Die Macht, die verunsichert

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Laden oder nicht laden? Diese Frage spaltet derzeit die Bundesrepublik. In der Gesellschaft, unter Freunden, in der eigenen Familie und sogar unter Ehepartnern wird emsig diskutiert und mitunter sogar gestritten, was das Richtige sei. Das schwierige ist: Eine rationale Antwort ist gar nicht so einfach zu finden. Denn eigentlich gibt es keinen vernünftigen Grund, die Corona-App nicht zu laden. Schließlich ist das Argument überzeugend, dass mit einer App künftige Infektionsketten des Corona-Virus sehr viel schneller unterbrochen und eine weitere Ausbreitung, die bis hin zur berüchtigten und gefürchteten 2. Welle gehen kann, verhindert werden können. Auch das Datenschutzthema taugt als Abwehrargument eigentlich nicht. Wer tagtäglich mit seinem Smartphone durch die Innenstädte dieser Republik spaziert, im Internet surft, Siri oder Alexa nach allem Möglichen suchen lässt und schon lange nicht mehr telefoniert, sondern nur noch simst, zwitschert, messagt oder whatsappt hat seine persönliche Fußspur im Datenwust dieses Universums längst ausdrucksvoll und bleibend hinterlassen. Und das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern weit darüber hinaus. Wir alle sind längst gläsern. Und wir sind das bewusst.

Was also lässt einen trotzdem zögern? Es muss etwas mit diesem Aufbegehren gegen Obrigkeiten, diesem Freiheitswillen, diesem Wunsch nach Selbstbestimmtheit und dieser Sorge vor einem "Big Brother", der einen permanent beobachtet, zu tun haben. Der Staat als Kontrolleur, der Staat als oberste Instanz über all die Informationen über mich - das behagt vielen Menschen schlicht und einfach nicht. Dieses Grundgefühl ist nicht neu, es ist seit Jahrhunderten zu beobachten. Aber die moderne Welt mit dem World Wide Web bestärkt es. Informationen werden von den Banken und Sparkassen direkt an die Finanzämter übermittelt. Die Krankenkassen sammeln über vermeintlich nützliche Sport- und Gesundheits-Apps allerlei Wissenswertes über ihre Patienten und passen entsprechend die Tarife an. Intelligente Autos, die auch den leichtesten Anflug von Alkohol wittern und gar nicht erst losfahren oder entsprechend den Geschwindigkeitsvorgaben das Tempo automatisch drosseln. Eine breite Begeisterung für all das hält sich arg in Grenzen. Auch wenn es unzweifelhaft nützlich sein kann. Aber die Mündigkeit des Bürgers geht verloren. Man möchte keinen Staat, der einen permanent beschützt und alles besser weiß, was gut und richtig sein soll, sondern seine eigenen Fehler machen dürfen. Vielleicht müsste manches auch einfach nur besser erklärt, statt "von oben" beschlossen und befohlen werden. Aber Politiker können bekanntlich sehr viel besser reden als erklären.

Und vielleicht ist all dies Unbehagen neben Corona-Frust, Langeweile und einer zunehmenden Gewaltbereitschaft einer immer heterogeneren Gesellschaft auch ein Grund, dass der Respekt vor all dem "Staatlichen" verloren gegangen ist, sollte er überhaupt jemals vorhanden gewesen sein. Aber früher liefen Jugendliche eher weg, wenn ein Streifenwagen kam. Heute gehen sie extra hin und stacheln sich noch an. Immer mit dabei: das Smart phone mit dem alles gefilmt und dann über die sogenannten sozialen Medien geteilt wird. Zum Glück muss man in diesem Fall sagen, denn das Internet vergisst nicht und so werden hoffentlich noch sehr viel mehr der Randalierer beispielsweise von Stuttgart ermittelt werden.

