Funktionsbewertung in der Finanzbranche - von der grauen Maus zum modernen Personalinstrument

Abbildung 1: Erfahrungen mit Funktionsbewertungssystemen - Einfachheit und Pragmatik als wichtigstes Kriterium für Institute (Angaben in Prozent)

Petra Knab-Hägele, Senior Partner, Carsten Roth, Senior Manager und Sarah Wessling, Senior Analyst, alle hkp group, Frankfurt am Main - Anders als in der Industrie registrieren die Autoren für die Funktionsbewertung in der Finanzbranche langezeit nur geringe Aufmerksamkeit. Ihrer Einschätzung nach war die Bewertung von Funktionen zum Zwecke des Vergleichs von Anforderungen und Vergütungen vielen Instituten schlicht nicht wichtig genug. Dass sich dieses Bild ändert, schließen sie nicht zuletzt aus den Ergebnissen einer hauseigenen Studie: Mehr denn je erweist sich Funktionsbewertung mit ihren zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten auch oder gerade in der Finanzbranche als wichtiges Instrument eines modernen HR-Managements. (Red.)

Der Nutzen von Funktionsbewertungssystemen als Ordnungsinstrument für Organisationen ist unstrittig. Basierend auf einer objektiven Bewertung von Funktionen lassen sich eine Vielzahl an personal- und vergütungspolitischen Instrumenten und Prozessen etablieren. Die Definition von Vergütungsbändern sowie die Ableitung von Karrierepfaden sind nur zwei konkrete Beispiele für entsprechende Nutzungsmöglichkeiten.

Einheitlicher Ordnungsrahmen

Funktionsbewertung verändert auch den Blick auf eine Organisation. Während traditionell die Wertigkeit einer Funktion aus ihrer Berichtslinie abgeleitet wurde, ermöglicht die systematische Funktionsbewertung eine Einschätzung des relativen Werts einer Funktion, unabhängig von ihrer hierarchischen Einordung. Gerade in der Finanzbranche findet sich häufig eine Vielfalt an Funktionen und historisch gewachsenen Organisationsstrukturen, die sich oftmals an Titeln und Hierarchieebenen orientieren. Diese haben den Nachteil, dass sie personenabhängig und wenig transparent beziehungsweise nachvollziehbar sind.

In einem solchen Umfeld schafft ein Funktionsbewertungssystem einen einheitlichen Ordnungsrahmen, der die Entwicklung regulatorisch konformer und wettbewerbsfähiger Vergütungspakete erleichtert. Berücksichtigt wird neben den inhaltlichen Anforderungen der jeweiligen Funktion auch der Verantwortungsbereich, die hierarchische Einstufung oder die Erfahrung, über die ein Stelleninhaber verfügen muss.

Die zurückliegenden Entwicklungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch in der Finanzbranche den Blick auf die Notwendigkeit von Funktionsbewertung als Rückgrat eines modernen und leistungsfähigen HR-Managements geschärft. In der Vergangenheit hatten sich bei Banken und sonstigen Kreditinstituten doch allzu häufig Sonderfälle auf verschiedensten Ebenen als Normalität etabliert.

So erwiesen sich Vergütungen mehr und mehr als nicht marktgerecht. Sie beruhten oft auf Einzelfallentscheidungen, beispielsweise resultierend aus externen Einstellungen, und waren nicht aus Funktionswertigkeiten abgeleitet. Auch wiesen die Vergütungsniveaus einer Berichtsebene häufig unüblich hohe Bandbreiten auf. Die jährlichen Anpassungen der Vergütungsniveaus wurden kaum funktionsbezogen differenziert. Ob Vergütungen insgesamt marktkonform sind, konnte nicht systematisch geprüft werden.

Hinzu kommt die Heterogenität und Komplexität in der variablen Vergütung. Die bestehenden variablen Vergütungssysteme sind vielfach historisch gewachsen, nicht an Wertigkeitsebenen geknüpft und häufig eher mit Personen als mit Funktionen verbunden. Die einzelnen Bestandteile haben in ihrer Höhe und Struktur vielfach nicht den marktüblichen Standards entsprochen.

