wünsche und europäischer Reaktionen.

Auf einem Feld scheint man bereit zu sein, Großbritannien entgegenzukommen - der Frage des Bezugs von Sozialleistungen für EU-Ausländer. So hat sich in der britischen Öffentlichkeit der Eindruck festgesetzt, dass vor allem der Zuzug osteuropäischer Bürger aus Gründen des "Sozialtourismus" erfolge, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen genau das Gegenteil belegen: Unter dem Strich haben laut Studie des University College of London die europäischen Zuwanderer dem britischen Fiskus seit 2001 mehr als 20 Milliarden Pfund in die Staatskasse gebracht. Deshalb spiegelt für Beobachter die Forderung, EU-Einwanderer für eine gewisse Zeit von Sozialleistungen wie Kindergeld oder Arbeitslosengeld auszunehmen, etwas anderes wider: eine latente Fremdenfeindlichkeit in gewissen Teilen der Bevölkerung, die in einer Anti-EU-Stimmung ihren Ausdruck findet. Dass die EU-Staaten die britische Forderung bisher gelassen sehen, hängt mit anstehenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu solchen Sozialleistungsfällen zusammen. An der Freizügigkeit, so hat Merkel schon vor Monaten klargemacht, sei aber nicht zu rütteln.

Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegt Großbritannien nach Deutschland auf Platz zwei in der EU, 51 Prozent der britischen Exporte gehen in EU-Staaten. Welche Auswirkungen ein EU-Austritt hätte, würde davon abhängen, ob das Land danach in der Freihandelszone Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) verbleiben dürfte, falls nicht, müssten Zölle auf britische Ausfuhren erhoben werden und gingen vermutlich ausländische Direktinvestitionen zurück. Bliebe Großbritannien im EWR, müssten Zahlungen in den EU-Kohäsionsfonds geleistet und weiter viele Regulierungen beachtet werden, ohne ein Mitspracherecht in Europa zu besitzen.

Der Finanzplatz könnte zum Beispiel durch die fallende Bonibegrenzung profitieren, andererseits gibt es schon jetzt Diskussionen, ein mögliches britisches, an die EU angrenzendes Offshore-Zentrum mit Kapitalverkehrsbeschränkungen zu sanktionieren. Davon abgesehen haben einige internationale Banken und Unternehmen bereits angekündigt, im Falle eines Austritts sich weg von der City und der Insel und hin zu einem neuen "EU-Standort" auf den Weg zu machen. All das klingt wenig austrittsförderlich, aber vor allem die konservative britische Presselandschaft wird dies kaum davon abhalten, mit den Vorteilen der Eigenständigkeit einerseits und den Nachteilen des Brüsseler Zentralismus andererseits Stimmung zu machen. "Better Off Out", eine Initiative für den EU-Austritt, fühlt sich nicht zuletzt deshalb bestärkt.

"Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" - das gilt nicht nur für Merkel & Co, das gilt auch für Cameron. Ist er bereit, sein politisches Gewicht im eigenen Land für Europa einzusetzen und seinen Bürgern nach Absprachen mit den EU-Amtskollegen die "richtige" Frage zu stellen? Niemand sollte meinen, dass nach der endlos-leidigen Grexit-Debatte nicht auch einmal die Geduld der (Rest-)Europäer ein Ende haben könnte.

Dr. Bettina Wieß, Frankfurt am Main

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