Redaktionsgespräch mit Helmut Schleweis

"Die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit einer Zentralbank wird nicht abnehmen"

Helmut Schleweis, Foto. DSGV

Helmut Schleweis bleibt mit seinen Erwartungen realistisch. Ein baldiges Umsteuern der Geldpolitik erwartet der DSGV-Präsident erst gar nicht. Für ihn wäre es schon ein positives Signal, wenn sich die EZB zu der Einführung von gestaffelten Einlagenzinssätzen durchringen könnte. Positiv registriert hat er zudem die deutlich abgestuften Anforderungen an risikoärmere Kreditinstitute von überschaubarer Größe im EU-Bankenpaket. Und auch das Grundverständnis für regional verwurzelte Retail-Institute sieht er nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Ländern verankert. Von der Europawahl erhofft es sich im Redaktionsgespräch eine gute Wahlbeteiligung und ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union und bekennt sich zu den Prinzipen der Vielfalt und der Akzeptanz von nationalen Besonderheiten. In der deutschen Sparkassenorganisation spürt er durchaus die Bereitschaft, über die zukünftige Strategie nachzudenken und die Ansatzmöglichkeiten zu einer besseren Arbeitsteilung innerhalb der Gruppe zu nutzen. Technisch hält er die Gruppe für sehr gut aufgestellt, um mit der notwendigen Sorgfalt, Geschwindigkeit und Innovationskraft nach vorne zu gehen und grundsätzlich für neue Technologien aufgeschlossen, sofern sie einen Mehrwert für das Sparkassengeschäft bringen. (Red.)

Das Motto des Sparkassentags (Gemeinsam allem gewachsen) ist ein typischer Appell an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe. Welche Ergebnisse, welche Botschaften wünschen Sie sich aus Hamburg?

"Gemeinsam allem gewachsen" hat sowohl eine Botschaft nach innen als auch eine nach außen. Die Sparkassen verändern sich derzeit stark - Stichwort Filialumbau, Neuordnung im Vertrieb, neue digitale Angebote - und werden sich auch weiter verändern müssen. Da ist es wichtig, allen Mitarbeitern die gemeinsamen Ziele zu vergegenwärtigen und sie darin zu bestärken, dass die Belegschaft gemeinsam alles schaffen kann. Gleichzeitig wenden wir uns damit nach außen, an die Kunden, an unsere Träger und an die Gesellschaft: Als öffentlich-rechtliche Sparkassen bieten wir allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe. Wir sind Teil der kommunalen Sphäre und stärken vor Ort das Gemeinwohl.

Wie nehmen Sie derzeit die Stimmungslage im öffentlich-rechtlichen Bankensektor wahr - abwartend oder im Aufbruch und bereit für Neues?

Ich nehme wahr, dass viele sehr ernsthaft und konzentriert an den großen Zukunftsaufgaben arbeiten. Wir bringen mit steter Regelmäßigkeit neue digitale Angebote auf den Markt: nach der Echtzeitüberweisung, Kwitt und mobiles Bezahlen wird perspektivisch das Onlinebanking der Sparkassen und die Sparkassen-App zur Personal-Finance-Plattform ausgebaut. Im Herbst zünden wir hier die nächste Stufe. Und die Pipeline ist gut gefüllt.

Bei der Regulatorik ist nun erstmals ein Morgenstreif am Horizont zu sehen. Im EU-Bankenpaket wurden erstmals deutlich abgestufte Anforderungen an risikoärmere Kreditinstitute von überschaubarer Größe festgelegt. Das wird sich in der Umsetzung für 330 Sparkassen bemerkbar machen. Wir müssen in der neuen Legislaturperiode auf EU-Ebene dann darauf achten, dass dieser Ansatz bei der Umsetzung der neuen Baseler Vorgaben weiter vertieft wird.

Eine Normalisierung der Geldpolitik wird immer weiter nach hinten verschoben - das belastet die Ertragslage immer spürbarer. Wie können die Institute gegensteuern?

Die Sparkassen ergreifen eigenständig die jeweils passenden Maßnahmen auf der Ertrags- und Kostenseite. Unter dem Strich machen sie das mit gutem Erfolg: Die Ertragslage hat sich besser entwickelt, als man das zu Beginn der Niedrigzinsphase erwarten konnte. Der Rückgang ist schwächer als befürchtet.

