Digitale Neandertaler? - Was Versicherungen von Insurtechs lernen können

Matthias Stauch Foto: Intervista AG

Nicht nur Banken werden in ihrem Kerngeschäft von Fintechs angegriffen, die sich hochspezialisiert und hochtechnologisiert auf lukrative Teilsegmente konzentrieren. Ähnlich geht es der Versicherungsbranche, der der Autor im Hinblick auf die notwendige Digitalisierung ihrer Prozesse ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Die Branche hinkt hinterher, so sein Fazit. Großes Problem: Je mehr Geschäfte über Apps oder Softwareprogramme abgewickelt werden, desto mehr wird die Existenz der Generalvertreter und Vermittler bedroht. Das muss aber nicht sein, so der Autor. Denn intelligente Plattformen unterstützen seiner Meinung nach die bisherigen Abläufe und sorgen für eine effizientere Abwicklung. Auch die Zusammenarbeit mit Fintechs, die viele Versicherer bislang noch scheuen, bietet seiner Meinung nach Vorteile. Es lassen sich neue Vertriebsmöglichkeiten und neue Kundengruppen erschließen. Nicht zuletzt sieht er durch die Entwicklung eine Wiederbelebung des Allfinanzgedankens. (Red.)

Digitalisierung ist in aller Munde und Fintechs erobern den Markt. Doch in Unternehmen der Versicherungsbranche bleibt der digitale Wandel teilweise noch unbeachtet. Zu Unrecht: Eine digitalisierte Vertragsabwicklung in Versicherungsunternehmen schafft Individualität für Kunden und Effizienzsteigerung aufseiten des Anbieters.

Aber eine derartige Umstellung von einem papiergebundenen Betrieb auf eine rein digitale Datenverarbeitung ohne Medienbrüche ist für die Versicherungsbranche vielfach noch Neuland. Um die digitale Transformation von Versicherungsdienstleistern voranzutreiben, bedarf es effektiver Strategien zur Implementierung digitaler Antragsstrecken und Verarbeitung von Vertragsabschlüssen sowie -kündigungen. Die Branche hinkt hinterher: Schon längst stehen solche Technologien zur Verfügung. Lange Zeit zögerten Versicherungsunternehmen, diese einzusetzen, jetzt nutzen Start-ups die Gunst der Stunde, um diese Lücke zu füllen.

Zufriedene Kunden durch digitale Transformation

Der Einzug intelligenter Technologien in verschiedene Branchen führt bereits zur Etablierung unterschiedlicher Fintechs am Markt und nun auch zu Insurtechs. Gemeint sind Unternehmen der Versicherungsbranche, die sich den digitalen Fortschritt zunutze machen und durch die Umstellung auf elektronische Prozesse einerseits von Einsparungen und andererseits von Flexibilität profitieren. Als Vorreiter der Branche gelten Start-ups, die Versicherungsangebote digitalisieren, standardisierte Softwareprogramme schaffen oder Apps für den Endverbraucher entwickeln. Sie bieten verschiedene Funktionen zur Verwaltung der eigenen Daten, um beispielsweise günstigere Tarife ausfindig zu machen. Heute schon könnte die Meldung eines Schadenfalls bequem per App vom Smartphone erfolgen. Auch die Ermittlung eines Tarifs auf Grundlage der persönlichen Daten übernehmen Kunden per Mausklick selbst. So fällt unter anderem das Vergleichen verschiedener Versicherungen deutlich leichter. Zusätzliches Plus stellt also die Transparenz von Versicherungsangeboten für den Verbraucher dar. Doch nicht nur die Kunden, sondern auch die Anbieter profitieren von den digitalen Trends durch Effizienzsteigerung, Compliance und Kundenzufriedenheit. Aber wie verändert sich in Zukunft die Nutzung von Versicherungsangeboten?

Insurtechs und etablierte Versicherungen im Konkurrenzkampf?

Eine digitalisierte Vertragsabwicklung in Versicherungsunternehmen schafft Individualität für Kunden und mehr Effektivität für Anbieter, Makler sowie Versicherungsvermittler. Mit dem erklärten Ziel, den Sektor zu verändern, führen Start-ups intelligente Technologien in ebendiesen ein. Smarte Software, Apps und neue Konzepte revolutionieren dabei das Versicherungsangebot sowie die Arbeitsabläufe. Doch Vermittler und Unternehmen wittern Gefahr und sehen sich in einer Konkurrenzsituation zu digitalen Anbietern.

Allerdings sollen die neuen Technologien lediglich Arbeitsschritte vereinfachen und Vorgänge für alle Beteiligten vor allem sicherer machen. Sowohl für Unternehmen als auch für Versicherungsvermittler gilt nun, dies zu akzeptieren und die Technologien sinnvoll einzusetzen, um von den digitalen Geschäftsmodellen zu profitieren. In erster Linie sorgen Apps und Softwareprogramme dafür, dass Verbraucher Daten und Tarife besser verwalten können.

Bei der Transformation des Versicherungsmarktes bangen Vermittler aber um die Rechtfertigung ihrer Tätigkeiten: Es scheint, dass bereits in naher Zukunft intelligente Software diese Prozesse übernimmt. Tatsächlich soll der digitale Wandel aber bestehende Abläufe unterstützen und für Effizienzsteigerung sowie Compliance innerhalb der Arbeitsabläufe sorgen. Um das umzusetzen, bedarf es einer standardisierten Plattform, in der Vermittler oder Vertriebler die Möglichkeit haben, Datenbanken, Abschlüsse oder die Kommunikation auch mobil zu organisieren.