Big Data und vor allem Smart Data sind nicht nur ein Hype, sie sind die Zukunft. Die Welt wird sich mehr und mehr um Daten drehen und mit immer ausgefeilteren Techniken versuchen, an diese Informationen zu gelangen. Denn das Potenzial gesammelter Daten ist schier unendlich: Im Wirtschaftsleben können Unternehmen auf Basis der gewonnen Informationen neue, disruptive, innovative, digitale Geschäftsmodelle entwickeln, Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erzielen und durch die Möglichkeit von präzisen Vorhersagen die richtigen Geschäftsentscheidungen treffen. Die Effizienz des wirtschaftlichen Handelns steigt spürbar an. Vorausgesetzt, die Unternehmen sind in der Lage, all die Daten auch zu bündeln, zu strukturieren und zu analysieren. Es braucht schon die richtigen Daten, in der richtigen Qualität und der richtigen Granularität. Nur so lässt sich das "Wissen" aus all den Datensätzen holen. Das gelingt mehr schlecht als recht: Schon im Jahr 2015 waren laut einer Studie von IBM über 80 Prozent aller vorhandenen Daten ungenutzt, bis 2020 sollte dieser Wert der damaligen Prognose zufolge auf 93 Prozent steigen.

Was aber auch schlicht und einfach daran liegt, dass immer mehr Daten generiert werden. Aktuell beträgt das digitale Datenaufkommen im Jahr 33 Zettabytes. Ein Zettabyte ist eine Maßeinheit für Speicherkapazität und steht für "10 hoch 21" Bytes, also eine Trilliarde Bytes oder in Zahlen ausgedrückt 1 000 000 000 000 000 000 000 Bytes. Das wiederum entspricht 1000 Exabytes oder eine Milliarde Terabytes. Im Jahr 2025 soll sich das jährliche digitale Datenaufkommen schon auf 175 Zettabyte belaufen. Was könnte, was kann man damit alles anstellen? Wer soll da den Überblick, von Kontrolle kann man wohl nicht mehr sprechen, behalten, wenn Quantencomputer permanent diese Datenströme durchforsten, sich vernetzen, die Kapazität immer mehr steigern und von einer künstlichen Intelligenz unterstützt werden, die sich immer weiter entwickelt? Diese Vorstellung begeistert die einen und macht den anderen Angst.

Ist diese Sorge der Menschen um ihre persönlichen Daten und damit ein Stück weit auch um ihre Freiheit und Selbstbestimmtheit berechtigt oder ist sie ein Relikt aus der Vergangenheit und Zukunft verhindernd? Gibt es wirklich einen guten oder einen schlechten, einen moralischen oder einen unmoralischen Zweck der Nutzung von Daten und Informationen? Oder müssen wir Älteren uns nicht vielmehr alle daran gewöhnen, dass eben manches anders sein wird als früher?

Dass das geht, hat die Corona-Krise gezeigt, die sicherlich ein Beschleuniger der Entwicklung ist. Zwar vermissen wir die Gespräche und Treffen mit Kollegen, Geschäftspartnern und Freunden, aber man hat sich arrangiert und sich mit vielem abgefunden, was so früher eigentlich nicht infrage kam. Homeoffice, Skypen, Zoom-Konferenzen und E-Mail-Kommunikation sind längst vertrauter Alltag. Laut einer Auswertung der Quadient CXM Germany GmbH war in den ersten fünf Monaten die Frequenz der an Kunden versandten E-Mails weltweit um mehr als 30 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Das ist einem höheren Informationsbedarf aufseiten der Verbraucher geschuldet. Betroffen, so die Studie, waren beispielsweise Bereiche wie Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Energie oder Telekommunikation. Auch das sind übrigens wieder neue Datenströme und Datensätze.

All das ist zweifelsohne nützlich und effizienzsteigernd. Aber ist es nicht auch ein bisschen gefährlich, wenn immer mehr Daten im Netz herumschwirren. Denn schließlich versuchen nicht nur der Staat, die Aufsicht und andere "Gute" daraus Wissen und Mehrwert zu generieren. Sondern es gibt auch noch die böse, die dunkle Seite dieser Macht. Allein im März ist die Zahl der verhinderten Cyberangriffe im Vergleich zum Februar um etwa 30 Prozent gestiegen. Davon betroffen sind Privatpersonen, Unternehmen, aber auch Politiker und andere Institutionen.

Daten mögen das Gold des 21. Jahrhunderts sein. Entsprechend wird auch um sie gekämpft. Man sollte sie also nicht allzu offen rumliegen lassen.

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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