Quantifizierung von Marktpreisrisiken bei Eigenanlagen am Beispiel Immobilieninvestments

Martin Reuß, Foto: M. Reuß

Bei vielen Kreditinstituten sind in der aktuellen Niedrigzinsphase die Eigenanlagen verstärkt in den Blickpunkt gerückt. Mit der Verbreiterung des Portfolios, beispielsweise um Immobilien, steigen dabei die Anforderungen an das Risikomanagement. Für die Messung des marktpreisinduzierten Immobilienrisikos hält der Autor eine investitionsartenübergreifende Betrachtung aller Objekte mangels verfügbarer Preisinformationen nicht für möglich. In der Risikomessung auf Basis von standort- und nutzungsartenspezifischen Immobilienpreisindizes sieht er aber eine valide Ausgangsbasis von Marktdaten. Eventuelle Schwächen der Datenbasis für Zwecke des Risikomanagements will er mit besonderen Modellierungsansätzen behoben und wichtige ertrags- und objektbezogene Risiken zusätzlich gesondert berücksichtigt wissen. (Red.)

Immobilieninvestments bilden für Kreditinstitute seit langem eine bedeutende Position im Rahmen der langfristigen Vermögensallokation. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Niedrigzinsumfeldes haben sie in den vergangenen Jahren aufgrund ihres besonderen Risiko-Ertrag-Profils häufig weiter an Bedeutung gewonnen. Hierbei kommt einer angemessenen Risikomessmethodik, die den spezifischen Eigenschaften dieser Anlageklasse in besonderer Weise Rechnung trägt, eine entscheidende Bedeutung in der Risikotragfähigkeitskonzeption zu.

Einheitliche Methodik zur Risikomessung

Die Institute haben bei der Marktpreisrisikomessung ihrer Immobilienengagements versucht, eine über alle Investitionsarten (Direktbestände mit teilweiser oder vollständiger Eigennutzung 1), Publikums- und Spezial-Investmentvermögen (AIF) sowie (Beteiligungsanlage-)Tochtergesellschaften) hinweg einheitliche Risikomessmethodik zu etablieren und die individuellen Charakteristika wie Lage, Nutzungsart oder Objektzustand dabei in geeigneter Weise zu berücksichtigen.

Aufgrund der dargestellten Heterogenität der Risikoklasse Immobilien ergeben sich besondere Herausforderungen in der Modellierung des Immobilienrisikos. Klassischerweise lässt sich das Immobilienrisiko in drei wesentliche Hauptklassen separieren:

- Wertänderungsrisiko im Sinne eines marktinduzierten Rückgangs des Verkehrs- beziehungsweise potenziellen Veräußerungswertes aufgrund allgemeiner Preisniveauveränderungen,

- Ertragsrisiko im Sinne eines Absinkens des Mietpreisniveaus beziehungsweise eines vollständigen Mietausfallrisikos bei säumigen Bestandsmietern oder Leerständen,

- Objektrisiken im Sinne rein objektinduzierter Wertminderungen zum Beispiel durch Baumängel oder Ähnliches im Rahmen faktischer Gegebenheiten und daraus resultierender Nutzungsmöglichkeiten.

Risikomessung auf Basis von Vergleichsinformationen

Die folgenden Ausführungen beschränken sich aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für das Marktpreisrisikomanagement auf die Möglichkeit der Modellierung des reinen marktinduzierten Wertänderungsrisikos in der Praxis.

Eine Marktpreisrisikomessung auf Basis der individuellen Portfolioobjekte ist in praxi aufgrund fehlender objektbezogener und vor allem marktvalider Preisinformationen mit einer angemessenen Historienlänge faktisch ausgeschlossen. Damit verbleibt in aller Regel lediglich die Implementierung einer auf Basis geeigneter Vergleichsinformationen beruhenden Risikomessheuristik.

