20 Jahre Währungsunion - 10 Jahre Krisenmodus - offene Zukunft

Jürgen Stark, Foto: Joppen

Die Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen des Euro und der Europäischen Zentralbank (EZB) waren bescheiden. Aus gutem Grund: der Krisenmodus dauert an und die Arbeiten auf der selbst geschaffenen politischen Großbaustelle zur vermeintlichen Stärkung der Krisenfestigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) gehen weiter. Ferner belasten der Brexit und andere große Herausforderungen, die nur auf europäischer Ebene bewältigt werden können. Ein Grundproblem aus Sicht des Autors: Der auf festen Annahmen basierende Maastricht-Vertrag wurde nie richtig umgesetzt. Die Missachtung von Prinzipien und Regeln und der fehlende politische Durchsetzungswille führten laut ihm letztlich zur Staatsfinanzkrise 2010. Sorge bereitet dem ehemaligen Bundesbank- und EZB-Chefvolkswirt vor allem die Abkehr von den Haftungsprinzipien und die Hinwendung zu einer Transferunion. (Red.)

Im Blick zurück hätten die ersten beiden Dekaden der WWU nicht unterschiedlicher sein können als sie es waren. Mit der monetären Integration hatte man Neuland betreten und es war unklar, wie der institutionelle Rahmen mit einer zentralisierten Geldpolitik und einer dezentralisierten Fiskal- und Wirtschaftspolitik in der Praxis funktionieren würde. Dank intensiver Vorbereitungen gelang der Start des Euro und der EZB 1999 jedoch überraschend reibungslos.

Höchst unterschiedliche Dekaden

Doch bald wurden erste Schwächen sichtbar, die aus dem unsolidarischen Verhalten einzelner Euro-Staaten gegenüber der einheitlichen Währung resultierten. Die unzureichende Anpassung nationaler Politiken an die Bedingungen der WWU führte zu hoher Verschuldung, dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und damit zu mehr wirtschaftlicher Divergenz statt dauerhafter Konvergenz. Die sich verschärfenden Ungleichgewichte wuchsen sich in der zweiten Dekade der WWU zu einer ernsten Krise im Euroraum aus.

Aus Anlass ihres 10-jährigen Bestehens im Jahr 2008 wurde die Wirtschafts- und Währungsunion als Meilenstein der europäischen Integration und als durchschlagender Erfolg gefeiert, auch wenn einige der ursprünglichen Erwartungen sich noch nicht erfüllt hatten. Die Europäische Zentralbank pries damals in einer Sonderausgabe ihres Monatsberichts die erreichte Preisstabilität in einem nun größeren europäischen Raum, dank ihrer stabilitätsorientierten geldpolitischen Zwei- Säulen-Strategie. Angesichts sich abzeichnender wirtschaftlicher Divergenzen wurde aber auch die Notwendigkeit weiterer Wirtschaftsreformen eingefordert, die für ein reibungsloses Funktionieren des Euroraums entscheidend sind.

Nur wenige Monate später, im September 2008, drohten dem Weltfinanzsystem und der Weltwirtschaft nach dem Kollaps von Lehman Brothers der Supergau, der nur durch rasches und entschiedenes Handeln der wichtigsten Zentralbanken der Welt verhindert wurde. Die EU und das Eurosystem meisterten die Krise in bemerkenswerter Weise. Allerdings wurde zunächst das Ausmaß der aktiven Beteiligung europäischer Banken beim Entstehen der Übertreibungen im amerikanischen Immobilienmarkt unterschätzt. Als die Krise rasch nach Europa überschwappte führten Bankenrettungen und die Bekämpfung der wirtschaftlichen Rezession zu einer dramatisch anwachsenden Staatsverschuldung.

Krisenmodus und die Abkehr von "Maastricht"

Im Euroraum mutierte und eskalierte die Krise 2010 zu einer Staatsschuldenkrise, beginnend mit Griechenland, gefolgt von Irland und Portugal. Das politische Krisenmanagement veränderte die Wirtschaft- und Währungsunion fundamental. Im Mai 2010 wurden innerhalb weniger Stunden politische Entscheidungen getroffen, die den Prinzipien und Regeln des Maastricht-Vertrags völlig widersprachen.

