Konsumentenkredit

Islamic Finance auch am Point of Sale

Über drei Millionen Muslime, davon 80 Prozent Türken, leben in Deutschland. Auf rund 1,2 Milliarden Euro jährlich schätzt eine aktuelle Studie1) von Booz & Company das Potenzial islamkonformer Bankprodukte in Deutschland. Dass Finanzdienstleister diesen Markt derzeit noch ignorieren, führen die Autoren auf mehrere Ursachen zurück: Zum einen würden sich deutsche Häuser bisher auf typische muslimische Länder wie Indonesien oder Saudi Arabien konzentrieren. Sie haben dazu beispielsweise Islamic Windows als spezialisierte Abteilungen aufgebaut. Zum anderen gelten die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzulande als schwierig.

Großes Potenzial, kein Angebot

Anders in Großbritannien: Dort bekannte sich der Staat bereits vor Jahren klar zu Islamic Finance und passte das nationale Recht demgemäß an. Konventionelle und islamische Produkte sind seitdem im Wettbewerb gleichgestellt. Vor kurzem haben auch die Franzosen nachgezogen, die den Angelsachsen das Feld nicht alleine überlassen wollen. In Deutschland laufen Muslime dagegen unter anderem durch die Grunderwerbssteuer Gefahr, bei islamkonformer Baufinanzierung doppelt zu bezahlen. Der Kunde kann das Eigenheim nämlich nur über den Umweg der Bank erwerben, die kurzfristig Eigentümer sein muss.

Laut Booz & Company nutzen deutlich weniger als fünf Prozent der Muslime heute in Deutschland islamische Produkte. Hauptgrund ist der Mangel an Produkten und Informationen. Außerdem haben einige Türken in den letzten Jahren schlechte Erfahrungen mit vermeintlich islamkonformen Investments gemacht. Dennoch steigt die Zahl der Anfragen von Bürgern beim Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), ob und wie das Vermögen im Einklang mit dem Glauben anzulegen sei. Ein Angebot, das speziell diese Gruppe adressiert, scheint also überfällig.

Mehr als Produktpolitik

Wer in Deutschland mit Islamic Consumer Finance durchstarten will, muss sich mehreren Herausforderungen stellen.

Alleine mit der Schaffung neuer Produkte ist es nämlich nicht getan. Erst über anerkannte Zertifizierungen werden diese den Weg in die muslimische Community finden.

Gleichzeitig sind Vertriebsstrukturen und Vermarktungskonzepte gefordert, die den besonderen Bedürfnissen der Gemeinschaft Rechnung tragen.

Der rechtlichen Seite fällt ebenfalls eine zentrale Rolle zu, unter anderem hinsichtlich der Gestaltung von Kredit- und Leasingverträgen.

Nicht zuletzt gilt es, Geschäftsprozesse an dem Angebot auszurichten - und diese auch möglichst komplett in der IT abzubilden.

Sachmittelkredit statt Geldzins

Islamische Produkte und Prozesse unterscheiden sich von herkömmlichen vor allem durch das Verbot von Geldzinsen (Riba). Davon betroffen sind Sparkonten und Termingelder ebenso wie zinstragende Geldmittelkredite, beispielsweise für Hausbau oder Auto. Bei Kapitalanlagen, etwa Aktien oder Fonds, darf darüber hinaus nicht in Branchen wie die Alkohol- und Tabakindustrie oder Banken und Versicherungen investiert werden.

Für die Konsumfinanzierung eignen sich verschiedene islamische Sachmittelkredite. Zu den am häufigsten genutzten zählen Murabahah und Ijarah, eine islamische Variante des Leasings.

Murabahah und Ijahrah: Der Kunde als Agent

Murabahah bildet eine Sonderform des Abzahlungskredits, in dem die Bank zwischengeschaltet wird. Sie erwirbt das zu finanzierende Gut und verkauft es mit Gewinnaufschlag üblicherweise in Raten an den Kunden weiter. Nach islamischem Recht sind Verträge verboten, in denen eine Sache bereits verkauft wird, ohne dass sie der Verkäufer zuvor in seinem Besitz hatte.

Das Problem: Weil der Bank zumindest kurzzeitig das zu finanzierende Objekt gehört, gehen auch die damit verbundenen Risiken auf sie über. So könnte die Ware während dieser Zeit Schaden nehmen, der Kunde könnte aufgrund von vermeintlichen oder echten Qualitätsmängeln die Abnahme verweigern beziehungsweise zahlungsunfähig werden.

