Ordnungspolitik für digitale Finanzdienstleistungen

Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken

Quelle: BVR

Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstands, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR), Berlin - Der Begriff Fintechs mag neu sein, aber die dahinter stehende Idee ist es aus Sicht des Autors nicht. Das Privileg zur Einführung von wegweisenden Neuerungen im Bankensektor sieht er jedenfalls keineswegs auf innovative Newcomer beschränkt, sondern billigt es auch der klassischen Kreditwirtschaft zu. Den Geldausgabeautomaten und das Online Banking nennt er als die sichtbarsten Lösungen aus der Zeit vor dem Fintech-Hype. Entsprechend optimistisch schätzt er die Chancen der traditionellen Banken ein, den Herausforderungen des Fintech-Zeitalters mit dem Omnikanalbankansatz und Kooperationsbereitschaft erfolgreich zu begegnen. Zur Klärung des Verhältnisses der Kreditwirtschaft zu den Fintechs sieht er die Ordnungspolitik gefordert, die Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb sicherzustellen. Neben Sicherheit und Datenschutz nennt er Verbraucherschutz, Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln als wichtige Elemente. (Red.)

In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff Fintech gängigerweise auf ein Unternehmen bezogen, das im Bereich innovativer Kundenlösungen für Finanzfragen angesiedelt ist.

In diesem Sinne nutzt die klassische Kreditwirtschaft bereits seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Fintech-Idee, zunächst im Backoffice der Rechnungslegung, mit Errichtung von Geldautomaten, Ausgabe von Bankkarten und Einführung des Online und Mobile Bankings aber auch an der Kundenschnittstelle. Damit ist klar, dass Fintech-Lösungen keineswegs nur von Start-ups vorangetrieben werden, sondern auch vom klassischen Bankensektor.

In der Kooperation mit Wettbewerbern geübt

Die Kreditwirtschaft ist dabei durchaus gewohnt, mit Partnern zusammenzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass sich in der öffentlichen Diskussion der Fokus von "Banken versus Fintechs" hin zu einer funktionalen Betrachtung nach Lösungsangeboten entlang der Wertschöpfungskette wandelt.

Die Wettbewerbsintensität war und ist gerade im deutschen Bankenmarkt hoch. Klassische filialgestützte Universalbanken müssen sich mit zahlreichen Spezialbanken, Auslandsbanken, Direktbanken, Kreditkartenanbietern im Wettbewerb auseinandersetzen. Mit den direkt an der Kundenschnittstelle arbeitenden Fintechs ist nun eine neue Kategorie von Wettbewerbern dazugekommen, die auf den Bankstatus bewusst verzichtet.

Während sich Fintechs für Steuerung und Produktion eher als innovativer Zulieferer für den Finanzsektor begreifen, sehen Fintechs mit innovativen Kundenlösungen eher die Banken als Zulieferer für Konto- und Depotführung, Designer von Anlageprodukten und Träger von Kreditrisiken.

Doch keine Disruption?

Die bereits seit Längerem vorhergesagte Disintermediation wird durch neue Kommunikations- und Datenauswertungstechnologien unzweifelhaft weiter gefördert. Viele Beobachter sehen daher gar eine Disruption in der Finanzwirtschaft und den Wegfall ganzer Geschäftsmodelle voraus. Natürlich ist es für filialgestützte Universalbanken wie die Genossenschaftsbanken eine Herausforderung, wenn eines ihrer Alleinstellungsmerkmale, die räumliche und persönliche Kundennähe, von digitalen Lösungen neuer Wettbewerber im Markt infrage gestellt wird.

Dem kann und muss man im Wettbewerb begegnen. Die genossenschaftliche Finanzgruppe praktiziert dies mit ihrem im Projekt Kunden-Fokus 2020 entwickelten Ansatz der Omnikanalbank. Dabei suchen sich die Kunden aus den vernetzten Zugangswegen zur Bank den jeweils präferierten selbst heraus. Die Gruppe hat die entsprechenden Investitionen hierfür aus eigener Kraft zu stemmen und unterliegt auf dem Weg dorthin natürlich auch weiterhin allen regulatorischen und bankaufsichtlichen Regeln.

Ordnungspolitik gefordert

An dieser Stelle gilt es nun - und hier ist die Ordnungspolitik gefordert -, auf faire Wettbewerbsbedingungen entlang der sich neu bildenden Wertschöpfungsketten zu achten:

1. Gleiches Geschäft, gleiche Risiken, gleiche Regulierung - unabhängig von der zugrunde liegenden Technologie und unabhängig davon, ob dieselben Tätigkeiten von klassischen Banken oder Fintechs ausgeführt werden. Ein "Sandkasten"-Ansatz für junge, kleine Fintechs geht schon deshalb fehl, weil sie im Erfolgsfall größer werden, potenziell bis hin zur Systemrelevanz. Schwellenwerte zur Überführung in die einheitliche Regulierung werfen nicht nur schwierige Definitionsfragen auf, sie wären vielmehr auch ein Hemmnis für eine evolutionäre Marktentwicklung und laden wegen dieser Praktikabilitätsprobleme zu weiterer Aufweichung oder Umgehung geradezu ein.

