Redaktionsgespräch mit Verena von Hugo

"Ökonomische Bildung muss unbedingt in die Schule kommen"

Verena von Hugo, Foto: Flossbach von Storch Stiftung

Die Flossbach von Storch Stiftung hat sich der Förderung der Wirtschafts- und Finanzbildung verschrieben. Diese Bildung gebe den jungen Menschen Kompetenzen an die Hand, mit denen sie bessere Entscheidungen in Wirtschaftsund Finanzfragen treffen können. Damit trage die ökonomische Bildung auch zur Chancengerechtigkeit bei. Zudem sieht die Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Verena von Hugo, einen engen Zusammenhang zwischen Finanzbildung in der Schule und den großen Fragen der Altersvorsorge und somit auch der Tragfähigkeit des deutschen Rentensystems. Allerdings ist es offensichtlich um die Wirtschaftsund Finanzbildung in Deutschland nicht zum Besten bestellt. So weist von Hugo darauf hin, dass Deutschland das einzige der 38 OECD-Länder sei, das keine nationale Finanzbildungsstrategie habe. Die OeBix-Studie habe ergeben, dass ökonomische Bildung in elf Bundesländern nicht einmal 50 Prozent des Maßstabs eines normalen Nebenfachs schaffe. (Red.)

Frau von Hugo, Ludwig Erhard wäre in diesem Jahr 125 Jahre alt geworden. Mit ihm steht die "soziale Marktwirtschaft" in Deutschland untrennbar in Verbindung. Welche Rolle spielen die Prinzipien und Werte unserer Wirtschaftsordnung in der heutigen schnelllebigen Zeit noch?

Die soziale Marktwirtschaft ist eine ganz besondere Wirtschaftsordnung, der wir viel Wohlstand zu verdanken haben. Deshalb sollten auch alle verstehen, was die soziale Marktwirtschaft ausmacht. Themen wie unternehmerische Freiheit, wirtschaftlicher Wettbewerb, freie Preisbildung, stabile Währung und sozialer Ausgleich sind ihre wesentlichen Grundpfeiler und entscheidend für die weitere Entwicklung unserer Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Lebens. Schon Ludwig Erhard hat erkannt, dass es ökonomische Bildung braucht, um zu verstehen, wie wichtig die Regeln in unserer Wirtschaftsordnung sind. Es gibt ein Zitat von ihm: "Der [...] Unkenntnis selbst einfacher wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge müsste schon in der Schule begegnet werden." Deshalb ist der 125. Geburtstag von Ludwig Erhard für uns der Anlass, diese Themen in den kommenden Monaten mehr in den Fokus zu rücken - auch, weil wir nächstes Jahr dann mit 75 Jahre Währungsreform einen weiteren Geburtstag feiern: Die Einführung der D-Mark gilt als offizielle Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft.

Ein wichtiges Stichwort beim Thema soziale Marktwirtschaft ist ja auch Chancengleichheit für die Menschen. Bildung ist eine wichtige Voraussetzung für Chancengleichheit, aber auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Warum ist es wichtig, dass dabei der Fokus vermehrt auf ökonomische Bildung allgemein und auch speziell Finanzbildung gelegt wird?

Wer sich mit Wirtschaft und Finanzen auskennt, hat es einfacher im Leben! Ökonomische Bildung hilft uns, dass wir verstehen, wie unsere Wirtschaft funktioniert. Sie gibt jungen Menschen Kompetenzen an die Hand, die dazu beitragen, dass sie bessere Entscheidungen in Wirtschaftsund Finanzfragen treffen können. Ökonomische Bildung trägt zur Mündigkeit bei. Ganz konkret sind Urteils-, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen Handwerkszeuge, die Menschen dabei unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben gemäß ihren Wertvorstellungen und Präferenzen zu führen. Somit trägt ökonomische Bildung wesentlich zu - wie ich es nenne - Chancengerechtigkeit bei, weil Kinder und Jugendliche in der Schule unabhängig von ihrem Elternhaus ökonomisch grundgebildet werden. Die Wirtschaftsbildung hängt damit nicht davon ab, ob und wie zu Hause am Esstisch über Wirtschaft und Finanzen gesprochen wird. In der Schule ver ankerte ökonomische Bildung kann wesentlich zur Chancengerechtigkeit beitragen, weil sie für alle - unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund der Kinder stattfindet. Daraus leiten wir ab, dass ökonomische Bildung in jeder weiterführenden Schule unterrichtet werden sollte, weil in der Schule eben auch für das Leben gelernt wird!

