Frühjahrstagung des IWF - "Das Dach ausbessern, solange die Sonne scheint"

Dr. Andreas Dombret Foto: Frank Rumpenhorst (Buba)

Noch hält die globale Wachstumsphase an und gewinnt sogar noch an Breite. Aber die Volkswirtschaften sollten diese günstige Lage nutzen, um ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krisen zu stärken. Diesen positiven Grundtenor der Diskussionen um die aktuelle Lage der Weltwirtschaft hat der Autor auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank ebenso registriert wie die ernsthaften Befürchtungen vor einer Abkehr vom Freihandel und dem multilateralen Handelssystem. Als besorgniserregend und in der aktuell eher günstigen Wirtschaftslage dringlich korrigierbar, auch darin folgt er der Analyse des IWF, bewertet er die hohe private und öffentliche Verschuldung, selbst in einigen Entwicklungsländern, die sich seit dem Schuldenerlass 2013 schnell wieder in erheblichem Maße verschuldet haben. Mit Blick auf die die strategische Ausrichtung des IWF verweist er auf ein neues Rahmenwerk, das den Mitgliedern Orientierung in Fragen der Kapitalverkehrsliberalisierung bietet. (Red.)

Bei der diesjährigen Frühjahrstagung von IWF und Weltbank, die vom 19. bis 21. April in Washington stattfand, tagte der Lenkungsausschuss des IWF (IMFC) erstmals unter der Leitung seines neuen Vorsitzenden Lesetja Kganyago, dem Gouverneur der South African Reserve Bank. Zum Kernprogramm der IMFC-Agenda gehören traditionell Diskussionen über die Lage der Weltwirtschaft und die Präsentation des IWF-World Economic Outlook. Darin hat er die globale Wachstumsprognose von jeweils 3,9 Prozent für dieses und nächstes Jahr beibehalten. Vor allem in den Industrieländern hat sich demnach der Aufschwung nochmals verstärkt, während die Erholung der Rohstoffmärkte vor allem den Schwellen- und Entwicklungsländern zugutekommt. Die globale Wachstumsphase gewinnt an Breite und dauert weiter an, eine nicht immer anzutreffende Situation.

"Window of Opportunity" entschlossen nutzen

Während für den IWF die Chancen und Risiken für die globale Entwicklung kurzfristig ausgewogen sind, überwiegen mittelfristig die Risiken. Die derzeit günstige Lage könnte sich somit künftig eintrüben. Daher sollte dieses kurzfristige "Window of Opportunity" jetzt entschlossen genutzt werden, um Strukturreformen zur Stärkung des Wachstumspotenzials voranzutreiben und die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften gegen Krisen zu stärken. Die geschäftsführende Direktorin Christine Lagarde fasst dies bildhaft zusammen, indem sie dazu aufruft, "das Dach ausbessern, solange die Sonne scheint". Angesichts der mittelfristigen Risiken für die Weltwirtschaft gilt es daher, keine Zeit zu verlieren, da dunkle Wolken schneller am Horizont aufziehen können als man denkt.

Besonders beunruhigend sind nach dem IWF in der mittleren Frist die Gefahren, die der Weltwirtschaft bei einer Abkehr vom Freihandel und dem multilateralen Handelssystem drohen würden. Dies hätte gravierende Folgen, und zwar nicht nur kurzfristig für Handel und Investitionen und somit die Konjunktur, sondern auch viel grundlegender für das künftige Wachstum der Weltwirtschaft und damit den langfristigen Wohlstand. Die Motive für Protektionismus sind mannigfaltig, zum Teil ist es der Wunsch, dadurch Verteilungseffekte der Globalisierung innerhalb von Ländern zu korrigieren. Die Globalisierung kann zwar in der Tat zu solchen unerwünschten Verteilungswirkungen führen, aber Protektionismus löst dieses Problem zu einem hohen Preis: die Wohlstandsgewinne des internationalen Handels gehen verloren.

Ein Handelskrieg kennt erfahrungsgemäß am Ende auf allen Seiten nur Verlierer. Um auf Verteilungseffekte einzuwirken, helfen letztlich nur zielgerichtete Steuer- und Transfersysteme sowie effektive Qualifizierungsmaßnahmen für betroffene Arbeitnehmer. Anders als beim Wetter hat es die Staatengemeinschaft im Falle des Welthandels selbst in der Hand, dunkle Wolken zu vertreiben, indem man in einem Klima gegenseitigen Vertrauens, dessen Bedeutung auch der neue IMFC-Vorsitzende betont hat, am regelbasierten multilateralen System festhält. Die ausdrückliche Mahnung des Fonds an seine Mitglieder, Protektionismus tunlichst zu vermeiden, kann nicht oft genug wiederholt und bekräftigt werden.