Diese Vergleichsinformationen stehen üblicherweise in unterschiedlichen Granularitätstiefen (Großstädte, Landkreise, Staaten) und für verschiedene Nutzungsarten (wohnwirtschaftliche oder sektoral gegliederte gewerbliche Nutzung) in Form von auf realen Transaktionen beruhenden Preisindizes 2) durch unterschiedlich ausgerichtete und spezialisierte Datenanbieter zur Verfügung.

Modellierung einer geeigneten Wertänderungszeitreihe

Beim Aufbau einer auf Immobilienpreisindizes beruhenden Risikomessmethodik wird typischerweise eine Zerlegung eines, einem konkreten Objekt zugrunde liegenden, Marktpreisrisikofaktors R in der Form

Rgesamt = RMarkt + Ridiosynkratisch

unterstellt, wobei das marktinduzierte Wertänderungsrisiko des Objekts aus den Risikoinformationen der Immobilienpreisindizes abgeleitet wird. Der objektspezifische, idiosynkratische Risikoanteil des Wertänderungsrisikos (ohne das operationelle Objektrisiko), wie die marktpreisbestimmenden Determinanten Objektzustand, Mikrolage, Mieterstruktur und so weiter, ist demgegenüber objektindividuell, in aller Regel auf Basis fundierter Expertenschätzungen, separat zu ermitteln.

Bei der Betrachtung von historischen Marktpreisinformationen in Form von Immobilienpreisindizes wird man jedoch typischerweise mit zwei wesentlichen Unzulänglichkeiten der verfügbaren Zeitreihendaten konfrontiert:

- Einerseits stehen die benötigten Zeitreihen beziehungsweise Indizes in Abhängigkeit der Granularitätsebene lediglich für eine aus Risikomanagementsicht unbefriedigend kurze Historienlänge zur Verfügung.

- Andererseits, und mit ersterem koinzidierend, weisen die Preisindizes für Deutschland beziehungsweise deutsche Städte und Landkreise in den vergangen Jahren deutlich mehr Wertsteigerungen als Wertrückgänge auf.

Dieser, aus Portfoliomanagementsicht überaus positiv zu wertende Umstand, bereitet im Rahmen einer Risikomessung jedoch entsprechende Probleme, da hier gerade Wertänderungsrisiken im Sinne von potenziellen Wertverlusten gemessen werden sollen. Abhängig vom eingesetzten Risikomaß sind in der Praxis, nach Ermittlung der periodischen Wertänderungen (Renditen rt) aus den vorhandenen Indexzeitreihenwerten It (betrachtungsebenen- und ortsabhängig regelmäßig Jahres- oder Quartalsdaten) gemäß

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unterschiedliche Möglichkeiten denkbar:

Variante A: Ausschließliche Verwendung der vor handenen Menge R der ermittelten Zeitreihenrenditen rt

Variante B: Erweiterung der gegebenen Renditezeitreihe R um die Zeitreihe R* der invertierten Renditen r*

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Variante C: Erweiterung der gegebenen Renditezeitreihe R um die Zeitreihe R** der gespiegelten Renditen r**

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Bestimmung geeigneter Risikomaße

Hieran anschließend erfolgt dann jeweils die Bestimmung geeigneter Risikomaße. 3)

Während mit Möglichkeit A die gegebenen Zeitreiheninformationen, beispielsweise zur Bestimmung der Stichprobenstandardabweichung s oder darauf aufbauend eines aus den Lageparametern abgeleiteten Parametrischen Value at Risks

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unverändert genutzt werden, erweitern die Varianten B und C die initialen Zeitreiheninformationen zunächst zu einer doppelt so großen Wertänderungszeitreihe (R U R* beziehungsweise R U R**) und ermitteln das Risikomaß auf Basis der Vereinigungsmenge, was beispielsweise auch eine reine Bestimmung des (für das Risikomanagement sinnvolle nicht positiven) Quantilswert Q1-Alpha ermöglicht, sollte die (kurze) Originalzeitreihe nur positive Wertänderungen aufweisen.

