Messeausgabe

Triple-A für Wirtschaftsstandort Warschau

Für drei kurze Sommerwochen stand Polen gemeinsam mit der Ukraine im Rampenlicht der europäischen Öffentlichkeit. Und obwohl die polnische National-Elf es nicht bis in die K.O.-Runde geschafft hat, haben wir unsere Nachbarn als fußballbegeisterte Gastgeber kennengelernt, die gemeinsam mit ihren internationalen Gästen bis zum Finale gefeiert haben. Inzwischen konzentriert sich die mediale Aufmerksamkeit wieder auf andere europäische Staaten: Spanien, Italien und Griechenland beispielsweise. Doch was uns an Nachrichten aus dem Süden erreicht, ist seit geraumer Zeit kaum geeignet, uns euphorisch zu stimmen. Die Realität der Peripheriestaaten hat uns, leider, wieder eingeholt.

Dabei gibt es auch eine polnische Realität - eine belastbare Realität jenseits flüchtiger Hoffnungen auf fußballerischen Erfolg. Sie lässt sich anhand der Zahlen und Fakten erfassen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Nachbarlandes beschreiben. Und die haben es in sich. Auf eine Kurzformel gebracht, heißt die polnische Wirklichkeit im zweiten Quartal 2012 "Warschau: AAA".

Das Triple-A bekam der Wirtschaftsstandort Warschau jüngst von der Feri Eurorating Services AG verliehen. Damit führt Polens Hauptstadt mit 86 Punkten die Liste von 25 europäischen Städten an, die aufgrund ähnlicher Größe und Wirtschaftskraft zum Vergleich herangezogen wurden. Auf dem zweiten und dritten Rang folgen Helsinki mit 82 und Luxemburg mit 80 Punkten - diese Werte entsprechen jeweils einem "AA"-Rating. Weit abgeschlagen sind indessen Düsseldorf, das mit 55 Punkten auf ein "B plus" kommt, und Berlin mit 53 Punkten, die nur für ein "C" reichen.

Warschau ganz vorne

Das überragende Abschneiden der polnischen Metropole setzt sich aus einer gewichteten Wertung der vier Faktoren Bruttowertschöpfung (98 Ratingpunkte), Beschäftigung (88), Kaufkraftentwicklung (95) und Bevölkerung (53) zusammen. Die lediglich befriedigende Bevölkerungsentwicklung ist der einzige Wermutstropfen. Das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigungs- sowie die Kaufkraftentwicklung verdienen indessen das Prädikat "außerordentlich erfolgreich".

Das sind gute Nachrichten für Immobilieninvestoren - und die haben Polen, respektive Warschau, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes, längst für sich entdeckt. 2011 belief sich das Transaktionsvolumen auf rund 2,5 Milliarden Euro, wobei die meisten Investitionen von US-Amerikanern und Deutschen getätigt wurden. Doch was seit einiger Zeit in Deutschland und anderen westeuropäischen Metropolen beklagt wird - der Mangel an Core-Immobilien - erschwert auch den Einstieg in den Warschauer Immobilienmarkt. Entsprechend groß ist die Konkurrenz. Denn die Zuversicht, dass Polen sich langfristig als erfolgreicher Wirtschafts- und Investmentstandort etabliert, ist angesichts des internationalen Anlagedrucks in Krisenzeiten wie diesen groß.

Hohe Wachstumsraten

Für die kommenden Jahre wird für Warschau von Wachstumsraten ausgegangen, die deutlich über dem Schnitt vergleichbarer europäischer Metropolen liegen. Prognostiziert werden 4,3 Prozent jährlich bis zum Jahr 2016 und immerhin noch 3,4 Prozent pro Jahr zwischen 2017 und 2021. Träger des Wirtschaftswachstums Warschaus wie auch Polens insgesamt sind insbesondere Handel, Verkehr, Finanzsektor und der unternehmensunterstützende Dienstleistungssektor.

Die Tatsache, dass Polen weitaus glimpflicher als nahezu alle anderen EU-Staaten durch die Finanzkrise gekommen ist, hängt vor allem damit zusammen, dass das Bruttosozialprodukt nur zu etwa 20 Prozent exportabhängig ist und sich die Wirtschaft einer starken und stabilen Binnennachfrage erfreut. Polen konnte 2009 immerhin als einziges EU-Land das Abgleiten in eine Rezession verhindern und hat sich auch weitaus zügiger von der Krise erholt als der Rest Europas.

Die Beschäftigung wird im Großraum Warschau schätzungsweise bis 2016 um 1,6 Prozent pro Jahr zunehmen und danach um 1,2 Prozent jährlich, die Kaufkraft um 4 Prozent bis 2016 und anschließend um 3,1 Prozent. Unterdurchschnittlich bleibt allein das Bevölkerungswachstum. Es liegt seit der Jahrtausendwende konstant bei 0,2 Prozent pro Jahr - dieselbe Rate wird auch für die kommenden zehn Jahre unterstellt. Derzeit leben in Warschau rund 1,7 Millionen Menschen und im näheren Einzugsgebiet noch einmal eine weitere knappe Million. Lediglich das oberschlesische Industriezentrum mit Katowice, Gliwice, Opole und weiteren Großstädten kommt als Agglomerationsraum mit 2,7 Millionen Menschen auf mehr Einwohner. Als ostmitteleuropäische Metropole ist Warschau für viele Unternehmen, die nach Osteuropa expandieren wollen, der Einstiegsmarkt. Hierin liegt einer der bedeutendsten Vorteile der Region.