Titel und Berechtigungen Verhandlungssache

Wenig transparente Karriereoptionen verhindern zudem eine zielgerichtete Personalentwicklung. Sinnvolle Entwicklungspfade können nicht auf Basis unternehmensweiter Funktionswertigkeiten dargestellt werden. Funktionswechsel zwischen Geschäftseinheiten und Funktionsbereichen werden dadurch erschwert. Ein hierarchischer Aufstieg ist häufig nur in der Management-Laufbahn eines Bereichs möglich, wobei sich der Wert einer Funktion häufig nach der Anzahl der permanent zugeordneten Mitarbeiter bemisst. Vergleichbare Entwicklungsmöglichkeiten in Projektleitungs- und Fachfunktionen als wesentliche Elemente einer modernen Personalentwicklung wurden bislang kaum systematisch genutzt.

Zudem waren und sind auch gerade in Banken Titel und Berechtigungen Verhandlungssache. Titel auf Visitenkarten, Einladungen zu Führungskräftetagungen, Mailverteiler für Vorstandsinformationen oder Berechtigungen für Sonderparkplätze erweisen sich dabei häufig als Quelle von Unzufriedenheit bei Führungskräften und Mitarbeitern. Aber statusrelevante Merkmale wurden oft individuell vergeben und eher von persönlichen Beziehungen als von Stellenwertigkeiten abhängig gemacht.

Regulatorische Anforderungen als zusätzlicher Treiber

Dabei ist gerade in der Finanzbranche eine verantwortungsvolle und nachhaltige Personalpolitik mehr denn je von zentraler Bedeutung, geht es doch um die Gestaltung regulatorisch konformer, wettbewerbsfähiger Vergütungspakete. Dies ist herausfordernd insbesondere vor dem Hintergrund der Vielzahl an Neuregelungen und auch deren Umfang beziehungsweise Detailtiefe. Zu den komplexen branchenspezifischen Regelwerken, die unter anderem die Anforderungen an Vergütungssysteme festlegen, gehören auf europäischer wie nationaler deutscher Ebene nicht zuletzt die Vorgaben aus CRD IV, AIFMD, OGAW V, Solvency II oder der Institutsvergütungsverordnung.

Bei all diesen regulatorischen Anforderungen steht eine umfassende und transparente Dokumentation der Vergütungssysteme im Fokus. Es wird gefordert, dass die Grundsätze der Vergütung transparent und nachvollziehbar in den Organisationsrichtlinien festgelegt werden. Damit ist die Forderung nach dem Einsatz eines Funktionsbewertungssystems zwar nicht konkret ausgesprochen, aber impliziert.

In der Umsetzung dieser regulatorischen Vorgaben erleichtert ein Funktionsbewertungssystem die tägliche Arbeit: Funktionen können organisations- und länderübergreifend für den gesamten handels- und oder aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis eines Instituts beziehungsweise einer Institutsgruppe definiert und anhand einheitlicher Kriterien bewertet werden. Im Ergebnis entsteht ein unternehmensweit einheitlicher Funktionskatalog, der Transparenz über die vorhandenen Funktionen sowie deren Verantwortlichkeiten und Wertigkeiten schafft.

Wertigkeit von Funktionen als Basis für Vergütung

Laut regulatorischen Vorgaben soll beispielsweise die Fixvergütung von Mitarbeitern in Banken Fähigkeiten, Erfahrung, Ausbildung und organisationale Verantwortung widerspiegeln.1) Dies alles sind typische Kriterien in Systemen, die die Wertigkeit von Funktionen definieren und als Basis für die Festlegung von Vergütungen dienen. Eine weitere zentrale Forderung an Vergütung ist deren Angemessenheit. Auch hier unterstützt Funktionsbewertung in der Festlegung der entsprechenden Höhe und Zusammensetzung. Einmal definierte Eckpfeiler für die Vergütung lassen sich anschließend relativ einfach und routinemäßig überprüfen, nicht zuletzt durch die Einbeziehung externer Gehaltsvergleiche und Vergütungsstudien.

Neben dem Grundgehalt orientiert sich die variable Vergütung in der Regel an der Wertigkeit, teilweise in Kombination mit Funktionsfamilie, Leistungen zur betrieblichen Altersversorgung oder Abstufungen von Zulagen. Abfindungen lassen sich ebenfalls mit Funktionswertigkeiten verbinden. Insgesamt können Leistungen personen- und ermessensunabhängig mit der definierten Funktionswertigkeit oder den nach Wertigkeiten geschnittenen Ebenen verknüpft und transparent in der Vergütungsstrategie abgebildet sowie in den Organisationsrichtlinien dokumentiert werden.

