Aufsätze

Die Finanztransaktionssteuer im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit

Eine politische Idee verbreitet sich mit ungeahntem Erfolg in Europa: Die Finanztransaktionssteuer (FTS) soll Haushalte sanieren helfen, Finanzmärkte zähmen und nicht zuletzt den Finanzsektor zu einem Beitrag heranziehen, da er als mitursächlich für die Entstehung der Finanzkrise angesehen wird. Der Erfolg gilt einer Idee, die jahrzehntelang ein wissenschaftliches Mauerblümchendasein fristete, da ihr jedenfalls in ihrer Sonderform als Devisensteuer (sogenannte "Tobin-Steuer") von der herrschenden Auffassung der Wirtschaftswissenschaften wenig Nutzen beigemessen wird. Tatsächliche Erfahrungen mit nationalen Transaktionssteuern etwa in Schweden sprechen klar gegen den Erfolg einer solchen Steuer.1)

Demonstration politischer Aktionsfähigkeit

Nunmehr scheint jedoch auch unter dem Schlagwort des "Primats der Politik" die Gesetzgebung ihre Handlungsfähigkeit gegenüber ökonomischen Phänomenen wiedererlangen und beweisen zu wollen. Die FTS bildet nun das Vehikel, mit dem politische Aktionsfähigkeit demonstriert und unter der Behauptung der "Bändigung der Finanzmärkte" unter Beweis gestellt werden soll. Ideengeschichtlich muss es als erstaunlich angesehen werden, dass die Europäische Union, die ihre Prosperität dem freien Binnenmarkt verdankt und somit gerade eine Freihandelszone als ihren wesentlichen Erfolgsmotor ansehen muss, nun mit der Einführung einer Steuer und damit durch eine vorsätzliche Behinderung freier Märkte allgemeine Wohlfahrt verspricht. Im Kontrast dazu stehen die Berechnungen, die die EU-Kommission in ihren Auswirkungsanalysen vorgelegt hat: Für den ersten Vorschlag der Richtlinie aus dem Jahr 2011 wurde mit einem langfristigen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 1,76 Prozent für die gesamte EU durch die Steuer kalkuliert. Für den neuen Vorschlag errechnet die EU-Kommission nach Modifikation ihrer Berechnungsgrundlagen mit einem Rückgang um 0,28 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Schließlich findet das Argument Verbreitung, die FTS sei einzuführen, da sie beim Bürger populär sei. Für die Ankündigung einer neuen Steuer, deren Eigentümlichkeit in der Regel eher der Tumult als der Applaus ist,2) kann dies bedeuten, dass die Belastungswirkung in der Öffentlichkeit verkannt wird: Die EU-Kommission behauptet, dass Private die Steuer nicht zu entrichten hätten, da rein formal nur Umsätze zwischen Finanzinstituten steuerpflichtig sind. Überwälzungen der Steuer auf die privaten Haushalte werden dabei nicht betrachtet. Die Vorstellung der Kommission ist jedoch unzutreffend, dass ein privater Haushalt den Finanzmarkt allenfalls geringfügig in Anspruch nimmt. Nach plausiblen Berechnungen der Auswirkung der Steuer auf die private Vermögensbildung ist dies nicht der Fall; vielmehr sind spürbare Schmälerungen der Rendite die Folge.3) Eine Studie zu den Auswirkungen auf das Altersvorsorgesparen berechnet bei auszahlbaren privaten Renten die Einbußen auf 2,5 bis 5,5 Prozent.4) Das ist mehr als etwa die staatliche Förderung für sogenannte Riester-Verträge beträgt. Nach einer weiteren Modellrechnung sollen für einen Vorsorgesparer 13,9 Prozent seiner investierten Beträge von der FTS aufgezehrt werden.5)

