Im Gespräch

"Wir betreiben das Privatkundengeschäfnticht wie eine private Bank"

Schürt das Privatkundengeschäft der Finanzagentur nicht in besonderem Maße den Ärger der privaten Kreditwirtschaft? Nehmen Sie den Banken mit neuen Produkten wie der Tagesanleihe nicht Geschäft weg?

Daube: Davon kann gar keine Rede sein. Das Privatkundengeschäft mit Bundeswertpapieren hat eine lange Tradition. Es feiert in diesem Jahr mit dem Bundesschatzbrief als historischem Flaggschiff sein 40-jähriges Jubiläum. Wir haben also das Rad nicht neu erfunden, sondern drehen es lediglich mit moderatem Tempo weiter. In 2008 wurden Bundeswertpapiere im Volumen von knapp acht Milliarden Euro an private Anleger verkauft. Der Bestand von Bundeswertpapieren bei privaten Anlegern machte zum Jahresende 2008 gerademal 3,3 Prozent gegenüber den Spareinlagen der privaten Kreditwirtschaft aus.

Mit der Tagesanleihe hat der Bund seine Angebotspalette um ein Produkt erweitert, das auf Kundenseite stark nachgefragt wurde und eine Lücke im Spektrum seiner Anlagemöglichkeiten schließt. Aber selbst die Tagesanleihe begründet keine gänzlich neue Produktklasse. Sie ist eine Bundesanleihe mit unbeschränkter Laufzeit und täglichem Zinseszinseffekt. In dieser Kombination bietet sie Anlegern ein Höchstmaß an Sicherheit und Flexibilität. Eigenschaften, die in der aktuellen Marktsituation bei Anlegern gefragt sind. Im Ergebnis erreichte die Tagesanleihe bis zum Jahresende ein Bestandsvolumen von rund 3,2 Milliarden Euro.

Wie stark haben Sie insbesondere im Oktober vergangenen Jahres die Unsicherheit der Sparer gespürt? Konkret: Wie hoch waren die Zuwächse bei Ihren Tagesanleihekonten im Herbst 2009 und wie sind sie heute?

Lehr: Wir hatten gerade nach der Lehman-Insolvenz einen extrem hohen Zulauf. Das haben besonders unsere Service-Bereiche zu spüren bekommen. Das Telefonaufkommen explodierte geradezu und führte mit bis zu 40 000 Anrufversuchen pro Tag zeitweise die technischen und personellen Kapazitäten an deren Limit. In der Antragsbearbeitung das gleiche Bild. Die Folge: Besetztzeichen am Telefon und Wartezeiten von zwei Wochen und mehr bei der Kontoeröffnung. Am stärksten nachgefragt war in dieser Situation die Tagesanleihe. Bei ihrer Auflegung am 1. Juli 2008 waren diese Dimensionen allerdings nicht vorhersehbar. Heute hat sich der Geschäftsbetrieb längst wieder normalisiert. Dies resultiert nicht zuletzt aus mehreren Zinssenkungsrunden der EZB und deren Rückwirkung auf den Zinssatz Eonia, an den die Tagesanleihe gekoppelt ist. Etwa 80 000 Kunden halten dem Produkt bis heute die Treue. Der Bestand der Tagesanleihe hat sich auf dem Niveau des Jahresendes 2008 stabilisiert.

Müssen Banken die Finanzagentur nicht gerade in diesen Zeiten als lästigen staatlichen Wettbewerber empfinden?

Daube: Keineswegs. Um das Privatkundengeschäft des Bundes wiederzubeleben, haben wir im Prinzip genau das am Markt Übliche gemacht. Wir haben entsprechend den Bedürfnissen unserer Kunden ein neues Produkt entwickelt und dieses mittels Werbung in Szene gesetzt. Das gleiche haben wir mit der Marke Bundeswertpapiere getan. Das funktioniert in der Finanzbranche nicht anders als in der Automobilindustrie mit dem Facelifting einer Modellreihe. Dabei stellen unsere Produkte aber allesamt keine Innovationslokomotive dar, sondern rollen, um in der Metapher zu bleiben, irgendwo als Abteilwagen mit.

Unsere Produkte sollen sich auch gar nicht mit den teilweise extrem aggressiven Angeboten anderer Anbieter messen. Wir haben den Auftrag, privaten Anlegern sichere und entsprechend den Marktkonditionen fair gepreiste Wertpapiere des Bundes anzubieten. Das genau tun wir und unsere Kunden wissen es zu schätzen.

Hören Sie etwa keine Klagen der Banken über die Fernsehwerbung und neue Produkte?

