Spannungsfeld Beratung

Interview mit Dorothea Mohn / "Wir brauchen ein Provisionsverbot"

Braucht Deutschland ein Provisionsverbot?

Diese Frage ist mit einem deutlichen Ja zu beantworten. Das System, in dem heute Finanzprodukte auf Provisionsbasis verkauft werden, ist absolut anfällig für Fehlund Falschberatung. Ein System, in dem nicht die Beratung direkt, sondern der Verkauf indirekt über Provisionen vergütet wird, erzeugt einen systemimmanenten Anreiz, stets zu einem Produktabschluss zu kommen, möglichst zu einem, der attraktive Provisionen bringt. Ergebnisoffen können solche "Beratungs"- (eigentlich Verkaufs-)gespräche eigentlich nicht sein. Und das ist schädlich für die Verbraucherfinanzen.

Das Provisionsverbot allein wäre aber noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Natürlich gehört dazu, auch die Beratung auf Honorarbasis zu regulieren und zu kontrollieren. Dazu zählt es sicherzustellen, dass die Berater ausreichend qualifiziert sind, dass Nettoprodukte am Markt verfügbar sind, dass Honorarberater einer aufsichtlichen Kontrolle unterstellt sind und dass Mischformen aus Finanzberatung auf Honorar- und Provisionsbasis verboten sind.

Sind die Interessenskonflikte denn wirklich so stark? Auch eine Bank, die vom Produktgeber Provisionen erhält, hat doch ein Interesse daran, den Kunden gut zu beraten, damit er langfristig zufrieden ist und die Kundenbeziehung erhalten bleibt ...

Wenn dieses stereotype angeführte Argument der Banken stimmen würde, dann dürfte es nicht diese vielen Fälle von Falsch- und Fehlberatung geben, die immer wieder durch verdeckte Tests belegt werden. Die Erfahrungen, die wir in unserer Verbraucherberatung machen, bestätigen dieses Bild.

Legten die Kreditinstitute tatsächlich so viel Wert auf Kundenbindung, müsste sich das auch in einer dauerhaften Kunden-Berater-Beziehung niederschlagen. Das Gegenteil scheint hier aber vielfältig gelebte Praxis zu sein: Viele Verbraucher berichten, dass die Berater permanent wechseln.

Eine weitere Beobachtung ist, dass insbesondere ältere, vermögende Verbraucher regelmäßig aktiv angesprochen werden, um sie zu Depotumschichtungen zu motivieren - dies mit dem Argument, man habe hier noch was Besseres für sie. Den Banken zufolge hat man diese Praxis, regelmäßig für Depotumschichtungen zu sorgen, mittlerweile abgestellt. Das habe es früher gegeben, sei heute aber keine gängige Praxis mehr. Unsere Beobachtung lässt hieran zweifeln. Auch heute noch ist das ein Thema. Und so erzeugt man sicherlich eine enge Kundenbindung, nur wer profitiert von dieser? Der Kunde sicherlich nicht, wenn er immer wieder neue Produkte kauft und dafür andere verkauft, sich dadurch an der Grundstruktur seines Depots im Kern aber gar nichts ändert. Solche Produktwechsel sind völlig überflüssig. Denn sie bringen eine renditezehrende Kurzfristigkeit in die vorgesehene langfristige Anlagestrategie der Kunden.

Wird so etwas durch die Honorarberatung vermieden? Auch der Honorarberater kann doch ähnliche Strategien verfolgen, um erneut Gelegenheit zu einem entgeltpflichtigen Beratungsgespräch zu erhalten? Der renditezehrende Effekt wäre dann doch derselbe ...