Gerechtfertigt wurde diese von Panik getriebene Politik als "alternativlos", um das drohende Auseinanderfallen des Euro-Währungsraums abzuwenden. Selbstverständlich gab es Alternativen. Zunächst versuchte man Griechenland als Sonderfall, der es auch war, zu isolieren. Das Land brauchte konditionierte Finanzhilfe. Nur hätte diese nicht im Rahmen der WWU, sondern außerhalb gewährt werden sollen, und dann in Verbindung mit dem notwendigen Schuldenschnitt.

Stattdessen sah man in vielen Euroländern die Griechenland-Krise als historische Gelegenheit, den institutionellen Rahmen der WWU zu ändern und sich der im Maastricht-Vertrag verankerten, aber ungeliebten deutschen Prinzipien und Bedingungen zu entledigen. So wurde zunächst mit der Schaffung der Europäischen Finanzstabilitäts-Fazilität (EFSF) und dann mit dem dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aus dem "no bail out"-Prinzip ein "bail out"- Mechanismus. "Maastricht" wurde auf den Kopf gestellt.

Faktum ist, dass der vom Maastricht-Vertrag vorgegebene institutionelle Rahmen für die Wirtschafts- und Währungsunion nicht ausreichend gewirkt hat. Aber warum? Viele, die heute in politischer Verantwortung stehen, argumentieren, "Maastricht" sei unvollständig gewesen. Man habe bei den Vertragsverhandlungen bestimmte Aspekte ignoriert oder übersehen. Jedenfalls müsse die WWU jetzt vervollkommnet und krisenresistenter gemacht werden.

Zur Erinnerung: Maastricht basiert auf den Annahmen, dass

- nur Länder mit einer relativ ähnlichen Wirtschaftsstruktur, einem hohen Grad an wirtschaftlichem Gleichlauf und einer überzeugenden fiskalpolitischen Erfolgsbilanz den Euro einführen;

- die wirtschaftliche Konvergenz dauerhaft ist und die fiskalpolitischen Regeln voll respektiert werden, sodass mögliche asymmetrische Schocks über den national verfügbaren fiskalpolitischen Spielraum absorbiert werden;

- die Nicht-Beistands-Klausel ("no bail out"-Klausel) wirkt, die auf dem Prinzip der nationalen Verantwortung und Haftung für die Haushaltspolitik im Rahmen der europäischen Regeln basiert;

- die EZB das vertragliche Verbot der monetären Finanzierung öffentlicher Haushalte einhält.

Die Erfahrung nach 20 Jahren Wirtschafts- und Währungsunion ist vor diesem Hintergrund ernüchternd: das Konzept von Maastricht wurde nie vollkommen umgesetzt. Das begann bereits 1998 mit der Entscheidung über die Länder, die sich für den Euro qualifizierten. Aus politischen Gründen konnten Staaten den Euro einführen, die bei strenger Interpretation der Konvergenzkriterien nicht qualifiziert waren.

Politische Vorsicht beim Start der Währungsunion wäre für beide Seiten vorteilhaft gewesen: zum einen wären viele Länder, insbesondere im Süden Europas - wie auch diejenigen, die durch die rasche Erweiterung des Euroraums noch hinzukamen - wirtschaftlich besser gefahren, wenn sie ihre nationalen Währungen und Politikinstrumente noch für längere Zeit beibehalten hätten. Zum anderen wären der europäischen Idee, dem Euro und den Kernländern dadurch vieles an politischen Konflikten, Schaden und Kosten erspart geblieben.

