Leitartikel

Überzogen

sb - Die Mühlen der Behörden mahlen bekanntlich langsam. Und so ist es kein Wunder, dass die Verbraucherzentralen Themen häufig deutlich früher aufgreifen als das Bundesverbraucherschutzministerium. Das ist auch beim Thema Dispo-Zinsen nicht anders, allein schon durch die Laufzeit der Studie, die das Ministerium beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Auftrag gegeben hatte, um sich ein Bild zum Stand der Dinge zu verschaffen. Und doch drängt sich der Eindruck auf, dass gerade dann, wenn wieder einmal die Kreditwirtschaft ins Visier genommen wird, auch ein gutes Stück Populismus dabei ist. Mit Bankenschelte kommt man am Stammtisch immer gut an.

Auch die zeitgleich mit der genannten Studie vom Ministerium veröffentlichte Forsa-Umfrage mit Blick auf die Dispo-Zinsen legt den Verdacht nahe, dass hier ein Thema hochgespielt wird, das nicht annähernd so brisant ist, wie es die Schlagzeilen glauben machen: Natürlich finden 80 Prozent der Befragten die von ihrer Bank berechneten Zinssätze als zu hoch. Doch ist diese Aussage wenig aussagekräftig, wenn gleichzeitig nur 43 Prozent überhaupt wissen, wie hoch die von ihnen beanstandeten Konditionen eigentlich sind. 85 Prozent würden ihre Bankverbindung nicht wegen günstigerer Dispo-Zinsen wechseln - eine Quote, die nicht nur die Nicht-Nutzer des Überziehungsrahmens enthält. 43 Prozent brauchen denn auch eigenem Bekunden nach keine besseren Vergleichsmöglichkeiten über die Konditionen.

Die Mahnung des Ministeriums, die Banken müssten ihre Kunden besser über die Dispo-Konditionen informieren, scheint vor diesem Hintergrund überzogen. Natürlich wimmelt es in Tageszeitungen und auf Finanzportalen nicht vor Dispo-Zins-Rankings. Wozu auch, wenn diese für eine überwältigende Mehrheit der Kunden kein entscheidendes Kriterium für die Wahl der Bankverbindungen sind? Natürlich könnte man die entsprechende Preisangabe auch im Internet prominenter platzieren - doch müsste dann naturgemäß anderes, das vielleicht mehr interessiert, in den Hintergrund treten. Und dass so viele Bankkunden gar nicht wissen, wie hoch ihr persönlicher Zinssatz bei Kontoüberziehung ist beziehungsweise wäre, liegt vermutlich auch daran, dass sie - mangels Bedarf - nur selten, wenn überhaupt, danach schauen. Eine Informationsschuld der Banken lässt sich daraus nur schwer ableiten.

Was die Höhe der Konditionen angeht, vermutet das Ministerium auf Grundlage der ZEW-Studie Sätze, die auch zu einer Querfinanzierung des Girokontoangebots dienen. Das ist vielleicht gar nicht einmal so falsch, aber auch verständlich. Schließlich wird längst als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Kreditwirtschaft Zahlungsverkehrsprodukte maximal zum Selbstkostenpreis anbietet. Und da die Erträge, die ein stabiles Bankensystem braucht, schließlich irgendwo herkommen müssen, liegt es nahe, einen Zusatzservice, der der Kontokorrentkredit nun einmal ist, etwas üppiger zu bepreisen. Überdies haben Konditionen bekanntlich auch eine Lenkungsfunktion. Mancher Anbieter berechnet deshalb vielleicht mit Bedacht abschreckend hohe Zinsen, um den beabsichtigten Kurzfristcharakter des Dispokredits zu unterstreichen.

In einem Punkt aber hat Ilse Aigner indessen sicher recht: Wenn die Kreditwirtschaft immer wieder betont, der Überziehungskredit sei nur als Überbrückungskredit für kurze Zeit gedacht, dann wäre es nur konsequent, solche Kunden, die ihr Konto auf längere Zeit deutlich überziehen, gezielt auf andere Kreditmöglichkeiten anzu sprechen oder ein Umschuldungsangebot zu unterbreiten. An dieser Stelle besteht mög licherweise der gleiche Nachbesserungsbedarf an den Prozessen, der auch bei übergroßen "Bodensätzen" an Einlagen auf Girokonten noch immer nicht behoben ist.

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