Das Sparverhalten privater Anleger bei niedrigen Zinsen in Theorie und Praxis

Prof. Dr. Friedrich Thießen, Technische Universität Chemnitz, Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, und Felix Thron, Wissenschaftler am Finanz- und Bankwirtschaftlichen Lehrstuhl der TU Chemnitz Welche Motive bestimmen das Sparverhalten der Privaten? Und wie passen die theoretischen Überlegungen mit den empirischen Befunden zusammen? Die Autoren stellen die Theorien zur Erklärung des Sparverhaltens vor und zeigen die beobachteten Verhaltensweisen der Sparer anhand neuerer Umfragen auf. Ihren Schlussfolgerungen nach hat das Zinsniveau deutlich weniger Einfluss auf die Sparentscheidung als oft behauptet wird. Eine größere Rolle messen sie dem Einkommen und der derzeit vergleichsweise guten Einkommenszuversicht bei. Durchaus eine nennenswerte Rolle schreiben sie dem Zins aber bei Umschichtungen innerhalb des Anlageuniversums zu. Dass einige Finanzprodukte, die in der jetzigen Situation grundsätzlich geeignet wären, von den Anlegern dennoch nicht gewählt werden, führen sie auf schlechte Erfahrungen der Menschen mit dem Vertrieb der Banken in den vergangenen Jahren zurück. (Red.)

In vielen Banken gibt es Arbeitsgruppen, welche über Bankstrategien in Zeiten niedriger Zinssätze nachdenken. Ein wichtiger Teil davon befasst sich mit dem Sparverhalten der Anleger. Wie aber hängen Sparverhalten und Zinsentwicklung zusammen? Populären Ansichten zufolge spielt das Zinsniveau beim Sparen die entscheidende Rolle. "Auf der Bank gibt es nur Minizinsen, da geben die Deutschen ihr Geld lieber aus. Der GfK-Konsumklima-Index erreicht den höchsten Stand seit mehr als sieben Jahren."1) Solche Zusammenhänge zwischen Konsumfieber und niedrigem Zinsniveau liest man überall. Allerdings ist diese Erklärung nur scheinbar plausibel.

Grundlagen des Sparverhaltens

Die Theorien, welche das Sparverhalten der Menschen erklären, greifen auf verschiedene Motive zum Sparen zurück. Als die wichtigsten Motive für das Sparen gelten das Vorsichts-, Liquiditäts-, Altersvorsorge-, Vermögens- und Konsummotiv. Dabei kann ein autonom festgelegtes Versorgungsniveau angestrebt werden oder ein relatives Niveau zur Erreichung eines bestimmten Status.

Absolute Einkommenshypothese: Nach Keynes handeln die Menschen kurzfristig orientiert. Sie sind keine Freunde langfristig konsistenter Pläne. Demzufolge ist ihre Sparentscheidung nicht eingebettet in langfristige Überlegungen, sondern hängt vom aktuellen Realeinkommen ab.2) Manche sehen dieses "fundamentale psychologische Gesetz" mikroökonomisch und beziehen es auf das verfügbare Einkommen eines Haushalts. Andere sehen es nur in Bezug auf das reale Gesamteinkommen (BIP) einer Volkswirtschaft.

Relative Einkommenshypothese: Nach Duesenberry richten sich die Menschen bei ihren Entscheidungen weniger an den eigenen Verhältnissen aus als an den Verhältnissen anderer Menschen. Sie verfolgen Statusziele. Steigt das eigene Einkommen, aber nicht dasjenige der anderen Menschen, dann wird mehr vom eigenen Einkommen gespart, weil man seinen Konsum nicht erhöhen muss, um seinen Status zu behalten.3) Da das Einkommen anderer schwer messbar sein kann, orientiert man sich oft an den leichter messbaren Ausgaben der anderen. Steigen die Ausgaben der anderen, versucht man mitzuhalten, erhöht sein Konsumniveau und spart weniger. Sinkt das eigene Einkommen, mindert man die Sparleistungen, um das Konsumniveau aufrechtzuerhalten.