Ein wesentlicher Teil der sozialen Marktwirtschaft ist auch, den Menschen im Alter ein würdiges Auskommen zu verschaffen. Doch nicht nur aufgrund des demografischen Wandels ist der Staat dazu immer weniger in der Lage. Welchen Beitrag kann finanzielle Bildung hier leisten, um das Problem zu beheben?

Für junge Menschen ist der Bogen in eine Zeit, in der sie alt sein werden, weit hin. Aber es sollte dennoch oder gerade deswegen wichtig sein, mit Beendigung der Schule zumindest Grundlagenwissen zu haben, wie unser Rentensystem aufgebaut ist. Niemand sollte die Schule verlassen ohne zu wissen, dass es die drei Säulen der gesetzlichen Rente, der betrieblichen Vorsorge und der privaten Vorsorge gibt. Schon allein dieses Wissen führt dazu, dass ich handlungsfähiger werde und kombiniert mit den zuvor angesprochenen Kompetenzen bessere Entscheidungen treffen kann - vor allem langfristig.

Bei Menschen, die heute schon im Erwerbsleben stehen und das Rentenalter früher erreichen werden, ist eine angemessene Altersvorsorge eine viel größere Herausforderung, weil der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spielt. Daher sagen wir, dass eine gute Finanzbildung für alle Menschen - egal welchen Alters - unglaublich wichtig ist, um einerseits auf der individuellen Ebene bessere Entscheidungen zu treffen, um aber auf der anderen Seite auch das gesellschaftliche Leben stabiler zu machen. In dem Moment, indem mehr Menschen eigenverantwortlich vorsorgen und im Alter genug Auskommen haben, wird es durch weniger Fälle von Altersarmut der Gesellschaft als Ganzes besser gehen. Da sehen wir einen engen Zusammenhang zwischen Finanzbildung bereits in der Schule und den großen Fragen der Altersvorsorge und somit auch der Tragfähigkeit unseres Rentensystems.

Grundsätzlich kann man in Deutschland beobachten, dass die Menschen eine große Scheu vor Kapitalmärkten haben, die nun mal wichtig sind, um für das Alter vorzusorgen. Denken Sie, eine frühe Finanzbildung in den Schulen kann dazu beitragen, die Scheu der Deutschen vor dem Kapitalmarkt sukzessive abzubauen?

Wirtschafts- und Finanzbildung kann unbedingt dazu beitragen, ein gesundes Verhältnis zum Umgang mit Geld und auch mehr Offenheit gegenüber den Kapitalmärkten zu entwickeln. Die Deutschen sind historisch und kulturell eher durch Zurückhaltung bei diesem Thema geprägt. Auch deshalb ist ökonomische Bildung inklusive Finanzbildung in der Schule notwendig, um diese kulturellen Verhaftungen aufzulösen und den Umgang mit Geld und Finanzen mit einem handlungsorientierten Gerüst aus Kompetenzen und Fachwissen auszustatten.

Wir sehen in Zeiten der Pandemie, dass sich viele Deutsche ein Herz gefasst und ein erstes Mal an der Börse investiert haben. Bei diesen Erstinvestoren geht es darum, über Finanzbildung eine kognitive Sicherung einzubauen, damit sich diese Anleger bei unruhigen Kapitalmärkten weiter entsprechend ihrer langfristigen Anlageziele verhalten und nicht nervös werden. Insofern bin ich überzeugt, dass Finanzbildung sehr viel zur Stabilisierung und zum mündigen Umgang mit Geldanlage beitragen kann. Es wäre schon viel erreicht, wenn sich Investoren vor einer Anlageentscheidung die Frage stellen: "Verstehe ich als Anleger auch, was ich kaufe?". Das ist eine Ebene der Wirtschafts- und Finanzbildung, die ganz konkret ist. Allein durch Beantwortung dieser Frage kann eine deutliche Verbesserung der Entscheidung einhergehen, welche Finanzprodukte ich kaufe - nach der Devise: Wenn ich es nicht verstehe, lasse ich lieber die Finger davon.

