Schwerpunkt Immobilien in der Förderung

Braucht es eine neue Wohnungsbaupolitik in Hessen?

Noch vor kurzem schien es, als sei die Wohnraumversorgung ein gelöstes Problem. Doch unversehens ist sie in die politische Diskussion zurückgekehrt. Statt von Leerständen und drohenden Überschüssen infolge der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung berichten die Medien nun über wachsende Probleme bei der Wohnungssuche sowie steil steigende Mieten und Immobilienpreise. Was ist da passiert? Erliegen wir gerade dem nächsten Medien-Hype? Oder erwachen wir unsanft aus trügerischer Sicherheit?

Unterschiedliche regionale Entwicklungen

Die Frage lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Denn die Situation an den Wohnungsmärkten ist so differenziert wie die gesellschaftliche Wirklichkeit und die regionalen Verhältnisse. Es gibt Familien mit Kindern und Singles, es gibt Ältere und Studenten, es gibt Wohnungssuchende mit sehr hohen Einkommen und solche mit sehr niedrigen, es gibt verschiedene kulturelle Milieus - und sie alle haben unterschiedliche Bedürfnisse. Manche Regionen verlieren Einwohner, Ballungsräume verzeichnen anhaltenden Zuzug. Die Folge: Auch auf einem rechnerisch ausgeglichenen nationalen Wohnungsmarkt kann es Überschüsse und Defizite in einzelnen Gebieten und Segmenten geben.

Um die heutige Situation in Hessen zutreffend einschätzen zu können, ist ein Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre hilfreich. Ein wesentlicher Faktor für die Nachfrage nach Wohnraum ist die Entwicklung der Bevölkerungszahl. In Nordhessen geht sie bereits seit Mitte der neunziger Jahre zurück, in Mittelhessen seit der Jahrtausendwende. Nordhessen hat seit dem Jahr 2000 rund 52 000 Einwohner verloren, Mittelhessen 26 300. Allerdings gibt es auch in diesen Regionen Städte mit leicht zunehmenden Einwohnerzahlen.

Ein völlig anderes Bild ergibt sich für Südhessen. Zwar legte das Bevölkerungswachstum während der Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank eine Pause ein, doch mit der wirtschaftlichen Erholung hat es wieder eingesetzt. Von 2008 bis 2012 hat die Region 74 000 Personen gewonnen. Die Prognosen gehen davon aus, dass diese Trends anhalten werden - Bevölkerungsschwund in Nord- und Mittelhessen, Zunahme in Südhessen bis weit in die zwanziger Jahre hinein. Dies wird in Südhessen die Nachfrage nach Wohnraum weiter stimulieren.

Ein weiterer Trend wirkt ebenfalls nachfragefördernd: Mit dem Wandel der Lebensstile und die Alterung der Gesellschaft sinkt die durchschnittliche Haushaltsgröße. Hinzu kommen zeitlich begrenzte Sondereffekte wie doppelte Abiturjahrgänge und die Abschaffung der Wehrpflicht, die sich auf die Studentenzahlen auswirken.

Dieser Dynamik stand in den vergangenen Jahren ein nur verhalten wachsendes Angebot gegenüber. Die Zahl der Baugenehmigungen und -fertigstellungen ist bundes- und landesweit lange Zeit kontinuierlich zurückgegangen. Der Tiefpunkt war in Hessen im Jahr 2009 mit 11 000 genehmigten Wohnungen erreicht - auf dem Höhepunkt des letzten Baubooms im Jahr 1994 waren es über 51 000. Zwar hat inzwischen eine Trendwende eingesetzt - 2012 wurden bereits wieder 16 800 Wohnungen genehmigt - doch das entstandene De fizit ist damit nicht beseitigt.

Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Dynamik

Bei den Mieten wirkt sich das derzeit vor allem bei Wieder- oder Erstvermietungen aus, die sich in Südhessen im vergangenen Jahr um 6,1 Prozent verteuerten, in Frankfurt sogar um 13,6 Prozent. Bei bestehenden Mietverträgen bewegt sich der Anstieg derzeit dagegen auf dem Niveau der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten.

Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die steigenden Preise bei Neuvermietungen auf Dauer auch die Bestandsmieten "hochziehen" werden. Von steigenden Mieten sind derzeit in erster Linie Bürger betroffen, die ihre Wohnung aus privaten oder beruflichen Gründen wechseln wollen oder müssen oder die erstmals eine Wohnung suchen.

Trotz der beeindruckenden Belebung der Bautätigkeit droht nirgends in Hessen eine Immobilienblase. Bezogen auf den Wohnungsbestand von rund 2,9 Millionen macht auch die stark gestiegene Zahl der Baugenehmigungen immer noch einen nur geringen Anteil aus. Angesichts der weiter wachsenden Nachfrage wird es noch lange dauern, bis ein ausgeglichener Wohnungsmarkt erreicht ist.

Dies gilt umso mehr, als die Neubautätigkeit nicht alle Bedürfnisse gleichmäßig abdeckt. Ein beträchtlicher Teil der neuen Wohnungen entsteht im höherpreisigen Segment des Marktes. Dies ist sicherlich nicht zuletzt eine Folge des hohen Niveaus der Bodenpreise im Ballungsraum, in dem preisgünstiger Wohnraum immer schwerer bereitzustellen ist. Daher haben in Südhessen nicht nur Haushalte mit geringem Einkommen Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Dieses Problem trifft auch Haushalte mit einem durchschnittlichen Einkommen.

