Sonderbeilage der Deutschen Bundesbank in ZfgK 22-2009 vom 15. November 2009

Von TARGET2 zu TARGET2-Securities - die europäische Integration in der Abwicklung geht weiter

Siegfried Vonderau, Nationaler T2-Produkt- und T2S-Projektmanager, Deutsche Bundesbank Mit der Inbetriebnahme von TARGET2 im November 2007 hat das Eurosystem einen Meilenstein im europäischen Zahlungsverkehr realisiert. An die Stelle von 17 nationalen Verfahren, die vorher die Abwicklung des Individualzahlungsverkehrs in Zentralbankgeld übernahmen, trat die zentrale TARGET2-Gemeinschaftsplattform. Mit einem täglichen Umsatzvolumen von 2,5 Billionen Euro bildet TARGET2 einen Kernbestandteil der europäischen Finanzmarktinfrastruktur. Die Gestalt von TARGET2 wurde ganz entscheidend von der Deutschen Bundesbank und den deutschen Marktteilnehmern beeinflusst, auf die rund 50 Prozent des Gesamtumsatzes von TAR-GET2 entfallen. So wurde die Deutsche Bundesbank zusammen mit der Banca d'Italia und der Banque de France (sogenannte 3ZB) vom Eurosystem mit der Entwicklung und dem Betrieb der Gemeinschaftsplattform beauftragt. Angesichts der hohen Akzeptanz, der durchgängig hohen Leistung und dem überaus stabilen Systembetrieb hat sich diese Entscheidung vollumfänglich bewährt. Zudem haben die drei Zentralbanken ein maßstabsetzendes Business Continuity-Konzept realisiert. Hierbei tragen vier Standorte in zwei Ländern dafür Sorge, dass auch regionale Krisen oder Pandemien gut abgefedert werden können. Ziel von T2S: Integration der europäischen Wertpapierabwicklung Während TARGET2 in Zusammenarbeit mit anderen Initiativen - wie beispielsweise dem einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum SEPA - die Integration der europäischen Finanzmärkte nachhaltig vorangetrieben hat, fehlen in anderen Bereichen des Finanzsektors noch einheitliche, integrierte und harmonisierte Infrastrukturen. Dieses gilt insbesondere für die paneuropäische Wertpapierabwicklung. Tatsächlich ist die europäische Abwicklungslandschaft auch zehn Jahre nach Einführung der gemeinsamen Währung immer noch überwiegend national geprägt und stark fragmentiert. Einen funktionierenden europäischen Wettbewerb in der Wertpapierabwicklung gibt es damit nicht. Voneinander abweichende Standards und Verfahren bei geringer Transparenz, unterschiedliche Abwicklungspreise und deutlich höhere Entgelte für grenzüberschreitende Wertpapiertransaktionen sind das Ergebnis. Mit dem vom Eurosystem lancierten Projekt TARGET2-Securities, oder einfach T2S, soll diese Fragmentierung überwunden werden. T2S steht dabei in vollem Einklang mit anderen europäischen Initiativen, beispielsweise dem European Code of Conduct for Clearing and Settlement und der Lissabon-Strategie der EU. T2S trägt außerdem zum Abbau der sogenannten "Giovannini-Barrieren" bei und wirkt als Katalysator für die Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Finanzmarktebene. Aktive Beteiligung der Deutschen Bundesbank Am 17. Juli 2008 wurde das T2S-Projekt offiziell vom Rat der Europäischen Zentralbank auf den Weg gebracht. Dieser Entscheidung ging eine zweijährige Vorbereitungsphase voraus, in der in enger Kooperation mit Zentralverwahrern und anderen Marktakteuren die grundsätzliche Machbarkeit evaluiert und Nutzeranforderungen erarbeitet wurden. Mit dem Start des Projekts und dem damit verbundenen Beginn der Spezifikationsphase betraute der EZB-Rat das aus TARGET2 bekannte Team, verstärkt um den Banco de España (seitdem 4ZB genannt), mit der Entwicklung und dem späteren Betrieb der Abwicklungsplattform. Starke Unterstützung des Marktes T2S ist ein Angebot des Eurosystems für den europäischen Markt, das insbesondere von Banken, Verbänden und der EU-Kommission freudig begrüßt wurde. Nach einiger - gleichwohl "konstruktiver" - Skepsis in der Vorbereitungsphase haben zwischenzeitlich 27 Zentralverwahrer im Juli dieses Jahres durch ein "Memorandum of Understanding" ihre Mitwirkung an T2S bekräftigt. Zugleich haben sie sich mit dem Eurosystem auf einen Weg zur Erarbeitung der notwendigen vertraglichen Grundlagen für die Projekt- und Betriebsphase von T2S geeinigt. Neben allen im Eurosystem ansässigen Zentralverwahrern sind auch neun Zentralverwahrer außerhalb des Euro-Währungsgebiets (Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Schweden, dem