Wie kann der Verband helfen?

Alle Verbände wie auch die zentralen Dienstleister und Verbundpartner tragen ihren Teil zum Erfolg der Sparkassen bei. Als DSGV sind wir hier oft in einer Koordinatorenrolle.

Gleichzeitig werben wir für ein möglichst frühzeitiges Umsteuern bei der Geldpolitik. Schon die Einführung von gestaffelten Einlagenzinssätzen bei der EZB wäre ein positives Signal. Eine solche Staffelung würde einen Teil der Sonderlast, die die Kreditwirtschaft trägt, reduzieren. Auch Sparkassen und Landesbanken, die gemeinsam nur für 15 Prozent der Überschussliquidität in Deutschland stehen, würden weniger stark belastet werden.

Wie wird Ihrem Eindruck nach die deutsche Sparkassenorganisation von der Politik und den Aufsichtsinstanzen in Brüssel wahrgenommen - als historisch gewachsene Bankengruppe im größten Mitgliedsstaat oder als gleichberechtigtes und zukunftsfähiges Modell in Europa? Kurz gefasst: Ist die Sparkassenorganisation ein Modell für Deutschland oder auch für Europa?

Meine Wahrnehmung ist, dass es über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannt ist, dass die Struktur des deutschen Bankenmarktes sehr gut zur Wirtschaftsstruktur und zum föderalen Aufbau der Bundesrepublik passt. Für die Wirtschaftskraft speziell auch des Mittelstands und des gewerblichen Bereichs wird Deutschland häufig bewundert. Dazu leisten die Sparkassen und Landesbanken einen wichtigen Beitrag.

In Europa geht es aber nicht darum, ein einziges Modell herauszustellen. Europa baut auf der Vielfalt seiner Mitglieder auf. Und auch die Vielfalt im Bankenmarkt ist eine Stärke. Wir setzen uns daher auf europäischer Ebene dafür ein, dass die Vielfalt im Bankenmarkt möglich bleibt. Mit diesem Antritt haben wir durchaus Verbündete, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Ländern, in denen es regional verwurzelte Retailinstitute gibt. Mit vielen sind wir in der Europäischen Sparkassenvereinigung organisiert. Im Übrigen sind wir überzeugte Europäer und setzen uns für ein leistungsfähiges Europa ein, auf Basis der Grundprinzipien der Europäischen Uni on, Subsidiarität und Proportionalität.

Welche Bedeutung haben die kommende Europawahl und die Weiterentwicklung der europäischen Integration für die deutschen Sparkassen? Muss die S-Gruppe nicht um den Erhalt ihrer Strukturen fürchten, je mehr politische und aufsichtsrechtliche Funktionen und Instanzen auf die europäische Ebene verlagert werden?

Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Wahlbeteiligung bei der Europawahl möglichst hoch ausfällt. Denn nur, wer seine Stimme abgibt, kann Einfluss auf die Themen der kommenden Legislaturperiode nehmen. Außerdem wäre eine gute Wahlbeteiligung auch ein positives Signal für Europa. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger steht hinter der EU und findet es eine gute Sache, dass das eigene Land Mitglied in der Europäischen Union ist. In Deutschland ist die Zustimmung besonders hoch. Das finde ich gut.

Im Übrigen sehe ich keinen Automatismus darin, dass eine europäische Lösung immer gleichbedeutend sein muss mit einer zentralen Lösung auf EU-Ebene. Nehmen wir als Beispiel die Reform des Europäischen Systems der Finanzaufsichtsbehörden, die jüngst beschlossen wurde. Hier wird auch zukünftig sichergestellt sein, dass nationale Besonderheiten der Mitgliedsstaaten und unterschiedliche Aufsichtsstrukturen berücksichtigt werden.

Die Vertreter der nationalen Aufsichtsbehörden bilden den Rat der Aufseher und behalten auch weiterhin die zentrale Entscheidungsbefugnis in den jeweiligen EU-Aufsichtsbehörden. Aber es stimmt, man muss hier sehr aufmerksam sein und prüfen, welche Aufgaben tatsächlich auf EU-Ebene besser erledigt werden können, und welche nicht.