Kein Beitrag zu höherer Finanzmarktstabilität

Die Frage der Erforderlichkeit einer solchen Steuer ist mit einer Gerechtigkeitsdebatte verknüpft, in der die Finanzmärkte holzschnittartig als Spielwiese der ungerechtfertigten Spekulation wahrgenommen werden, die es einzudämmen gelte. Daneben steht die Behauptung, die FTS zeitige positive ökonomische Effekte wie die Unterdrückung unerwünschter Handelsgeschäfte und leiste einen Beitrag zur Finanzmarktstabilität durch Verringerung der Volatiltät. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wie empirischen Ergebnissen ist eine FTS jedoch nicht zur Erhöhung der Finanzmarktstabilität geeignet. Diesen Befund vertreten der Internationale Währungsfonds6), die Deutsche Bundesbank7) sowie die Dienste der EU-Kommission selbst nach dem Ergebnis einer umfangreichen Folgenabschätzung 8).

In den Mittelpunkt der Überlegungen sind die fiskalischen Ziele einer FTS gerückt. Die Einnahmenerzielung steht im Vordergrund. Die EU-Kommission rechnet mit einem Aufkommen von 31 Milliarden Euro jährlich. Als Motive für die FTS nennt die EU-Kommission:

· Eine Fragmentierung der steuerlichen Behandlung im Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen führe zu einer Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen in der EU.

· Eine angemessene und wesentliche Beteiligung von Finanzinstituten an den Kosten der jüngsten Krise wird ebenso vermisst wie vergleichbare steuerliche Ausgangsbedingungen der Finanzindustrie wie für andere Wirtschaftszweige.

· Die Steuerpolitik leiste keinen Beitrag, um Transaktionen zu unterdrücken, die der Effizienz der Finanzmärkte nicht förderlich sind.

Ein Grund für die Befürwortung der FTS für die EU-Kommission soll eine überfällige Kompensation einer behaupteten Geringbesteuerung des Finanzsektors sein. Die aktuelle Befreiung für Finanzdienstleistungen von der Mehrwertsteuer9) ist jedoch kein Argument für die Einführung einer FTS. Die FTS trifft nicht nur die Kreditinstitute, deren Umsätze überwiegend steuerbefreit sind, sondern zu einem großen Teil gerade die nicht befreiten Industrieunternehmen10). Die FTS stellt sich somit als wenig zielgenaues Instrument dar. Steuersystematisch kann die FTS auch nicht das richtige Vehikel sein, um den vermuteten Steuervorteil auszugleichen. Sie belastet Bruttoumsätze, während eine Mehrwertsteuer per Saldo nur die Wertschöpfung belastet11).

Infrage zu stellen ist die Behauptung an sich, dass die Mehrwertsteuerbefreiung für Finanzdienstleistungen zu Vorteilen für Kreditinstitute führt. Die EU-Kommission beziffert die Vorteile des Finanzsektors auf zirka 18 Milliarden Euro durch die Mehrwertsteuerbefreiung (vergleiche Richtlinienvorschlag der EU vom 28. September 2011). Es ist daran zu erinnern, dass der Grund für die Befreiung der Umsätze von Finanzdienstleistungen neben der Schwierigkeit der Ermittlung der Bemessungsgrundlage von Bankumsätzen sozialpolitische Erwägungen gewesen sind. Be kanntlich sind Nutznießer der Mehrwertsteuerbefreiung von Finanzdienstleistungen private Endkunden, nicht aber die Finanzdienstleister. Kreditinstitute könnten wegen der nichtabziehbaren Vorsteuer bei der Mehrwertsteuerbefreiung vielmehr belastet und nicht bevorzugt sein.

Dem entspricht eine Studie12), wonach eine Belegung von Finanzdienstleistungen mit Umsatzsteuer in der EU gerade nicht zu nennenswerten Mehreinnahmen führen würde. Es wird errechnet, dass sich die nicht abziehbare Vorsteuer für europäische Kreditinstitute auf bis zu 33 Milliarden Euro summieren kann. Im Gegenteil könnte nach den Ergebnissen der Studie eine Umsatzbesteuerung von Finanzdienstleistungen sogar zu einer Verringerung der EU-Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von zirka sieben Milliarden Euro führen.

Vereinbarkeit mit europäischem Recht?

