Interview mit Dorothea Mohn

Umstrittene Provisionen - "Der Interessenkonflikt durch die Provision ist das Grundübel"

Bild 16

Beratung darf durchaus etwas kosten, gesteht Dorothea Mohn zu. Der Preiswettbewerb bei der Finanzberatung funktioniert hierzulande jedoch nicht. Dazu braucht es auch beim Provisionsvertrieb ein "Preisschild" - und zwar nicht nur bei Fonds, sondern auch bei Versicherungen. Doch das ist nur der erste Schritt. Grundsätzlich müssten Beratung und Verkauf getrennt werden, lautet die Forderung des Verbraucherschutzes. Im Klartext: Keine Beratung mehr bei der Bank. Auch die Honorarberatung müsste jedoch besser reguliert werden. Red.

Manchmal hat die Finanzbranche den Eindruck, Verbraucherschützer gönne ihr keine Erträge. An welcher Stelle sind Erträge aus Verbraucherschutzsicht unbedenklich?

Natürlich soll und muss verdient werden dürfen. Aber zu fairen Preisen. Und das setzt voraus, dass der Wettbewerb um Leistung und Preise funktioniert. Verbraucher müssen die Möglichkeit haben, Leistung, Qualität und Preise miteinander in Verbindung zu bringen.

Das ist jedoch auch in Bereichen, die vergleichsweise einfach erscheinen, nicht immer der Fall. Beim Dispokredit etwa funktioniert der Wettbewerb nicht. Wettbewerb setzt voraus, dass gewechselt werden kann. Das ist beim Dispo, sobald man diesen nutzt, aber nicht der Fall.

Inwieweit ist bei der Beratung der Preis relevant dafür, für welchen Anbieter sich der Kunde entscheidet? Spielt hier nicht das Vertrauen eine weitaus größere Rolle?

Wenn Verbraucher wüssten, was sie über Abschluss- und Bestandsprovisionen für Beratung bezahlt, würden sie sicher nach dem Preis gehen. Wenn die Honorare festgelegt sind wie beim Steuerberater oder beim Rechtsanwalt, dann wird die Entscheidung danach getroffen, wem der Kunde vertraut. Wo solche Vorgaben nicht existieren, würde der Kunde sicher auf den Preis schauen. Diese Preistransparenz gibt es jedoch - entgegen anders lautenden Darstellungen seitens der Branche - bei Banken und Sparkassen faktisch nicht und die Branche sorgt weiterhin dafür, Vertriebsanreize eben nicht transparent zu machen.

Wir haben zwei Rechtsformen im Finanzvertrieb:

- Das bislang Übliche war das sogenannte Kommissionsgeschäft, bei dem Provisionen fließen, die wiederum offenzulegen sind.

- Daneben gibt es sogenannte Festpreisgeschäfte. Dabei fließen keine Provisionen. Stattdessen sind Gewinnmargen in das Produkt einkalkuliert. Diese Margen wiederum sind nicht offenzulegen.

Seit 2007 dürfen Banken frei wählen, welche Geschäftsform sie anbieten. Und wir beobachten nun eine Tendenz dahin, dass zunehmend Produkte im Festpreisgeschäft verkauft werden. Das ist eine legale Intransparenz.

Insofern stimmt es nicht, dass es im Finanzvertrieb Transparenz über Provisionen und Verkaufsanreize gäbe. Auch alleine deshalb, weil beim Vertrieb von Kapitallebensversicherungen, die ja substituierende Produkte zum Beispiel zu Investmentfonds sind, Provisionen gerade verschwiegen werden dürfen. Die Versicherungslobby feiert das und Banken sagen, dass sie sich das für den Wertpapiervertrieb auch so vorstellen. Bis heute gibt es kein Preisschild dafür, was Beratung kostet. Und kann damit für Kunden auch kein Entscheidungskriterium sein.

Was ist an den Festpreisgeschäften so schlimm? Wenn ein Verbraucher sich beispielsweise eine Küche kauft, kennt er doch auch nur den Endpreis und nicht die Marge für den Verkäufer?

Es handelt sich um sehr unterschiedliche Produkte. Einer Küche kann der Kunde grundsätzlich ihre Qualität ansehen. Auch der Vergleich unterschiedlicher Küchenangebote funktioniert. Finanzprodukte hingegen sind abstrakte Verträge, denen man ihre Qualität nicht ansehen kann, die etwas in die Zukunft hinein versprechen und deren Rendite maßgeblich davon abhängt, mit welchen Kosten diese verbunden sind. Um die Leistungsfähigkeit des Finanzprodukts einschätzen zu können, braucht man neben der Funktionsweise deshalb unbedingt Kostentransparenz. Um den Preis der vermeintlichen Beratung zum Produkt zu wissen, ist eine Transparenz über das Verkaufsinteresse erforderlich.