Genau. Ich denke, ein ganz wichtiger Teil einer Finanzbildung ist auch, dass man den jungen Menschen beibringt, dass man auf lange Zeiträume eigentlich keine Verluste erleiden kann, wie ja auch das Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts eindrucksvoll belegt.

Richtig. Aber um diese lange Sicht einnehmen und durchhalten zu können, wenn die Börsen unruhig sind, ist Finanzbildung wertvoll. Denn sie hilft mir nicht nur über Fachwissen, sondern auch über eine entsprechende Wertebildung, mich auch langfristig gemäß meiner Präferenzen zu verhalten. Das hat viel mit Persönlichkeitsbildung und Bewusstmachung der eigenen Ziele zu tun - auch das sind wichtige Bestandteile der ökonomischen Bildung.

Welche Teile der ökonomischen Bildung wären besonders wichtig für die jungen Menschen, aber auch für ein prosperierendes Land, jetzt nicht nur in Bezug auf die Altersvorsorge?

Die ökonomische Bildung umfasst viele Themenbereiche. In einer ökonomisch geprägten Welt bedeutet Finanzbildung in der Schule gerechtere Startbedingungen für alle. Dazu gehören auch Verbraucherbildung und die Wertebildung. Diese stärken die Mündigkeit und die Konsumentensouveränität. Ein weiterer Aspekt der ökonomischen Bildung ist die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Das ist ein Bereich, in dem ganz bewusst auf den Umgang mit Ressourcen eingegangen wird. Dort geht es auch um die Frage, was zum Beispiel vom Staat unternommen werden kann, um das Konsumentenverhalten auf ein besseres Niveau zu heben: Wie wirken Sanktionen oder Anreizmodelle, das Nudging, welche Lösung ist sinnvoller? In welchem Zusammenhang stehen individuelles und kollektives Verhalten? Wie ordne ich all dies in einen globalen Kontext ein? Das ist ein ganz aktueller und wichtiger Themenbereich der ökonomischen Bildung.

Ein anderer Themenbereich ist die Entrepreneurship-Education. Die ist zum einen wichtig für potenzielle Unternehmensgründer. Sie enthält aber auch für Angestellte sehr wichtige Aspekte, wie Haltung und Einstellung im Umgang mit Risiko, die Übernahme von Verantwortung oder das Treffen von Entscheidungen. Diese Aspekte sind in einer agilen Arbeitswelt wichtig und damit gleichermaßen für Angestellte wie Unternehmer. Entrepreneurship-Education umfasst auch die Persönlichkeitsentwicklung und Analyse von Stärken und Neigungen. Sie hilft jungen Menschen bei der Antwort auf die Frage, wo sie sich in der Wirtschaft mittel- bis langfristig sehen: eher als eigenverantwortlicher Gründer oder als verantwortungsvoller Angestellter.

Als letzten Punkt möchte ich die Berufs- und Studienorientierung nennen, die für junge Menschen bei der Gestaltung des Übergangs von der Schule ins Berufsleben besonders wichtig ist. Schon die beispielhaft genannten Aspekte machen deutlich, wie sehr die ökonomische Bildung dabei hilft unsere Welt zu verstehen.

Jetzt haben wir darüber gesprochen, was wichtig wäre. Gefühlt steht es damit in Deutschland allerdings nicht zum Besten. Doch wie ist denn der Stand der Dinge? Gibt es dazu umfassende Daten, auf welchem Stand die ökonomische Bildung ist und vor allem wo es noch hapert?

Ja, es gibt internationale und nationale Zahlen dazu. Lassen Sie uns zunächst ins Ausland blicken. Es gibt 38 OECD-Länder, davon haben 37 Länder eine nationale Strategie für Wirtschafts- und Finanzbildung verabschiedet.

Lassen Sie mich raten, das eine Land ist Deutschland?