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es auch bei der Honorarberatung Interessenskonflikte gibt. Nur hat der Kunde eine deutlich bessere Kontrolle über diese Prozesse, wenn er die Beratungsleistung direkt bezahlt. Bei dem provisionsbasierten Modell wird ihm erzählt, es gebe ein besseres Produkt, mit dem er noch besser aufgestellt wäre, die damit verbundenen Provisionszahlungen werden aber verschleiert. Die kommen so gut wie nie in Euro und Cent auf den Tisch. Demgegenüber würde der Kunde in der Honorarberatung klar merken: Wenn ich mich auf die Beratung zur Depotumschichtung einlasse, kostet mich das soundsoviel Euro. Damit ist der Kunde anders für die Frage sensibilisiert, ob er diese Depotveränderung wirklich braucht. Er geht kritischer an die Sache heran, als wenn er gar nicht merkt, was ihn eine Transaktion kostet.

Viele Kunden würden sich dann vermutlich an dieser Stelle gar nicht erst auf die Beratung einlassen, weil die Beratung ja bezahlt werden muss, ganz gleich, ob das Angebot den Kunden letztlich überzeugt oder nicht. Wäre das nicht kontraproduktiv? Es könnten ja auch mal wirklich sinnvolle Empfehlungen dabei sein.

Der Berater müsste eben wirklich überzeugende Argumente dafür bringen, warum die einst vereinbarte und langfristig ausgerichtete Anlage angepasst werden muss und warum man die damit verbundenen Kosten in Kauf nehmen sollte. Häufig fehlt es hier an den wirklich guten Argumenten.

Auch bei Provisionen gibt es heute schon die Offenlegungspflicht. Was bringt die - und was bringt sie nicht?

Die Banken haben ein originäres Interesse daran, nicht in Euro und Cent offenzulegen, wie viel an Provisionen fließt. Dies schildern uns Verbraucher und wird durch verschiedene Untersuchungen belegt.

Die Banken winden sich an dieser Stelle und zeigen deutliche Ausweichreaktionen. So werden plötzlich - nach Aussagen einiger Banken - sogar Investmentfonds nicht mehr als Kommissions-, sondern als Festpreisgeschäft verkauft was gleichzeitig die fehlende Pflicht zu Offenlegung bedeutet. Denn im Wege eines Festpreisgeschäftes werden Margen statt Provisionen generiert, die dann nicht offengelegt werden müssen.

Wenn Provisionen offengelegt werden, dann meist in einer Weise, die dem Verbraucher nicht weiterhilft, nämlich in Prozent, teilweise sogar nur in Prozentspannen. Der Verbraucher ist es jedoch gewohnt, in Euro und Cent zu denken. Eine solche Angabe braucht er, und nur in den seltensten Fällen bekommt er sie.

Würde es dann nicht reichen, den Ausweis in Euro-Beträgen entsprechend gesetzlich vorzugeben?

Wenn der Verbraucher ein klares Preisschild bekommt, was jeder Produktabschluss und jede Depotumschichtung in Euro und Cent kostet, wäre das schon eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo. Dann müsste man allerdings alle Ausweichmöglichkeiten mit einbeziehen. Es dürfte also keinen Unterschied mehr zwischen Festpreis- und Kommissionsgeschäft geben und keinen Unterschied zwischen Banken und freien Finanzvermittlern.

Aber auch mit einer tatsächlichen Transparenz über die Kosten im Provisionsvertrieb halte ich es für den richtigen und verbraucheradäquaten Weg, die Dienstleis tung "Beratung" direkt vergüten zu lassen und den Anreiz, damit verbunden auch Produkte loswerden zu müssen, davon zu entkoppeln.

Als Minimalkonsens sollte dem Verbraucher zumindest eine reelle Wahl zwischen Provisions- und Honorarberatung geboten werden.

Das wäre jedoch aus Ihrer Sicht nicht ausreichend?

Ein komplettes Verbot von Provisionen in der Finanzberatung wäre aus meiner Sicht die richtige Antwort auf das Problem von Falsch- und Fehlberatungen. Ich vergleiche das mit dem Gesundheitswesen: Man stelle sich vor, der Arzt würde nicht nur die Diagnose stellen, sondern zugleich über Provisionen an den Medikamenten verdienen, die er verschreibt. Wir können uns leicht vorstellen, dass in einem solchen System der Anreiz hoch wäre, möglichst viele Medikamente und möglichst teure zu verschreiben.