Normaleinkommenshypothese und Zinsänderungseffekte

Normaleinkommenshypothese: Nach der Normaleinkommenshypothese schätzen die Menschen ab, über welches Einkommen sie im Laufe ihres Lebens voraussichtlich verfügen werden können. Daraus ziehen sie dann verschiedene sparrelevante Schlussfolgerungen:4)

- Nach der These des "Permanenten Einkommens" unterscheiden Menschen zwischen einem Einkommensteil, der vorübergehend anfällt, und einen Einkommensteil, der eher dauerhaften Charakter hat. Der Konsum orientiert sich am dauerhaften Einkommensteil, das heißt dem "permanenten" Einkommen. Traut man einem Einkommensanstieg nicht, wird der Konsum nicht oder nur wenig gesteigert.5)

- Nach der "Lebenszyklushypothese" versuchen die Menschen ihre Konsumausgaben möglichst konstant zu halten und geben im Alter und in der Jugend im Vergleich zum Einkommen vergleichsweise viel aus (niedrige Sparquote) und im mittleren Lebensabschnitt vergleichsweise wenig (hohe Sparquote).6)

Zinsänderungseffekte: Nicht nur das Einkommen, sondern auch eine Änderung des Zinsniveaus hat Einfluss auf das Spar- und Konsumverhalten. Gemäß der genannten Normaleinkommenshypothese versuchen die Menschen, das Konsumniveau zu glätten. Der Sinn ist eine optimale "intertemporale Allokation der Ressourcen". Dabei kann das Zinsniveau einen Einfluss haben.

- Dem "Substitutionseffekt" zufolge überdenken die Menschen nach einer Zinsänderung ihre Sparquote. Zinsminderungen erhöhen den sofortigen Konsum, weil der Ertrag des Sparens geringer wird. Die Sparneigung nimmt ab, weil zukünftiger Konsum zu viel "kostet" (Opportunitätskosten).7)

- Der "Einkommenseffekt" bezieht sich auf die Wirkungen des Zinses auf das zukünftige Einkommen. Ist Vermögen vorhanden, dann ist eine Zinsminderung gleichbedeutend mit einem etwas geringeren zukünftigen Einkommen - das "Normaleinkommen" sinkt leicht, was die genannten Folgen auslöst. Der Einkommenseffekt verstärkt damit den Substitutionseffekt. Von verschuldeten Haushalten kann eine Zinssenkung dagegen wie eine Erhöhung des Nettoeinkommens (nach Zinsausgaben) interpretiert werden.8)

- Der "Vermögenseffekt" untersucht die Wirkungen, welche die nach Zinsänderungen veränderten Barwerte von Vermögen und Schulden auslösen. Sinkt das Zinsniveau, erhöht sich der Barwert von Vermögen und von Schulden. Dies kann vielfältige Wirkungen auslösen. Zum Beispiel wird angenommen, dass Haushalte eine feste Relation zwischen Vermögen und Ausgaben anstreben. Wird das Vermögen bedingt durch Zinssenkungen mehr wert, dann sind ein Ausgabeanstieg und eine Minderung der Sparquote des laufenden Einkommens die Folge.9)

Wechselwirkungen beachten

Zwischen Vermögenseffekt und relativer Einkommenshypothese gibt es Beziehungen: Wenn die Besitzer größerer Vermögen durch Zinsminderungen (barwertig) reicher geworden sind und anfangen, mehr zu konsumieren, kann das die Nicht-Vermögensbesitzer zwingen, weniger zu sparen, um im Status nicht zurückzufallen.

Eine ungeklärte Frage ist, ob die Menschen eher auf Barwerte oder auf Endwerte reagieren. Für die Altersvorsorge ist der Barwert des Angesparten irrelevant. Hier kommt es nur auf den Endwert an. Ein Endwert sinkt aber mit sinkenden Zinsen (während der Barwert steigt), sodass sich die Sparanstrengungen vergrößern müssen, wenn man später ein bestimmtes reales Konsumniveau erreichen will.