Der Kunde im digitalen Zeitalter

Mit dem Einzug der Digitalisierung in die Versicherungsbranche ändert sich maßgeblich die Angebotspalette: Kundenwünsche lassen sich nun individuell berücksichtigen und flexibel umsetzen. Das Angebot umfasst zukünftig beispielsweise ausgewählte Standardpakete, die auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten werden. Die Grundlage dafür bilden intelligente Verträge, die eine vielschichtige Produkt-DNA aufweisen und Vertragsinhalte automatisiert realisieren. Dadurch entfallen die menschliche Schnittstelle sowie fehleranfällige Medienbrüche. Zudem lassen sich dank der Smart-Contract-Technologie Produkte flexibel anbieten und Abläufe effektiv automatisieren. Im Vordergrund steht die einfache, mobile und komfortable Vertragsabwicklung für den Kunden durch effiziente und kostengünstige Mittel. Dies trifft den Nerv der Zeit, denn vor allem die U-30-Generation ist es gewohnt, alles schnell und flexibel über das Smartphone zu managen.

Entscheidet sich ein Kunde beispielsweise dafür, in einen Urlaub mit einem höheren Risikofaktor zu gehen, kann er für den entsprechenden Zeitraum die Bedingungen seiner Versicherung anpassen oder eine Leistung dazubuchen - online und in Echtzeit. Zugleich ermöglicht die zunehmend digitale Datenverarbeitung die Auswertung von Smart Data. Das bedeutet, dass ein Unternehmen viel mehr über die Inanspruchnahme von Leistungen erfährt und Angebote dementsprechend anpassen kann.

Bestehende Technologie nutzen

Bei der Umstellung eines Unternehmens auf rein digitale Abläufe stellt die problem- und stufenlose Umrüstung das A und O für eine erfolgreiche Transformation dar. Hierbei empfiehlt es sich, bestehende Lösungen zur Datenverarbeitung innerhalb des Auftragsmanagements und zur Provisionierung miteinzubeziehen, beispielsweise bieten sich weitverbreitete Bezahlsysteme für die Transaktion der Provision oder auch von Schadenssummen an. Die Prozesse lassen sich individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zuschneiden und sind in kurzer Zeit einsatzfähig, sodass auch bei der Umstellung aufwendige Inbetriebnahmezeiten entfallen.

Im Mittelpunkt sollten darüber hinaus zu jeder Zeit das Produkt sowie die Usability für den Kunden stehen. Daher müssen leicht bedienbare Oberflächen, Verknüpfungen zu etablierten Systemen und anpassbare Vertragsoptionen dem Verbraucher sowie dem Vermittler oder Vertriebler flexibel zur Verfügung stehen. Um dies zu ermöglichen, bieten sich automatisierte Prozesse wie zum Beispiel Smart Contracts an, die Buchungen automatisiert annehmen und verarbeiten. Sowohl Kunden als auch Betriebe profitieren von der schnellen Bearbeitung und den weniger fehleranfälligen Prozessen.

Die Vorteile der Digitalisierung liegen auf der Hand, Versicherer müssen nun Lösungen finden, um Potenziale effizient auszuschöpfen und zugleich allen Akteuren zur Verfügung zu stellen. Langfristig kommt kein Unternehmen mehr an der Transformation oder der Zusammenarbeit mit Insurtechs vorbei. Denn etablierte Versicherungen bringen die nötige Erfahrung, Start-ups punkten dagegen mit Know-how: Diese Kombination stößt effektiv Veränderungen in der Branche an.

Wettbewerbsfähig bleiben

Versicherungsunternehmen sehen in den Insurtechs jedoch nicht nur Vorteile und verweigern unter anderem die Zusammenarbeit mit Start-ups. Stattdessen rüsten sie in Sachen Digitalisierung selbst nach. Immer mehr Versicherungen erarbeiten intern digitale Strategien und implementieren intelligente Software, um das digitale Kundenerlebnis zu ermöglichen. Es gilt, die vorhandenen technologischen Chancen zu erkennen und zu nutzen. Das bedeutet, den Markt aktiv zu beobachten und Newcomer, die eine Konkurrenz darstellen, frühzeitig zu erkennen.

Mit dem Einzug der Digitalisierung geht neben den Vorteilen in der Kundenbetreuung auch ein großes Plus an Versorgung einher. Die gesammelten Daten lassen Rückschlüsse auf die Umstände eines Versicherten zu, sodass Tarife automatisch den Bedürfnissen angepasst werden können. Start-ups aus der Finanzbranche liefern sich dabei mit denen aus der Versicherungsbranche ein spannendes Rennen. Denn an vielen Stellen überschneiden sich die Angebote für den Verbraucher. Hier bleibt abzuwarten, inwiefern sich eine Zusammenarbeit der Sektoren ergibt. Es könnten allerdings Geschäftsmodelle mit hohem Potenzial sowohl für Arbeitsabläufe als auch für die individuelle Kundenbetreuung und guten Erfolgschancen entstehen.

Außerdem bestehen so neue Möglichkeiten, den Allfinanzgedanken, der Ende der 1980er Einzug in Banken, Versicherungsgesellschaften und Bausparkassen hielt, neu zu denken: Digitale Lösungen machen den Vertrieb branchenübergreifender Dienstleistungen mehr und mehr möglich - und die Tendenz geht in den vergangenen Jahren wieder vermehrt zu Kooperationen von Banken und Versicherungen.

Matthias Stauch Vorsitzender des Vorstands und Mitbegründer, Intervista AG, Potsdam
Matthias Stauch , Vorstandsvorsitzender , Intervista AG, Potsdam
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