So zeigt es sich leider bei den sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), dass es Anreize gibt, bestimmte Untersuchungen zu empfehlen, bei denen die Patienten im Nachhinein Zweifel an der Notwendigkeit haben. Auch hier sind Fehlentwicklungen erkennbar. Man muss dafür sorgen, systemimmanente Interessenkonflikte abzubauen. Deshalb müssen Provisionen komplett abgeschafft werden.

Gibt es genug Nettoprodukte am Markt? Und wozu braucht man die? Kann der Honorarberater dem Kunden nicht auch alle Provisionen gutschreiben? Oder fehlt es dann wieder an Transparenz?

Eine ausreichende Auswahl lupenreiner Nettoprodukte fehlt am Markt. Nettoprodukte sind erforderlich, um sicherzustellen, dass der Kunde nicht doppelt zahlt, zum einen das Beratungshonorar und zum anderen nochmal die Provision.

Provisionsauskehrungen sind denkbar, machen aber den Prozess für Verbraucher komplizierter. Auch sind wir bei der Provisionsauskehrung auf Missbrauchsfälle gestoßen, wo mit besonders hohen Rückzahlungen geworben und gelockt wurde und die Verbracher damit dann doch wieder im hochprovisionierten und für sie schlechten Produkt gelandet sind. Mit diesen hohen Rückzahlungen konnten dann besonders hohe Honorare durchgesetzt werden.

Studien zum Thema Honorarberatung legen meist den Schluss nahe, dass die Akzeptanz dieses Modells beim Verbraucher stark gegen Null geht. Würde das nicht dazu führen, dass viele Kunden (und vielleicht gerade diejenigen, die eine Beratung dringend bräuchten), auf Beratung verzichten würden, wenn sie nur noch gegen Honorar angeboten würde?

Die Studien zur Akzeptanz und Zahlungsbereitschaft für eine Honorarberatung kommen je nach Auftraggeber zu höchst unterschiedlichen Antworten. Diesem Argument stehe ich daher gelassen gegenüber. Ein Problem, dass sich viele Menschen dann nicht mehr beraten lassen, sehe ich nicht.

Würde bei einem Nebeneinander beider Modelle nicht die Mehrheit der Kunden doch beim Provisionsmodell bleiben?

Ich bin davon überzeugt, dass viele Verbraucher bereit wären, für eine Beratung gegen Honorar zu zahlen, wenn ihnen klar wäre, welche Probleme es in der Provisionsberatung gibt und wie viel sie dort faktisch zahlen.

Was ist mit denen, die sich nicht so intensiv damit auseinandersetzen?

Flankierend muss es eine tatsächliche Offenlegung der Provisionen im provisionsbasierten Geschäft geben. Von der gesetzlichen Regulierung her ist das zwar grundsätzlich schon vorgegeben. Es wird in der Praxis aber noch nicht so übersetzt, dass der Verbraucher wirklich die Antwort bekommt, die er braucht. Davon sind wir noch weit entfernt.

Kreditinstitute warnen bei einer verpflichtenden Honorarberatung vor einem deutlich eingeschränkten Beratungsangebot. Wäre das im Sinne der Verbraucherschützer?

Um im Vergleich mit dem Gesundheitsmarkt zu bleiben, sähe ich die Banken in einem System, in dem Provisionen in der Beratung verboten wäre, in der Rolle der Apotheke, die die Produkte verkauft, ohne dazu eine individuelle Beratungsempfehlung anzubieten. Daneben würde sich, davon bin ich überzeugt, ein Markt für Finanzberatung entwickeln.

Würde bei einer kompletten Umstellung auf Honorarberatung ein Wettbewerb um die billigste Beratung drohen - zulasten der Qualität?

Natürlich ist ein Preis-Leistungswettbewerb um gute Anbieter von Finanzberatung zu unterstützen.