Das aber heißt: Die Situation auf dem Wohnungsmarkt kann die Dynamik des Wirtschaftsraums Rhein-Main beeinträchtigen. Unternehmen brauchen Beschäftigte, und diese benötigen erschwinglichen Wohnraum. Zur Wirtschaft gehört auch die Verkäuferin im Einzelhandelsgeschäft und der Arbeiter in der Gepäckabfertigung des Flughafens. Die Hessische Landesregierung wird deshalb ihren Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmärkte massiv ausweiten. Sie hat Anfang April ein Sonderprogramm beschlossen, das sich zu den jährlich 62 Millionen Euro addiert, mit denen Hessen bisher den Bau und die Modernisierung von Mietwohnungen sowie die Eigentumsbildung fördert. Die Landesregierung stellt sich damit den aktuellen Herausforderungen.

Sonderprogramm mit 300 Millionen Euro

Für das Sonderprogramm werden in der nächsten Legislaturperiode insgesamt rund 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese Summe setzt sich zusammen aus Rückflüssen früherer Wohnungsbaudarlehen, aus Haushaltsrücklagen des Landes und aus Bundesmitteln, die zweckgebunden für das Wohnungswesen eingesetzt werden. In konkreten Zielen ausgedrückt, bedeutet dies:

-> Bau von 1 000 zusätzlichen Sozialwohnungen. Hiermit wird den Haushalten geholfen, die sich aus eigener Kraft nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und daher auf Unterstützung angewiesen sind - das Sonderprogramm setzt also gezielt dort an, wo Defizite bestehen.

-> Modernisierung von zusätzlich 2 000 Mietwohnungen. Damit wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, dass große Teile des vorhandenen Wohnungsbestands energetisch saniert werden müssen und dass angesichts des demografischen Wandels alters- und behindertengerechter Wohnraum immer wichtiger wird.

-> Unterstützung von zusätzlich 1 000 Familien beim Erwerb der eigenen vier Wände. Dies kann durch den Neubau von Eigenheimen oder Wohnungen erfolgen oder durch Erwerb von bestehendem Wohnraum. Zielgruppe sind insbesondere Schwellenhaushalte mit Kindern. Damit wird auch ein Beitrag zur Stärkung ländlicher Räume geleistet und die Wanderung in die Ballungszentren vermindert.

-> Bau von Wohngelegenheiten für zusätzlich 2 000 Studenten. Hessen hat zu wenig studentischen Wohnraum und deshalb 2011 und 2012 insgesamt über 23 Millionen Euro für diesen Zweck bereitgestellt. Schon dadurch entstehen über 800 Wohneinheiten für Studenten.

-> Noch in diesem Jahr werden fünf Millionen Euro für den Erwerb von Belegungsrechten aus dem vorhandenen Wohnungsbestand zur Verfügung gestellt. In Hessen fallen jedes Jahr viele Sozialwohnungen aus der Bindung. Der Kauf von Belegungsrechten trägt dazu bei, die Zahl der Wohnungen mit Bindung kurzfristig zu stabilisieren.

Oft können auch genossenschaftliche Wohnmodelle zusätzlichen Wohnraum mobilisieren. Daher wird geprüft, ob und wie solche Modelle unterstützt werden können. Mit Geld allein ist es jedoch nicht getan. Denn gerade im Ballungsraum Rhein-Main fehlt es an verfügbaren Bauflächen. Es gilt daher öffentliche und private Reserven zu heben - beispielsweise durch gezielte Nachverdichtungen oder den Ausbau von Dachgeschossen, sodass Grundstücke besser ausgenutzt werden.

Die Kommunen sollen hierzu ihre planungsrechtlichen Spielräume ausschöpfen. Das Land wird prüfen, inwieweit es dabei durch die Erleichterung von Nutzungsänderungen oder Lockerungen bei den Vorschriften für Stellplätze oder Abstandsflächen helfen kann. Auch wird untersucht werden, ob sich die Verfahren zur Aufstellung der Flächennutzungs- und Bebauungspläne straffen lassen, damit neue Flächen für den Wohnungsbau rasch zur Verfügung gestellt werden können. Schließlich ist festzustellen, dass gerade in Frankfurt zurzeit viele Büroflächen leerstehen, weil sie nicht mehr den Anforderungen des Marktes entsprechen. Deshalb soll untersucht werden, welche davon sich zu Wohnungen umbauen lassen.

Ein Mediator für Politik und Wohnungswirtschaft

Diese vielfältigen Aktivitäten gilt es zu bündeln und zu koordinieren. Daher hat die Landesregierung den früheren Wirtschaftsstaatssekretär und Geschäftsleiter der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Dr. Herbert Hirschler zum Beauftragten für das Wohnungswesen ernannt. Zu seinen Aufgaben zählt es, Fragen und Anregungen - etwa zur Neufassung oder Änderung von Förderprogrammen - an die Landesregierung heranzutragen, die Zusammenarbeit zwischen Ministerien, Hessischer Landgesellschaft und Wirtschafts- und Infrastrukturbank zu koordinieren, und als Mediator bei der Lösung etwaiger Konflikte zwischen Kommunen zu helfen. Mit einem Wort: Dafür zu sorgen, dass die bereitgestellten Mittel möglichst effizient und wirkungsvoll eingesetzt werden. Die Frage ist also nicht, ob Hessen eine neue Wohnungspolitik braucht: Es hat sie bereits.

Florian Rentsch , Vorsitzender des Vorstands , Verband der Sparda-Banken e.V., Frankfurt am Main
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