Leitartikel

Die "neue" Finanzagentur - Bank des Bundes?

Es war das Jahr 2000 als Finanzminister Hans Eichel mit der Gründung der Finanzagentur des Bundes auf den ersten Blick mehrere gute Dinge auf einmal vollbrachte. Er vereinte das bislang auf drei Stellen - Finanzministerium, Bundesbank und Bundeswertpapierverwaltung - verteilte Kreditmanagement des Bundes unter einem Dach, schaffte so klare Verantwortlichkeiten und verkürzte die Reaktionszeiten auf die immer schneller und immer globaler werdenden Finanzmärkte, er hob Effizienz-Reserven im Portfoliomanagement und ermöglichte eine Senkung der Zinskosten des Bundes.

Eine einzige Zahl verdeutlicht auch heute noch die Notwendigkeit dieses keineswegs überall bejubelten Schrittes: 908 217 359 036,07 Euro, auf so viel ist die Gesamtverschuldung des Bundes per 31. März dieses Jahres angewachsen. Ein solcher Haufen muss professionell verwaltet werden. Mit Blick auf gegenwärtige politische Scharmützel bleibt zu hoffen, dass Finanzminister Peer Steinbrück sich nicht von dem gerade im Frühsommer so typischen Gefühl der schönen Leichtigkeit und des Drangs, alle möglichen Dinge zu beginnen, anstecken lässt. Denn wie in den Wonnemonaten nach dem eher düsteren Jahresanfang die zarten Blätter und Blüten sprießen, sprudeln seine Einnahmen: Steuermehreinnahmen von rund 180 Milliarden Euro bis zum Jahr 2011 hat der Arbeitskreis Steuerschätzung Anfang Mai errechnet, davon 87 Milliarden Euro für den Bund. Über 11,1 Milliarden Euro im laufenden Jahr steigt das Plus 2008 auf stolze 21,8 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Neuverschuldung im Jahr 2006 belief sich auf rund 40 Milliarden Euro.

Dieser ziemlich überraschende Geldsegen, da ist es in der Politik wie im wirklichen Leben, weckt natürlich sofort Begehrlichkeiten. Investieren, Ausgeben, Finanzieren schreien die einen, Schützen, Sparen, Zusammenhalten die anderen. Fakt ist: Das Ziel der Haushaltskonsolidierung ist noch weit entfernt. Trotz eines Haushaltsdefizits von dann nur noch 0,6 Prozent wird die Bundesrepublik auch 2008 die Maastricht-Kritierien verfehlen. Die gesamtstaatliche Verschuldung wird sich Schätzungen der EU zufolge im kommenden Jahr auf 63,6 Prozent statt der geforderten 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verringern. Der Bundesfinanzminister rechnet trotzdem erst 2011 wieder mit einem ausgeglichenen Haushalt. Doch ist das ehrgeizig genug? Offensichtlich nicht: Die Bundesbank sieht laut Monatsbericht Mai bereits 2009 die Möglichkeit zum Budgetausgleich, der CDU-nahe Wirtschaftsrat 2010 und der Hauptgeschäftsführer des BdB, Manfred Weber, bereits 2008.

Und ein bisschen Hilfe für die EZB in deren täglichem Streben nach stabilem Geld wäre doch auch schön. Denn jede Staatsschuld ist eine Stabilitätsgefährdung. Hier durch Schuldenabbau ein deutliches Zeichen zu setzen, ist eine Chance, die diese Regierung nicht ungenutzt verstreichen lassen sollte. Auch angesichts der jährliche Zinszahlungen des Bundes von mehr als 60 Milliarden Euro möchte man meinen: Je früher, desto besser! (Nicht aus Sicht der Banken natürlich, denn diese sind einer der großen Investoren in die Bundespapiere und freuen sich über die Zinszahlungen.)