Ein Teil dieses Risikos übertragen Banken auf den Kunden, indem sie ihn beim Objektkauf als Agenten beauftragen und ihm damit gewisse Prüfungs- sowie Sorgfaltspflichten auferlegen. Das Institut muss allerdings gewährleisten, dass der zu finanzierende Gegenstand nach islamischem Recht erlaubt ist und zum Abschlusszeitpunkt bereits existiert, also beispielsweise nicht erst auf Bestellung produziert werden muss.

Die zweite Finanzierungstechnik Ijarah ähnelt dem operativen Leasing und erfreut sich speziell bei der Kfz-Finanzierung großer Beliebtheit. Dabei kauft der Leasinggeber das Automobil und überträgt das Nutzungsrecht an den Nehmer, der dafür die vereinbarten Raten bezahlt. Diese können sich - im Gegensatz zum Murabahah-Kontrakt - während der Laufzeit ändern. Wie beim Murabahah fungieren Kunden beim Objektkauf durch den Finanzdienstleister aus haftungsrechtlichen Gründen als Agenten.

Unserem Finanzierungsleasing entspricht das Ijarah wa Iqtina oder Ijarah Bimuntahi Attamleek, bei dem das Eigentum am Ende der Vertragslaufzeit an den Leasingnehmer übergeht. Der Nachteil gegenüber der konventionellen Technik besteht darin, dass die Bank das Leasinggut versichern muss, weil sie für einen vom Käufer unverschuldeten Totalverlust haftet. Dieser muss das Objekt weder ersetzen noch weiter Raten bezahlen. Den Versicherungsbetrag für diesen Fall decken

Finanzdienstleister durch die Leasingrate ab. In islamischen Verträgen wird außerdem häufig eine Strafgebühr zugunsten einer wohltätigen Einrichtung vereinbart, wenn der Kunde dem vereinbarten Schuldendienst grundlos nicht nachkommt. In unverschuldeten Fällen wie Arbeitslosigkeit entfällt die Zahlung. Diese Lösung entspricht dem Ideal der islamischen Wirtschafts- und Sozialethik, weil sie verhindert, dass sich Banken durch Verzugszinsen an der Notlage eines Kunden bereichern. Gleichzeitig wird aber auch einer laxen Zahlungsmoral vorgebeugt.

Zertifikat schafft Akzeptanz

Nachdem ein Finanzdienstleister ein islamisches Produkt entworfen hat, prüfen Gelehrte, die sogenannten Scholars, den entsprechenden Vertrag auf seine Scharia-Konformität. In Deutschland zertifiziert seit Mitte 2008 der Zentralrat der Muslime neue Finanzierungs- und Anlageprodukte. Mit dem Zertifikat - laut Booz & Company das Hauptargument der Kunden für einen Kauf - können Banken und Leasinggesellschaften ihre Produkte in der deutschen Community bewerben. Liegen die Unterlagen vollständig vor, nimmt der Zertifizierungsprozess im Schnitt nur zwei bis vier Wochen in Anspruch.

Vor der Initiative des ZMD mussten Verträge ins Englische oder Arabische übersetzt und von ausländischen Gelehrten beurteilt werden, die mit deutscher Gesetzgebung nicht vertraut sind.

Gute Ausgangsbasis für die Verbünde

Damit ist allerdings eine wichtige Hürde für Banken noch nicht genommen, und diese hat mit dem Geschäft selbst zu tun. Als Mittler müssen die Institute das zu finanzierende Konsumgut erwerben und dies in ihren Bilanzen sowie im Risikomanagement berücksichtigen. Am leichtesten fällt dies sicherlich spezialisierten Konsumfinanzierern und Leasinggesellschaften. Eine gute Ausgangsbasis für Islamic Consumer Finance haben auch Sparkassen, VR Banken und Postbank, denn sie verfügen mit ihren gewaltigen Filialnetzen über den besten Kundenzugang. Das Gros muslimischer Vermögen verwalten beispielsweise derzeit die Sparkassen. Als Wegbereiter könnten außerdem Online-Makler dienen, die ihr Angebot über eigene Portale oder über die des Handels vertreiben. Der Aufbau eines mobilen Vertriebs wird sich dagegen erst mit einer größeren Produktpalette rentieren. Und er wird sich anfangs auf Ballungsräume mit einem hohen Anteil an Muslimen wie Berlin oder Köln konzentrieren müssen, um Streuverlusten vorzubeugen.

Die Konsumfinanzierung könnten mittelfristig auch neu gegründete islamische Vollbanken abdecken, die auf große Akzeptanz hoffen dürfen. Nach Booz & Company würden ihnen mehr als die Hälfte der Muslime bei islamischen Produkten den Vorzug geben. Letztlich sind es also nicht wenige Marktspieler, die den ersten Schritt vom Prinzip "Geld gegen Geld" hin zu "Ware gegen Geld" wagen könnten.