Daube: Mittlerweile nicht mehr. Im Gegenteil, es gibt sogar die eine oder andere Bank, die sich veranlasst sieht, in der eigenen Produktgestaltung und -präsentation an die 40-jährige Erfolgsstory der Bundeswertpapiere anzuknüpfen, um so ihre Marketing-Ziele besser erreichen zu können.

Lehr: Wir betreiben das Privatkundengeschäft nicht wie eine private Bank. Wir verfolgen damit das Ziel, die Kreditaufnahme des Bundes auf eine breitere Basis zu stellen - neben den institutionellen auch durch Einbeziehung privater Kunden. Wir sehen das Ganze keineswegs unter dem Wettbewerbsaspekt. Dafür ist der Anteil des Privatkundengeschäftes auch viel zu klein.

Gibt es eine Quote für den angestrebten Anteil des Privatkundengeschäftes?

Lehr: Zielgröße sind drei bis fünf Prozent der bereinigten Bruttokreditaufnahme des Bundes im Jahre 2013. Das ist sehr moderat.

Wie ist der Stand der Dinge bezüglich weiterer Produkte im Privatkundenbereich?

Daube: Schon auf der Anlegermesse in Düsseldorf im Jahr 2007 haben wir angekündigt, die Produktpalette schrittweise um weitere Bundeswertpapiere zu erweitern. Aktuell konzipieren wir ein Produkt für Privatkunden, mit dem man regelmäßig Beträge in einen Korb von Bundeswertpapieren anlegen kann. Den Anstoß für dieses Produkt hatte, wie bei der Tagesanleihe, unsere Marktforschung geliefert. Bisher gibt es keine Möglichkeit, mit der ein Kunde unter ein und derselben Wertpapierkennnummer regelmäßig Beträge gleicher oder verschiedener Wertpapierarten des Bundes auf seinem Schuldbuchkonto anlegen kann. Das wollen wir ändern.

Ab wann gibt es das Produkt, dieses Jahr noch?

Daube: Die Produktreife wollen wir dieses Jahr schon erreichen. Ob wir es dann auch noch auf den Markt bringen, ist noch nicht entschieden. Das hängt auch vom Zinsniveau ab.

Wieso hat die Finanzagentur zwei stationäre Servicepunkte für das Privatkundengeschäft? Und wie werden die frequentiert?

Daube: Den überwiegenden Teil ihrer Bundeswertpapiere erwerben Kunden mittlerweile direkt bei der Finanzagentur. Im Jahr 2008 machte das gut 70 Prozent des Gesamtabsatzes aus. Außer bei der Tagesanleihe besteht daneben auch die Möglichkeit, die Papiere über die Hausbank zu ordern. Es gibt aber auch Kunden, die vor Ort und persönlich mit uns in Kontakt treten möchten. Dazu besteht in der Frankfurter Zentrale und unserer Filiale am Platz der Luftbrücke in Berlin die Möglichkeit. Dieser flankierende Vertriebsweg kommt gut an und ist für Kunden aus der Umgebung der Standorte attraktiv. Wir haben aber weder die Absicht noch die Kapazitäten, ein flächendeckendes Filialnetz aufzubauen.

Hat es generell Synergien gebracht, das Privatkundengeschäft hier hereinzuholen?

Lehr: Mit der Tagesanleihe haben wir im vergangenen Jahr das erste Mal seit mehr als dreißig Jahren ein neues Produkt speziell für Privatkunden aufgelegt. Das war eine technische Herausforderung. Das technische System, das die Geschäftsprozesse unseres Privatkundengeschäfts zum Funktionieren bringt, ist in etwa so alt wie das Privatkundengeschäft selbst. Wir hatten keine Alternative als das neue Produkt in die vorhandene Technik zu integrieren. Aber letztendlich war der erfolgreiche Produktstart nur dadurch möglich, dass von der Produktkonzeption an bis zu seiner Einbindung in das Gesamtportfolio des Bundes alle Bereiche unseres Hauses gut zusammengearbeitet haben.

Welche Investitionen in die Technik waren oder sind künftig noch mit dem Aufbau des Privatkundengeschäftes verbunden?

Lehr: Wir wollen technisch dem State of the Art nahe kommen. Dazu gilt es, die übernommenen Systeme Schritt für Schritt an moderne, serviceorientierte Lösungen anzupassen. Dabei sind sowohl strategische als auch operative Überlegungen anzustellen, bevor die Entscheidung etappenweise umgesetzt wird. Es braucht einen langen Atem. Denn ein System, an dem letztlich das gesamte Rechnungswesen hängt und über das sämtliche Zahlungen des Bundes im Bereich des Schuldenwesens angestoßen werden, kann nur allmählich angepasst werden. Konkret lösen wir einzelne Teile modular aus dem älteren System heraus und ersetzen sie durch neue.