Damit sind die Spardeterminanten aber noch nicht vollständig erfasst. Es gibt weitere, die im Folgenden behandelt werden:

Flache Zinsstrukturkurve und Umschichtungen: Veränderungen der Zinsstrukturkurve können das Sparen folgendermaßen beeinflussen: Haushalte streben eine gewisse Liquiditätsquote an, die man auch als Vorsichtskasse interpretieren kann. Bei flacher Zinsstruktur, wie sie derzeit vorherrscht, lohnt die Vermögenshaltung in langfristigen Assets nicht. Man kann sein Vermögen "ungestraft" kurzfristig halten. Dadurch entfällt eine spezielle Liquiditätsreserve.10) Ein Teil des vorher gebundenen Vermögens kann nun für Konsumzwecke verwendet werden. Der "Erwartungstheorie der Zinsstruktur" zufolge wird dies verstärkt, wenn bestimmte Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Zinssätze dazukommen. Die Menschen schichten bei erwarteten steigenden Zinssätzen in liquide Assets um, um Vermögensverluste zu verhindern. Auch dann wird eine spezielle Liquiditätsreserve entbehrlich.11)

Umschichtungen innerhalb der Sparanlagen

Änderungen in der Zinsstruktur können auch zu Umschichtungen innerhalb der Sparanlagen führen. Innerhalb des Anlageuniversums kann sich die relative Vorteilhaftigkeit verschiedener Sparformen verschieben. Eine besonders schlechte Verzinsung bis hin zu negativen Realzinsen gibt es nur bei sicheren Anlageformen. Riskantere Produkte bieten immer noch eine positive Verzinsung. Die Neigung, mehr oder weniger Risiken einzugehen, kann sich dadurch verändern. Klassische Bankprodukte verlieren an Attraktivität.12)

Sparsubstitute: Auch Sparsubstitute beeinflussen das Sparverhalten. Als die zwei wichtigsten Sparsubstitute gelten staatliche Alters- und Gesundheitsvorsorgesysteme auf der einen und Konsumkredite auf der anderen Seite. Erstere mindern die Notwendigkeit des Vorsichtssparens, Letztere mindern die Notwendigkeit des Ansparens. Bei sinkenden Zinsen werden Konsumkredite tendenziell attraktiver. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Konsumkreditentscheidungen wenig zinselastisch sind - es kommt mehr auf die Verfügbarkeit an sich an.

Realverzinsung: Generell wird angenommen, dass rationale Sparer keine Inflationsillusion haben. Altersvorsorge, Liquiditäts-, Vorsorge- und Konsumsparen zielen auf reale Güterbündel. Für den Einkommens-, Substitutions- und Vermögenseffekt wird deshalb angenommen, dass der Realzins relevant sei. Wenn der Realzins negativ ist, bedeutet das, dass ein rationaler Vorsorgender mehr sparen muss, um das reale Sparziel zu erreichen. Einkommens- und Substitutionseffekt wirken in die entgegengesetzte Richtung, weil sich die Opportunitätskosten des Sparens erhöhen.

Irrationales Verhalten und Risikoabhängigkeit des Sparens: Ein nicht zu vernachlässigender Effekt ergibt sich aus der Art und Weise, mit der Menschen auf Datenänderungen reagieren. Behavioral Finance hat eine Vielzahl irrationaler Verhaltensweisen aufgedeckt. Menschen handeln heuristisch. Das heißt, es sind wenige zentrale Überlegungen, die ihr Verhalten kurzfristig bestimmen. Gemäß Prospekt-Theorie können sich frühere Zinsniveaus in den Köpfen der Entscheider verankert haben (Referenzpunkte) und ihr Handeln bestimmen - selbst dann, wenn sie gar nicht mehr realistisch sind. Besonders auffällige Ereignisse wie Crashs oder unangenehme Verluste bestimmen die Wahrnehmung mehr als Alltäglichkeiten. Erst längerfristig setzen sich die theoretischen Gesetzmäßigkeiten durch, weil die Menschen ihre Erfahrungen im Zeitablauf revidieren.

Empirische Befunde

Damit sind die wichtigsten derzeit in der Literatur behandelten Sparmechanismen dargelegt. Doch wie sieht das Sparverhalten in der Realität aus? Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass bei vielen dieser Mechanismen der Zins nur eine untergeordnet oder gar keine Rolle spielt. Der Sparer verfolgt primär Vorsorge-, Liquiditäts-, Alterssicherungs-, Konsumsicherungs- und Statussicherungsziele, die auf reale Güterbündel gerichtet sind und wesentlich vom Arbeitseinkommen abhängen. Zinsabhängige Effekte - insbesondere Einkommens- und Substitutionseffekt - spielen nur eine ergänzende Rolle, denn sie lösen im Verhältnis zum Arbeitseinkommen betrachtet nur marginale Wirkungen aus. Ein höherer oder niedrigerer Zins verändert die Basisentscheidung deshalb nur graduell.