Auch über Händlerkooperationen

Wie die Anbieterlandschaft künftig auch aussehen mag: In jedem Fall kann Ethno-Marketing das Geschäft mit Islamic Consumer Finance beflügeln, weil es das nötige Vertrauen schafft. Als deutsche Vorreiter in diesem Feld gelten die Deutsche Bank mit ihrer Tochter Bankamiz oder die Yapi-Corners von Unicredit. Beide bedienen ihre Kundschaft mit zweisprachigen Beratern, was rund die Hälfte der Kaufentscheidungen im Bereich Islamic Finance positiv beeinflussen würde.

Speziell in der Konsumfinanzierung wird das Geschäft aber weniger in der Bankfiliale, sondern vorrangig am Point of Sale gemacht, der nahtlos in die Prozesse von Kredit- und Leasinggebern integriert sein muss. Hier helfen moderne Informationstechnologien. Beispielsweise kann ein Berater im Autohaus islamische und konventionelle Finanzierung nach Bedarf flexibel verkaufen, wenn ihm eine Software die jeweiligen Rahmenbedingungen und Konditionen vorgibt.

Software muss sich anpassen

Und auch hinter diesem sogenannten Front-End müssen die Fäden der unterschiedlichen Abläufe in einem zentralen System zusammenlaufen. Über die Bonität von Muslimen und Nichtmuslimen kann die IT-Lösung nach dem selben automatisierten Verfahren entscheiden, indem sie dazu diverse externe und interne Datenquellen sowie Balanced Scorecards heranzieht.

Die Eigentumsübertragung beim Kreditäquivalent Murabahah bedeutet aber beispielsweise, dass dafür neue Teilprozesse in der Software aufgebaut und integriert werden müssen. Hinzu kommen buchhalterische Funktionen für das Verwalten des Eigentums, selbst wenn dieses nur einen Tag im Bestand des Finanzierers geführt wird.

Alternativ könnten sich Bank und Handel darauf einigen, dass sie auf einen gesonderten Darlehensvertrag verzichten und für Sharia-Konformität die Ratenzahlung direkt in den Kaufvertrag aufnehmen. Auch dieses Modell bringt neue Teilprozesse für das Geschäft und die Aufgabenteilung zwischen Bank und PoS mit sich. Individualsoftware wird hier schnell an ihre Grenzen gelangen, weil einzelne Funktionen meist untrennbar miteinander verdrahtet sind.

Im Vorteil sind dagegen Anwender von Standardsoftware, wenn sie mit der Lösung Teilprozesse als Services bereitstellen können. Diese müssen logisch sauber getrennt sein, sodass sie sich möglichst gut kombinieren lassen.

Da außerdem bei der Konsumfinanzierung viele Beteiligte - auch außerhalb des Unternehmens - zu berücksichtigen sind, müssen alle Services der Standardlösung über einen beliebigen Webbrowser abrufbar sein, wobei der rollenbasierte Zugriff über ein Passwort erfolgt. Beispielsweise kann eine Leasinggesellschaft damit einem türkischen Kfz-Händler die Wahl zwischen konventionellen und islamischen Produkten lassen, ein deutsches Autohaus in einer Gegend mit wenigen Muslimen erhält diese Option dagegen nicht.

Die Bedeutung webbasierter Dienste kann auch über die reine Konsumfinanzierung hinausreichen, wenn dieses Segment nur einen Teil des Bankgeschäfts ausmacht. Dann ist eine Integration in übergreifende Geschäftsprozesse gefragt, beispielsweise in das unternehmensweite, internationale Risikomanagement. Hier stehen Finanzdienstleister aber erst am Anfang.

Jetzt die Weichen stellen

Wie Islamic Finance in Europa insgesamt zum Erfolgsmodell werden kann, zeigt das Beispiel Großbritannien. Dort haben sich High-Street-Player wie Lloyds TSB oder HSBC umfangreich engagiert und islamische Produkte erfolgreich adaptiert.

Auch Finanzdienstleister in Deutschland sollten sich jetzt gezielt in diesem Segment positionieren, denn sie werden es nicht lange unter sich aufteilen können: Erfahrene Finanzinstitute aus dem arabischen Raum signalisieren bereits Interesse, muslimische Kundenkreise in Europa vor Ort zu erschließen. Dies im Hinblick darauf, dass ihre Heimatmärkte der Sättigung entgegenstreben. In den Vereinigten Arabischen Emiraten leben beispielsweise nur rund 4,5 Millionen Menschen, das Pro-Kopf-Einkommen eines Saudi Arabiers ist halb so groß wie das eines Deutschen. Wer das Geschäft hierzulande machen wird, entscheidet sich also in naher Zukunft.

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