Institute können bei der Bewertung verschiedene Funktionen zusammenfassen und dabei auch Führungs- und Expertenrollen berücksichtigen. Ebenfalls berücksichtigen lässt sich der Einfluss auf das Risikoprofil des Instituts, der Division oder der Niederlassung. Einzelne Job-Familien - wie zum Beispiel Investmentbanking oder Risk Management - können in diesem Kontext als besonders relevant eingestuft werden. Innerhalb von Jobfamilien (aber auch übergreifend) können Wertigkeitsniveaus festgelegt werden, ab dem Funktionen personalpolitisch und aus regulatorischer Perspektive als sogenannte Risikoträger fungieren. Eine Selektion der Risikoträger, die über die Delegierte Verordnung der Europäischen Kommission zur Risikoträgerselektion2) hinausgeht und sich an Wertigkeitsebenen orientiert, erleichtert den Funktionswechsel.

Einschätzungen der Institute - Ergebnisse einer aktuellen Studie

In einer Studie mit 117 teilnehmenden Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat die hkp///group Anfang 2016 die Nutzung und die Gründe für die Verwendung von Funktionsbewertungssystemen analysiert. Die Finanzbranche stellte mehr als ein Fünftel der Teilnehmer, sodass es möglich war, Trends in Finanzfirmen jenen in anderen Branchen gegenüberzustellen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Die Studie belegt, dass immerhin rund drei Viertel der Teilnehmer aus der Finanzbranche Funktionsbewertungssysteme nutzen, während in der breiten Wirtschaft neun von zehn Unternehmen darauf zurückgreifen. Insbesondere Unternehmen der Finanzbranche schätzen dabei die einfache und pragmatische Anwendung von Funktionsbewertungssystemen als wichtiger ein als Unternehmen anderer Branchen. Auch setzen Institute eher auf einfache, summarische Verfahren, wohingegen der Rest der Teilnehmer in stärkerem Maße analytische Verfahren nutzt. Bei summarischen Verfahren, werden die Anforderungen der Funktion in der Gesamtheit betrachtet, während bei analytischen Verfahren die Anforderungen anhand verschiedener einzeln gewichteter Kriterien bewertet werden. Entscheiden sich Institute gegen die Verwendung eines Funktionsbewertungssystems, sind insbesondere die Komplexität und der damit verbundene Einführungs- und Pflegeaufwand die Hauptgründe (Abbildung 1).

Sofern Institute auf die Funktionsbewertung als HR-Management-Tool zurückgreifen, liegt ihr Nutzungsschwerpunkt auf der Definition von Vergütungsbändern, also von Spannbreiten in der Vergütung für Funktionen beziehungsweise Job-Familien. Anders als Industrieunternehmen verzichten Institute jedoch auf eine breitere Nutzung von Funktionsbewertung. Vor dem Hintergrund des bisherigen stiefmütterlichen Daseins von Funktionsbewertung in der Finanzbranche überrascht das nicht (Abbildung 2).

Mehrwert durch Verknüpfung

Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich dieses Bild mittelfristig ändern wird und Institute neue, moderne Funktionsbewertungssysteme auch mit andern HR-Kernprozessen verknüpfen werden. Beispiele dafür sind das Aufzeigen von Karrierewegen, die Auswahl geeigneter Bewerber, die Personalbedarfsplanung und die Vergabe von Titeln. Der durch eine solche Verknüpfung geschaffene Mehrwert ist schlicht sehr hoch.

Keine nennenswerte Unterscheide zwischen Finanzbranche und sonstiger Industrie zeigen sich dagegen bei den im Rahmen von Funktionsbewertung verwendeten Bewertungskriterien: Komplexität, Einfluss, Kommunikation und Kenntnisse sind überall die zentralen Parameter zur Einschätzung der Wertigkeit einer Funktion. Das lässt den Schluss zu, dass Finanzunternehmen die Systeme zwar anders nutzen, grundsätzlich jedoch ähnliche Systeme wie andere Branchen verwenden.

Eine interessante Besonderheit in der branchenspezifischen Nutzung von Funktionsbewertung zeigt sich bei den Zielgruppen: Finanzunternehmen verwenden Funktionsbewertungssysteme stärker im mittleren bis unteren Führungskreis sowie in Fachfunktionen im AT-Bereich. Insbesondere das Topmanagement steht weniger im Fokus als bei den Industrieunternehmen. Aber auch hier ist davon auszugehen, dass es in den kommenden Jahren zu einem Angleichen an die sonstige Marktpraxis kommen wird (Abbildung 3).