Richtig. Deutschland ist das einzige Land in der OECD ohne eine solche Strategie. Vor Kurzem haben die ESAs, die europäischen Aufsichtsbehörden, eine Übersicht zusammengestellt von 127 Finanzbildungsprogrammen, die sie für relevant halten. Nehmen wir zum Beispiel Schweden: Das Land hat schon vor vielen Jahren sieben Säulen der Finanzbildung zeitgleich mit der Umstellung auf ein kapitalgedecktes Rentensystem eingeführt. Diese sieben Säulen reichen von der Grundschule bis ins Rentenalter. Dieses Modell ist dort mittlerweile etabliert und wir sehen auch die positiven Auswirkungen davon. So ist in Schweden die Aktienquote der privaten Haushalte in der Vergangenheit deutlich gestiegen. Ein gutes Beispiel, wie Mündigkeit durch Finanzbildung zu einer besseren Handlungsfähigkeit führt. Es wird nicht nur ein kapitalgedecktes Rentensystem eingeführt, die Menschen lernen gleichzeitig auch die Zusammen hänge kennen und können sich so entsprechend verhalten.

Ebenso hat Österreich erst vor Kurzem im September 2021 im Kabinett eine nationale Finanzbildungsstrategie verabschiedet. Diese ist nach acht Lebensphasen, beziehungsweise Zielgruppen eingeteilt. Ein interessanter Ansatz, denn er berücksichtigt, dass Menschen nicht nur in einer bestimmten Lebensphase eine besondere Finanzbildung benötigen, sondern auch, wenn sie einer bestimmten Zielgruppe angehören, wie zum Beispiel Familien oder Menschen mit Migrationshintergrund.

Im internationalen Vergleich hat Deutschland einen massiven Nachholbedarf im Bereich einer nationalen Strategie für Wirtschafts- und Finanzbildung. Aber es gibt auch Potenziale! Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat neulich in einem Interview davon gesprochen, dass der Bund bei großen Themen, die alle betreffen würden, den Bildungsbereich unterstützen möchte. Sie hat dabei als Beispiel die Digitalisierung und die Qualität von Bildung angesprochen. Da ist also etwas in Bewegung gekommen.

Und: Die Regierung diskutiert aktuell über die kapitalgedeckte Rente. Logischerweise sollte damit auch eine systematische Finanzbildung von Klein bis Groß verbunden sein, wie in Schweden und Österreich. Wenn sich das Bundesfinanzministerium dafür einsetzen würde, dann ergäben sich zumindest weitere Verbesserungspotenziale.

Und wie steht es um die ökonomische Bildung in Deutschland?

Bildung ist in Deutschland föderal organisiert, wir haben 16 Bundesländer. Es gibt die OeBIX-Studie zum Stand der ökonomischen Bildung, die das Institut für ökonomische Bildung in Oldenburg im Auftrag der Flossbach von Storch Stiftung im vergangenen Jahr erstellt hat. Die Studie hat ergeben, dass ökonomische Bildung in keinem Bundesland die Anforderungen erfüllt, die für ein normales Nebenfach gelten. Dieser Maßstab ist ein Nebenfach, das mit zwei Wochenstunden über drei Schuljahre unterrichtet wird. Wie gesagt: Kein Bundesland kommt an diese Norm heran! Elf Bundesländer schaffen es noch nicht einmal auf 50 Prozent dieses Maßstabs. Das zeigt sehr deutlich die Misere der ökonomischen Bildung in Deutschland. Daher sagen wir, dass ökonomische Bildung unbedingt in die Schule kommen muss, und zwar überall und hinreichend verankert, denn in der Schule lernt man ja fürs Leben!

Ist es vielleicht ein Teil des Problems, dass viele Lehrer eine ablehnende Haltung zum Kapitalismus und zur Wirtschaft haben? Oder fehlen die Vorgaben im Lehrplan?

Die OeBIX-Studie hat verschiedene Facetten beleuchtet. Sie hat zum einen die institutionellen Rahmenbedingungen beleuchtet, die für ökonomische Bildung in den Bundesländern vorhanden sind, und hat einen Gesamtindex entwickelt. Dieser wiederum setzt sich aus zwei Teilindizes zusammen. Der Index misst zum einen, in welchem Maß ökonomische Bildung an der Schule unterrichtet wird. Zu den Messgrößen gehören Stundenkontingente, Belegpflichten und Abschlussmöglichkeiten, etwa als Grund- oder Leistungskurs. Zum anderen misst der Index die Verankerung in der Lehrkräftebildung, also in den Lehramtsstudiengängen an den Universitäten. Zu den Messgrößen gehören die Zahl der fachdidaktischen Professuren und die ökonomischen Studienanteile.

