Leitartikel

Zwischen Ärger und Gesetz

sb - Beim aktuellen Streit um die Bargeldversorgung gibt es einen Widerspruch zwischen gefühltem Rechtsempfinden und gesetzlichen Rahmenbedingungen. So hat es ein Marktteilnehmer am Rande des Bankkarten-Forums 2008 formuliert. Auf der einen Seite stehen vor allem die Sparkassen und - wenn auch in der derzeitigen Diskussion weniger prominent - die Volks- und Raiffeisenbanken mit ihrem dichten Geldautomatennetz, das zwar erhebliche Investitionen erfordert, aber im Wettbewerb als wichtiges Serviceargument dienen kann. Wenn nun Direktbanken oder Filialbanken mit eigenem, aber deutlich kleinerem Automatennetz daherkommen und ihren Kunden einen noch besseren Service - nämlich europa- oder gar weltweite Bargeldversorgung an allen Geldautomaten - versprechen, der aber im Inland ganz wesentlich auf der von den Verbünden aufgebauten Infrastrukturen beruht, lässt sich der Unmut der Sparkassen und Volksbanken durchaus verstehen. Wer hilft schon gerne der Konkurrenz, sich im Markt vorteilhaft zu positionieren? Ob sich das Bedürfnis, die Strategie der betreffenden Wettbewerber durch selektive Geldautomatensperren für die von ihnen ausgegebenen Visa-Karten auszuhebeln, mit dem geltenden Rechtsrahmen in Einklang bringen lässt, ist dagegen eine ganz andere Frage.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen Institute, die bei der Bargeldversorgung ihrer Kunden auf die Visa-Karte setzen. Ihr Hauptargument für die Strategie, die nun für so viel Wirbel sorgt, wird von den Verbünden nicht einmal bestritten: Seit der Aufkündigung der alten ZKA-Vereinbarung über Höchstgebühren für die Fremdnutzung von Geldautomaten haben einige Institute den neu gewonnenen Spielraum weidlich ausgenutzt. Und durch die dadurch entstehende enorme Spannbreite bei den Preisen wurden die Kosten für die Bargeldversorgung zu einem kaum noch kalkulierbaren Risiko. Insofern bot sich die Visa-Karte mit ihrem festen Satz von 1,74 Euro pro Transaktion als Ausweg an. Als Trittbrettfahrer möchte man nicht verstanden werden - schließlich böten besagte 1,74 Euro pro Abhebung den Geldautomatenbetreibern ein angemessenes Entgelt für die Nutzung ihrer Infrastruktur. Auch neutrale Beobachter kommen zu dem Schluss, dass die Transaktionskosten (einschließlich Abschreibung, Wartung und sonstigen Nebenkosten) pro Auszahlungsvorgang nicht höher sind als 60 Cent - vorausgesetzt, man rechnet die Vollkosten des GAA-Betriebs nicht allein auf die Fremdverfügungen um, die im Schnitt nur fünf bis zehn Prozent aller Transaktionen ausmachen. Somit ergäbe sich in der Tat eine auskömmliche Marge. Doch selbst wenn die Sparkassen das ebenso sähen: Am Grund für den ganzen Ärger ändert das wenig. Schließlich geht es im Kern ja nicht um die Profitabilität von Geldautomaten, sondern um die Positionierung im Wettbewerb.

Immerhin haben die Verbünde Einsicht in das eigene Verschulden und Kompromissbereitschaft gezeigt. Seit rund einem Jahr gab es deshalb im ZKA Bestrebungen, in irgendeiner Form zu einer Einigung bezüglich der Entgeltregelungen zurückzufinden beispielsweise in Form von offen ausgewiesenen Kundenentgelten als transparente Lösung oder auch in Form von Mischsätzen aus Interchange und Surcharge. Dem aber haben sich die privaten Banken widersetzt und damit die nun praktizierte selektive Geldautomatensperre für die Visa-Karten von acht Instituten provoziert.

Grund für die Verweigerungshaltung der privaten Banken waren vermutlich Befürchtungen hinsichtlich regionaler Monopole der Verbünde. Angesichts der meist alleinigen Präsenz von Sparkassen und Volksbanken im ländlichen Raum wären Spitzenpreise bei den Kundenentgelten tatsächlich nicht auszuschließen, was wiederum die Wettbewerbschancen der privaten Banken in diesen Regionen verschlechtern würde. Was dabei aber wohl nicht bedacht wurde: In der gegenwärtigen Situation ist der Markteintritt für unabhängige GAA-Betreiber wie Moneybox oder Euronet außerordentlich schwierig. Ginge

die Entwicklung aber in Richtung Kundenentgelte, würde sich dies ändern, es käme Bewegung in den Markt. Ähnlich wie es in anderen Märkten zu beobachten ist, würden unabhängige Anbieter beispielsweise im Einzelhandelsumfeld ihre Geräte aufstellen. Damit aber wären auch die befürchteten regionalen Monopole und Spitzensätze bei den Kundenentgelten, wie sie Verbundinstitute im ländlichen Raum berechnen könnten, bald vom Tisch.