Institutionelles Versagen

Hinzu kommt institutionelles Versagen. Sowohl die EU-Kommission - als "Hüterin der Verträge" - als auch die Mehrheit der europäischen Finanzminister haben das fiskalpolitische Regelwerk viel zu lässig gehandhabt. So konnte eine angemessene Haushaltspolitik über den Konjunkturzyklus hinweg nicht gewährleistet werden. Das Versagen von Regierungen und Rat wurde insbesondere im Jahr 2003 evident, als der Stabilitätspakt auf massiven politischen Druck Deutschlands und Frankreichs faktisch außer Kraft gesetzt wurde.

Die Missachtung von Prinzipien und Regeln und der fehlende politische Durchsetzungswille führten letztlich zur Staatsfinanzkrise 2010. Auch die Nichtbeistands-Klausel hatte damit aus Sicht der Finanzmärkte endgültig ihre Glaubwürdigkeit verloren. Die Markteinschätzung erwies sich als richtig, dass im Falle einer tiefen Krise mit potenziellen Überschwapp- und Ansteckungseffekten Politiker ein Land eher herauszupauken bereit sein werden, als eine staatliche Insolvenz zu riskieren. Im Zuge des Krisenmanagements wurde nicht nur die "no bail out"-Klausel ausgehebelt, sondern auch das der Europäischen Zentralbank auferlegte Verbot der monetären Finanzierung von Staatshaushalten. Der Sündenfall der EZB ist auf den 10. Mai 2010 mit dem Start des "Securities Markets Programme" (SMP) zu datieren. Die EZB gab politischem Druck nach, opferte ihre Unabhängigkeit und begann, griechische Staatsanleihen zu kaufen. Später wurde das Programm um Irland und Portugal sowie im August 2011 um Italien und Spanien erweitert.

Die Ankäufe wurden geldpolitisch begründet. Aber sie hatten mit Geldpolitik nichts gemein, allein schon deshalb, weil das SMP selektiv und nicht für den gesamten Euroraum eingesetzt wurde. In Wirklichkeit ging es um die Finanzierung der öffentlichen Haushalte von Programm- oder Problemländern, also um Fiskalpolitik. Damit dehnte die EZB bereits damals ihr sehr enges Mandat ins Extreme.

Verschiedene Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum SMP und zum "Outright Monetary Transactions"- Programm (OMT), welches bisher nicht aktiviert wurde, bestätigten mehr oder weniger die rechtliche Zulässigkeit der Programme, wobei der Europäischen Zentralbank gewisse Restriktionen auferlegt wurden.

Aus ökonomischer Sicht sind diese Programme ebenso wie das seit dem Jahr 2015 wirksame und zunächst mit (nicht bestehenden) Deflationsgefahren begründete Anleihekauf-Programm ("Asset Purchase Programme"/APP) eine klare Verletzung des Verbots monetärer Finanzierung durch die Zentralbanken. Die Refinanzierungskosten von Euro-Staaten werden durch die Zentralbank-Käufe künstlich niedrig gehalten und reflektieren nicht mehr die Risiken.

Heute ist die EZB-Politik expansiver als in den verschiedenen Eskalationsphasen der Krisen seit 2008 und es ist keine "Normalisierung" in Sicht. Die Negativzinspolitik seit 2014 und die Aufblähung der Zentralbankbilanzen seit 2015 durch die Anleihekäufe sind die gravierendsten geldpolitischen Fehlentscheidungen in der EZB-Geschichte. War dieses Vorgehen bereits zum damaligen Zeitpunkt heftig umstritten, so ist diese Politik aus heutiger Sicht völlig unangemessen und birgt erhebliche Risiken. Dem wird politisch entgegengehalten, die EZB habe den Euro gerettet. Zweifelsohne hat die EZB-Politik beruhigend für die Märkte gewirkt. Sie hat aber gleichzeitig die Krise verlängert, da notwendige Wirtschaftsreformen in den Euro-Staaten verschoben wurden oder unterblieben und ihre Politik zu einem Risiko für die Finanzstabilität geworden ist. Wenn der Euro wirklich hätte gerettet werden müssen, wäre es Sache demokratisch legitimierter Regierungen gewesen und nicht der EZB.