Des Weiteren zu berücksichtigen sind Bedenken rechtlicher Art, die das Vorhaben der Einführung einer FTS der EU-Kommission als fragwürdig erscheinen lassen, da die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine verstärkte Zusammenarbeit nach den Statuten der EU nicht eröffnet sein könnten. Der Bruch des europäischen Primärrechts steht somit im Raum. Mit einer Klage hat das Vereinigte Königreich am 18. April 2013 beim Europäischen Gerichtshof (Rechtssache C-209/13) beantragt, den Beschluss des EU-Ministerrats vom Januar 2013 aufzuheben, mit welchem der Rat beschlossen hatte, die verstärkte Zusammenarbeit der elf Mitgliedsstaaten zu gestatten. Mit der Nichtigkeitsklage wird die Rechtmäßigkeit des Beschlusses geprüft; sie kann zu seiner Aufhebung führen. Mit Spannung darf erwartet werden, ob der Gerichtshof die angefochtene Handlung für nichtig erklären wird.

Der Vertrag über die Europäische Union sieht vor, dass eine koordinierte Zusammenarbeit einzelner Staaten auf einem bestimmten Sachgebiet ermöglicht werden kann (Art. 20 des Vertrages über die Europäische Union - EUV). Im Bereich des Steuerwesens hat die verstärkte Zusammenarbeit bislang noch kein Anwendungsfeld gefunden.

Die verstärkte Zusammenarbeit muss die Verwirklichung der Ziele der EU fördern, ihre Interessen schützen und den Integrationsprozess stärken. Als Schranke ergibt sich, dass der Besitzstand der EU zu wahren ist, es keine Beeinträchtigung des Binnenmarkts und des Zusammenhalts innerhalb der EU, keine Handelsbehinderung beziehungsweise -diskriminierung und keine Wettbewerbsverzerrung geben darf (Art. 326 Abs. 1 und 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV). Mindestens neun Mitgliedsstaaten müssen an ihr beteiligt sein. Allen anderen EU-Mitgliedsstaaten muss die Teilnahme offen stehen. Schließlich darf die EU in Gänze nicht zur Zielerreichung in der Lage sein (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 EUV), mit anderen Worten muss das Vorhaben also im Kreis sämtlicher 27 Mitgliedsstaaten gescheitert sein. Aus dieser letzten Voraussetzung ergibt sich der eng begrenzte Tatbestand einer FTS im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit: Der Vorschlag der EU-Kommission muss sich eng an den abgelehnten Vorschlag an die gesamte EU halten, andernfalls handelt es sich um ein komplett neues Vorhaben, das sich dem Votum der Mitgliedsstaaten noch gar nicht gestellt hat.

Die geschilderten engen rechtlichen Begrenzungen der verstärkten Zusammenarbeit sollen ein Auseinanderfallen der EU in verschiedene Teilrechtsordnungen vermeiden. Die EU-Kommission hat ihren ersten Richtlinienvorschlag aus 2011 gerade damit begründet, einer Zersplitterung des Binnenmarktes in zahlreiche nationale Finanztransaktionssteuern nur mit einem EU-weiten Vorschlag begegnen zu können. Gerade für Zwecke der verstärkten Zusammenarbeit dürfte es nicht einsichtig sein, eine Unbedenklichkeit für den Binnenmarkt jetzt in einer nur partiellen Einführung der FTS innerhalb nur weniger Mitgliedsstaaten anzunehmen. Die Förderlichkeit dieses Zustands für den Binnenmarkt muss bezweifelt werden.

Territorialitätsprinzip durchbrochen?