Neuen Schwung bekommen hat die Diskussion nun durch die anstehende Umsetzung der Payment Services Directive in nationales Recht. Hier ist die Interpretation in der Frage, ob Surcharging generell freizugeben sei oder nicht, bislang strittig. Mastercard nimmt diese Entscheidung vorweg: Wie bislang schon im Einzelhandel will man auch am Geldautomaten das Erheben von Kundenentgelten für den Einsatz der Karte freigeben, was von der Sparkassenorganisation ausdrücklich begrüßt wird. Visa hält bislang am Surcharging-Verbot fest und betreibt dafür Lobbyarbeit in Berlin. Bei aller gebotenen Neutralität zwischen den divergierenden Interessen der Mitgliedsbanken wird damit zumindest indirekt ein Votum gegen die Position der Verbünde abgegeben, die sich eine Entwicklung in Richtung offener Strukturen wünschen.

Während der Ausgang in Berlin noch offen ist, kommt jetzt die gerichtliche Auseinandersetzung in Gang, betrieben von ING-Diba, Citibank, Santander Consumer und Volkswagen Bank. Die Zeichen scheinen aber auch hierbei für die Sparkassen nicht günstig zu stehen. Drei Gerichte haben bislang einstweilige Verfügungen gegen die selektive Geldautomatensperren verhängt. Nach dem gängigen Procedere wird dazu der Beklagte prinzipiell nicht gehört (so geschehen im Fall der Sparkasse Nienburg, gegen die das Landgericht Verden als erstes eine Entscheidung fällte). Rechnet der Beklagte jedoch mit einer einstweiligen Verfügung, kann er vor Gericht vorab eine sogenannte "Schutzschrift" hinterlegen, um bei der Abwägung des Gerichts auch seine Argumentation in die Waagschale werfen zu können. Diese Möglichkeit hat die Kreissparkasse Heilbronn genutzt - doch ohne Erfolg. Es wurde ein Verstoß gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb festgestellt, das die gezielte Behinderung von Wettbewerbern verbietet. Und die Motivation, einen Wettbewerber zu behindern, über dessen Strategie man sich geärgert hat (und sei dieser Ärger auch noch so nachvollziehbar), liegt wohl doch zu nahe an dieser Grenze.

Bis das Thema abschließend gerichtlich geklärt ist, wird vermutlich noch einige Zeit vergehen. Schlimmstenfalls droht eine Kartellamtsentscheidung. Inzwischen aber zeichnet sich - zumindest aus Sicht der Direktbanken - Entspannung auf anderer Ebene ab: unter dem Schlagwort "Cash Back" nämlich. Der "Bargeldeinkauf" an der Ladenkasse, den vor allem Mastercard kräftig vorantreiben will, bietet den Kunden einen zusätzlichen Service, der sie unabhängiger von Geldautomaten macht (aber dafür andere Einschränkungen wie Öffnungszeiten oder Mindestumsatz birgt). Hierzulande ist "Cash Back" seit September 2003 im Angebot. Seitdem können Kunden bei Rewe Kartenzahlungen nutzen, um einen höheren Betrag als den Einkaufswert abrechnen und sich die Differenz in bar auszahlen zu lassen. Und die Postbank hat angekündigt, ab Mitte 2009 bei der Bargeldversorgung mit Shell zu kooperieren. Beide Beispiele gelten nur als Vor reiter eines neuen Trends. Für die Verbünde wäre dies vor allem dann interessant, wenn sich dadurch GAA-Standorte einsparen ließen. Darauf deutet nach den Erfahrungen aus Großbritannien, den Niederlanden und Norwegen, wo das Verfahren bereits etabliert ist, jedoch wenig hin. Dort versorgen sich die Kunden im Einzelhandel lediglich mit kleineren Beträgen. Geldautomatentransaktionen werden hingegen kaum substituiert. Eine wirkliche Lösung des die Gemüter erhitzenden Infrastrukturproblems ist auf dieser Schiene also wohl nicht in Sicht.

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