Reform des institutionellen Rahmens der WWU

Seit dem Beginn der Krise im Euroraum wurde eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um den Euro "krisensicherer" zu machen. Es waren eher Ad-hoc-Entscheidungen, die keinem in sich geschlossenen Konzept folgten. Neben dem "bail out"-Mechanismus sind es unter anderem verschärfte Haushaltsregeln. Aber wiederum mangelt es an der konsequenten Durchsetzung. Die Regeln sind komplex, kompliziert und intransparent. Sie sehen zu viele Ausnahmen und Öffnungsklauseln vor und die Verfahren wurden in höchstem Maße politisiert.

Ein weiteres wichtiges Element ist die Bankenunion. Die einheitliche Bankenaufsicht (Single Supervisory Mechanism/SSM) wurde bei der EZB angesiedelt. Ein Bankenabwicklungs-Mechanismus (Single Resolution Mechanism/SRM) und ein von den Banken finanzierter Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund/SRF) wurden geschaffen. Kontrovers ist die Einführung einer europäischen Einlagensicherung (European Deposit Insurance System/EDIS), die über die Harmonisierung der nationalen Einlagensicherungssysteme hinausgeht.

Neue Elemente, um die WWU zu "vervollständigen und krisenfester" zu machen, sind die Stärkung des ESM, der nun als Letztsicherung für den SRF vorgesehen ist, die Konkretisierung des Zugangs grundsätzlich solider Euro-Staaten zu vorbeugenden ESM-Kreditlinien (Contingent credit lines) sowie eine künftig wichtigere Rolle der Kollektivklauseln ("Collective Action Clauses") in den Kontrakten für Staatsanleihen. Endgültige Entscheidungen unter anderem über ein Euro-Budget und die europäische Einlagensicherung stehen noch aus.

Wie sind die bisherigen Schritte und die weiteren Entscheidungen zur Reform der WWU einzuschätzen? Welchen Prinzipien folgt man und welche Prioritäten werden gesetzt, was zur Frage führt, welche Maßnahmen sind wünschenswert und welche sind nötig? Die nordischen Finanzminister haben genau hier die kluge Unterscheidung zwischen "nice to haves" und "need to haves" getroffen. Will man eine Währungsunion der Solidität und Stabilität mit Eigenverantwortung und Haftung der Mitgliedstaaten für ihre Politik oder der Solidarität unter den Euro-Mitgliedstaaten durch Risikoteilung und Finanztransfers?

Solidarität als Leitprinzip?

Es überrascht nicht, dass heute - wie zu Zeiten der Verhandlungen über den Maastricht-Vertrag vor drei Jahrzehnten - unterschiedliche wirtschaftspolitische Überzeugungen und Konzepte aufeinander treffen. Überraschend ist nur, dass sich Deutschland inzwischen in einem anderen Lager befindet und Solidarität zum Leitprinzip geworden zu sein scheint. Das heißt überspitzt formuliert: Solidarität mit Ländern, die sich gegenüber dem Euro unsolidarisch gezeigt haben, indem sie eine unverantwortliche Wirtschaftsund Finanzpolitik betrieben haben.

So ist der politische Fokus derzeit - dem Solidaritätsprinzip folgend - auf mehr und mehr Sicherheitsnetze und backstops, auf ein Eurobudget, eine europäische Arbeitslosenversicherung und Einlagensicherung gerichtet. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Euroraum umso stabiler wird, je mehr die Risiken geteilt werden, je mehr backstops es gibt und je mehr finanzielle Ressourcen verfügbar gemacht werden. Das ist jedoch ein Trugschluss. Denn durch die Vielzahl von Absicherungen werden erhebliche Fehlanreize sowohl für Regierungen als auch für die Marktteilnehmer gesetzt. Moralisches Fehlverhalten wird gefördert und die Märkte werden durch staatliche Interventionen völlig verzerrt.