Erhebliche Risiken durch hohe Verschuldung

Ein zentrales globales Risiko stellt die hohe private und öffentliche Verschuldung dar, die mit 146 Billionen US-Dollar ein Allzeithoch erreicht hat. Dieses Risiko kann schneller als erwartet eintreten, wenn etwa ansteigende Inflationsraten in steigenden Zinssätzen resultieren. Ein solches Szenario kann - vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern - schnell zu starken Kapitalabflüssen und somit zu besonderen Herausforderungen im Hinblick auf deren Schuldentragfähigkeit und die Finanzstabilität führen.

Auch resultieren höhere Zinssätze rasch in steigenden Finanzierungskosten der Staaten, ungeachtet dessen, ob es sich um Schwellenländer oder fortgeschrittene Volkswirtschaften handelt, wobei der Effekt umso stärker ausfällt, je höher die Verschuldung ist. Daher teile ich die Empfehlung des IWF an seine Mitglieder, die derzeit günstige Konjunktur zu nutzen, um die hohe Verschuldung konsequent abzubauen und fiskalische Puffer möglichst rasch aufzustocken.

Besonders dringlich ist dies für jene Entwicklungsländer, die sich seit dem Schuldenerlass 2013 besorgniserregend schnell wieder in erheblichem Maße verschuldet haben. Dies geht einher mit entsprechend hohem Schuldendienst, der dringend notwendige Investitionen erschwert und die betroffenen Länder im Fall einer Verschärfung der globalen Finanzierungsbedingungen in große Schwierigkeiten bringen kann.

Vereinbarte regulatorische Reformen konsequent umsetzen

Hinzu kommt die oftmals mangelhafte Datenlage hinsichtlich der Verschuldung - sowohl in Bezug auf die Schuldnerseite als auch auf die Gläubigerseite. Die im IWF vorgesehenen Arbeiten zur Stärkung der Schuldentransparenz zur Unterstützung der entsprechenden Initiative der G20 ist daher ein sinnvoller Schritt. Zu begrüßen ist die Anregung des IWF, dass zunehmend bedeutendere Kreditgeber (insbesondere China) internationalen Foren wie dem Pariser Club beitreten oder mit diesem verstärkt zusammenarbeiten.

Die seit der Finanzkrise beschlossenen Finanzsektorreformen sollen maßgeblich dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften zu stärken. Daher ist es unbedingt notwendig, die beschlossenen Reformen auch konsequent umzusetzen. Insbesondere vor einer Schwächung oder gar einer Rückabwicklung zentraler Bestandteile der Finanzmarktregulierung kann nur ausdrücklich gewarnt werden.

Krypto-Token als Nischenphänomen

Ebenso wichtig ist es, die Aufsichtsstandards an neue Entwicklungen anzupassen. Allerdings bedarf nicht jede neue Entwicklung automatisch einer neuen Regulierung. Stattdessen sollte auf diesem Gebiet differenziert vorgegangen werden. Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten Krypto-Token, wie zum Beispiel Bitcoins, die zuletzt in der Öffentlichkeit, aber auch in den internationalen Gremien an Aufmerksamkeit gewonnen haben. In der Tat ist es richtig, die Entwicklung solcher Krypto-Token und die möglichen Auswirkungen für die Finanzstabilität ständig im Auge zu behalten, wie es gegenwärtig auch geschieht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind Krypto-Token aber trotz des aktuellen Hypes nur ein Nischenphänomen.

Das Bitcoin-Netzwerk zum Beispiel wickelt mit zirka 350 000 Transaktionen täglich weltweit immer noch vergleichsweise wenige Zahlungen ab. Zum Vergleich: Allein in Deutschland werden täglich rund 70 Millionen Transaktionen im unbaren Zahlungsverkehr abgewickelt. Ich sehe derzeit weder Auswirkungen auf die Geldpolitik, noch akute Risiken für die Stabilität des Finanzsystems. Entsprechend sehe ich gegenwärtig auch noch keine Notwendigkeit, Krypto-Token unter die Finanzmarktaufsicht zu stellen. Ganz anders ist die Situation aber, wenn es um die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung geht. Hier wäre es durchaus sinnvoll, Unternehmen, die Krypto-Token emittieren oder damit handeln, unter die entsprechenden Vorschriften zu stellen.