Ihre Frage zielt auf den letztgenannten Teil ab. Ja, da gibt es Mängel. Es gibt in vielen Bundesländern keine wirtschaftsdidaktischen Lehrstühle. Die Studiengänge sind häufig an den politikwissenschaftlichen Fakultäten aufgehängt, weil wir häufig Fächerkombinationen haben.

Das ist an sich in Ordnung und kann auch praktikabel sein. Nur wichtig ist dabei, dass die Lehrkräfte, die Wirtschaft unterrichten, eben auch die ökonomischen Denk- und Sichtweisen erlernen. Dazu müsste aber dieser Teil des Studiengangs an einer wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät angesiedelt sein oder zumindest von wirtschaftsdidaktischen Professuren verantwortet werden. Das ist die fachliche Komponente. Sie können aber natürlich auch einen Bezug zum Curriculum herstellen: Je stärker das Schul-Curriculum ist und je mehr ökonomische Bildungsinhalte dort verankert sind, umso mehr sollte auch die universitäre Ausbildung von Wirtschaftslehrkräften darauf ausgerichtet sein. Aber allein betrachtet gibt es bei der Lehrkräfteausbildung noch deutliches Potenzial nach oben. Wenn wir allein die nicht wirtschaftsdidaktischen Lehrstühle zu solchen machen würden, wäre schon viel geholfen. Ökonomische Bildung zeichnet sich durch solche Spezifika aus, dass sie unbedingt grundständig unterrichtet werden muss. Nur so können die ökonomischen Bildungsinhalte neben den politischen Inhalten in einem Kombinationsfach wie beispielsweise Politik-Wirtschaft zu gleichen Teilen unterrichtet werden.

Eine weitere Herausforderung ist sicherlich, dass die Berufsbiografie vieler Lehrerkräfte so aussieht, dass sie von der Schule an die Universität und von dort wieder an die Schule gehen. So fehlt häufig der persönliche Kontakt zu Betrieben, zu betriebswirtschaftlichen Organisationsprozessen, zu unternehmerischem Denken, Handeln und Verantwortung - insgesamt zur Wirtschaft. Aber das ist nur eine Facette. Studien haben zudem nachgewiesen, dass in Schulbüchern oft ein tendenziöses Bild von Wirtschaft und Unternehmern gezeichnet wird.

Helfen kann hier die strukturelle Stärkung der ökonomischen Bildung über die Schaffung eines echten Nebenfachs Wirtschaft, mit ausgewogenen Lehrplänen und einer vernünftigen Ausstattung an Kontingentstunden.

Wir sehen zudem, dass bei den angehenden Lehrkräften selbst ein großes Interesse an vertieftem Wirtschaftswissen besteht. Es gibt zum Beispiel einen Erweiterungsstudiengang der Universität Siegen, den wir als Flossbach von Storch Stiftung auch fördern. Dieser wird seit diesem Wintersemester angeboten. Die Anmeldezahlen liegen erfreulicherweise weit über den Erwartungen. Diese Entwicklungen stimmen uns hoffnungsfroh: Es gibt klar benennbare Potenziale im Bildungssystem, es gibt das Interesse bei angehenden Lehrkräften an dem Fach und es gibt erste Maßnahmen, die greifen. Wenn wir es jetzt noch schaffen, diese Maßnahmen strukturell in den Bundesländern zu verankern, dann wäre viel gewonnen. In diese Richtung wollen wir arbeiten.

Welche Rolle können dabei Initiativen wie das "Planspiel Börse" der Sparkassen oder "Jugend und Wirtschaft" des Bankenverbands spielen? Können solche Initiativen die Missstände der schulischen Bildung ausgleichen, ist das nur als Ergänzung zu sehen oder gar völlig überflüssig?