Unterschiedliche Schutzniveaus wären darüber hinaus auch unter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes nicht zielkonform.

2. Investitionen in die Basisinfrastruktur müssen sich weiterhin lohnen. Wenn Geschäftsmodelle darauf gegründet werden, dass ein Erbringer in der Wertschöpfungskette Leistungen für einen nachgelagerten Akteur ohne Bepreisungsmöglichkeit bereitzustellen hat, dann fallen Kosten und Nutzen auseinander. Der Anreiz für Modernisierungen der Basisinfrastruktur würde dadurch erheblich eingeschränkt.

Die jüngst novellierte Zahlungsdiensterichtlinie (PSD 2) bietet hierfür ein bedenkliches Beispiel, indem die zur Auslösung einer Transaktion oder zur Erbringung von Services notwendigen Daten aus der Kontoverbindung Dritten ohne Bepreisung zur Verfügung zu stellen sind. Ein gewisser Ausgleich wird immerhin dadurch geschaffen, dass der Drittdienst zur Identifikation und Haftungsübernahme verpflichtet wird. Dass ein Zahlungsauslöse- oder Kontoinformationsdienst dafür den Status eines Zahlungsinstituts erlangen muss, entspricht konsequent einer langjährigen Forderung der genossenschaftlichen Finanzgruppe.

3. Innovationen entlang der Wertschöpfungskette dürfen keine Einbahnstraße sein. So gibt es bereits erste Fintechs, die Banklizenzen erwerben und ihre Kernkompetenz um Kontoführung und Processing erweitern. Umgekehrt darf es Banken wettbewerbsrechtlich nicht verwehrt werden, ihr stationäres Angebot um Fintech-Leistungen an der Kundenschnittstelle zu erweitern und diese im Omnikanalansatz zu vermarkten. Letztlich müssen die Kunden entscheiden, ob sie finanzielle Leistungsbündel oder spezialisierte Einzelleistungen bevorzugen.

4. Schaffung von Interoperabilität durch Standards. Die europäische Kreditwirtschaft ist es gewohnt, im Zuge des politisch gewollten einheitlichen Binnenmarktes Abwicklungsstrukturen, gerade im Zahlungsverkehr, zu schaffen, die auf gemeinsamen Standards beruhen. Der Sepa-Standard ist hierfür das klassische Beispiel. Europaweit verfügbare Instant Payments stellen die kommende Herausforderung dar. Die Entwicklung von Standards, an der sich alle Marktteilnehmer einschließlich Fintechs beteiligen, verhindert die mögliche Dominanz eines (globalen) Plattformanbieters als faktischen Standard.

5. Gewährleistung der Sicherheit - analog und digital. Rechtssysteme in Deutschland und Europa sollten so ausgestaltet sein, dass Cyberkriminalität in gleicher Weise verfolgt wird wie physische Banküberfälle oder papierhafter Betrug. Da sich Cyberkriminalität gezielt auf digitale Angriffspunkte richtet, gilt es auch hier, die Sicherheit von Finanzsystemen ganzheitlich zu regulieren und zu überwachen.

Ausrichtung an gesamtwirtschaftlichen Zielen

Auch in einer Zeit positiver technologischer Aufbruchstimmung sollte es Grundsatz der Ordnungspolitik sein, sich nicht als Industriepolitik zur Förderung bestimmter Strukturen zu begreifen, sondern sich an gesamtwirtschaftlichen Zielen auszurichten. Die Digitalisierung der Finanzwirtschaft eröffnet unzweifelhaft enorme Potenziale zur Verbesserung kundenorientierter Dienstleistungen.

Die Förderung dieser Potenziale sollte im Mittelpunkt stehen, unter Nutzung des Wettbewerbs wie der Zusammenarbeit von klassischen Banken und Fintechs. Ein Erfolgsfaktor für die Verbreitung neuer Services wird dabei neben der Bequemlichkeit vor allem die Vertrauenswürdigkeit sein. Sicherheit und Datenschutz sollten daher zwingender Bestandteil einer digitalen Ordnungspolitik sein. Das Pendant hierzu aus gesamtwirtschaftlicher Sicht stellt die Bewahrung der Finanzmarktstabilität dar.

Bestandteil einer digitalen Ordnungspolitik ist natürlich auch der Verbraucherschutz. Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln müssen transparent sein. Welchen Regeln haben persönliche digitale Assistenten zu folgen, welche Rahmenbedingungen gelten im Internet of Things, wenn automatisiert finanzielle Transaktionen ausgelöst werden?

Globale Plattformanbieter als eigentliche Wettbewerber

Nicht zuletzt muss es auch ein Ziel digitaler Ordnungspolitik sein, den Standort Deutschland, eingebettet in einen effizienten europäischen Binnenmarkt, im globalen Wettbewerb zu stärken. Globale Plattformanbieter, für die Finanzdienstleistungen kein eigenständiges Geschäftsfeld, sondern die Grundlage zur Datengewinnung darstellen, sind die eigentlichen Wettbewerber für klassische Banken wie Fintechs.

Dr. Andreas Martin , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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