Erfolgsfaktoren in der Einführung von Funktionsbewertung

Obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, bestehen insbesondere in mittelgroßen und kleinen Unternehmen Vorbehalte gegenüber der Funktionsbewertung. So wird von den Studienteilnehmern aufgrund der Komplexität marktgängiger Standardsysteme ein hoher Einführungsaufwand und eine spätere Abhängigkeit vom Systemlieferanten befürchtet. Moderne Personalabteilungen sind heutzutage so schlank aufgestellt, dass es kaum möglich ist, größere Sonderprojekte neben dem Tagesgeschäft zu bewältigen. Gerade auch bei Finanzdienstleistern binden zudem die Analyse und Umsetzung der zahlreichen regulatorischen Vorgaben ein hohes Maß an Ressourcen gerade im Personalbereich.

Abgesehen von der Manpower fehlt zumeist auch die Expertise, solche Vorhaben intern zu bewältigen. Da die Komplexität vieler Bewertungssysteme den Dreh- und Angelpunkt etlicher Einwände darstellt, ist der Trend zu einfacheren Verfahren nicht überraschend. Diese Entwicklung zeigt sich beispielsweise an der Verwendung einer geringeren Anzahl sowie einfacheren Ausgestaltung von Bewertungskriterien, einer Abkehr von streng analytischen und tendenziell aufwendigen Verfahren hin zu einfacheren und pragmatischeren Verfahren und der Verwendung von Anker beziehungsweise Referenzfunktionen, statt einer detaillierten Bewertung aller Einzelpositionen.

Idealerweise etabliert sich die Funktionsbewertung als zentrales Management-Instrument, das eine enge Verbindung zu weiteren HR-Instrumenten und -Prozessen aufweist. Erfolgskritisch für die Akzeptanz der Bewertungsergebnisse ist die frühe Einbindung der Fachbereiche die das funktionale Know-how zu den zu bewertenden Funktionen einbringen, ebenso wie eine klare Kommunikation und ein transparenter Prozess. Funktionsbewertung ist ein Managementthema, dass beim Topmanagement angesiedelt werden sollte. Ein zentral gesteuertes Design, die operative Implementierung und die Pflege sind klassische HR-Themen, während die Freigabe der Funktionen Management- und Führungsthemen sind.

Die relativ hohe Teilnahmequote von Finanzdienstleistern in der aktuellen Studie ist letztlich ein Indiz für die zunehmende Aufmerksamkeit, die das Thema Funktionsbewertung in der Finanzbranche genießt und die sich auch mit den Eindrücken aus zahlreichen Beratungsprojekten deckt.

Noch ist die Nutzung von Funktionsbewertung bei Banken weniger stark verbreitet als in anderen Industriebereichen. Aber das Interesse an standardisierten, einfachen und transparenten Systemen steigt. Dafür spricht auch, dass die immer komplexer werdenden regulatorischen Vergütungsanforderungen inklusive Dokumentationspflichten eine transparente und nachvollziehbare Strukturierung von Funktionen unausweichlich werden lassen.

Erleichterung von Steuerung, Reporting und Datenpflege

Grundsätzlich liegen die größten Vorteile einer Funktionsbewertung aufseiten von größeren und komplexeren Organisationen, in der Regel mit mehreren Tochtergesellschaften. Dies gilt auch für Finanzinstitute, bei denen die regulatorischen Vorgaben den Bedarf nach einem Ordnungsinstrument erhöhen. Existiert ein einheitlicher und strukturierter Funktionskatalog, erleichtert dies die Gruppensteuerung, das Reporting sowie die Pflege von Personalmanagementdaten.

Funktionsbewertung ordnet nicht nur, sondern schafft im gleichen Zuge auch höchste Transparenz bei Anforderungen und Vergütungen - und dies nach innen und außen. Richtig eingesetzt und auch adäquat nach innen wie außen kommuniziert, kann sie ein neues Maß an Glaubwürdigkeit schaffen, das gerade in einer grundsätzlichen Vertrauenskrise wie der aktuellen willkommen sein dürfte.

Fußnoten

1) Vgl. EBA/GL/2015/22 (EBA Guidelines on sound remuneration policies), RZ 182.

2) Vgl. Delegierte Verordnung (EU) Nr. 604/2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU in Bezug auf qualitative und quantitative Kriterien zur Ermittlung der Mitarbeiterkategorien, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil eines Instituts auswirkt.

Petra Knab-Hägele , Senior Partnerin , hkp Deutschland GmbH, Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X