Den beiden Erweiterungsvarianten liegt dabei die Überlegung zugrunde, dass positive Wertänderungen für einen realistischen Risikomesswert alleine verhältnismäßig wenig aussagekräftig sind und einer impliziten Normalverteilungsannahme folgend (häufig liegen jedoch bei keiner der drei Möglichkeiten normalverteilte Wertänderungen vor) hierzu symmetrische, negative Wertänderungen auftreten sollten beziehungsweise bei längerer Beobachtungsperiode in Zukunft auch tatsächlich werden. Während Variante B eine zutreffende Relativwertänderung erzeugt, besitzt Variante C, neben ihrer Einfachheit, den Charme eine mit Mittelwert null symmetrische Gesamtwertänderungszeitreihe zu erzeugen.

Zeitreihe um Autokorrelationseffekte bereinigt

Die Effekte der Möglichkeiten A und C werden beispielhaft auf Basis des jährlichen Eurostat- Hauspreisindex für Deutschland für 2005 bis 2018 4) dargestellt: Während die sehr kurze Originalwertänderungszeitreihe R eine deutliche Linksschiefe aufweist, ist die unter Einbezug der gespiegelten Wertänderungen synthetische Zeitreihe R U R** um den Mittelwert null symmetrisch. Abbildung 1 zeigt das jeweilige Histogramm im Vergleich zu einer normalverteilten Wertänderungsverteilung.

Abbildung 2 stellt die Lageparameter der beiden Verteilungen sowie die jeweiligen Risikomesswerte (VaR 99% und Q99%) dar. Durch die Spiegelung entspricht der Maximalwert aus R dem Minimum in R U R**. Ebenso sind die Risikomesswerte bei Erweiterung um die gespiegelte Zeitreihe deutlich höher und realistischer.

Um die vorhandene Zeitreihe um möglicherweise vorhandene Autokorrelationseffekte zu bereinigen, bietet sich beispielsweise das Blundell/Ward-Verfahren an, das die Zeitreihenvolatilität/-standardabweichung Sigma beziehungsweise s mit Hilfe des Autokorrellationskoeffizienten Rho mit Lag 1 erhöht:

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Zerlegung der Gesamtmarktwertentwicklung

Eine deutlich realitätsgetreuere Approximation der Wertentwicklung eines Einzelobjekts und damit der Risikomesswertbasis lässt sich durch Berücksichtigung der konkreten Nutzungsart(en) über die Verwendung von Immobilienteilmarktindizes erreichen. Der marktinduzierte Risikofaktor RMarkt wird in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Teilmarktindizes beispielsweise in die Risikofaktoren wohn-, büro- und sonstige gewerbewirtschaftliche Nutzung zerlegt:

RMarkt = RWohnen + RBüro + RGewerbe

Damit ergäbe sich der Risikomesswert für ein Objekt i mit Verkehrswert V i bei 30-prozentiger gewerblicher und 70-prozentiger wohnwirtschaftlicher Nutzung aus einer entsprechenden quotalen, nutzungsartenspezifischen Risikomesswertkumulation 6)

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Gesamtwertänderungsrisiko des Immobilienportfolios

Zur Bestimmung des durch die Immobilienanlagen induzierten Marktpreisrisikos für das Gesamtinstitut ergibt sich schließlich folgende Gesamtvorgehensweise:

1) Identifikation der Verkehrswerte aller Einzelobjekte unabhängig vom Investitionsvehikel (Direktbestand, Fonds, Tochtergesellschaft ...), den jeweiligen Nutzungsanteilen der zur Verfügung stehenden Teilindizes (Wohnen, Gewerbe, Büro ...), die Standorte sowie für die periodische RTF die Investitionsvehikel- Buchwerte