Potenziell bedeutsamer könnte der weltweite Trend zu Echtzeitzahlungen sein, der beispielsweise in den skandinavischen Ländern bereits stark in den Alltag integriert ist und zunehmend von Banken angeboten wird. Ob im Person-to-Person, Business-to-Business oder im E-Commerce kann diese Entwicklung die Zahlungsgewohnheiten breiter Gruppen nachhaltig verändern. Voraussetzung ist, dass die Nutzer einen Mehrwert bei diesen neuen Möglichkeiten erkennen und dass deren Einsatz ohne Komplikationen möglich ist. Sobald sich diese Technologie weiter durchsetzt, dürfte auch das Interesse an Krypto-Token nachlassen.

IWF-Mandat bewährt

Fester Bestandteil jeder IWF-Tagung ist neben der Weltwirtschaft natürlich auch die Geschäftspolitik des IWF, die die geschäftsführende Direktorin den Mitgliedern in ihrer Global Policy Agenda vorstellt. Diese Diskussionen berühren immer auch zu einem Teil die strategische Ausrichtung des IWF und somit sein potenzielles künftiges Aufgabenspektrum.

Ein Beispiel hierfür sind die Arbeiten im Bereich des Kapitalverkehrs. Mit dem Institutional View on the Liberalisation and Management of Capital Flows wurde ein Rahmenwerk entwickelt, das den Mitgliedern Orientierung in Fragen der Kapitalverkehrsliberalisierung bietet und das im Lichte der Erfahrungen der Mitgliedsländer stets neu justiert werden muss. Hier geht es um die Abwägung, inwieweit Kapitalverkehrskontrollen oder solche makroprudenzielle Maßnahmen, die auch internationale Kapitalströme beeinflussen können, legitime Schutzfunktionen - etwa für die Finanzstabilität - ausüben oder kaum zu rechtfertigende Hemmnisse gegenüber ausländischen Investoren darstellen.

Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt hier im Rahmen seiner wirtschaftspolitischen Surveillance die ausgesprochen wichtige Funktion eines Beraters für seine Mitglieder zu. Eine Weisungskompetenz oder das Mandat, Länder zu einer bestimmten Politik in diesem Bereich zu bewegen, besitzt er nicht. Dies wird zwar gelegentlich gefordert, doch sollten Entscheidungen über die Gestaltung des Liberalisierungsprozesses angesichts der weitreichenden Konsequenzen sowie der höchst unterschiedlichen institutionellen Voraussetzungen und Gegebenheiten in der Verantwortung der einzelnen Länder verbleiben.

Zu unterstützen sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten des Internationalen Währungsfonds zur Bereitstellung einer makroprudenziellen Datenbank, wie im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft angeregt wurde, um die Transparenz in diesem Bereich zu erhöhen.

Zusammenspiel mit unterschiedlichen, klar umrissenen Aufgaben

Das Mandat des IWF hat sich seit vielen Jahren bewährt; einen Änderungsbedarf sehe ich nicht. Der IWF ist im Rahmen seines derzeitigen Mandats sehr gut für seine Rolle im globalen Finanzsicherheitsnetz gerüstet. Es erlaubt ihm sowohl eine umfangreiche bilaterale und multilaterale wirtschaftspolitische Überwachung zur Krisenprävention als auch eine angemessene finanzielle Unterstützung seiner Mitglieder im Krisenfall.

Damit spielt er, zusammen mit seiner Schwesterorganisation der Weltbank und den anderen internationalen Organisationen wie beispielsweise der Bank for International Settlements, der Organisation for Economic Co-operation and Development und dem Financial Stability Board, eine wichtige Rolle im internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Akteure mit unterschiedlichen, aber auch klar umrissenen Aufgaben, die jeweils ihren spezifischen Blick in die Diskussion der Staatengemeinschaft einbringen, ist eine der wesentlichen Stärken der internationalen Wirtschaftsordnung.

Dr. Andreas Dombret Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main (bis 30. April 2018)
Dr. Andreas Dombret , Global Senior Advisor , Oliver Wyman GmbH, München (und Vorstand i.R., Deutsche Bundesbank)

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