Wie also sieht das Sparverhalten in der Realität aus? Zunächst wird die Zinsabhängigkeit des Sparverhaltens geprüft. Diese wird mittels Zinselastizität gemessen. Die Zinselastizität gibt die prozentuale Änderung des Sparverhaltens bei einer 1-prozentigen Zinsänderung wieder.13) Stinglhamber und andere zeigen, dass im Mittel der Industrieländer die Zinselastizität positiv ist, aber nur sehr geringe Werte knapp über Null besitzt.14) Das heißt, die Menschen reagieren mit ihrem Sparen sehr wenig auf Zinsänderungen. Speziell für Deutschland kommen Belke, Dreger und Ochmann 2012 zum gleichen Ergebnis.15) Andere Autoren finden gar keine Zinsreagibilität des Sparens.

In einer Umfrage des Sparkassenverbandes von 2013 wurde danach gefragt, ob deutsche Sparkassenkunden ihr Verhalten an die niedrigen Zinssätze angepasst hätten. Es zeigte sich: Die Sparer nehmen das Niedrigzinsphänomen aufmerksam wahr, aber reagieren kaum. 67 Prozent der Bundesbürger planen, ihre Konsumausgaben konstant zu halten.16) Nur ein Drittel zieht bewusste Konsequenzen.17) Ein Teil davon (6 Prozentpunkte) erhöht die Sparanstrengungen, ein anderer Teil (12 Prozentpunkte) senkt sie.

Das heißt zusammenfassend: Die meisten Sparer nehmen durchaus das Zinsniveau wahr, reagieren aber auf die gesunkenen Zinsen nicht. Bei den anderen gibt es recht heterogene Reaktionen. Das ist mit einer ausschließlichen Zinsabhängigkeit des Sparens schwer zu erklären. Sparen ist also zusammenfassend, genauso wie es die Spartheorien vorhersagen, in der Realität wenig zinssensibel.

Einkommensabhängiges Sparen

Dass Sparen einkommensabhängig ist, findet in der Realität gute Bestätigung. Verbraucher in Deutschland sind im Schnitt mit ihrem Einkommen und ihrem Vermögen derzeit sehr zufrieden und rechnen nicht mit einer Verschlechterung. Gemäß absoluter Einkommenshypothese sollte damit die Sparneigung unverändert bleiben. Tatsächlich passen, wie erklärt, 68 Prozent der Befragten ihr Sparen nicht an. Ein Teil der Bevölkerung rechnet laut Umfragen mit weiter steigenden Einkommen in den nächsten Jahren.18) Gemäß Normaleinkommenshypothese folgt daraus eine leichte Absenkung der Sparquote für diese Gruppe. Dies erklärt, warum ein Teil der Bevölkerung weniger spart.

Dasselbe findet man bei der Altersvorsorge. Scheinbar reagieren die Menschen hier auf das Zinsniveau, denn die Vorsorgeleistungen sind rückläufig. Der Anteil der Menschen, die für zukünftige Bedürfnisse wie das Alter vorsorgen, hat leicht abgenommen: von 82 Prozent in Vorjahren auf 77 Prozent im Jahr 2013. Besonders stark abgenommen hat das Altersvorsorgesparen bei den einkommensschwächsten Haushalten. Wer unter 1 000 Euro netto pro Monat bekommt, sagte 2012 mit 51 Prozent Wahrscheinlichkeit, er spare, während er dies 2013 nur noch mit 43 Prozent Wahrscheinlichkeit tat.19) Das ist eine enorme Minderung der Sparleistungen, die vordergründig sehr gut mit dem gesunkenen Zinsniveau zu erklären ist.

Aber diese Annahme könnte voreilig sein. Denn trotz niedrigerer Zinssätze glauben heute mehr Menschen als früher, mit den realisierten und geplanten Vorsorgemaßnahmen ihre Vorsorgeziele zu erfüllen. 2013 glaubten 72 Prozent, ihre Vorsorgeziele erfüllen zu können. 2006 bei wesentlich höheren Zinsen waren dies nur 65 Prozent.20) Die Menschen können ihre Vorsorgeziele also heute besser erfüllen als früher und sparen deshalb weniger. Die Erklärung liegt in der gestiegenen Einkommenserwartung und Einkommenszuversicht.