Wir haben das Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland (BÖB) gegründet. Das ist ein ehrenamtlich getragener Verein von inzwischen mehr als 90 überwiegend institutionellen Mitgliedern. Dahinter verbergen sich Lehrerverbände, Berufs- und Branchenverbände, wirtschaftsnahe Stiftungen und auch die Wissenschaft sowie einzelne Förderpersonen. Dort sind zahlreiche von, wie Sie es nennen, außerschulischen Bildungsanbietern aus dem Bereich Wirtschaft und Finanzen vertreten. Was all unsere Mitglieder vereint, ist, dass sie sehen, dass ökonomische Bildung ein gemeinnütziges Anliegen und eine hoheitliche Aufgabe ist. Deshalb setzen sich diese Mitglieder, die aus unterschiedlichen Bundesländern kommen, unterschiedliche Themenschwerpunkte setzen und unterschiedliche Zielgruppen wie Schüler, Lehrkräfte oder Lehrkräfteausbilder vertreten beziehungsweise ansprechen, mit Politikern, Vertretern der Ministerien, Schulausschüssen und Journalisten an einen Tisch und sensibilisieren dafür, wie wichtig die hinreichende Verankerung der ökonomischen Bildung im allgemeinbildenden Schulwesen ist. Und sie betonen, dass die Lehrkräfte, die ökonomische Bildung unterrichten, grundständig und wirtschaftsdidaktisch ausgebildet sein müssen.

Wir als Flossbach von Storch Stiftung sind Gründungsmitglied, haben von Anfang an dieses Bündnis stark mitbetrieben und unterstützen es auch weiterhin operativ. Den beiden Stiftern Bert Flossbach und Kurt von Storch ist es sehr wichtig, diese Bildungslücken im Bereich Wirtschaft und Finanzen zu schließen, weil sie die Lebensbedingungen für Menschen verbessern wollen, insbesondere für junge Menschen. Wirtschafts- und Finanzbildung ist dafür ein wesentlicher Schlüssel, von entsprechend ausgebildeten Lehrkräften an Schulen unterrichtet.

Wenn das gelingt, dann sind auch außerschulische Projekte sinnvoll, weil sie von den Lehrkräften in ihren Klassen unterrichtlich vorbereitet, erlebt und unterrichtlich nachbereitet werden können. Solange diese außerschulischen Projekte im Grunde aber nur das Vakuum der ökonomischen Bildung an der Schule füllen, wird man nie alle Schüler erreichen können. So bleibt es weiterhin vom Zufall abhängig, ob ich als junger Mensch wirtschaftliche Kompetenzen an die Hand bekomme. Das können wir uns als Industrienation mit großem Dienstleistungssektor und als europäisches, aufklärerisch geprägtes Land einfach nicht leisten.

Insofern lässt sich festhalten: Die außerschulischen Initiativen haben ihren Wert und haben auch ihre Community, aber keine dieser Initiativen erreicht alle Lehrkräfte und alle Schüler.

Im Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland haben Sie persönlich auch ein Mandat als Co-Vorsitzende. Wie geht das Bündnis strategisch vor? Können Sie mal ein oder zwei konkrete Projekte vorstellen, die im Bündnis umgesetzt wurden?

Das Credo des Bündnisses Ökonomische Bildung Deutschland lautet: "Beraten, kommunizieren und vernetzen". Entstanden ist das Bündnis im Kontext des Koalitionsvertrags in Nordrhein-Westfalen, in dem steht, dass die ökonomische Bildung gestärkt werden soll, um jungen Schülerinnen und Schülern eine selbstbestimmte Lebensgestaltung zu ermöglichen. Die Bildungslandschaft ist durch viele Instanzen geprägt. Wir konnten Expertise zu den Lehrplänen, den Kontingentstunden, der Lehrkräfteausbildung und den Universitäten einbringen. Es braucht zudem eine Verbindung zwischen dem Schul- und dem Wissenschaftsministerium. In all diesen Belangen gibt es Experten im Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland.

Ein Beispiel: Wir führen innerhalb des Bündnisses Vernetzungsveranstaltungen durch. Die erste war 2019 in Präsenz in Berlin. Das hat sehr gut funktioniert. Durch die Pandemie sind wir seitdem nahtlos dazu übergegangen, diese Veranstaltungen online durchzuführen, was auch hervorragend funktioniert. So kommt es, dass wir seit September 2020, als wir 50 Mitgliedsinstitutionen hatten, jetzt auf mehr als 90 Mitglieder angewachsen sind.

Ein weiteres Beispiel möchte ich noch erwähnen. Die in der OeBIX-Studie erhobenen Daten bieten eine sehr gute Gesprächsgrundlage. Seit der Veröffentlichung der Studie im Mai 2021 gab es umfangreiche Gespräche mit mehreren Kultusministern der Länder und ihren Verwaltungen. Ausgangspunkt vieler Gespräche ist die Frage nach dem aktuellen Stand der Dinge und wo liegen mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungen. Im Kern geht es darum, was eine moderne zukunftsorientierte Allgemeinbildung in der Schule im Sinne unseres Nachwuchses umfassen muss.