Diese Zinslast zu senken, ist eine der vornehmsten Aufgaben der Finanzagentur. "Das Schuldenmanagement hat die Aufgabe, die Struktur eines von der Finanzpolitik vorgegebenen Schuldenniveaus strategisch und operativ zu gestalten, um die daraus resultierende monetäre Belastung zu minimieren", so formulierte es Nord-LB-Chef Hannes Rehm auf der 51. Kreditpolitischen Tagung dieser Zeitschrift. Stellschrauben sind hierbei die Laufzeitenstruktur, die Gläubigerstruktur, die Tilgungsstruktur, die Marktfähigkeit der einzelnen Schuldtitel, die Art der Zinsausstattung sowie die Form der Emission.

Wie gut die Finanzagentur ihren Job erfüllt, kann angesichts mangelnder Vergleichsrechnungen nicht eindeutig festgestellt werden. Die Vorgabe der Politik dagegen ist klar: 750 Millionen Euro sollen die Einsparungen bis 2013 betragen. 2004 und 2005 habe man voll im Plan gelegen, heißt es seitens der Schuldenmanager. Aber man darf nicht vergessen, dass angesichts des historisch niedrigen Zinsniveaus allein durch Umschulden auf niedriger verzinste Papiere erhebliche Einsparungen erzielt werden konnten. Erst im laufenden Jahr wird man die Leistung der Finanzagentur dagegen wirklich würdigen können. Denn waren 2006 die Entlastungen durch die auslaufenden hohen Kupons noch höher als die Zinssteigerungen, wird sich das 2007 umkehren. Dass aber selbst die härtesten Bemühungen der Agentur allein niemals ausreichen werden, die Staatsfinanzen umfassend zu reparieren, muss jedem klar sein. Die 750 Millionen Euro an Einsparungen entsprechen gerade mal 1,2 Prozent der derzeitigen jährlichen Zinszahlungen und nur etwas mehr als 0,08 Prozent der aktuellen Gesamtverschuldung des Bundes. Hilfe tut also auch hier Not.

Die Finanzagentur bewältigt ihre Aufgaben mit rund 100 Mitarbeitern mittlerweile weitestgehend eigenständig. Zwar sei das Zusammenspiel mit der Bundesbank auch heute, mehr als sechs Jahre nach Gründung der Agentur immer noch ein Thema, weiß Geschäftsführer Gerhard Schleif, der seit Gründung mit an Bord ist. Den Währungshütern obliegen weiterhin die ausführenden Tätigkeiten im Schulden-Management, also der Emissionsbereich sowie weite Teile der Marktpflege. Aber sein Unternehmen sei heute doch weniger als früher von parteipolitischen Interessen betroffen. Bis zur völligen Autarkie, sollte die denn jemals gewünscht sein, fehlt aber mindestens noch ein Schritt. Im operativen Geschäft liegt die Entscheidung stets beim BMF, seien es die Zinssätze für einzelne Tranchen, die nach wie vor mit Bundesbank und Finanzministerium engstens abgestimmt werden müssen, sei es die Zuteilung bei Emissionen auf die Banken, wo die Finanzagentur zwar eine Empfehlung ausspricht, Berlin aber die Entscheidung fällt.

In den vergangenen Jahren hat es die Finanzagentur verstanden, sich langsam und vorsichtig (und damit klug) immer mehr Aufgabenbereiche anzueignen (siehe Chronik), und so ihre Bedeutung stetig zu erhöhen. Dass sich angesichts der wachsenden Aufgabenfülle mancher der obersten Schuldenmanager mehr Personal wünscht, ist sicherlich verständlich. Doch auch hier gilt: Betriebswirtschaft geht vor, soll heißen die Betriebskosten dürfen nicht zu hoch werden.