Wir wollen, dass Verkauf und Beratung getrennt werden. Provision oder Marge sind das, was der Kunde für die Beratungsleistung bezahlt. Es muss einen Wettbewerb um die Produktqualität geben und einen Wettbewerb um die Beratungsleistung.

Wäre ein Wettbewerb um die billigste Beratung denn wirklich hilfreich? Ginge das dann nicht auch wieder zulasten der Qualität?

Beratung darf und soll etwas kosten. Hierum soll es nicht nur einen Preis, sondern natürlich auch einen Leistungswettbewerb geben.

Verbraucherschützer kämpfen ja schon seit geraumer Zeit für ein Provisionsverbot. Woran liegt es Ihrer Einschätzung nach, dass dafür in Deutschland bislang der politische Wille fehlt?

Der Finanzvertrieb in Deutschland fußt auf keiner Berufsausbildung. Es gibt zwar mittlerweile Qualifikationsanforderungen als Zulassungsvoraussetzung. Allerdings sind diese sehr niederschwellig. Schätzungsweise eine halbe Million Menschen lebt in Deutschland vom Vertrieb von Finanzprodukten. Bei einer Umstellung vom provisions- zu honorarbasierten Modell würde sich dieser Beratungsbereich massiv verkleinern. Denn die reine Beratung, die eben kein Verkauf ist, setzt viel höhere Anforderungen an die Qualifikation. Zum Verkaufen gehört nicht viel, Beratung will gelernt sein, sodass von einer deutlichen Selektion über die Qualifikation auszugehen ist. Vor einer solchen Veränderung fürchten sich die Branche und die Politik. Gleichzeitig gehe ich von einem Problembewusstsein in der Politik aus.

Daher glaube ich, dass es irgendwann zu einer Abschaffung des provisionsbasierten Vertriebs kommen wird. Möglicherweise wird dies von Europa ausgehen. Langfristig wird man sich das bisherige System nicht mehr leisten können. Denn durch den Rückzug aus den umlagebasierten Systemen der Vorsorge sind die Menschen darauf angewiesen, sich am Kapitalmarkt zu bewegen. Und hier erzielen sie aufgrund einer schlechten Beratungsqualität allzu häufig zu schlechte Ergebnisse. Damit meine ich nicht das Anlagerisiko. Das ist systemimmanent. Aber das konsequente Hineinberaten in überteuerte Produkte und in Portfolioumschichtungen, die immer wieder neue Provisionszahlungen generieren, aber massiv die Renditemöglichkeiten eindämmen, führt zu keinen guten Ergebnissen in der Altersvorsorge und beim Vermögensaufbau. Und das kann sich eine Gesellschaft langfristig nicht leisten. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir irgendwann in Deutschland eine Wende erfahren werden.

Stichwort unzureichende Ausbildung: Taugen auch Certified Financial Planner nichts?

Dieses Zertifikat richtet sich an Vertriebler, die schon im Geschäft sind und ist überdies hochpreisig, sodass sich dieses Zertifikat nur verhältnismäßig wenige leisten. Es ist immer noch keine Ausbildung von der Pike auf. Eine solche solide Grundausbildung fehlt in Deutschland, obwohl Ausbildung und Qualifikation in fast allen anderen Wirtschaftsbereichen in Deutschland eine hervorgehobene Rolle spielt. Ausgerechnet im Finanzvertrieb verzichtet man aber faktisch darauf.

Wäre es dann nicht wichtiger, die Ausbildung zu reformieren, als das Vergütungsmodell zu ändern?

Eine vernünftige Qualifikation ist eine Voraussetzung für eine gute Beratung. Aber der Interessenkonflikt, der durch Provision entsteht, ist das Grundübel, das zu vielen Falschberatungen führt. Deshalb muss an beiden Schrauben gedreht werden, um die Basis für eine gute Beratung zu legen.

Wäre es nicht sinnvoll, wenn der Kunde zu Beginn des Beratungsgesprächs zwischen Provisions- und Honorarberatung wählen könnte?

Das Gesetz sieht nicht vor, dass in einer Person beide Beratungsleistungen angeboten werden können. Und das ist gut so. Das würde nach meiner Einschätzung nicht funktionieren.

Berater könnten leicht und geschickt Kunden in die für sie auskömmlichere Form der Vergütung hineinlenken. Und das ist in aller Regel die Provisionsberatung, bei der dem Kunden auch suggeriert wird, sie sei kostenfrei und würde sich trotzdem nur am Kundeninteresse orientiert.

Ist denn die Honorarberatung per se besser? Auch dabei kann es doch Fehlanreize geben - und sei es nur, dass der Berater versucht, das Beratungsgespräch ungebührlich in die Länge zu ziehen, wenn das Honorar auf zeitlicher Basis berechnet wird ...

Auch die Honorarberatung ist sicher nicht frei von Interessenkonflikten. Aber ich denke, der Kunde kann damit besser umgehen und beurteilen, wie in einem Beratungsgespräch mit dem Faktor Zeit umgegangen wird.