An die Stelle des marktwirtschaftlichen Prinzips der Einheit von Risikoübernahme und individueller Haftung hierfür, tritt die gesamtschuldnerische Haftung, gefolgt von Finanztransfers in einer völlig neuen Dimension. Die Hoffnung auf eine fundamental bessere politische Kultur - nämlich einer Stabilitätskultur - wird kaum erfüllt werden. Die jüngsten politischen Entwicklungen in Italien sollten den Befürwortern der Risikoteilung eine Warnung sein. Die realen Probleme werden nicht adressiert, wie zum Beispiel die hohe öffentliche und private Verschuldung, schwache Institutionen, überregulierte Märkte und die immer noch unvollständigen Bilanzkorrekturen bei Unternehmen und Banken.

Die Gründe für die diskutierten Solidaritäts-Instrumente der Risikoteilung sind alles andere als überzeugend. Entweder sind die Instrumente nicht nötig oder ungeeignet und kontraproduktiv, um den Euroraum zu stabilisieren oder die Voraussetzungen für ihren Einsatz sind nicht gegeben. Warum soll zum Beispiel ein "solides" Euroland einen "vorbeugenden Kredit" erhalten? Anscheinend gibt es in solchen Fällen doch verborgene Defizite und Schwächen.

Ebenso bleibt unklar, welchen Zweck ein Eurobudget erfüllen soll. Soll es

- eine Stabilisierungsfunktion haben und gemeinschaftliche finanzielle Ressourcen verfügbar machen, um asymmetrischen Schocks zu begegnen?

- ein Investivhaushalt sein, zur Finanzierung grenzüberschreitender Projekte?

- einen finanziellen Anreiz für nationale Wirtschaftsreformen setzen?

- oder alles zusammen?

Eine Studie des IWF-Stabs aus dem Jahr 2013 zeigt, dass die meisten Schocks im Euroraum während der vergangenen 20 Jahre deshalb asymmetrisch waren, weil die betroffenen Mitgliedsstaaten eine unangemessene Wirtschaftspolitik und eine unverantwortliche Haushaltspolitik betrieben. Es handelte sich dabei meistens nicht um exogene, sondern mit Ausnahme von 2008 um kleinere und hausgemachte Schocks. Anstelle eines Eurobudgets ist in diesen Fällen die angemessene nationale Strategie, größere Haushaltspuffer aufzubauen und Wirtschaftsreformen durchzuführen, um solche länderspezifischen Schocks abzufedern.

Auch ein Investivhaushalt ist unnötig. Diese Aufgabe wird bereits über den EU-Haushalt, den "Juncker-Plan" und die Europäische Investitionsbank (EIB) wahrgenommen. Das Problem sind nicht fehlende finanzielle Ressourcen, sondern geeignete Projekte und die begrenzte Absorptionsfähigkeit der Mittel auf nationaler Ebene.

Der Idee, nationale Wirtschaftsreformen durch finanzielle Zusagen anzuregen und zu honorieren liegt die Annahme zugrunde, dass solche Reformen kurzfristig zu nicht hinnehmbaren Belastungen einschließlich zusätzlicher Kosten führen. Empirisch gibt es dazu widersprüchliche Belege. Jedenfalls müssten die Kosten von Nichtreformen gegenüber gestellt werden, wodurch verdeutlicht würde, dass Strukturreformen im Eigeninteresse der jeweiligen Länder liegen.

Zur europäischen Einlagensicherung stellen sich wichtige Fragen der Angemessenheit, der Voraussetzungen und der richtigen Sequenz des Vorgehens. Angesichts nach wie vor hoher Bankbilanzrisiken in vielen Ländern wegen des Umfangs notleidender Kredite, würde die Einführung einer einheitlichen Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten, nationale Insolvenzrisiken auf die europäische Ebene zu verschieben. Es müssten also zuerst die Vergangenheit aufgearbeitet und die Risiken drastisch verringert werden, bevor überhaupt an eine Risikoteilung zu denken ist.