2) Bestimmung der Einzel-Risikomesswerte (VaR, Quantilswert, ...) für jeden nutzungsartenspezifischen Teilindex je Standort (auf geeigneter Granularitätsebene) sowie gegebenenfalls die einzelnen Stand ort-Nutzungsarten-Korrelationen

3) Bestimmung der Risikowerte für alle Einzelobjekte auf Basis der Indexrisikomesswerte unter gegebenenfalls objektspezifischer Adjustierung zur Abdeckung des idiosynkratischen Anteils

4) Ermittlung des aktuellen RDP-Bedarfs

a) ökonomisch: Aggregation der Einzelobjektrisikomesswerte,

b) normativ: Aggregation der Einzelrisikomesswerte je Investitionsvehikel unter Berücksichtigung der jeweiligen Vehikel-Buch werte.

Ertrags- und objektbezogene Risiken gesondert berücksichtigen

Insgesamt bietet die Verwendung von Immobilienpreisindizes eine sehr gute Möglichkeit zur Quantifizierung des marktpreisinduzierten Wertänderungsrisikos bei Immobilieninvestitionen in der Praxis. Die vorgestellten Möglichkeiten, wie beispielsweise der Spiegelung von Wertänderungen zum Umgang mit teilweise kurzen, trendbehafteten Datenhistorien für einzelne Regionen, stellen einen praxisorientierten Lösungsansatz für Zwecke des Risikomanagements dar.

Gleichwohl bleibt es die zentrale Aufgabe, die Geeignetheit für den eigenen Immobilienbestand sicherzustellen und zusätzliche ertrags- und objektbezogene Risiken bei entsprechender Wesentlichkeit gesondert zu berücksichtigen. Das spezifische Modellrisiko, das bei einem Risikomessmodell für ein heterogenes Asset wie Immobilienanlagen verbleibt, darf jedoch nicht unterschätzt werden. Durch gesonderte Validierungsmaßnahmen sind diese jedoch im Allgemeinen gut steuerbar.

Die vorliegenden Darstellungen und Ausführungen spiegeln die persönliche Meinung des Autors wider und müssen nicht mit der Sicht der Sparkasse Pforzheim Calw übereinstimmen.

1) Da eine eigenbetriebliche Nutzung, z. B. in Form eines Filialstandortes, in der Zukunft nicht zwingend ist, sollte auch ein Einbezug dieser Objekt(teil)e in das Immobilienrisiko erfolgen.

2) So zieht z. B. die Deutsche Bundesbank auch Daten der bulwiengesa AG oder vdp heran. Vgl. Deutsche Bundesbank (2019), Monatsbericht Februar 2019, S. 55-59.

3) Das zu verwendende Risikomaß ist in aller Regel bereits durch das für die anderen Risikoklassen des Marktpreisrisikos herangezogene Risikomaß vorgegeben.

4) Quelle: https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do; abgerufen am 21.6. 2019. Die Daten des Eurostat-Hauspreisindexes sind auch auf Quartalsbasis verfügbar. Da Daten für einzelne Städte oder Landkreise häufig jedoch nur auf Jahresbasis zur Verfügung stehen, wird auch hier auf Jahresdurchschnittsdaten zurückgegriffen.

5) Vgl. Albrecht, Peter und Maurer, Raimond (2016), Investment- und Risikomanagement, 4. Auflage, S. 1011 f.

6) Eine zutreffendere Approximation liefert eine zusätzliche Berücksichtigung der Korrelationen zwischen den Nutzungsarten z. B. i. R. eines Varianz- Kovarianz-Ansatzes. Eine Nichtberücksichtigung wirkt konservativ bis risikoüberzeichnend.

Martin Reuß Controlling/Backoffice Eigenanlagen, Risikocontrolling, Sparkasse Pforzheim Calw, Pforzheim
Martin Reuß , Controlling/Backoffice Eigenanlagen, Risikocontrolling, , Sparkasse Pforzheim Calw

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