Vereinigten Königreich, Island und Schweiz) dabei. Der norwegische Zentralverwahrer hat im September 2009 ebenfalls angekündigt, das "Memorandum of Understanding" unterschreiben zu wollen. Obwohl die Plattform primär für die Wertpapierabwicklung in Euro konzipiert ist, soll auch ein Settlement in anderen Währungen möglich sein. Da in T2S ausschließlich die Abwicklung in Zentralbankgeld vorgesehen ist, setzt das natürlich die Bereitschaft der jeweiligen Notenbanken voraus, ihre Währung für das Settlement in T2S zur Verfügung zu stellen. Drei Zentralbanken außerhalb des Euro-Währungsgebiets - Sveriges Riksbank (SE), Danmarks Nationalbank (DK) und Lietuvos bankas (LT) - haben ihre Zustimmung hierfür bereits bekundet. Auch Norges Bank (NO) zeigt sich offen für eine Abwicklung in der Landeswährung. Integration von Geld- und Wertpapierseite auf einer Plattform Der T2S-Service soll im Jahr 2013 seinen Betrieb aufnehmen. Er umfasst die Abwicklung von Transaktionen für sämtliche am Markt verfügbaren Wertpapiere. Entscheidendes Charakteristikum ist die Integration der Geld- und Wertpapierseite auf einer einzigen technischen Plattform, wodurch die Abwicklungseffizienz maximiert und die Abwicklungssicherheit erhöht wird. Sofern nicht anders gewünscht, werden die Transaktionen auf "Delivery versus Payment"-Basis durchgeführt. Zudem bietet T2S den Vorteil einer Abwicklung in sicherem und hochliquidem Zentralbankgeld, und das sowohl im nationalen als auch im grenzüberschreitenden Wertpapierverkehr. Trotz der vielen Vorteile von T2S stand gerade zu Beginn des Projekts die Frage im Raum, ob die Übernahme des Abwicklungsservice die Aufgabe einer Notenbank ist. Diesem Aspekt ist das Eurosystem immer wieder offensiv und im Dialog mit den Marktteilnehmern gegenübergetreten. Zentralbanken richten ihr Augenmerk auf die Wahrung der Finanzstabilität als wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung der Funktion des Finanzsektors einer Volkswirtschaft. Dabei schafft die Abwicklung über die Zentralbank als insolvenzfeste Institution gerade in Krisenzeiten Vertrauen und Sicherheit. Zudem ist eine flexible Liquiditätsversorgung gewährleistet. Da eine Auslagerung der Zentralbankgeld-Abwicklung weder rechtlich möglich noch politisch erwünscht ist, kann die Integration von Zentralbankgeld und Wertpapieren auf einer Plattform letztlich nur vom Eurosystem selbst angeboten werden. T2S wird als nicht-gewinnorientiertes Projekt und ausdrücklich unter dem Prinzip der Vollkostendeckung entwickelt und betrieben. Kein neuer Zentralverwahrer T2S stellt den teilnehmenden Zentralverwahrern eine technische Plattform zur Abwicklung der Wertpapiertransaktionen zur Verfügung. Die Verwahrung der Wertpapiere und die damit verbundenen Dienstleistungen verbleiben aber weiterhin in den Händen der Zentralverwahrer. Gleiches gilt auch für alle rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Zentralverwahrer zu ihren Kunden. Darunter fällt unter anderem die Verantwortung für die Führung der Depotkonten. Mit T2S wird also kein neuer paneuropäischer Zentralverwahrer geschaffen. Durch die Standardisierung der reinen Wertpapierabwicklung ist aber zu erwarten, dass sich die Zentralverwahrer stärker auf die Wertpapierverwahrung und -verwaltung sowie individuelle Zusatzleistungen (zum Beispiel im Sicherheitenmanagement) konzentrieren. Eine vertragsrechtliche Beziehung des Eurosystems als Systemeigentümer wird es nur mit den Zentralverwahrern als Nutzern geben, wobei die Teilnahme an T2S nicht verpflichtend ist. Eine Plattform, zwei Dienstleistungen Ein zentraler Punkt des neuen Abwicklungsservice ist das "T2S on TARGET2"-Konzept. Danach soll T2S auf der für TAR-GET2 entwickelten Single Shared Platform (SSP) betrieben werden. Das Eurosystem kann auf diese Weise erhebliche Synergien realisieren: - Bereits vorhandene IT-Ressourcen können optimal genutzt werden. TARGET2 als Brutto-Echtzeitsystem erfordert vor allem die Abwicklung der eingehenden Zahlungsaufträge während des Tages. Für T2S stehen hier freie Kapazitäten bereit, da in der Wertpapierabwicklung typischerweise hohe Volumina in der Nacht abgewickelt werden. - T2S basiert auf dem für TARGET2 bereits implementierten Business Continuity-Konzept. - T2S kann auf bereits vorhandenes Betriebspersonal sowie die