Keine Einlagensicherung und Regulierung von Staatspapieren

Um in der Zukunft Risiken zu begrenzen, ist die Regulierung der von Banken gehaltenen Staatspapiere erforderlich. Die regulatorische Vorzugsbehandlung von Regierungsanleihen ist durch Eigenkapitalunterlegung und das Einziehen einer Obergrenze für Staatspapiere zu beenden. Das wäre entscheidend, um den Nexus zwischen Regierungen und Banken zu durchbrechen.

Anstatt mehr und mehr Absicherungsmaßnahmen zu installieren, sollte man sich auf die Ursachen der Krise im Euroraum besinnen und auf die "need to haves" konzentrieren, die allerdings derzeit nicht an der Spitze der europäischen Tagesordnung stehen. Die Staatsschuldenkrise begann mit exzessiven Haushaltsdefiziten und Zweifeln an der Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung, gepaart mit strukturellen Defiziten, die im Verlust der Wettbewerbsfähigkeit endeten. Daher bleiben Wirtschaftsreformen unabdingbar und die Risiken, die sich aus einer hohen öffentlichen Verschuldung ergeben, sind konsequent abzubauen. Die Haushaltsregeln sind zu vereinfachen. Sie müssen transparenter, glaubwürdiger und durchsetzbar werden, einschließlich automatischer Sanktionen bei unsolidarischem Verhalten. Der Fokus auf das "strukturelle Defizit" ist durch eine einfachere, vom Konjunkturzyklus unabhängigere und kontrollierbare Ausgabenregel zu ersetzen.

Entscheidend ist aber auch, einer unabhängigen und glaubwürdigen Institution die Aufgabe der Haushaltsüberwachung sowie der Um- und Durchsetzung der Regeln zu übertragen, zum Beispiel einem Europäischen Fiskalrat oder einer Budgetagentur. Die hoch politisierte EU-Kommission wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Der derzeitige Europäische Fiskalrat ist zwar unabhängig, aber sein Mandat ist sehr begrenzt und seine ratgebende Funktion endet bei der EU-Kommission.

Eine europäische Insolvenzordnung ist erforderlich, mit der auch die Nicht-Beistandsklausel wieder glaubwürdiger wird. Ferner ist der Nexus zwischen Regierungen und Banken ohne weiteren Zeitverzug zu durchbrechen. Dies verlangt die sofortige drastische Reduzierung der notleidenden Kredite auf den Bankbilanzen und das Ende der regulatorischen Vorzugsbehandlung von Staatspapieren bei der Eigenkapitalunterlegung.

Wiederholt wurden der drohende Zerfall des Währungsraums und das Ende des Euro vorausgesagt. Aber der Euro besteht noch immer und wird auch bestehen bleiben, solange Frankreich und Deutschland dafür die politische Gewähr bieten. Die Herausforderungen bleiben aber enorm.

Mit den bisherigen und den zu erwartenden Entscheidungen zur Reform des institutionellen Rahmens der WWU, die den Prinzipien der Solidarität und der gesamtschuldnerischen Haftung folgen, hat man sich auf eine schiefe Ebene begeben. Solidarität wird zur Einbahnstraße und honoriert unsolidarisches Verhalten. Dies birgt enorme finanzielle Risiken angesichts einer bereits extrem hohen staatlichen Verschuldung im Euroraum. Solidität und Stabilität bleiben auf der Strecke.

Es ist eine Politik des "weiter so", deren Grenzen nun ausgetestet werden. Politische Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit gebieten es einzugestehen, dass im Krisenfall die zu übernehmenden Risiken die Fähigkeit der Regierungen überfordert, diese Lasten zu tragen. Gerade daraus ergeben sich neue und noch größere Gefahren für die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen sowie die finanzielle und monetäre Stabilität, also das Gegenteil dessen, was man politisch anstrebt. Nicht Risikoteilung, sondern nur die Reduktion von Risiken macht die WWU wirklich sicherer.

Jürgen Stark Consultant und Honorar-Professor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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