Zurzeit werden in der EU in folgenden Ländern Finanztransaktionen - mit unterschiedlichen Systematiken - besteuert: Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Polen und Zypern. Damit werden also in fünf der elf zur verstärkten Zusammenarbeit bereiten Mitgliedsstaaten Steuern im Finanzmarkt erhoben. Davon sind mit Frankreich und Italien zwei Mitgliedsstaaten erst kürzlich zu einer nationalen Einführung einer FTS geschritten, obwohl das europäische Vorhaben bereits im Raum stand. Nach Art. 327 AEUV muss die verstärkte Zusammenarbeit "die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nicht an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedsstaaten achten". Fraglich ist, ob das sogenannte Territorialitätsprinzip gewahrt ist, wenn Finanzinstitute in einem nicht teilnehmenden Mitgliedsstaat durch die Fiktion der Ansässigkeit in die Besteuerung einbezogen werden sollten. Das Steuerrecht erlaubt nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts nur eine beschränkte grenzüberschreitende Wirkung. Bedingung ist, dass der Steuerpflichtige eine ausreichende Beziehung zum Besteuerungsstaat durch persönliche oder räumliche Beziehungen wie etwa Wohnsitz, Ansässigkeit, Nationalität oder die Lage von Vermögensgütern hat. Allein der Handel mit einem Finanzinstrument kommt dem aber nicht gleich. Die Richtlinie 2008/7/EG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vom 12. Februar 2008 soll im Interesse des Binnenmarktes die indirekten Steuern in dieser Hinsicht harmonisieren. Die klaren Vorgaben dieser Richtlinie untersagen in Art. 5 Abs. 2 die indirekte Besteuerung jedweder Art des Handels mit Wertpapieren. Lediglich eine Abgabe oder Steuer auf die Übertragung von Wertpapieren wie etwa bei der britischen stamp duty bleibt zulässig13) (Art. 6 Abs. 1 a RL 2008/7/EG).

Da die verstärkte Zusammenarbeit "die Verträge und das Recht der Union" achten muss (Art. 326 Abs. 1 AEUV), ist auch die Richtlinie 2008/7/EG als integraler Bestandteil des Unionsrechts zu befolgen. Somit kann durch die verstärkte Zusammenarbeit nicht einseitig geltendes Sekundärrecht der Union abbedungen werden. Ein Indiz dafür, dass auch der EU-Kommission die Problematik bewusst ist, kann dem Umstand entnommen werden, dass der erste Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2011 die Öffnung der Richtlinie 2008/7/EG ausdrücklich angestrebt hatte. Im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit ist dies jedoch nicht möglich, weil dafür eine Einstimmigkeit der Mitgliedsstaaten Voraussetzung wäre, die nicht zu erreichen ist. Umso erstaunlicher muss es erscheinen, dass die Thematik im jüngsten Entwurf nun zwar angesprochen, nicht aber nachvollziehbar gelöst wird.

Wollte man diesen Beschränkungen dadurch begegnen, dass der Gegenstand einer verstärkten Zusammenarbeit nicht die indirekte Besteuerung des Handels, sondern die Besteuerung der Übertragung von Wertpapieren werden sollte, so müsste hierin ein völlig neuer Gegenstand des Gesetzgebungsvorschlags im Vergleich zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2011 gesehen werden. Ein solcher Vorschlag ist europaweit jedoch noch nicht gescheitert und könnte daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht Gegenstand der verstärkten Zusammenarbeit werden.

Ansässigkeitsprinzip und Ausgabeprinzip

Der Richtlinienvorschlag ist danach ausgerichtet, dass Ausweichreaktionen von Marktakteuren aus den teilnehmenden Mitgliedsstaaten ausgeschlossen werden sollen. Dazu bedient sich die EU-Kommission des Mittels einer zweifachen rechtlichen Fiktion: Auch außerhalb der Steuerzone domizilierte Finanzinstitute sollen als innerhalb von ihr ansässig behandelt werden (sogenanntes Ansässigkeitsprinzip). Für Finanzinstitute in Drittländern und in nicht teilnehmenden Mitgliedsstaaten wird eine EU-Ansässigkeit fingiert, mittels derer dortige Finanzinstitute auch bei Geschäften mit EU-Ansässigen selbst zu Steuerpflichtigen der FTS werden sollen. Ausreichend für die Annahme der Ansässigkeit soll unter anderem allein die Durchführung einer Finanztransaktion mit einem Finanzinstitut oder einer anderen Transaktionspartei aus einem teilnehmenden Mitgliedsstaat sein (Art. 4 Nummer 1f).