Gibt es technische Vorbilder in der Kreditwirtschaft?

Lehr: Im Grunde genommen sind es Standardsoftwaresysteme der Banken, mit der wir Synergien erzielen wollen. Bei den speziellen Anforderungen unseres Geschäftsmodells wird das aber nicht so einfach.

Daube: Ein technisches System "Bedienung der Bundesschuld" ist nicht fertig von der Stange zu kaufen. Das gibt es einfach nicht. Und mit Blick auf das Privatkundengeschäft ist auch ein weiterer Aspekt zu beachten: Die Zugänge der Privatkunden zu unserem Angebot sind die eines modernen Finanzdienstleisters, das Telefon, das Internet oder der Postweg. In wesentlichen Bereichen unserer Services haben wir bereits hohe Standards erreicht: Zum Beispiel in unserem Informationsangebot und dem Kundenkontaktmanagement, die wesentlich serviceorientierter aufgebaut sind als früher.

Welche Bedeutung spielt die Technik für die Finanzagentur? Gibt es an dieser Stelle noch unausgeschöpftes Potenzial?

Lehr: Eine einheitliche, möglichst standardisierte Technik, ist eine wichtige Voraussetzung zur Hebung von Synergien. In der Praxis lassen sich die komplexen Systeme, die wir von der Bundeswertpapierverwaltung übernommen haben, aber nicht so einfach mit den von der Finanzagentur angeschafften Systemen zusammenführen. Das System der früheren Bundeswertpapierverwaltung ist hochgradig spezialisiert auf die Aufgaben der Behörde im Schuldenwesen des Bundes. Es liegt ihm keine Standardsoftware zugrunde, für die man im Wege einer Ausschreibung zur Lösung der neuen Aufgaben einfach Applikationen ordern kann. Deshalb müssen die Ablauforganisation oder Vorgänge auf der Prozessebene auf individueller Basis optimiert werden. Wir treiben diese Prozesse so weit es geht stetig voran.

Auf welchen technischen Grundlagen baut die Finanzagentur auf?

Lehr: Vorgefunden und übernommen haben wir hier das damals im BMF für den Geldhandel eingesetzte System. Weil dieses aber für einen größeren Umfang an Handelsprodukten technisch nicht ausgelegt war, haben wir inzwischen in der Finanzagentur ein neues Handels- und Abwicklungssystem eingeführt. Als Standardsoftware ist dieses auch bei einigen Banken am Platz im Einsatz und eröffnet damit Möglichkeiten zu einem fachlichen Austausch. Wir haben es bis 2006 in einem mehrjährigen Projekt eingeführt und bauen es für jedes neue Produkt weiter aus. Insofern streben wir Produktivitätsfortschritte durch Optimierung der Technik an.

Machen Sie das mit eigenen Leuten oder mit Externen?

Lehr: Überwiegend arbeiten wir mit eigenen Mitarbeitern. Da solche Projekte aber immer Entwicklungsarbeit sind, binden sie naturgemäß Ressourcen, die dann im Tagesgeschäft fehlen. Wir setzen deshalb bei Engpässen gezielt Externe ein, um in jedem Falle sicherzustellen, dass das Basisgeschäft weiterläuft.

Sind konkrete Einspareffekte des Technikeinsatzes greifbar, sprich in Zahlen zu beziffern?

Lehr: Mit dem Einsatz der neuen Technik sind wir aktuell erst im Jahre T+3. Es wäre verfrüht, dafür schon konkret messbare Zahlen einzufordern. Aber vom Grundlegenden her lässt sich die Frage dahingehend beantworten, dass auch die Optimierung der Technikprozesse einen Beitrag zur Senkung der Zinskostenbelastung des Bundes leisten wird.

Wie berichtet die Finanzagentur? Gibt es neben den Broschüren einen eigenen Jahresbericht?

Lehr: Die Finanzagentur hat eine Vielzahl von Berichtspflichten. Natürlich in erster Linie gegenüber ihrem Gesellschafter, dem Bundesministerium der Finanzen. Das BMF veröffentlicht auf Jahresbasis einen Bericht über die Kreditaufnahme des Bundes. Das macht einen eigenen Jahresbericht der Finanzagentur entbehrlich.

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