Dennoch kann die Honorarberatung nicht alle Probleme lösen. Allerdings: Bis heute fehlt eine vernünftige Regulierung der Honorarberatung. Auch MiFID II bringt hier keine Verbesserung. Denn MiFID II sieht zwar vor, dass die unabhängige Finanzberatung in erster Linie Produkte empfehlen soll, in denen keine Provisionen stecken, oder muss diese Provisionen auskehren. Allerdings soll der Honorarberater Festpreisgeschäfte durchführen dürfen, wenn es sich um konzerneigene Produkte handelt. Mit dieser Ausnahme jedoch ist er nicht mehr produktunabhängig. Auf dieser Basis kann man die Regulierung der Honorarberatung vergessen.

Die Ausnahme für konzerneigene Produkte müsste unbedingt gestrichen werden. Sonst macht die Idee der produktunabhängigen Beratung keinen Sinn beziehungsweise wird konterkariert. Die Ausnahme konzerneigener Produkte wird für Volksbanken und Sparkassen gemacht, damit diese auch Honorarberatung anbieten können. Aus meiner Sicht ein absurder Ansatz. Denn immer dann, wenn es eine Produktvoreinstellung gibt, an die auch noch ein ökonomisches Interesse gebunden ist, kann die Honorarberatung nicht funktionieren.

Kann man denn von einem Honorarberater erwarten, dass er alle Produkte am Markt kennt? Er braucht doch auch eine Auswahl ...

Der Honorarberater kann keinen hundertprozentigen Marktüberblick haben. Dazu sind schlicht zu viele Produkte am Markt. Aber es macht einen Unterschied, ob sich der Honorarberater auf bestimmte Anbieter/Produkte fokussiert oder ob er grundsätzlich bestimmte Produkte im Angebot hat, von deren Verkauf er unmittelbar profitiert. Das darf nicht sein. Der Honorarberater darf nicht von einer Produktempfehlung profitieren, sondern sein wirtschaftliches Interesse muss sich auf das Honorar für seine Beratungsleistung beschränken.

Auf welcher Basis sollte das Honorar im Mengengeschäft am besten berechnet werden - Beratungszeit, Geschäftsvolumen oder Performance?

Mir persönlich würde ein Stundenhonorar am besten gefallen. Doch das ist Geschmackssache. Die Preisentwicklung sollte man erst einmal dem Markt überlassen.

Wären festgelegte Beratungspreise wie bei Steuerberatern eine gute Lösung?

Die Qualität der Beratung würde sich dadurch sicher stark verbessern. Ich würde jedoch erst einmal die Beratung so regulieren, dass sie funktioniert (Abkehr von der Provisionsberatung, Qualifikationsanforderungen, Wohlverhaltenspflichten im Sinne eines Best-Advice, Aufsicht). Die Preisbildung bei der Dienstleistung Beratung kann erst einmal dem Markt überlassen werden.

Was halten Sie von Warnungen, dass bei einem Provisionsverbot viele Kunden ohne Beratung dastehen würden, weil sie sich Beratung nicht leisten können oder wollen oder weil es sich für die Anbieter nicht lohnt?

Eine Beratungslücke haben wir schon heute. Es gibt heute schon Verbraucher, die durchs Raster fallen, weil sie für Finanzvertriebe unattraktiv sind. Insofern ist das keinen Argument, bei der Provisionsberatung zu bleiben.

Trotzdem ist es wichtig, für Teile der Bevölkerung, die nicht vorsorgen, obwohl sie vorsorgen sollten, Lösungen zu finden. Die können unterschiedlich aussehen.

- Man könnte zum Beispiel darüber nachdenken, die Milliarden der Riester-Förderung, die heute gar nicht genutzt werden, weil keine Verträge abgeschlossen wurden, dafür zu verwenden, von Produkten unabhängige Beratung zu finanzieren.

- Gleichzeitig wäre es gut, darüber nachzudenken, eine Basisabsicherung für die Altersvorsorge und die Risikoabsicherung für Jedermann vorzusehen. Das kann in Form einer Stärkung der Umlagefinanzierung geschehen. Oder kapitalgedeckt mittels eines einfachen und kostengünstigen Altersvorsorgefonds, orientiert an einem Modell, das in Schweden praktiziert wird.

Was ist eigentlich mit Vergleichsportalen im Internet? Auch da fließen Provisionen, die für den Kunden nicht erkennbar sind. Wie ist das aus Verbraucherschutzsicht zu bewerten?

Vergleichsportale sind etwas für Selbstentscheider und insofern eine gangbare Alternative. Dennoch ist es wichtig, dass der Anreiz, ein bestimmtes Produkt zu empfehlen, offenzulegen ist. Die Kontrolle und Aufsicht darüber sollte meines Erachtens unbedingt bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) liegen.

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X