Klassische Anlageformen als Verlierer

Die geänderte Zinsstruktur beeinflusst das Sparen folgendermaßen: Klassische Anlageformen wie Spareinlagen, Festgelder, festverzinsliche Anleihen und Lebensversicherungen verlieren an Interesse. Allein im Jahr 2013 ist der Anteil der Befragten, die Festgelder als Sparform für geeignet halten, von 17 Prozent auf 9 Prozent gesunken, bei Spareinlagen von 27 Prozent auf 19 Prozent und bei Lebensversicherungen von 35 auf 30 Prozent.21) Als Alternativen nennen die Menschen eigengenutzte oder vermietete Immobilien, Aktien, Edelmetalle oder Fonds. Aber gerade in letztere wird kaum wirklich investiert. Aktien, Investmentfonds, festverzinsliche Wertpapiere und Immobilienfonds stehen auf der Liste der für die Vermögensanlage geeigneten Assets (geeignet aus Sicht der Anleger) zusammen mit der Rürup-Rente ganz unten.22) Einerseits wird deren Nutzen in der Niedrigzinsphase erkannt. Andererseits werden diese Anlageformen aber als "spekulativ" und "komplex" bezeichnet und abgelehnt.

Hier zeigen sich vermutlich die Folgen der Vertriebsexzesse der Banken der vergangenen Jahre. Immobilien halten dagegen 50 Prozent der Befragten für attraktiv (5 Prozentpunkte, mehr als 2012). Das gilt aber nur für die selbst genutzte oder verwaltete Immobilie, in die keiner hineinredet. Das bedeutet: Die Menschen nehmen die Zinsstruktureffekte und die Renditen der verschiedenen Assetklassen aufmerksam wahr und suchen nach guten Lösungen. Aber viele der Produkte, in die man bei niedrigem Zinsniveau insbesondere bei langfristigem Anlagehorizont gut umschichten könnte, sind durch die Vertriebsexzesse der Banken in der Vergangenheit "verbrannt" worden. Eine Rolle kann auch der Zusammenbruch der Preise vieler Assetklassen während der Subprime- und Staatsanleihekrise gespielt haben.

Überschätzter Zinseffekt

Was sind die Ergebnisse? Dass die niedrigen Zinssätze das Verhalten der Anleger beeinflussen, steht außer Frage. Aber dass der aktuelle Konsumboom und die Sparzurückhaltung mit den niedrigen Zinsen erklärt werden können, ist zweifelhaft. Die Umfragen deuten eher auf die Wichtigkeit des Einkommens hin. Der Zinseffekt wird überschätzt. Dies kann durch die Spartheorien bestätigt werden. Notreserve-, Liquiditäts-, Konsum-, Altersvorsorge- oder Statusmotiv des Sparens zielen auf eine reale Güterversorgung, deren Höhe überwiegend vom Einkommen abhängt und nur untergeordnet vom Zinsniveau. Die Umfragen zeigen, dass die empirisch gemessene Zinselastizität Werte aufweist, die nahe bei null liegen.

Für die Banken bedeutet dies, sich von der Vorstellung zu trennen, das Verhalten der Sparer sei überwiegend zinsgetrieben. Die gute Konsumlaune und die nachlassenden Sparleistungen scheinen eher von der zufriedenstellenden Einkommensentwicklung determiniert zu werden als vom Zinsniveau. Die Sparmotive zielen auf reale Güterbündel, deren Wertigkeit durch das Zinsniveau nur marginal beeinflusst werden.

Für Umschichtungen innerhalb des Anlageuniversums spielt dagegen der Zins eine Rolle. Umfragen zeigen, dass die Menschen die relativen Renditen der verschiedenen Assetklassen aufmerksam verfolgen und damit kalkulieren. Aber bedingt durch die schlechten Erfahrungen der Menschen mit den Vertriebsexzessen der Banken in den zurückliegenden Jahren werden einige Finanzprodukte, die in der jetzigen Situation grundsätzlich geeignet wären, nicht gewählt.

Literatur

Belke, A./Dreger, C./Ochmann, R. (2012): Do wealthier households save more? The impact of the demographic factor. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin.