Die Vereinbarkeit dieser Fiktion mit der EU-Grundfreiheit der Kapitalverkehrsfreiheit ist fraglich. Nach der Rechtsprechung des EuGH erzwingt das Diskriminierungsverbot dann eine Ungleichbehandlung von Tatbeständen, wenn ohne sachlichen Grund Verschiedenartiges gleich behandelt wird. Dem Ge setzgeber obliegt die Darlegungspflicht, weshalb die realen Unterschiede der Ansässigkeit für den Fall der Steuer negiert werden sollten. Hierzu schweigt der Richtlinienvorschlag jedoch. Die Fiktion der Ansässigkeit eines Finanzinstituts außerhalb der teilnehmenden Mitgliedsstaaten sorgt bei einem grenzüberschreitenden Geschäft für einen Steuertatbestand, für den in dem Subjekt dieses Finanzinstituts kein Anlass besteht.

Zudem soll flankierend dazu mittels des sogenannten Ausgabeprinzips die Steuer immer dann fällig werden, wenn ein in einem teilnehmenden Mitgliedsstaat emittiertes Wertpapier gehandelt wird, unabhängig vom Handelsort und der Ansässigkeit der Handelspartner (Art. 4 Nummer 2 c). Die Rechtfertigung des Ausgabeprinzips, wonach allein die Ausgabe eines Finanzinstrumentes im Hoheitsgebiet eines teilnehmenden Mitgliedsstaates für eine Ansässigkeit im Mitgliedsstaat sorgen soll, ohne dass auf die herkömmlich anerkannten Anknüpfungskriterien des internationalen Völkerrechts respektive internationalen Steuerrechts rekurriert würde14), ist nicht ersichtlich. Allein der bloße Vertragsschluss über ein Wertpapier zwischen Rechtssubjekten außerhalb des Erhebungsgebietes kann ein ausreichendes Anknüpfungskriterium nicht darstellen.

Der Richtlinienvorschlag erstreckt den Steueranspruch auch auf rein im Ausland verwirklichte Tatbestände, ohne dass Vorkehrungen für die Eintreibung der FTS im Ausland ersichtlich sind. Notwendig würden weltweit neue völkerrechtliche Verträge oder Ergänzungen in den Doppelbesteuerungsabkommen. Sollten die zur Umsetzung aufgerufenen Mitgliedsstaaten keine Anstrengungen zur Durchsetzung des Steueranspruchs im Ausland unternehmen, sodass die Entrichtung der dort fälligen Steuer ins Belieben der Marktteilnehmer gestellt wäre, könnte in Deutschland die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten strukturellen Vollzugsdefizit15) auf die FTS anwendbar sein. Das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, dass, sofern die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt wird, dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen kann.

Der Richtlinienvorschlag sieht ferner eine gesamtschuldnerische Haftung aller Parteien einer Transaktion für die Steuer vor, die von einem Finanzinstitut geschuldet wird (Art. 10 Nummer 3). Diese gesamtschuldnerische Haftung kann eine unbillige Belastung zur Folge haben. Zum einen ist die Erkennbarkeit der Eigenschaft der Gegenpartei als Finanzinstitut nicht gewährleistet: Allein das Erbringen bestimmter Finanztransaktionen kann ein gewöhnliches Unternehmen oder eine Privatperson zu einem Finanzinstitut im Sinne der Richtlinie machen (Art. 2 Abs. 8 Nr. j). Aus der Bezeichnung der Gegenpartei kann daher rechtssicher nicht auf ihren Status geschlossen werden. In Fällen grenzüberschreitenden Handels außerhalb der Steuerzone ist die Durchsetzung des Steueranspruchs derzeit nicht gewährleistet. Es erscheint nicht gerechtfertigt, die finanziellen Konsequenzen daraus die Finanzins titute tragen zu lassen. Zudem könnte die Haftung Transaktionsparteien aus den teilnehmenden Mitgliedsstaaten davon ab halten, mit außerhalb belegenen Finanzinstituten kontrahieren zu wollen.