eingespielten Prozessabläufe im Betrieb zurückgreifen. - Die etablierte Projektstruktur innerhalb der 4ZB gewährleistet eine effiziente Arbeit in der Entwicklungsphase. Zahlreiche Beispiele belegen, dass große Infrastrukturprojekte mit zahlreichen Beteiligten und multinationaler Dimension hohen Belastungen und Risiken ausgesetzt sind. Indem das Eurosystem auf die Expertise und eingespielte Organisation der 4ZB vertraut, können die Qualität der Projektarbeit gewährleistet, die Realisierungsdauer kurz und die Kosten im prognostizierten Rahmen gehalten werden. T2S und TARGET2 spielen für das Liquiditätsmanagement der Teilnehmer eine große Rolle. Die Realisierung von T2S und TAR-GET2 auf einer Plattform kann auch die Interaktion zwischen beiden Services erleichtern. Das "T2S on TARGET2"-Konzept darf aber keinesfalls als Verschmelzung der beiden Services verstanden werden. Beide offerieren dem Markt voneinander getrennte Dienstleistungen, was insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Ausfallsicherheit und des Krisenmanagements gilt. Das heißt: Die gemeinsame Nutzung der operationellen Strukturen wird nicht dazu führen, dass Störungen in einem der beiden Systeme auf das andere übergreifen. Ehrgeizige Projektplanung Obwohl die Inbetriebnahme von T2S im Jahr 2013 noch weit entfernt scheint, müssen die Grundsteine für den erfolgreichen Start der neuen europäischen Wertpapierabwicklungsplattform bereits heute gelegt werden. Die Vorgaben der Nutzeranforderungen müssen in eine Grob- sowie detaillierte Feinspezifizierungen umgesetzt werden. Während die Grobspezifizierung abgeschlossen ist, wird derzeit die Feinspezifizierung für die Nutzer vorbereitet. Diese ist Grundlage für die technische Anbindung der Zentralverwahrer sowie ihrer Teilnehmer, die eine direkte technische Kommunikation mit T2S wünschen. Da T2S gerade bei den Zentralverwahrern eine strategische Neuausrichtung mit tief greifenden IT-technischen Veränderungen erfordert, ist eine frühzeitige Bereitstellung der Feinspezifizierung unverzichtbar. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass allen Beteiligten ausreichend Zeit zur Konsultation gegeben wird. Die enge Zusammenarbeit mit dem Markt hat sich in der Vergangenheit, nicht zuletzt bei TARGET2, als wichtiger Erfolgsfaktor erwiesen. Die 4ZB werden auch bei der Migration der teilnehmenden Zentralverwahrer, anderer Marktteilnehmer sowie der Notenbanken eine wichtige Rolle spielen. Neben der Beratung für das Migrationskonzept gehören dazu ebenso die Mitwirkung bei der Ausgestaltung der Nutzertests sowie vielfältige Unterstützungsleistungen. Nach Inbetriebnahme von T2S werden die 4ZB in ihrer Betreiberrolle als zentrale Ansprechstelle für alle Nutzer (das heißt Notenbanken und Zentralverwahrer) agieren. Wie bei TARGET2 werden sie einen zentralen Service Desk bereitstellen und die im Rahmen von klaren Vereinbarungen zugesicherte Betriebsleistung durch eine hohe Servicequalität ergänzen. Strategische Bedeutung für die Deutsche Bundesbank Für die Deutsche Bundesbank stellt T2S nach der erfolgreichen Einführung von TARGET2 eine neue Herausforderung dar. Zugleich ist T2S in mehrfacher Hinsicht von großer strategischer Bedeutung: - Die Deutsche Bundesbank hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb des Eurosystems an prominenter Stelle als Serviceanbieter zu agieren. Mit TARGET2 und T2S kann sie ihr Profil im Eurosystem weiter schärfen. Durch die Einbringung von operativer Kompetenz und durch eine wirtschaftliche Leistungserstellung profitieren auch die anderen Zentralbanken. - Mit T2S gewinnt auch der Finanzplatz Frankfurt und seine Teilnehmer. Diese sind über die nationale Nutzergruppe, die von der Deutschen Bundesbank geleitet wird, aktiv in die T2S-Entwicklung eingebunden. Durch eine entsprechende Funktionstrennung bei der Deutschen Bundesbank werden Interessenkonflikte mit ihrer Rolle als Systemarchitekt vermieden. - Schon in der Vergangenheit konnte die Deutsche Bundesbank in Zusammenarbeit mit Clearstream Banking Frankfurt die Wertpapierabwicklung in Deutschland sicherer und effizienter machen. Die aktive Mitwirkung bei der Gestaltung der künftigen europäischen Abwicklungslandschaft macht diesen Erfahrungsschatz auch für Europa nutzbar.

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