Verhältnis Politik und Landesbanken - immer noch sehr eng oder auch veränderungsbereit?

Sowohl als auch. Es gibt ein normal enges Verhältnis zwischen den Landesbanken und ihren Eigentümern. Ich nehme aber durchaus auch die Bereitschaft wahr, über die zukünftige Strategie nachzudenken.

Wie bewerten Sie die gruppeninternen Überlegungen und öffentlichen Diskussionsbeiträge zu Ihrem Vorschlag einer einzigen Landesbank in Sparkassenhand? Hat das Thema genug Eigendynamik entwickelt oder muss der DSGV-Präsident immer wieder Impulse geben, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren?

Wir sind dabei, das Zielbild für ein Zentralinstitut zu definieren. Die Sparkassen müssen eine gemeinsame Vorstellung davon haben, welche Aufgaben eine Zentralbank erledigen soll. Wie man dort ankommen wird, muss man sehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit einer Zentralbank abnehmen wird.

Viele neutrale Beobachter und auch viele Mitarbeiter der Sparkassenorganisation halten die Genossenschaftsorganisation in ihren Grundstrukturen für besser aufgestellt als die hiesige Sparkassenorganisation? Ist diese Wahrnehmung aus Ihrer Sicht richtig?

Ich denke, jede Säule des deutschen Bankenmarktes hat Hausaufgaben zu erledigen. Richtig ist aber, dass die genossenschaftlichen Institute mit einem Baufinanzierer, einem Versicherungsunternehmen und einem Zentralinstitut gut aufgestellt sind. Hier hat unsere Gruppe noch Potenzial.

Stimmt die Arbeitsteilung zwischen Sparkassen, Landesbanken und Verbundinstituten?

Es ist nichts so perfekt, als dass es nicht noch verbessert werden könnte.

Wie zufrieden sind Sie mit der Aufstellung der Verbundinstitute? Wo besteht Handlungsbedarf?

Ich habe schon zu Beginn meiner Amtszeit deutlich gemacht, dass ich kein Freund von Doppel- und Mehrfacharbeiten bin. Ich denke, dass es hier noch Reserven gibt, die durch Konsolidierung der Verbundpartner gehoben werden können.

Würde eine den Sparkassen gehörende einzige Zentralbank an dieser Stelle einen spürbaren Fortschritt bringen?

Ja, denn man könnte dort zum Beispiel die Kompetenzen der Gruppe im Auslandsgeschäft bündeln, ebenso im Private Banking und im Asset Management.

Hat das Regionalprinzip in der modernen Sparkassenwelt noch eine Zukunft?

Ja, denn es ist der Garant für ein Höchstmaß an Wettbewerb im deutschen Bankenmarkt und sorgt dafür, dass es auch in ländlichen Regionen zur Sparkasse mindestens einen Wettbewerber gibt, nämlich die örtliche Volksbank. Deswegen ist das keine Frage von modern oder nicht modern. Es gehört zum Markenkern von Sparkassen.

Auch immer mehr Sparkassen nutzen Plattformen, um zusätzlich Kunden zu erreichen - damit ist das Regionalprinzip doch schon tot, oder?

Nein, das Regionalprinzip ist gleichermaßen erfolgreich und modern. Es sind im Übrigen die Sparkassenaufsichten der Länder, die darauf achten, dass das Regionalprinzip eingehalten wird.

Welche Konsequenzen hat die Konsolidierung bei den Sparkassen - für die Kunden, aber auch für die Aufstellung der Verbände wie den Nutzen der Verbundinstitute? Brauchen große Sparkassen per se weniger Unterstützung?

Ich sehe nicht, dass die Arbeit für die Verbände weniger wird. Das liegt zum einen an der Umsetzung der Regulatorik. Die Verbundlösungen, mit denen die Sparkassen arbeiten können, werden zentral konzeptioniert und entwickelt. Das ist sehr arbeitsintensiv und geschieht aufgrund der häufig engen gesetzlichen Fristen unter großem Zeitdruck.