Berube, G./Cote, D. (2000): Long-Term Determinants of the Personal Savings Rate: Literature Review and Some Empirical Results for Canada. Bank of Canada, Ottawa.

Clement, R./Terlau, W./Kiy, M. (2013): Angewandte Makroökonomie. Vahlen Verlag, München.

Elmendorf, D. (1996): The effect of interest-rate changes on household saving and consumption: a survey. In: Economics discussion series no. 1996-27. DSGV (2013): Vermögensbarometer 2013, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Berlin.

Duesenberry, J. (1949): Income: Saving, and the Theory of Consumer Behaviour. Harvard University Press, Cambridge.

Farrell, M. (1959): The New Theories of the Consumption Function. In: Economic Journal, Vol. 69, S. 678-696.

Friedman, M. (1957): A Theory of the Consumption Function. Princeton University Press, New Jersey.

Gaire, H. (2011): Real Interest Rate and Saving Behavior in Neapel. In: Banking Journal, Vol. 2, S. 16-34.

Hinze, J./Leschus, L. (2012): Expansive Geldpolitik der EZB zur Eurorettung - mit ungewissem Ende. In: ifoSchnelldienst Nr. 65, S. 12-15.

Keynes, J. (1936): The General Theory of Employment, Interest and Money. The Macmillan Press LTD, London.

O. V., 2014, Konsumlaune in Deutschland, in: Spiegel-online vom 25. Juni 2014, verfügbar in: http:// www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/gfk-konsumklima-deutsche-in-kaufstimmung-sparen-istout-a-977318.html

Stinglhamber, P./Van Nieuwenhuyze, C./Zachary, M.-D. (2011): The impact of low interest rates on household financial behaviour. In: Economic Review, Vol. 2, S. 77-91.

Thron, F. (2014): Verhaltensweisen privater Anleger bei niedrigen Zinsen - Stand der Literatur, wissenschaftliche Forschungsarbeit an der Hochschule der Sparkassen, Bonn.

Westerheide, P./Sasse, B. (2002): Auswirkungen von Zinsänderungen auf Einkommen und Konsum privater Haushalte. Landeskreditbank Baden-Württemberg, Karlsruhe.

Fußnoten

1) O. V., 2014, S. 1; Konsumlaune in Deutschland, in: Spiegel-online vom 25. Juni 2014, verfügbar in: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/gfkkonsumklima-deutsche-in-kaufstimmung-sparenist-out-a-977318.html

2) Vgl. Keynes, 1936, S. 89ff.

3) Vgl. Duesenberry, 1949, S. 22ff.

4) Vgl. Farrell, 1959, S. 679ff.

5) Vgl. Friedman, 1957, S. 220 ff.; vgl. Clement/Terlau/Kiy, 2013, S. 179.

6) Vgl. Clement/Terlau/Kiy, 2013, S. 180.

7) Vgl. Berube/Cote, 2000, S. 7; vgl. Gaire, 2011, S. 21; vgl. Stinglhamber/Van Nieuwenhuyze/Zachary, 2011, S. 80; vgl. Westerheide/ Sasse, 2002, S. 9.

8) Vgl. Elmendorf, 1996, S. 6; vgl. Westerheide/Sasse, 2002, S. 9f.

9) Vgl. Berube/Cote, 2000, S. 7 f.; vgl. Stinglhamber/ Van Nieuwenhuyze/Zachary, 2011, S. 80.

10) Vgl. Thron, 2014, S. 22.

11) Vgl. Stinglhamber/Van Nieuwenhuyze/Zachary, 2011, S. 79.

12) Vgl. Hinze/Leschus, 2012, S. 12.

13) Vgl. Elmendorf, 1996, S. 1.

14) Vgl. Stinglhamber/Van Nieuwenhuyze/Zachary, 2011, S. 80.

15) Vgl. Belke/Dreger/Ochmann, 2012, S. 9.

16) Vgl. DSGV, 2013, S. 7.

17) Vgl. DSGV, 2013, S. 3.

18) Vgl. DSGV, 2013, S. 3.

19) Vgl. DSGV, 2013, S. 13.

20) Vgl. DSGV, 2013, S. 13.

21) Vgl. DSGV, 2013, S. 9.

22) Vgl. DSGV, 2013, S. 9.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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