Die Diskussion der ökonomischen Bildung ist anspruchsvoll, das Bildungswesen und die Bildungsverwaltung durch viele Interdependenzen geprägt. Da braucht der Diskurs Zeit. Aber umso wichtiger ist, dass dieser Diskurs in Gang kommt. Und dazu liefert die OeBiX-Studie einen wichtigen Beitrag, weil sie erstmals Zahlen, Daten, Fakten zu diesem Thema liefert und Vergleichsmöglichkeiten zulässt.

Die Flossbach von Storch Stiftung hat sich die Aufgabe gestellt, die Finanzbildung in Deutschland voranzubringen. Dazu gehört auch die politische Willensbildung. Von allein wird diese Regierung wohl nicht darauf kommen, eine nationale Strategie für ökonomische Bildung zu starten. Was haben Sie hier schon erreicht?

Wir stehen heute auf vielen verschiedenen Ebenen mit der Bildungspolitik im Dialog und haben es geschafft, Experten etwa aus Ministerien und der Wissenschaft miteinander ins Gespräch zu bringen. Für uns ist das Kommunizieren der Zusammenhänge sehr wichtig. Es muss beispielsweise erst ins Bewusstsein kommen, dass durch Finanzbildung der Altersarmut, die durch die demografische Entwicklung und die damit einhergehenden Grenzen unseres Rentensystems droht, begegnet werden kann. Es muss deutlich gemacht werden, dass ökonomische Bildung Politikern auf diesem Feld strukturelle Handlungsoptionen eröffnet.

Ähnliches gilt für den Kampf gegen den Klimawandel: Auch hier kann ökonomische Bildung einen wertvollen Beitrag liefern, Zusammenhänge zu verstehen. Die anfangs angesprochenen Anreizmodelle stellen staatliche Instrumente dar, Verbraucher zu einem "besseren" Konsumverhalten zu leiten, und auch der verantwortungsvolle und nachhaltige Umgang mit Ressourcen, Preise für knappe Güter, stellen zum Beispiel ökonomische Denk- und Sichtweise dar, die für Verbraucher, Unternehmer und Unternehmensvertreter und den Staat relevant sind. Die Rolle von Unternehmern für unsere Gesellschaft, die mit Innovationen und tragfähigen Geschäftsmodellen, technologischen, digitalen, medizinischen und vielen mehr, unseren Wohlstand im Wesentlichen ausmachen und wie der Staat günstige Rahmenbedingungen dafür schaffen kann - all das sind Aspekte der ökonomischen Bildung, die jungen Menschen als Grundlagenwissen den Start in ein mündiges, selbstbestimmtes Leben erleichtern.

Welche weiteren Meilensteine hat die Stiftung in der politischen Arbeit bereits erreicht?

Es gibt eine gute Entwicklung in Bundesländern, wie Baden-Württemberg mit dem neuen Schulfach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung, das sehr gut im Bereich der Schule und Lehrkräftebildung aufgesetzt ist, oder auch in Schleswig-Holstein. Dort gibt es das Landeskonzept Entrepreneur-Education, bei dem auch Mitglieder aus dem Bündnis Ökonomische Bildung tätig sind. Das geht mit der Stärkung ökonomischer Bildung einher. Auf Basis der OeBIX-Studie sprechen wir weiter mit politisch Verantwortlichen von verschiedenen Ministerien auf Bundes- und Landesebene und engagieren uns dafür, dass Wirtschafts- und Finanzbildung in die Schulen und Hochschulen stärker verankert wird.

Dazu stand das BÖB im Vorfeld der letztjährigen Bundestagswahl mit allen Parteien der demokratischen Mitte im Austausch und hat mit ihnen Wahlprüfsteine durchdekliniert. Der Austausch hat gezeigt, dass es eine große Bandbreite gibt. Es gibt einige Parteien, bei denen steht ökonomische Bildung ganz oben auf der Agenda. Und es gibt einige Parteien, die es noch höher priorisieren könnten. An diesen Flanken arbeiten wir weiterhin.

Verena von Hugo , Vorsitzende des Vorstands , Flossbach von Storch Stiftung, Köln
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