Gute Chancen sehe ich vor allem in einem Wettbewerb um gute Produkte.

Denn eine lupenreine Honorarberatung muss bei der Produktauswahl allein nach Maßgabe der Qualität entscheiden. Die Produkt anbieter hätten also einen erhöhten Druck, sich durch hohe Produktqualität am Markt durchsetzen zu müssen. In einen System, das ohne Provisionen auskommt, müsste die Produktqualität also erheblich zunehmen.

Wie würden Sie sich Honorarmodelle vorstellen, die beim Kunden auf Akzeptanz stoßen?

Die ideale Lösung wäre aus meiner Sicht ein Beratungshonorar auf Stundenbasis. Vor einer jeden Beratung müsste abgesprochen werden, worum es gehen soll und wie hoch der ungefähre Beratungsaufwand sein wird. Der Kunde sollte also einer Art Kostenvoranschlag - ähnlich wie in der Kfz-Werkstatt - erhalten. Bei größeren Vermögen wird die Beratung vermutlich automatisch komplexer und damit teurer. Heute arbeiten einige Honorarberater mit einem Prozentsatz auf das zu beratende Vermögen. Das ist sicher eine Geschmacksfrage und sollte man im Zweifelsfall dem Wettbewerb überlassen.

Ist eine Beratung auf Stundenbasis, bei der der Kunde immer die Uhr als Taxameter im Blick hat, nicht der Beratungsqualität abträglich?

Gegenüber dem Status quo kann sich die Situation eigentlich nicht verschlechtern. Denn der Zeiteinsatz in der Beratung durch Banken und Sparkassen ist heute schon sehr eng getrimmt - und zwar heute nicht vom Verbraucher aus, sondern von den Banken aus. Nach unseren Erhebungen dauern "Beratungen" in Banken heute meistens nicht länger als eine Dreiviertelstunde.

Ich bin davon überzeugt, dass in einer Dreiviertelstunde keine umfassende Beratung durchgeführt werden kann. Und ich stelle mir vor, dass eine honorarbasierte Beratung entsprechend länger dauert, um umfassend auf die finanzielle Situation und auf finanzielle Ziele eingehen zu können. Dass eine vernünftige Beratung so ablaufen muss, muss im Vorgespräch geklärt und bepreist werden. Und ich bin optimistisch: Der Preis wird trotzdem unter dem liegen, was der Kunde heute in der provisionsbasierten Beratung zahlt.

Um noch einmal das Beispiel aus dem Gesundheitswesen zu bemühen: Wäre es nicht auch denkbar, dass der Berater (analog zu den nicht zwingen nötigen IGeL-Leistungen) versucht, die Beratung mehr als unbedingt nötig auszudehnen, um Zeit und damit Honorar zu schinden? Kann der Kunde im Vorgespräch immer identifizieren, ob der vom Berater vorgeschlagene Finanz-Check wirklich nötig ist?

Der Honorarberater sollte seine Beratungsgrundsätze transparent machen und darlegen, welchen Zeiteinsatz und welches Honorar er dafür veranschlagt. Die Leistungs- und Kostenvoranschläge könnten dann vorab verglichen werden.

Was halten Sie von den Plänen der EU zum Thema?

Die EU-Pläne werden derzeit noch verhandelt. Die Kommission hat ein Verbot von Provisionen im Falle einer unabhängigen Finanzberatung vorgeschlagen. Gut daran ist, dass die Kommission damit eindeutig das Problem in der Finanzberatung identifiziert und auf den Punkt gebracht hat. Schlecht daran ist allerdings, dass man nur bereit ist, einen kleinen Marktausschnitt zu regulieren. Das ist zu wenig, aber bezogen auf Deutschland immer noch eine Verbesserung. Großbritannien und die Niederlande sind an dieser Stelle deutlich mutiger und gehen den Weg eines vollständigen Verbotes von Provi sionen in der Finanzberatung. Im Übrigen wird dieser Weg mittlerweile sogar von der Industrie unterstützt.

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