Einstiegsmarkt

Die Büromieten sind vergleichsweise günstig und die Bevölkerung gut ausgebildet - das lockt internationale Unternehmen an die Weichsel. Hinzu kommen die immer noch niedrigen Arbeitskosten, wenngleich sie sich in den vergangenen Jahren stark erhöht haben und dieser Faktor daher an Bedeutung eingebüßt hat. Insgesamt sind die Rahmendaten für Warschau sehr positiv. Und obwohl das in der Vergangenheit starke und auch in Zukunft noch überdurchschnittliche Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Kaufkraftwachstum natürlich auch dem enormen Nachholbedarf Polens geschuldet ist, bilden die Daten einen erfrischenden Kontrast zu der ökono mischen Tristesse in weiten Teilen des Kontinents.

Für Immobilieninvestoren ist die inzwischen sehr gut ausgebaute Infrastruktur Polens ein gewaltiger Pluspunkt. Das Land - und mittelbar die EU - haben hier seit der wirtschaftlichen Liberalisierung Ende der 1980er Jahre gewaltige Summen investiert. Allein im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft wurden in Polen 20 Milliarden Euro in den Ausbau von Autobahnen, Flughäfen und Bahnhöfen gesteckt. Nicht nur Warschau, sondern auch zahlreiche weitere polnische Großstädte profitieren davon.

Andere Städte als Ausweichmöglichkeiten

Und derer gibt es nicht wenige: Sechs weitere Städte Polens kommen auf eine Einwohnerzahl von mehr als 400 000 und noch einmal 22 erreichen Größen zwischen 100 000 und 200 000 Einwohnern. Auch das ist für den Gewerbeinvestmentmarkt ein Vorteil. Denn in Warschau herrscht bereits ein Mangel an geeigneten Investitionsobjekten. Doch das 38-Millionen-Einwohner-Land bietet mit seinen zahlreichen, gut erschlossenen Großstädten durchaus Ausweichmöglichkeiten. In diesem Punkt ist der polnische Immobilienmarkt dem deutschen vergleichbar.

Der Warschauer Markt für Büroimmobilien bekommt von Feri 56 Punkte zugesprochen, was einem "B"-Rating entspricht. Damit liegt Warschau im Standortvergleich auf dem siebten Platz. Bald fünf Millionen Quadratmeter umfasst die gesamte Bürofläche Warschaus, wovon 65 Prozent moderne Flächen unterschiedlicher Größe sind. Die Mieten werden in der Regel in Euro gezahlt, was für internationale Akteure das Währungsrisiko mindert. Mit einem Beitritt Polens zur Euro-Zone ist im Übrigen nicht vor 2015 zu rechnen. Die Leerstandsquote liegt im Warschauer Bürosektor derzeit bei sieben Prozent, die Spitzenmiete bei 24,90 Euro pro Quadratmeter und die Mietrendite bei 6,3 Prozent. Für das laufende Jahr werden deutliche Mietpreissteigerungen prognostiziert.

Bedarf an Einzelhandelsimmobilien

Leicht besser als der Büroimmobilienmarkt schneidet der Einzelhandel ab: Mit 67 Punkten erreicht der Warschauer Markt für Einzelhandelsimmobilien ein "A"-Rating und rangiert damit im Feri-Städtevergleich hinter Amsterdam, Brüssel, Budapest, Luxemburg und der Londoner Innenstadt auf dem sechsten Platz. Obwohl ein Viertel der gesamten polnischen Einzelhandelsfläche auf die Hauptstadtregion entfällt, besteht im europäischen Vergleich Nachholbedarf, was die Pro-Kopf-Verkaufsfläche betrifft. Das innerstädtische Angebot ist gering, weshalb in der Vergangenheit eine Flächenexpansion in den Nebenlagen und am Stadtrand zu beobachten war. Langfristig werden steigende Mieten in den 1a- und Nebenlagen selbst bei weiteren Flächenexpansionen erwartet - denn die Nachfrage seitens internationaler Filialisten ist hoch.

Insgesamt gibt der polnische Investmentmarkt Anlass zur Zuversicht. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass Polen binnen kürzester Zeit einen radikalen Strukturwandel hingelegt hat. Und der ist noch lange nicht abgeschlossen. Investoren, die auf den polnischen Markt für Gewerbeimmobilien setzen, sollten bei allem Optimismus nicht auf das schnelle Geld hoffen. Ebenso wie auf den deutschen Büro- und Einzelhandelsmärkten bedarf es einiger Kreativität und vor allem großer Sorgfalt, um lohnende Objekte zu identifizieren.

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