Ökonomische Wirkungen der Steuer

Die FTS im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit sorgt für Friktionen der Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den nicht teilnehmenden Mitgliedsstaaten als auch anderen Finanzplätzen weltweit. Es ist absehbar, dass alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten als Emissionsstandort von Wertpapieren wie auch von Investmentfonds unattraktiv werden. Das Ausgabeprinzip sorgt für eine Steuerverhaftung der hier emittierten Produkte. Abwanderungstendenzen etwa nach Luxemburg und Großbritannien sind zu prognostizieren.

Die FTS wird darüber hinaus erhebliche Auswirkungen auf die Refinzierung von Kreditinstituten haben, obwohl nach dem Erwägungsgrund des Richtlinienvorschlages die Erhebung der FTS weder die Refinanzierungsmöglichkeiten von Finanzinstituten und Staaten noch die Geldpolitik im Allgemeinen beeinträchtigen darf. Für einzelne Geschäfte muss von einer schlichtweg erdrosselnden Wirkung ausgegangen werden. Dies betrifft insbesondere die Repogeschäfte. Diese Kauf- und Rückkaufvereinbarungen von Wertpapieren stellen nach der Finanzkrise einen bedeutenden Bestandteil der Liquiditätssteuerung dar. Sie sind überwiegend kurzfristige Geschäfte, ein Großteil davon mit einer Laufzeit von bis zu einer Woche. Durch die hohe Umschlagshäufigkeit summiert sich der Steuersatz von 0,1 Prozent bei Overnight Repos über ein gesamtes Jahr zu einer Steuerlast von 25 Prozent des Geschäftsvolumens. Wöchentlich erneuerte Repos würden mit kumuliert 5,2 Prozent per annum besteuert. Auch nach dem Aufsichtsrecht sind die Repogeschäfte in bisheriger Art durchzuführen, da sie zur Erfüllung der kurzfristigen Liquiditätsanforderung als vorzuhaltende Zahlungsmittel angerechnet werden.16) Allein das Repogeschäft könnte für einzelne Kreditinstitute bereits zu einer Steuerbelastung in dreistelliger Millionenhöhe17) führen - allerdings handelt es sich um fiktive Einnahmen, da die entsprechenden Geschäfte ohne Wirtschaftlichkeit schlicht nicht mehr getätigt werden könnten.

Anders als die nationalen Finanztransaktionssteuern in Frankreich und Italien sieht der Richtlinienvorschlag der EU keine Ausnahme für das Market Making vor. Dieses sorgt mit dem Stellen fester An- und Verkaufskurse, der Ausführung von Aufträgen und der Absicherung von Positionen für eine wesentliche Funktion als Liquiditätsspender auf den Finanzmärkten. Durch die Belastung mit FTS wird diese maßgebliche Funktion gefährdet: Der Steuersatz übersteigt die erzielbaren Provisionen bereits um ein Vielfaches, durch die Besteuerung von Absicherungsgeschäften des Market Makers ergeben sich zusätzliche Mehrfachbelastungen. Sofern das Geschäft überhaupt noch auskömmlich betrieben werden könnte, ergeben sich durch Ausweitung der Geld-Brief-Spanne Erhöhungen der Finanzierungskosten für die Marktteilnehmer.

Besonderen Belastungen werden Verbünde wie Sparkassen und Genossenschaften durch die FTS ausgesetzt sein. Zentrale Aufgaben werden in der Struktur des Verbundes durch eigene rechtliche Einheiten erledigt. Austauschbeziehungen innerhalb des Verbunds unterliegen der FTS, wodurch es zu Kaskadeneffekten etwa bei der Liquiditätssteuerung als auch im Wertpapiergeschäft kommen kann.