Aber auch die Erwartungen der Kunden nach modernen Angeboten nehmen zu. Lösungen wie die Sparkassen-App oder die Internetfiliale, die wir jetzt zu einer Personal-Finance-Plattform ausbauen, sind "State of the Art" und mit namhaften Auszeichnungen dekoriert. Ich sehe hier eher einen stärkeren Trend hin zu erfolgreichen Gemeinschaftslösungen.

In allen Banken wird großer Wert auf Effizienz gelegt. Ist der DSGV effizient genug aufgestellt? Lassen sich durch verbesserte Arbeitsteilung mit den regionalen Verbänden noch Effizienzreserven heben?

Bei der effizienten Arbeitsteilung der Verbände sind wir in den letzten Jahren schon sehr weit gekommen. Das, was dort erarbeitet wurde, muss jetzt auch gelebt werden. Wenn es dann noch Verbesserungsbedarf gibt, werden wir uns das anschauen.

Wie ist die deutsche Sparkassenorganisation technisch aufgestellt? Ist sie für die Herausforderungen der Digitalisierung gut genug gewappnet?

Wir sind mit der Finanz Informatik als zentralen IT-Dienstleister der Sparkassen-Finanzgruppe sehr gut aufgestellt, um mit der notwendigen Sorgfalt, Geschwindigkeit und Innovationskraft nach vorne zu gehen. Ich mache mir eher Gedanken um die rechtlichen Rahmenbedingungen. Während wir als Kreditinstitute unsere Kontoschnittstellen öffnen müssen, wenn der Kunde das beauftragt, fehlt uns diese Möglichkeit bei anderen Anbietern. Hier muss aus unserer Sicht zügig Waffengleichheit hergestellt werden.

Künstliche Intelligenz wird in der Finanzbranche wie in vielen anderen Sektoren der Wirtschaft als wichtiger Treiber für die Wettbewerbsfähigkeit gesehen? Kann und will die Sparkassenorganisation an dieser Stelle Vorreiter sein? Auf welche Tools will sie bewusst verzichten?

Wir sind grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien, wenn erkennbar ist, dass sie einen Mehrwert für das Sparkassengeschäft bringen. Wir nutzen bereits heute unsere großen Datenmengen, um den Vertrieb zu unterstützen. Und genau genommen war auch die Entwicklung der Sparkassen-Ratings nur auf "Big Data" möglich, nämlich auf der größten Bilanzdatensammlung, die es in Deutschland gibt.

Warum sollten wir nicht auch Künstliche Intelligenz nutzen, wenn sie unser Geschäft verbessert? Der Vorteil gegenüber Fintechs ist jedoch, dass wir mit sehr viel natürlicher Intelligenz und einem großen Kundenvertrauen erfolgreich am Markt sind. Jedes technische Tool wird dabei nur eine Ergänzung sein können, wenn es das Geschäftsmodell Sparkasse bereichert.

Helmut Schleweis Präsident, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e. V., Berlin
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Eckdaten der Sparkassen
 
Mit bundesweit 385 Instituten*, über 13 000 Geschäftsstellen und rund 210 000 Mitarbeitern sind Sparkassen in ganz Deutschland vertreten. Gemeinsam mit den Verbundpartnern innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe stellen sie ein flächendeckendes kreditwirtschaftliches Angebot für alle Teile der Bevölkerung sicher.Als Universalkreditinstitute betreiben die Sparkassen alle üblichen Bankgeschäfte mit privaten Haushalten, Unternehmen - insbesondere aus Mittelstand und Handwerk - sowie Kommunen und institutionellen Kunden. Im Geschäftsjahr 2018 brachten sie es gemeinsam auf eine Bilanzsumme von mehr als 1 200 Milliarden Euro.
 
Sparkassen engagieren sich bundesweit für die wirtschaftliche Entwicklung und das Gemeinwohl vor Ort. Sie sind eng verbunden mit den deutschen Städten, Gemeinden und Landkreisen, ihren Trägern. Für Sparkassen gilt das Regionalprinzip, ihre Geschäftsgebiete entsprechen im Allgemeinen den Gebieten ihrer kommunalen Träger.* Stand: 31. Dezember 2018; Quelle: DSGV

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