Neben den organisatorischen Mehraufgaben sind vor allem auch die Innovationen auf der Marktseite beachtenswert. Angespornt durch die Notwendigkeit, ungefilterte Informationen direkt von den Kapitalmärkten zu erhalten, wurde das Spektrum an Finanzierungsinstrumenten permanent erweitert. So wurde 2005 die erste Fremdwährungsanleihe in US-Dollar begeben. Damit stellten die Verantwortlichkeiten eine "Präsenz" in einem der wichtigen Währungsblöcke sicher. 2006 schließlich erfolgte nach langem Hin und Her und weit später als in anderen Ländern die erste Realzinsanleihe, eine inflationsindexierte Anleihe, Linker genannt.

Für die Zukunft denkt man bereits über Erweiterungen bei Schatzbriefen und Laufzeiten nach. Ob darunter auch eine ganz lange, 50-jährige Bund zu finden sein wird? Wer weiß? Bislang hat sich die Finanzagentur dagegen ausgesprochen. Doch am Ende entscheidet der Markt, also die Wünsche der Investoren.

Ob die Agentur hier ihre Sache gut macht? Der Vergleich der Spreads zwischen den 10-jährigen Staatsanleihen aus Frankreich und Deutschland zeigt, dass sich die Renditeunterschiede stark angenähert haben. Den Verlust des Finanzierungsvorteils, den deutsche Papiere vor der Währungsunion hatten, der Agentur anzulasten, ginge aber zu weit. Zum einen liegt nach wie vor das Gros der Kurspflegetätigkeiten in den Händen der Bundesbank. Doch auch diese trifft keine Schuld, denn vielmehr dürfte das zusammenwachsende Euroland den wesentlichen Beitrag geleistet haben.

Jüngster Coup von Gerhard Schleif auf dem Weg zur "neuen" Finanzagentur ist die Übernahme der Aufgaben der ehemaligen Bundesschuldenverwaltung in Bad Homburg. Aus seiner Sicht ist dieser Schritt sicherlich wegweisend: Es werden im Bereich des Schuldenmanagements weiter Kräfte gebündelt, und die Investorenbasis für die Bundespapiere wird verbreitert - weg von rein institutionellen hin zu Privatanlegern. Kritiker könnten anführen, dass die Zusammenführung, die schon bei Gründung 2000 angedacht war, allerdings viel länger gedauert hat, als geplant.

In vier bis fünf Jahren soll der Anteil des Privatkundengeschäfts an der Kreditaufnahme von derzeit rund zwei Prozent auf vier bis fünf Prozent mehr als verdoppelt werden. 2006 betrug das Absatzvolumen an Privatanleger 2,38 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Das will Schleif ausnutzen. Mit einer neuen Werbekampagne sollen die Privaten auf die Vorzüge des Direktkaufs, der zwar bei der Bundesschuldenverwaltung möglich, aber in der Breite weitestgehend unbekannt war, aufmerksam gemacht werden. Darüber hinaus soll aufgrund der guten Erfahrungen mit der Laufkundschaft in der Filiale in Berlin bald auch in Frankfurt ein solcher Verkaufsort eröffnet werden. Für die Anleger ist dieses Angebot sicherlich von Vorteil: Der gebührenfreie Erwerb und die kostenlose Verwaltung sind ein klarer Mehrwert zum bloßen Kapitalertrag, der sich bei einem 30 000 Euro-Depot in sechs Jahren auf bis zu 450 Euro summieren kann. Die Banken tolerieren die "banknahe Finanzagentur" noch, werden aber sicherlich unruhiger, wenn das Angebot von mehr und mehr Privatkunden wahrgenommen werden sollte und ihnen so die feinen Provisionen verloren gingen.

"Wir sind mit Sicherheit der liberalste Emittent innerhalb der Eurozone", stellt Schleif fest. Diese Liberalität müssen die obersten Schuldenmanager künftig nicht nur gegenüber dem Markt, sondern weiterhin gegenüber Bundesbank, Politik und nun auch noch den Banken beweisen. Zwar längst erwachsen geworden, muss es die neue Finanzagentur nach wir vor vielen recht machen. P. O.

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