Missachtung europäischen Rechts

Zusammenfassend handelt es sich bei der Einführung einer FTS im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit um ein Vorhaben, das ebenso vehemente Fürsprecher wie Gegner in der europäischen Union hervorruft. Nicht zu verkennen ist, dass die FTS in einer kleineren Gruppe von Mitgliedsstaaten größeren Bedenken rechtlicher wie ökonomischer Art im Vergleich zu einer EU-weiten FTS begegnet: Die Harmonisierung des Binnenmarktes und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen - beides Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Verfahrens - lassen sich nur schwerlich begründen.

Europäisches Recht wird im Interesse eines politisch motivierten Vorhabens nach Auffassung des Autors missachtet. Die ökonomischen Motive wie die Vermeidung unerwünschter Spekulation und die Erreichung höherer Finanzmarktstabilität sind durch eine FTS nach eigenen Erkenntnissen der EU-Kommission im Grundsatz nicht erzielbar. Es ist absehbar, dass die diffus formulierten Lenkungsziele nicht erreicht werden. Es bleibt als anerkennenswertes Motiv die Einnahmenerzielungsabsicht mit einer neuen Steuer, bei der allerdings die Belastungswirkung des Finanzsektors nicht zielgenau gesteuert wird.

Fußnoten

1) In Schweden wurde in den Jahren 1984 bis 1991 eine FTS erhoben, die wegen geringen Aufkommens, Verlagerung der Handelsaktivität und einem Rückgang der Aktienpreise abgeschafft wurde.

2) Wie es die Beispiele der Importsteuer auf Tee bei der Boston Tea Party im Jahr 1773 oder die Einführung der poll tax genannten community charge in Großbritannien 1898/1990 zeigen.

3) Für einen vierzig Jahre laufenden Fondssparplan mit einer monatlichen Rate von 100 Euro und einer unterstellten Wertentwicklung von fünf Prozent p.a. hat eine Finanztransaktionssteuer eine Renditeminderung auf Ebene des Fonds um 0,41 Prozentpunkte die Folge; Berechnungen des Fondsanbieters Union Investment, Börsen-Zeitung, 24. Juli 2012.

4) Christoph Kaserer, TU München, "Finanztransaktionssteuer und Altersvorsorge - Wirkungen und Nebenwirkungen vom 26. Januar 2013.

5) Goldman Sachs Equity Research "Financial Transaction Tax - How Severe?", 1. Mai 2013, S. 62; jährliche Investition von 1 000 Euro in ein typisches Wertpapierportfolio der elf Eurostaaten bei 35-jähriger Anlagedauer.

6) International Monetary Fund Working Paper 11/54, Taxing Financial Transactions: Issues and Evidence, prepared by Thornton Matheson März 2011, S. 37.

7) Deutsche Bundesbank, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 17. Mai 2010, S. 4.

8) Thomas Hemmelgarn, Europäische Kommission, Abgabenrechtliche Regulierung und neue Finanzmarktsteuer in der Europäischen Union, IFSt Schrift 468, S. 41.

9) Art. 135 Abs. 1 MwStSystRL; § 4 Nr. 8 UStG

10) Der Richtlinienvorschlag behandelt Unternehmen und selbst natürliche Personen als Finanzinstitute, wenn mehr als die Hälfte ihrer Umsätze Finanzumsätze sind, Art 2 Abs. 8 j).

11) Clemens Fuest, DB 8.4.2011, S. 26

12) Ben Lockwood, University of Warwick in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC vom 20. Oktober 2012 "How the EU VAT exemptions impact the Banking Sector".

13) Anderer Auffassung sind Mayer, Heidfeld, Europarechtliche Aspekte einer Finanztransaktionssteuer, EUZW 2011, 373: Börsenumsatzsteuern sollen gerade anwendbar bleiben.

14) In einem vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband in Auftrag gegebenen Gutachten wurde von Prof. Joachim Englisch bezogen auf die französische FTS die Unvereinbarkeit dieses Prinzips mit dem Völkerrecht dargelegt.

15) BVerfG, 2 BvL 17/02 vom 9. März 2004.

16) § 3 Abs. 1 Nr. 5 Liquiditätsverordnung.

17) Berechnungen einzelner Kreditinstitute, vgl. FAZ vom 7. Mai 2013, S. 17.

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